Fixierung von Patienten in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung - BVerfG formuliert strenge Anforderungen

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

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Fixierung von Patienten in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung - BVerfG formuliert strenge Anforderungen

Beitrag von WernerSchell » 24.07.2018, 10:50

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Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Fixierung von Patienten in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 24. Juli 2018 - 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16 > https://www.bundesverfassungsgericht.de ... 30915.html

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Die Fixierung von Patienten stellt einen Eingriff in deren Grundrecht auf Freiheit der Person dar. Aus dem Freiheitsgrundrecht sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben sich strenge Anforderungen an die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs: Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage muss hinreichend bestimmt sein und den materiellen und verfahrensmäßigen Anforderungen genügen. Bei einer nicht nur kurzfristigen Fixierung handelt es sich um eine Freiheitsentziehung, für die Art. 104 Abs. 2 GG den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung vorsieht. Aufgrund ihrer besonderen Eingriffsintensität ist die nicht nur kurzfristige Fixierung sämtlicher Gliedmaßen auch im Rahmen eines bereits bestehenden Freiheitsentziehungsverhältnisses als eigenständige Freiheitsentziehung zu qualifizieren, die den Richtervorbehalt abermals auslöst, von einer richterlichen Unterbringungsanordnung also nicht gedeckt ist. Aus Art. 104 Abs. 2 Satz 4 GG folgt ein Regelungsauftrag an den Gesetzgeber, verfahrensrechtliche Bestimmungen für die richterliche Anordnung freiheitsentziehender Fixierungen zu treffen.

Mit dieser Begründung hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts auf zwei Verfassungsbeschwerden hin mit heute verkündetem Urteil die einschlägige Vorschrift des Landes Baden-Württemberg für verfassungswidrig erklärt und bestimmt, dass der baden-württembergische und der bayerische Gesetzgeber – der bislang keine spezielle Rechtsgrundlage für Fixierungen erlassen hat – verpflichtet sind, bis zum 30. Juni 2019 einen verfassungsgemäßen Zustand herbeizuführen.

Sachverhalt:

I. Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 502/16 betrifft die auf ärztliche Anordnung vorgenommene, acht Stunden dauernde 7-Punkt-Fixierung des Beschwerdeführers – das heißt die Fesselung an ein Krankenbett an beiden Armen, beiden Beinen sowie um Bauch, Brust und Stirn – während eines insgesamt gut zwölfstündigen Psychiatrieaufenthalts. Das Bayerische Unterbringungsgesetz (BayUnterbrG), welches Rechtsgrundlage für die vorläufige Unterbringung des Beschwerdeführers war, sieht keine spezielle Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung von Fixierungen vor. Der Beschwerdeführer nahm den Freistaat Bayern erfolglos auf Schadensersatz und Schmerzensgeld für die aufgrund der Fixierung erlittenen Verletzungen in Anspruch. Seine Verfassungsbeschwerde ist gegen die in dem Amtshaftungsverfahren ergangenen Entscheidungen gerichtet.

II. Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 309/15 betrifft die 5-Punkt-Fixierung – das heißt die Fesselung aller Extremitäten und um den Bauch an ein Krankenbett – eines in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung Untergebrachten, die über mehrere Tage wiederholt ärztlich angeordnet worden war. Der Beschwerdeführer, der Verfahrenspfleger des Untergebrachten, wendet sich mit seiner zulässigerweise in eigenem Namen erhobenen Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen den die Fixierung anordnenden amtsgerichtlichen Beschluss sowie mittelbar gegen § 25 Abs. 3 des baden-württembergischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKHG BW), auf dessen Grundlage der Beschluss erging.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

I. Die Fixierung eines Patienten stellt einen Eingriff in dessen Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG) dar.

1. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bezeichnet die Freiheit der Person als „unverletzlich“. Diese verfassungsrechtliche Grundentscheidung kennzeichnet das Freiheitsrecht als ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf. Geschützt wird die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen. Ob ein Eingriff in die persönliche (körperliche) Freiheit vorliegt, hängt lediglich vom tatsächlichen, natürlichen Willen des Betroffenen ab. Fehlende Einsichtsfähigkeit lässt den Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG nicht entfallen; er ist auch dem psychisch Kranken und nicht voll Geschäftsfähigen garantiert. Gerade psychisch Kranke empfinden eine Freiheitsbeschränkung, deren Notwendigkeit ihnen nicht nähergebracht werden kann, häufig als besonders bedrohlich.

