Besuchsfrequenz von Betreuern in Pflegeeinrichtungen - Beschluss AG Siegen vom 03.07.2018

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Besuchsfrequenz von Betreuern in Pflegeeinrichtungen - Beschluss AG Siegen vom 03.07.2018

Beitrag von WernerSchell » 11.06.2019, 06:23

Besuchsfrequenz von Betreuern in Pflegeeinrichtungen

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Es wird seit Jahren mit unterschiedlichen Ergebnissen erörtert, wie oft ein gerichtlich bestellter Betreuer eine seiner Sorge unterstellte Person bei Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung besuchen und die angemessene Sorge für das gesundheitliche Wohlergehen kontrollieren muss. In einem Beschluss des Amtsgericht - Betreuungsgericht - Siegen vom 03.07.2018 - 33 XVII 917/16 Z - wurden nun einem Betreuer konkrete Weisungen hinsichtlich der Häufigkeit von Besuchen der betreuten Person im Pflegeheim gemacht.

Zum Verfahren wird ausgeführt:

Ein Berufsbetreuer ist für eine 64-jährige Frau tätig, die seit vielen Jahren an einer schizophrenen Psychose leidet und u.a. die Notwendigkeit der verordneten Medikation nicht einsieht. Er ist im Rahmen dieser Tätigkeit mit dem Aufgabenkreis "Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung sowie Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten" betraut.

Einem Bericht des Betreuers vom 13.04.2018 über die persönlichen Verhältnisse der Betreuten ist zu entnehmen, dass er im Berichtszeitraum zwar einen persönlichen Kontakt mit dem Ehemann der Betreuten und dem Leiter des Pflegeheims hatte, jedoch keinerlei Kontakt mit der Betreuten selbst.

Mit Verfügung vom 03.07.2018 hat das Amtsgericht dem Betreuer daher aufgegeben, zukünftig regelmäßig persönliche Kontakte zur Betreuten in einem Abstand von nicht mehr als sechs bis acht Wochen wahrzunehmen und diese im Rahmen seiner Berichte nach Zeitpunkt, Ort und Dauer zu dokumentieren.

Gegen diese verbindliche Weisung hat der Betreuer Widerspruch eingelegt und u.a. vorgetragen, dass die Betreute guten Kontakt zu den Pflegekräften sowie zu ihrem Ehemann habe, der sie alle zwei Wochen besuche und mit dem der Betreuer regelmäßig telefoniere. Das Pflegeheim, in dem die Betreute untergebracht sei, habe bei einer Qualitätsprüfung des MDK die Durchschnittsnote „sehr gut" erhalten, weshalb keine Notwendigkeit be-stehe, das Pflegeheim mit häufigen persönlichen Kontakten zu kontrollieren. Auch vor dem Hintergrund der seit 13 Jahren gleich gebliebenen Höhe der Betreuervergütung seien persönliche Kontakte allenfalls im Abstand von vier Monaten vorstellbar.

Der Widerspruch des Betreuers wurde vom Amtsgericht am 23.07.2018 als unbegründet zurückgewiesen und dem zuständigen Landgericht als Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.

Zur Begründung hat das Amtsgericht u.a. ausgeführt:

I.

Der Betreuer ist seit dem 12.03.2013 mit dem Aufgabenkreis Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung sowie Rechts-, Antrags- und Be-hördenangelegenheiten bestellt, wobei er sein Amt berufsmäßig ausübt.

Die 64-jährige Betreute leidet seit vielen Jahren an einer schizophrenen Psychose. Seit 2016 ist sie durchgehend auf der geschlossenen Station des Pflegeheims … untergebracht. Nach den Feststellungen im neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 29.03.2018 besteht bei der Betreuten ein deutliches Wahnerleben in Form von akustischen Halluzinationen und psychotischer Symptome. Die Betreute sieht die Notwendigkeit der verordneten Medikation nicht ein. Nach der Mitteilung des Betreuers vom 15.05.2018 leidet die Betreute darüber hinaus an Unterleibskrebs im Anfangsstadium und einer Herzschwäche.

Dem Bericht des Betreuers vom 13.04.2018 über die persönlichen Verhältnisse der Betreuten für die Zeit vom 01.04.2017 bis 31.03.2018 ist zu entnehmen, dass er im Berichtszeitraum zwar einen persönlichen Kontakt mit dem Ehemann der Betreuten und dem Leiter des Pflegeheims hatte, jedoch keinerlei Kontakt mit der Betreuten selbst.

Mit Verfügung vom 03.07.2018 hat das Betreuungsgericht dem Betreuer aufgegeben, zukünftig regelmäßig persönliche Kontakte zur Betreuten in einem Abstand von nicht mehr als sechs bis acht Wochen wahrzunehmen und diese im Rahmen des Berichts nach §§ 1908i und 1840 BGB nach Zeitpunkt, Ort und Dauer zu dokumentieren. Gegen diese verbindliche Weisung hat der Betreuer Widerspruch eingelegt

II.

