Zwangsbehandlung von Schizophrenie durch Elektrokrampftherapie im Regelfall nicht genehmigungsfähig

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

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Zwangsbehandlung von Schizophrenie durch Elektrokrampftherapie im Regelfall nicht genehmigungsfähig

Beitrag von WernerSchell » 21.02.2020, 07:17

Bild Bundesgerichtshof

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Zwangsbehandlung von Schizophrenie durch Elektrokrampftherapie im Regelfall nicht genehmigungsfähig

Leitsätze:
a) Als notwendig können nur ärztliche Zwangsmaßnahmen angesehen werden, deren Durchführung einem breiten medizinisch-wissenschaftlichen Konsens entspricht. Derartiger Konsens kann sich namentlich in wissenschaftlichen Stellungnahmen des Beirats der Bundesärztekammer sowie durch medizinische Leitlinien äußern.
b) Falls der an Schizophrenie leidende Betreute einer Elektrokonvulsionstherapie / Elektrokrampftherapie (EKT) ausdrücklich widerspricht, ist die Einwilligung des Betreuers in deren zwangsweise Durchführung im Regelfall nicht genehmigungsfähig.


Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 15. Januar 2020 - XII ZB 381/19 > https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi- ... =2&anz=497


Der unter anderem für das Betreuungs- und Unterbringungsrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat über die Frage der Zulässigkeit einer gerichtlichen Genehmigung der Zwangsbehandlung von an Schizophrenie erkrankten Betroffenen durch Elektrokonvulsionstherapie / Elektrokrampftherapie (EKT) entschieden.

Der Betroffene leidet an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie. Seit Februar 2018 war er wiederholt untergebracht und wurde – überwiegend zwangsweise – mit verschiedenen Medikamenten letztlich erfolglos behandelt. Nach Befürwortung durch ein Sachverständigengutachten hat das Amtsgericht die Einwilligung des zuständigen Betreuers in die Durchführung einer EKT in Form der elektrischen Auslösung von sechs großen zerebralen Anfällen mithilfe von uni- oder alternativ bilateral angelegten Elektroden innerhalb von zwei Wochen, außerdem die Einleitung einer Narkose durch Anästhesisten und – wenn der Betroffene von den ärztlichen Maßnahmen nicht überzeugt werden kann – die Anwendung von Gewalt (Festhalten, 3- bis 5-Punkt-Fixierung) genehmigt.

Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen und seiner Mutter zurückgewiesen; die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde der Mutter hatte Erfolg.

Widerspricht eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff dem natürlichen Willen des Betreuten (ärztliche Zwangsmaßnahme), so kann der Betreuer in diese – unter näheren gesetzlichen Voraussetzungen – nur dann einwilligen, wenn die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betreuten notwendig ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden (§ 1906 a Abs. 1 Nr. 1 BGB). *

Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass als "notwendig" im Sinne des Gesetzes nur solche Behandlungen angesehen werden können, deren Durchführung einem breiten medizinisch-wissenschaftlichen Konsens entspricht, und zwar sowohl was die Therapie als solche betrifft als auch deren spezielle Durchführungsform im Wege der Zwangsbehandlung gegen den Widerstand des Patienten. Ein derartiger Konsens kann seinen Ausdruck in wissenschaftlichen Stellungnahmen des Beirats der Bundesärztekammer sowie in medizinischen Leitlinien finden.

Die in Bezug auf die EKT veröffentlichten Stellungnahmen und Leitlinien vermitteln allerdings keinen medizinisch-wissenschaftlichen Konsens, wonach die zwangsweise Durchführung dieser Maßnahme bei einem an (nicht katatoner und nicht akut exazerbierter) Schizophrenie leidenden Betroffenen gerechtfertigt wäre. Zwar kann eine EKT nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen auch zur Behandlung der Schizophrenie bei vorliegender schwerer depressiver Verstimmung mit Suizidalität indiziert sein. Ein depressives Krankheitsbild haben die sachverständig beratenen Instanzgerichte indes nicht festgestellt.

Die Einwilligung des Betreuers in die zwangsweise Durchführung dieser Maßnahme ist daher im vorliegenden Fall nicht genehmigungsfähig.

Die maßgebliche Norm des BGB lautet wie folgt:

§ 1906 a Genehmigung des Betreuungsgerichts bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen
(1) Widerspricht eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff dem natürlichen Willen des Betreuten (ärztliche Zwangsmaßnahme), so kann der Betreuer in die ärztliche Zwangsmaßnahme nur einwilligen, wenn
1. die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betreuten notwendig ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden,
2. ...

Vorinstanzen:
AG Heidelberg – Beschluss vom 11. Juni 2019 – W 4018 XVII 71/18
LG Heidelberg – Beschluss vom 29. Juli 2019 – 2 T 35/19

Quelle: Pressemitteilung vom 17. Februar 2020 Nr. 016/2020
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
>>> https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi- ... pm&Blank=1


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Deutsches Ärzteblatt vom 17.02.2020:
Keine Zwangsbehandlung ohne breiten medizinisch-wissenschaft­lichen Konsens
Karlsruhe – Ärztliche Zwangsbehandlungen sind nur gegen den Patientenwillen möglich, wenn die Therapie einem breiten medizinisch-wissenschaftlichen Konsens entspricht. Das hat der unter anderem für Betreuungs- und Unterbringungsrecht zuständige XII. Zi­vil­senat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe heute mit einem veröffentlichten Be­schluss (Az. XII ZB 381/19) klargestellt. >>> http://170770.eu1.cleverreach.com//c/32 ... 975-q5uw1b
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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