Ethikrat: Keimbahneingriffe derzeit zu risikoreich, aber ethisch nicht grundsätzlich auszuschließen

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Ethikrat: Keimbahneingriffe derzeit zu risikoreich, aber ethisch nicht grundsätzlich auszuschließen

Beitrag von WernerSchell » 10.05.2019, 06:30

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Ethikrat: Keimbahneingriffe derzeit zu risikoreich, aber ethisch nicht grundsätzlich auszuschließen

Letztes Jahr erschütterte die Geburt der ersten genetisch veränderten Babys die Welt. Der Deutsche Ethikrat legt nun eine Stellungnahme vor, in der er die Möglichkeiten, in das Genom menschlicher Embryonen oder Keimzellen einzugreifen, ethisch umfassend untersucht. Zwar hält er die menschliche Keimbahn nicht für unantastbar. Gleichwohl beurteilt er Keimbahneingriffe derzeit wegen ihrer unabsehbaren Risiken für ethisch unverantwortlich. Deshalb fordert er ein Anwendungsmoratorium und empfiehlt Bundesregierung und Bundestag, sich für eine verbindliche internationale Vereinbarung dazu einzusetzen.

Zwingende Voraussetzung für jegliche künftige Anwendung von Keimbahneingriffen wäre ihre hinreichende Sicherheit und Wirksamkeit sowie die Etablierung angemessener Prozeduren und Begleitstrukturen. Dazu erneuert der Deutsche Ethikrat einstimmig seine Forderung nach einem breiten nationalen und internationalen Diskurs zum Thema und empfiehlt die Einrichtung einer internationalen Institution, die Standards für Keimbahneingriffe am Menschen erarbeitet und sich lösungsorientiert mit deren medizinischen und gesellschaftlichen Implikationen beschäftigt.

Unstrittig ist im Deutschen Ethikrat zudem, dass jede angemessene Beurteilung von Keimbahneingriffen über eine reine Chancen-Risiken-Abwägung hinausgehen muss und nur unter Berücksichtigung von acht ethischen Orientierungsmaßstäben befriedigen kann: Menschenwürde, Lebens- und Integritätsschutz, Freiheit, Schädigungsvermeidung und Wohltätigkeit, Natürlichkeit, Gerechtigkeit, Solidarität und Verantwortung.

In seiner Stellungnahme entfaltet der Ethikrat diese Orientierungsmaßstäbe und wendet sie exemplarisch auf den vor einer Anwendung von Keimbahninterventionen notwendigen weiteren Forschungsprozess sowie auf drei mögliche Einsatzgebiete an: die Vermeidung schwerer erblicher Erkrankungen, die durch die Veränderung eines einzelnen Gens verursacht werden, die Verringerung multifaktorieller Erkrankungsrisiken und die gezielte Verbesserung menschlicher Eigenschaften und Fähigkeiten (Enhancement).

Dabei zeigt sich, dass es bei aller Einigkeit bezüglich des politischen Handlungsbedarfs zu vielen Fragen unterschiedliche Positionen gibt – auch im Deutschen Ethikrat. Beispielsweise halten nicht alle Mitglieder Keimbahneingriffe überhaupt für sinnvoll. Eine große Mehrheit bewertet die Weiterentwicklung und den Einsatz der Technologie mindestens zur Vermeidung oder Verringerung genetisch bedingter Krankheitsrisiken als ethisch legitimes Ziel. Für andere Mitglieder lassen Keimbahneingriffe keinen ausreichend hochrangigen Nutzen erkennen, der ihre potenziellen Nachteile rechtfertigen könnte.

Um die wesentlichen Fragen, Argumente und Positionen transparent und für den geforderten breiten öffentlichen und auch internationalen Diskurs verfügbar zu machen, fasst der Deutsche Ethikrat sie in einem analytischen Instrumentarium zusammen und visualisiert die möglichen Entscheidungspfade und ihre Konsequenzen in einem Entscheidungsbaum.

Weitere Informationen unter https://www.ethikrat.org/pressekonferen ... -keimbahn/

Quelle: Pressemitteilung vom 09.05.2019
Ulrike Florian Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutscher Ethikrat
https://idw-online.de/de/news715361

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Stellungnahme des Ethikrats
Eingriff ins Erbgut noch "unverantwortlich"
ARD - Tagesschau berichtete am 09.05.2019
> https://www.tagesschau.de/inland/genver ... t-101.html


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Ärzte Zeitung vom 10.05.2019:
Keimbahn
Darum lehnt der Ethikrat Genom-Eingriffe nicht kategorisch ab

Die Glaubenssätze in der Fortpflanzungsmedizin geraten ins Rutschen. Der Ethikrat bringt einen neuen Ton in die Debatte. ... > http://ods-mailing.springer-sbm.com/d-r ... &tags=test
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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Ist Genmanipulation bei Menschen in Zukunft akzeptabel?