2. a) Der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG umfasst sowohl freiheitsbeschränkende als auch freiheitsentziehende Maßnahmen, die das Bundesverfassungsgericht nach der Intensität des Eingriffs voneinander abgrenzt. Eine Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich wäre. Die Freiheitsentziehung als schwerste Form der Freiheitsbeschränkung liegt dann vor, wenn die – tatsächlich und rechtlich an sich gegebene – Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben wird. Sie setzt eine besondere Eingriffsintensität und eine nicht nur kurzfristige Dauer der Maßnahme voraus.

b) Jedenfalls eine 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung, bei der sämtliche Gliedmaßen des Betroffenen mit Gurten am Bett festgebunden werden, stellt eine Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 104 Abs. 2 GG dar, es sei denn, es handelt sich um eine lediglich kurzfristige Maßnahme. Von einer solchen ist in der Regel auszugehen, wenn sie absehbar die Dauer von ungefähr einer halben Stunde unterschreitet. Die vollständige Aufhebung der Bewegungsfreiheit durch die 5-Punkt- oder die 7-Punkt-Fixierung am Bett nimmt dem Betroffenen die ihm bei der Unterbringung auf einer geschlossenen psychiatrischen Station noch verbliebene Freiheit, sich innerhalb dieser Station – oder zumindest innerhalb des Krankenzimmers – zu bewegen. Diese Form der Fixierung ist darauf angelegt, den Betroffenen auf seinem Krankenbett vollständig bewegungsunfähig zu halten.

3. Aufgrund ihrer besonderen Eingriffsintensität ist die nicht nur kurzfristige Fixierung sämtlicher Gliedmaßen auch im Rahmen eines bereits bestehenden Freiheitsentziehungsverhältnisses als eigenständige Freiheitsentziehung zu qualifizieren, die den Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG abermals auslöst. Zwar sind im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung von der richterlich angeordneten Freiheitsentziehung grundsätzlich auch etwaige Disziplinarmaßnahmen wie etwa der Arrest oder besondere Sicherungsmaßnahmen wie der Einschluss in einem enger begrenzten Teil der Unterbringungseinrichtung erfasst, durch die sich lediglich – verschärfend – die Art und Weise des Vollzugs der einmal verhängten Freiheitsentziehung ändert.

Sowohl eine 5-Punkt- als auch eine 7-Punkt-Fixierung weisen jedoch im Verhältnis zu diesen Maßnahmen eine Eingriffsqualität auf, die von der richterlichen Unterbringungsanordnung nicht gedeckt ist und eine Einordnung als eigenständige Freiheitsentziehung rechtfertigt. Die Fortbewegungsfreiheit des Betroffenen wird bei dieser Form der Fixierung nach jeder Richtung hin vollständig aufgehoben und damit über das bereits mit der Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung verbundene Maß hinaus beschnitten.

Die besondere Intensität des Eingriffs folgt bei der 5-Punkt- und der 7-Punkt-Fixierung zudem daraus, dass ein gezielt vorgenommener Eingriff in die Bewegungsfreiheit als umso bedrohlicher erlebt wird, je mehr der Betroffene sich dem Geschehen hilflos und ohnmächtig ausgeliefert sieht. Hinzu kommt, dass der Eingriff in der Unterbringung häufig Menschen treffen wird, die aufgrund ihrer psychischen Verfassung die Nichtbeachtung ihres Willens besonders intensiv empfinden. Des Weiteren sind Betroffene für die Befriedigung natürlicher Bedürfnisse völlig von der rechtzeitigen Hilfe durch das Pflegepersonal abhängig. Im Verhältnis zu anderen Zwangsmaßnahmen wird die Fixierung von den Betroffenen daher regelmäßig als besonders belastend wahrgenommen. Darüber hinaus besteht auch bei sachgemäßer Durchführung einer Fixierung die Gefahr, dass der Betroffene durch die längerdauernde Immobilisation Gesundheitsschäden wie eine Venenthrombose oder eine Lungenembolie erleidet.