1. Der Widerspruch des Betreuers gegen die durch Verfügung vom 03.07.2018 erteilte Weisung ist als Beschwerde zulässig, jedoch inhaltlich unbegründet.

2. Das Betreuungsgericht hat über die gesamte Tätigkeit des Betreuers die Aufsicht zu führen und hierbei insbesondere die Einhaltung der erforderlichen persönlichen Kontakte des Betreuers zu dem Betreuten zu beaufsichtigen. Die Erteilung von Weisungen, die ein Gebot oder Verbot enthalten, ist hierbei auf die Fälle pflichtwidrigen Verhaltens des Betreuers beschränkt. Eine präventive Weisung ist nur berechtigt, wenn die auf Tatsachen begründete Besorgnis besteht, der Betreuer werde pflichtwidrig handeln. Eine Pflichtwidrigkeit liegt auch nur dann vor, wenn der Betreuer gegen bestimmt formulierte gesetzliche Regelungen verstößt, gerichtliche Anordnungen nicht befolgt oder seinen Aufgabenkreis überschreitet. Eine Weisung muss dementsprechend geeignet sein, den Betreuer zu einer pflichtgemäßen Amtsführung anzuhalten.

3. Der Betreuer ist zunächst verpflichtet, Wünschen der betreuten Person zu entsprechen, soweit dies deren Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist. Derartige Wünsche können beispielsweise die Art und Auswahl des Heims oder eines Krankenhauses (oder dessen Wechsel) sowie zusätzliche Heimleistungen betreffen. Um solche Wünsche überhaupt ermitteln und die Betreuung zum Wohl der betreuten Person führen zu können, sind regelmäßige persönliche Kontakte erforderlich. Falls ein Betreuer den erforderlichen persönlichen Kontakt zur betreuten Person nicht gehalten hat, liegt ein wichtiger Grund für die Entlassung des Betreuers vor.

4. Wie häufig persönliche Kontakte zur betreuten Person zu erfolgen haben, ist gesetzlich nicht geregelt, sondern eine Frage des Einzelfalls. Die erforderliche Kontakthäufigkeit kann sich insbesondere aus dem Alter, der körperlichen Verfassung oder dem Umstand ergeben, ob sich die betreute Person noch selbständig in ihrer Wohnung befindet oder - wie die Betreute hier - dauerhaft im Heim untergebracht ist. Auch bei dauerhaftem Heimaufenthalt ist der Betreuer jedoch verpflichtet, regelmäßig durch persönliche Kontakte mit der Betreuten zu prüfen, ob das Heim alle geschuldeten Leistungen vollständig und ordnungsgemäß erfüllt.

a) Der Betreuer darf sich hierbei nicht ganz überwiegend oder gar allein auf die Wahrnehmungen Dritter verlassen, denen die Qualifikation fehlen kann, Pflege- und Behandlungsdefizite zu bemerken. Der Betreuer kann darüber hinaus auch nicht sicher sein, wie oft Angehörige überhaupt Kontakt zur betreuten Person halten, sondern müsste sich auf deren Angaben verlassen. Auch darf der Betreuer nicht seine Pflicht, persönliche Kontakte zu halten, an das Heimpersonal delegieren, das aufgrund seines Arbeitsverhältnisses mit dem Pflegeheim und des eigenen Schadensersatzrisikos nicht unbefangen hinsichtlich möglicher Pflegedefizite sein kann.

b) Schon gar nicht darf der Betreuer häufigere Kontakte unter Hinweis auf eine seit 13 Jahren gleich gebliebene Höhe seiner Betreuervergütung ablehnen. Derlei findet im Gesetz keine Stütze. Auch an der Prüfnote des Pflegeheims im Sinne des § 114 SGB XI darf der Betreuer die Häufigkeit der persönlichen Kontakte zur Betreuten nicht ausrichten. Dem liegen folgende Erwägungen zu Grunde:

aa) Das Pflegeheim, in dem die Betreute untergebracht ist, wurde zuletzt am 30.04.2018 vom MDK einer Qualitätsprüfung gemäß § 114 SGB XI unterzogen und hat hierbei die Durchschnittsnote „sehr gut" erhalten. Die Qualitätsprüfung des Pflegeheims erfolgte aufgrund der in der Pflege – Transparenzvereinbarung stationär (PTVS) enthaltenen Bewertungssystematik, die am 17.12.2008 vereinbart und zuletzt am 11.08.2016 neugefasst wurde.

bb) An der PTVS und den aus ihr resultierenden Qualitätsprüfungen wurde indes vielfach Kritik geübt: Insbesondere wird kritisiert, dass die Bewertungskriterien ganz überwiegend nur die Prozessqualität betreffen, die Pflegenoten damit nicht das erreichte Ergebnis der pflegerischen Bemü-hungen beurteilen, sondern im Wesentlichen nur die Qualität der Dokumentation bewerten. Weiterhin gibt es keine Gewichtung der verwendeten Prüfkriterien. Eine schlechte pflegerische Leistung, beispielsweise eine falsche oder unterlassene Medikation, kann mit dem Kriterium ausgeglichen werden, dass der Speiseplan in seniorengerechter Schrift bekannt gegeben wird, so dass im Ergebnis eine gute Gesamtnote erzielt wird. Eine Inaugenscheinnahme der Heimbewohner findet im Rahmen der Prüfung nur in wenigen Fällen statt.

cc) In der Praxis hat sich gezeigt, dass die vorstehende Kritik ihre Berechtigung findet. Denn die im Rahmen der Qualitätsprüfung gemäß § 114 SGB XI verliehenen Pflegenoten lassen Qualitätsunterschiede zwischen den verschiedenen Pflegeeinrichtungen nur schwer erkennen, weil fast alle Einrichtungen mit den Noten „sehr gut" oder zumindest "gut" bewertet werden.