Beitrag von WernerSchell » 11.05.2019, 06:25

Ist Genmanipulation bei Menschen in Zukunft akzeptabel?
Die Geburt genmanipulierter Zwillinge in China vor gut einem halben Jahr hatte große Diskussionen ausgelöst. Jetzt hat der Deutsche Ethikrat eine 200-seitige Stellungnahme veröffentlicht – und ist eingeknickt. Bislang lehnte der Ethikrat Eingriffe in die Keimbahn des Menschen strikt ab. Jetzt kommen die Experten zu dem Urteil zukünftig Genmanipulation an Menschen akzeptieren zu können, wenn es nicht um Optimierung, sondern um Heilung geht. Damit wird das Tor für gezielte Eingriffe in Evolution des Menschen geöffnet. Michael Lange, Quarks-Spezialist für Genetik, mit einer Einschätzung | podcast – 00:55:15 > https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr ... index.html

Mehr:
"Genmanipulierte Kinder: Ist das bald normal?" ein quarks.de-Beitrag vom 07.12.2018 | quarks.de > https://www.quarks.de/gesundheit/medizi ... ld-normal/
"Die neue Gentechnik – besser, schneller, mehr davon?" eine Quarks-Sendung vom 06.06.2017 | video > https://www1.wdr.de/mediathek/video/sen ... n-100.html

Quelle: Mitteilung vom 10.05.2019
Quarks-Team
quarks@wdr.de
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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Eingriffe in die menschliche Keimbahn - Gemeinsame Erklärung der Ethikräte Deutschlands, Frankreichs u Großbritanniens

Beitrag von WernerSchell » 04.03.2020, 08:41

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Gemeinsame Erklärung der Ethikräte Deutschlands, Frankreichs u Großbritanniens zu Eingriffen in die menschliche Keimbahn

In der heute veröffentlichten Erklärung rufen die drei Räte Regierungen und Interessenvertreter in der ganzen Welt dazu auf, bei jeglicher künftigen Diskussion von Keimbahneingriffen und bei der Entwicklung globaler Regulierungsansätze ethische Überlegungen in den Mittelpunkt zu stellen.
Die aktuell verfügbaren Methoden gelten als noch nicht sicher genug für eine klinische Anwendung, doch die drei Räte wollen sicherstellen, dass wichtige ethische Fragen und Prinzipen genügend Aufmerksamkeit erhalten, bevor eine technische Anwendungsreife erreicht wird. Nur so können der globale Dialog und die Regulierung von Keimbahneingriffen auf einer soliden ethischen Grundlage erfolgen.

In einem heute von Nature veröffentlichten Brief heben die Vorsitzenden der drei Räte, welche jeweils eigenen Stellungnahmen zum Thema Genome-Editing veröffentlicht haben, die folgenden Kernpunkte aus der gemeinsamen Erklärung hervor:

"Wir rufen Regierungen und Interessenvertreter auf der ganzen Welt dazu auf, die folgenden Schritte zu unternehmen:

- Alle Staaten sollten erbliche Veränderungen des menschlichen Genoms eindeutig der Kontrolle der zuständigen öffentlichen Behörden unterstellen und ihren Missbrauch mit angemessenen Sanktionen belegen.

- Es sollten keine klinischen Versuche zum Einsatz von Keimbahneingriffen durchgeführt werden, bevor nicht eine breite gesellschaftliche Debatte über die Vertretbarkeit der betreffenden Interventionen stattgefunden hat.

- Es sollten keine weiteren klinischen Versuche zum Einsatz von Keimbahneingriffen durchgeführt werden, solange die Forschung die beträchtliche Unsicherheit zu den Risiken klinischer Anwendungen noch nicht auf ein akzeptables Niveau reduziert hat.

- Bevor klinische Studien zu oder Anwendungen von Keimbahneingriffen zugelassen werden, müssen die Risiken nachteiliger Auswirkungen für Einzelpersonen, Gruppen und die Gesellschaft als Ganzes angemessen bewertet worden sein, und es müssen Maßnahmen zur Überwachung und Überprüfung dieser Risiken vorhanden sein.

Wir alle halten es für wesentlich, dass eine ethisch zulässige Anwendung von Keimbahneingriffen beim Menschen nicht zu verstärkten Benachteiligungen, Diskriminierungen oder Spaltungen in der Gesellschaft führen darf.

Die große Bandbreite der denkbaren Anwendungen und die damit verbundenen Auswirkungen auf Familien, die Gesellschaft und künftige Generationen erfordern eine angemessen vorsichtige, verantwortliche und transparente Governance.