II. Auch schwerwiegende Grundrechtseingriffe wie Fixierungen kann der Gesetzgeber prinzipiell zulassen. Aus dem Freiheitsgrundrecht sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben sich jedoch strenge Anforderungen an die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs: Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage muss hinreichend bestimmt sein und als materielle Voraussetzung vorsehen, dass eine Fixierung nur als letztes Mittel angewandt werden darf, wenn mildere Mittel nicht (mehr) in Betracht kommen. Zudem muss die gesetzliche Grundlage auch Verfahrensanforderungen zum Schutz der Grundrechte der untergebrachten Person vorsehen, die auf verfahrensmäßige Sicherungen ihres Freiheitsrechts in besonderer Weise angewiesen ist. Hierzu zählen die Anordnung und Überwachung der Fixierungsmaßnahme durch einen Arzt - in Fällen der 5-Punkt- und 7-Punkt-Fixierung grundsätzlich begleitet von einer Eins-zu-eins-Betreuung durch therapeutisches oder pflegerisches Personal -, die Dokumentation der maßgeblichen Gründe hierfür, ihrer Durchsetzung, Dauer sowie der Art der Überwachung. Hinzu kommt die Verpflichtung, die Betroffenen nach Beendigung der Maßnahme auf die Möglichkeit hinzuweisen, die Zulässigkeit der durchgeführten Fixierung gerichtlich überprüfen zu lassen. Die durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aus Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention gefolgerten Anforderungen gehen über die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG entwickelten Maßgaben nicht hinaus. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention steht dem Ergebnis nicht entgegen.

III. 1. Art. 104 Abs. 2 GG fügt für die Freiheitsentziehung dem Vorbehalt des (förmlichen) Gesetzes, dem das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Freiheit in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG unterworfen ist, den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht. Aus Art. 104 Abs. 2 Satz 4 GG ergibt sich ein Regelungsauftrag, der den Gesetzgeber verpflichtet, den Richtervorbehalt verfahrensrechtlich auszugestalten. Die Effektivität des durch den Richtervorbehalt vermittelten Grundrechtsschutzes hängt maßgeblich von den Verfahrensregelungen in dem jeweiligen Sachbereich ab. Um den Besonderheiten der unterschiedlichen Anwendungszusammenhänge gerecht zu werden, hat der Gesetzgeber ein Verfahren zu regeln, das auf die jeweils zur Entscheidung stehende Freiheitsentziehung abgestimmt ist, und sicherzustellen, dass dem Betroffenen vor der Freiheitsentziehung alle diejenigen rechtsstaatlichen Sicherungen gewährt werden, die mit einem justizförmigen Verfahren verbunden sind. Auch wenn Art. 104 Abs. 2 GG unmittelbar geltendes und anzuwendendes Recht ist, wird der Regelungsauftrag aus Art. 104 Abs. 2 Satz 4 GG nicht obsolet. Nimmt der Gesetzgeber diesen Auftrag nicht wahr, so führt dies zur Verfassungswidrigkeit der zu der Freiheitsentziehung ermächtigenden Norm.

2. Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Er zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz ab. Das Grundgesetz geht davon aus, dass Richter aufgrund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und ihrer strikten Unterwerfung unter das Gesetz die Rechte der Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren können. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird. Für den Staat folgt daraus die verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters – jedenfalls zur Tageszeit – zu gewährleisten und ihm auch insoweit eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zu ermöglichen.

3. Die Freiheitsentziehung erfordert grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung ist nur dann zulässig, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Maßnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste. Dies wird bei der Anordnung einer 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung zur Abwehr einer von dem Betroffenen ausgehenden akuten Selbst- oder Fremdgefährdung allerdings regelmäßig der Fall sein.

4. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG fordert in einem solchen Fall, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Das Tatbestandsmerkmal „unverzüglich“ ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss. Sachliche Gründe, die eine Verzögerung der richterlichen Entscheidung rechtfertigen, können sich etwa aus der Notwendigkeit verfahrensrechtlicher Vorkehrungen ergeben, die dem Schutz des Betroffenen dienen und für 5-Punkt- und 7-Punkt-Fixierungen in der Unterbringung entsprechend gelten (zum Beispiel die persönliche Anhörung des Betroffenen und die Beteiligung des Verfahrenspflegers). Wird zur Nachtzeit von einem Arzt zulässigerweise eine Fixierung ohne vorherige richterliche Entscheidung angeordnet, wird deshalb eine unverzügliche nachträgliche richterliche Entscheidung im Regelfall erst am nächsten Morgen ergehen können. Um den Schutz des Betroffenen sicherzustellen, bedarf es in diesem Zusammenhang eines täglichen richterlichen Bereitschaftsdienstes, der – in Orientierung an § 758a Abs. 4 Satz 2 ZPO – den Zeitraum von 6:00 Uhr bis 21:00 Uhr abdeckt.