Das Sozialgericht Münster hat das System der gegenwärtigen Pflegenoten folgerichtig als eine "Anleitung zum Bau Potemkinscher Dörfer" bezeichnet und stellt fest, dass "jeder wisse, dass bei einem Bewertungssystem, das zu Durchschnittsnoten von 1,2 oder 1,5 führt, von einer auch nur annähernd realistischen Bewertung keine Rede mehr sein kann. Der ´Pflege-TÜV` hat sich inzwischen selbst ad absurdum geführt."

Qualitätsprüfungen, an denen auch andere Institutionen wie die nach heimrechtlichen Vorschriften zuständigen Aufsichtsbehörden und die Gesundheitsämter teilgenommen haben, kommen hingegen zu anderen Ergebnissen als der sogenannte Pflege-TÜV der MDK. Hiernach muss in der stationären Pflege mit fortbestehenden Mängeln gerechnet werden, gerade auch bei dem für die Betreute relevanten Kriterium der Medikamentenversorgung.

Nach alledem wäre es pflichtwidrig, wenn der Betreuer die Häufigkeit der persönlichen Kontakte zur Betreuten an der Prüfnote des Pflegeheims im Sinne des § 114 SGB XI ausrichtet.

Er hat vielmehr den Gefahren aus den fortbestehenden Mängeln im Bereich der stationären Pflege zu begegnen, indem er zur Betreuten erforderliche persönliche Kontakte unterhält und diese regelmäßig im Heim aufsucht.

d) Zur konkreten Häufigkeit der Kontakte gilt Folgendes: Zwar wurde für den Betreuer die Häufigkeit der Kontakte im Gesetz nicht festgelegt, je-doch wird in der Kommentarliteratur eine gewisse Erwartung, auch bei ei-ner Betreuung nach den vormundschaftsrechtlichen Vorgaben zu verfahren, unterstellt. Teils wird sogar vertreten, dass grundsätzlich davon ausgegangen werden muss, dass jeder Betreuer mindestens einmal im Monat einen persönlichen Kontakt zum Betreuten herstellen muss, und zwar unabhängig von der Konstitution des Betreuten. Nur so sei es dem Betreuer möglich, etwaige Bedürfnisse des Betreuten zu erkennen und darauf sachgemäß zum Wohl des Betreuten zu reagieren.

Vor dem Hintergrund dieser Kommentierung hat das Betreuungsgericht keine Veranlassung, die angegriffene Weisung abzuändern, insbesondere, da bisher lediglich Kontakte zur Betreuten in einem Abstand von nicht mehr als acht Wochen angeordnet wurden und damit bereits der doppelte Kontaktabstand im Vergleich zur vorgenannten Kommentierung als nicht pflichtwidrig erachtet wird.

Noch größere Abstände sind hier auch aufgrund der hinzugetretenen Krebserkrankung der Betreuten, deren Therapie der Betreuer im Rahmen der ihm obliegenden Sorge für die Gesundheit der Betreuten engmaschig zu begleiten hat, nicht zu verantworten. Da der Betreuer in seinem Schreiben vom 14.07.2018 ausdrücklich erklärt hat, dass nur Kontakte im Abstand von vier Monaten für ihn vorstellbar seien, war die angegriffene Weisung geboten, um zukünftig die erforderliche Kontakthäufigkeit zu gewährleisten. Nach alledem war der Beschwerde nicht abzuhelfen und die Beschwerde dem Landgericht zur Entscheidung vorzulegen.

Das zuständige Landgericht hat die Beschwerde mit Beschluss vom 10.09.2018 - 4 T 124/18 - zurückgewiesen und dabei im Wesentlichen auf die Ausführungen in der amtsgerichtlichen Weisung Bezug genommen:

"Die Kammer schließt sich der Begründung des Amtsgerichts zur Erteilung der Weisung und im Nichtabhilfebeschluss an, nach der persönliche Kontakte des Betreuers im Abstand von sechs bis acht Wochen zu fordern sind. Die vom Betreuer dagegen vorgebrachten Argumente verfangen nicht. Die Betreuung ist persönlich zu führen. Umstände, die gegen die Häufigkeit der geforderten persönlichen Kontakte sprechen würden, liegen nicht vor."

Werner Schell, Dozent für Pflegerecht, Harffer Straße 59, 41469 Neuss - http://www.wernerschell.de
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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