Wir empfehlen allen, die an Debatten zu Keimbahneingriffen teilnehmen, und den jeweiligen Entscheidungsträgern, die Beispiele zu ethischen Abwägungen in unseren individuellen Stellungnahmen in ihre Überlegungen mit einbeziehen."

Notizen für Redaktionen

1. Die gemeinsame Erklärung ist hier abrufbar:
Deutschland - https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publ ... diting.pdf
Frankreich – https://www.ccne-ethique.fr/en/actualit ... -statement
Großbritannien – https://www.nuffieldbioethics.org/news/ ... me-editing

2. Die Korrespondenz in Nature ist unter folgendem Link abrufbar: https://www.nature.com/articles/d41586-020-00614-3

3. Die vollständigen Publikationen der drei Räte sind hier abrufbar:
Deutscher Ethikrat (2019) Eingriffe in die menschliche Keimbahn ( https://www.ethikrat.org/themen/medizin ... e-keimbahn )
CCNE (2020) Opinion 133 on Ethical Challenges of Gene Editing: Between Hope and Caution ( https://www.ccne-ethique.fr/en/actualit ... -statement )
Nuffield Council on Bioethics (2018) Genome Editing and Human Reproduction: social and ethical issues ( https://www.nuffieldbioethics.org/publi ... production )

4. In Frankreich, Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland sind erbliche Veränderungen des menschlichen Genoms gesetzlich verboten. In anderen Rechtsordnungen sind die Regeln hingegen mitunter unklar, werden nicht durchgesetzt oder fehlen gänzlich. Obwohl die Handlungen eines chinesischen Forschers, dessen Arbeit 2018 zur Geburt von genetisch veränderten Zwillingen führte, breit verurteilt wurden, haben andere Forscher bereits Pläne angekündigt, weitere Keimbahneingriffe zu versuchen.

Medienkontakte

Deutschland:
Ulrike Florian, Deutscher Ethikrat
E-Mail: florian@ethikrat.org
Tel: +49 (0)30 20370 246

Frankreich:
Marie-Christine Simon, CCNE
E-Mail: marie-christine.simon@comite-ethique.fr
Tel: +33 (0)1 42 75 68 29

Großbritannien:
Sarah Walker-Robson, Nuffield Council on Bioethics
E-Mail: swalker-robson@nuffieldbioethics.org
Tel: +44 (0)20 7681 9619

Originalpublikation:
https://www.nature.com/articles/d41586-020-00614-3

Weitere Informationen:
https://www.ethikrat.org/mitteilungen/2 ... -keimbahn/

Quelle: Pressemitteilung vom 03.03.2020
Ulrike Florian Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutscher Ethikrat
https://idw-online.de/de/news741257
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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Entscheidungsbaum für Eingriffe in die menschliche Keimbahn als interaktive Grafik online

Beitrag von WernerSchell » 30.11.2020, 16:50

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Entscheidungsbaum für Eingriffe in die menschliche Keimbahn als interaktive Grafik online

In seiner Stellungnahme „Eingriffe in die menschliche Keimbahn“, veröffentlicht am 9. Mai 2019 (> viewtopic.php?f=2&t=23194&p=108764#p108764 ), hat der Deutsche Ethikrat Fragen, Argumente und Positionen zur Erforschung und Entwicklung möglicher Anwendungen auf diesem Gebiet in einem Entscheidungsbaum zusammengeführt.

Wir freuen uns, Ihnen diesen Entscheidungsbaum nun auch als von der Website abrufbare interaktive Grafik präsentieren zu können: > https://www.ethikrat.org/publikationen/ ... eingriffe/ In Gestalt dieser Grafik werden die verschiedenen Entscheidungspfade mit ihren jeweiligen Argumenten und den dafür relevanten Orientierungsmaßstäben visualisiert, indem man den Mauszeiger auf die kleinen Kreise bewegt oder sie auf einem Touchscreen antippt.

Alternativ lässt sich die Zuordnung von Positionen und Argumenten in der PDF-Fassung der Grafik auch tabellarisch nachvollziehen: > https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publ ... griffe.pdf

Die ausführliche Herleitung der Argumente und Orientierungsmaßstäbe wird in der ebenfalls als PDF abrufbaren Stellungnahme entwickelt: > https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publ ... imbahn.pdf


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Quelle: Pressemitteilung vom 30.11.2020
Ulrike Florian
Deutscher Ethikrat
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Jägerstraße 22/23
D-10117 Berlin
Tel: +49 30 203 70-246
Fax: +49 30 203 70-252
E-Mail: florian@ethikrat.org
URL: www.ethikrat.org
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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