IV. Nach diesen Maßstäben sind die Verfassungsbeschwerden begründet. Die gerichtlichen Entscheidungen verletzen den Betroffenen zu I. beziehungsweise den Beschwerdeführer zu II. jeweils in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG.

1. § 25 PsychKHG BW genügt zwar weitgehend den Anforderungen von Art. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG. Insbesondere regelt die Vorschrift die Einschränkung der persönlichen Freiheit aus einem wichtigen Grund, namentlich zum Schutz der Sicherheit in der anerkannten Einrichtung und des Betroffenen vor einer erheblichen Selbstgefährdung und bedeutender Rechtsgüter Dritter, begründet mit dem Erfordernis einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr eine hohe Eingriffsschwelle und sieht verfahrensrechtliche Regelungen vor, die den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerecht werden.

Allerdings enthält die Vorschrift keine Regelung dahingehend, dass der Betroffene nach Beendigung einer Fixierung oder funktionsäquivalenten Maßnahme auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit hinzuweisen ist. Außerdem ist der Gesetzgeber dem sich aus Art. 104 Abs. 2 Satz 4 GG ergebenden Regelungsauftrag nicht nachgekommen, soweit auch für eine 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung nur eine ärztliche Anordnung, aber keine richterliche Entscheidung vorgesehen ist. Für die an dem Betroffenen zu I. vorgenommene 5-Punkt-Fixierung fehlt es an einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage.

Daher verletzt der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts Ludwigsburg den Betroffenen zu I. in seinem Freiheitsgrundrecht. Es ist zunächst Sache der Fachgerichte, die Vereinbarkeit der jeweils herangezogenen Rechtsgrundlagen mit dem Grundgesetz zu prüfen, gegebenenfalls vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren und bei negativem Ausgang der Prüfung die Sache im Verfahren der konkreten Normenkontrolle dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage kann von den Fachgerichten überdies von Amts wegen – unabhängig von einer entsprechenden Rüge des jeweiligen Klägers – zu prüfen sein. Das Amtsgericht hat in der angegriffenen Entscheidung darauf hingewiesen, dass der baden-württembergische Gesetzgeber die Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen den Ärzten der anerkannten Einrichtung übertragen, jedoch keinen Richtervorbehalt normiert habe und die Fixierung daher nur daraufhin überprüft werden könne, ob die Ärzte den § 25 PsychKHG BW beachtet hätten. Damit hat das Amtsgericht lediglich die ärztliche Anordnung auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft, ohne die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage in Frage zu stellen.

2. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts München im Amtshaftungsverfahren verletzt den Beschwerdeführer zu II. in seinem Freiheitsgrundrecht. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts stellt Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 BayUnterbrG keine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Fixierung des Beschwerdeführers zu II. dar. Die Vorschriften genügen weder den Bestimmtheitsanforderungen von Art. 104 Abs. 1 GG, weil sie keine konkret auf die Anordnung von Fixierungen im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung bezogene Regelung enthalten, noch verlangen sie eine richterliche Anordnung für die Freiheitsentziehung durch die erfolgte 7-Punkt-Fixierung.

V. Die teilweise Verfassungswidrigkeit des § 25 PsychKHG BW in Bezug auf Fixierungen führt nicht zu dessen Teilnichtigkeit. Die sofortige Ungültigkeit der Norm würde hier dem Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Betroffenen selbst und bedeutender Rechtsgüter Dritter vor erheblichen Gefahren die Grundlage entziehen, da Fixierungen unter keinen Umständen mehr zulässig wären, ohne dass dem Gesetzgeber oder der Praxis Gelegenheit gegeben würde, sich auf die neue Lage einzustellen und gleichwertige Handlungsalternativen zu schaffen. Hierdurch käme es zu einer Schutzlücke, weil grundrechtliche Belange sowohl der untergebrachten Person als auch des Klinikpersonals und der Mitpatienten jedenfalls gefährdet würden. Die Abwägung der verfassungsrechtlichen Mängel der Vorschrift mit den betroffenen Grundrechten führt dazu, dass der Eingriff für eine Übergangszeit hinzunehmen ist, denn die Defizite des § 25 PsychKHG BW betreffen die an eine materiell grundsätzlich zulässige Maßnahme zu stellenden Verfahrensanforderungen, wohingegen im Fall der Teilnichtigkeit der Norm der materielle Schutz von Grundrechten des Betroffenen und Dritter selbst auf dem Spiel stünde.

VI. 1. In Baden-Württemberg ist der jedenfalls für 5-Punkt- und 7-Punkt-Fixierungen geltende Richtervorbehalt aus Art. 104 Abs. 2 GG während eines Übergangszeitraums bis zum 30. Juni 2019 unmittelbar anzuwenden. Das Verfahren kann in dieser Zeit den §§ 312 ff. FamFG und §§ 70 ff. FamFG entsprechend durchgeführt werden. Zudem folgt in der Übergangszeit unmittelbar aus dem Freiheitsgrundrecht die Pflicht der behandelnden Ärzte, den Betroffenen nach Erledigung der Fixierungsmaßnahme auf die Möglichkeit hinzuweisen, eine richterliche Entscheidung zu beantragen.

2. Dass es im Freistaat Bayern derzeit insgesamt an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage für die Anordnung von Fixierungen im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung fehlt, führt für eine Übergangszeit bis zum 30. Juni 2019 ebenfalls nicht zur Unzulässigkeit einer solchen Maßnahme.

a) Das Bundesverfassungsgericht kann einen verfassungswidrigen Rechtszustand vorübergehend hinnehmen, um eine Lage zu vermeiden, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen noch ferner stünde als der bisherige Zustand. Solange der bayerische Gesetzgeber keine Entscheidung darüber getroffen hat, in welcher Weise er einen verfassungsgemäßen Zustand herstellen und ob er an der Fixierung als besonderer Sicherungsmaßnahme festhalten will, würde auch im Freistaat Bayern eine Schutzlücke entstehen. Bei der erforderlichen Abwägung des festgestellten verfassungsrechtlichen Mangels mit den Konsequenzen eines sofortigen Verbots der Fixierung überwiegt, wie auch im Fall Baden-Württembergs, das Interesse an einer vorübergehenden Zulässigkeit der Fixierung zum Schutz der Rechtsgüter aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Anordnung von Fixierungen muss daher auch im Freistaat Bayern vorübergehend ohne die an sich erforderliche gesetzliche Grundlage hingenommen werden.

b) Dies bedeutet allerdings nicht, dass Fixierungen untergebrachter Personen im Freistaat Bayern in der Übergangszeit beliebig zulässig wären. Vielmehr ist angesichts des hohen Werts des Freiheitsgrundrechts bei jeder Fixierung zu prüfen, ob und wie lange diese unerlässlich ist, um eine gegenwärtige erhebliche Selbstgefährdung oder eine gegenwärtige erhebliche Gefährdung bedeutender Rechtsgüter anderer abzuwenden. Zudem gilt jedenfalls für die 5-Punkt- und die 7-Punkt-Fixierung der Richtervorbehalt aus Art. 104 Abs. 2 GG unmittelbar. Auch ist der Betroffene nach Beendigung der Maßnahme auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung hinzuweisen.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 62/2018 des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 2018
https://www.bundesverfassungsgericht.de ... 8-062.html

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Ärzte Zeitung vom 24.07.2018:

Urteil
Fixierung in Psychiatrie nur mit Richter-Zustimmung

Patienten in der Psychiatrie dürfen für längere Zeit nur nach einer richterlichen Entscheidung fixiert werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht heute entschieden. mehr » https://www.aerztezeitung.de/nl/?sid=96 ... efpuryykqr

Kommentar
Würde gewährleisten

Die Freiheit der Person ist in Deutschland ein besonders hohes Rechtsgut. Mit einem bemerkenswerten Urteil hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass dies auch und gerade für Menschen gilt, die krank, nicht einsichtsfähig und in ihrer Freiheit ohnehin bereits eingeschränkt sind. mehr » https://www.aerztezeitung.de/nl/?sid=96 ... efpuryykqr
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Nach BVG-Urteil: Pflegepersonal mit dem Problem nicht alleine lassen!

Beitrag von WernerSchell » 25.07.2018, 09:34

Nach BVG-Urteil:
Pflegepersonal mit dem Problem nicht alleine lassen!

Nach dem gestern vom Bundesverfassungsgericht gesprochenen Urteil über die Anforderungen an die 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung von Patienten in der Psychiatrie weist der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) auf erheblichen Handlungsbedarf hin. „Erst einmal ist es gut und wichtig, dass mit dem Richterspruch von höchster Stelle jetzt Klarheit geschaffen wurde und die Grundrechte der Patienten gestärkt worden sind. Damit sind die Probleme, die sich vor Ort für die Versorgung und Behandlung solcher Patienten ergeben, aber noch nicht gelöst. Der DBfK fordert alle Verantwortlichen in den Einrichtungen dringend auf, tragfähige Regelungen zu treffen und konsequent umzusetzen. Es darf nicht geschehen, dass das Pflegepersonal im Falle einer Eskalation mit dem Problem alleine gelassen wird“, sagt DBfK-Sprecherin Johanna Knüppel. „Welche sonstigen Möglichkeiten stehen zur Verfügung und können genutzt werden? Soll ein solcher Patient durch ständige Anwesenheit von Mitarbeitern überwacht und ruhiggestellt werden? Dafür reicht die in aller Regel vorgehaltene Personaldecke bei weitem nicht aus. Soll es eine medikamentöse Ruhigstellung geben? Die müsste ärztlich angeordnet und medizinisch begründet werden. Eine chemische Sedierung hat erhebliche Nebenwirkungen, oft mit dauerhaften Gesundheitsschäden. Und schließlich: Auch Mitpatienten und Mitarbeiter haben Anspruch auf den Schutz ihrer Grundrechte, beispielsweise das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Als betreuende Einrichtung und Arbeitgeber haben Kliniken die uneingeschränkte Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen.“

Hintergrund des gestern ergangenen Urteils war u.a. der Fall eines Patienten in einer psychiatrischen Klinik, der mehrfach Bombendrohungen abgesetzt und Mitpatienten und Mitarbeiter provoziert und bedroht hatte. Er hatte im Verlauf mehrerer Tage Geschirr zertrümmert, Mobiliar umgestoßen, mit Gegenständen geworfen und Einrichtungsgegenstände zerstört.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in beiden Fällen ist unter den Aktenzeichen 2 BvR 309/15 sowie 2 BvR 502/16 samt ausführlicher Begründung zu finden.

Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e.V. (DBfK)
Alt-Moabit 91, 10559 Berlin
Tel.: 030-2191570
Fax: 030-21915777
dbfk@dbfk.de
www.dbfk.de

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) ist die berufliche Interessenvertretung der Gesundheits- und Krankenpflege, der Altenpflege und der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. Der DBfK ist deutsches Mitglied im International Council of Nurses (ICN) und Gründungsmitglied des Deutschen Pflegerates (DPR). Mehr Informationen über den Verband und seine internationalen und nationalen Netzwerke finden Sie auf der Homepage www.dbfk.de. Für Interviewwünsche oder weitere Informationen wenden Sie sich bitte per E-Mail an presse@dbfk.de oder rufen Sie uns unter 030-219157-0 an.


Quelle: Pressemitteilung vom 25.07.2018
Johanna Knüppel | Referentin | Redaktion DBfK Aktuell | Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe - Bundesverband e.V.
www.dbfk.de | Alt-Moabit 91 | 10559 Berlin | Fon 030-219157-0 | Fax 030-219157-77 | Umsatzsteuer Id.Nr. DE 114235140
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https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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Pflegepersonal-Stärkungs-Gesetz (PpSG)- unzureichende Reformabsichten!

Beitrag von WernerSchell » 26.07.2018, 08:08

Bild Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk
Unabhängige und gemeinnützige Interessenvertretung
für hilfe- und pflegebedürftige Menschen in Deutschland
Harffer Straße 59 - 41469 Neuss


Neuss, 26.07.2018

An das
Bundesministerium für Gesundheit (BMG)
Abteilung 4 – Pflegeversicherung, Prävention (Referat 4.11 – Grundsatzfragen der Pflegeversicherung)
z.Hd. Frau Birgit Naase und Herrn Dr. Albert Kern
Friedrichstraße 108
10117 Berlin


E-Mail: PpSG-Verbaende@bmg.bund.de; albert.kern@bmg.bund.de; jens.spahn@bundestag.de; poststelle@bmg.bund.de; poststelle@bundeskanzlerin.de-mail.de; Angela.merkel@bundestag.de;

Nachrichtlich:
• An die Mitglieder des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages (einschließlich Stellvertreter)
• Medien

Betr.: Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Pflegepersonals (Pflegepersonal-Stärkungs-Gesetz – PpSG)
Bezug: Ihre Mitteilung vom 26.06.2018 (E-Mail) sowie meine Zuschrift vom 06.07.2018

Sehr geehrte Frau Naase,
sehr geehrter Herr Dr. Kern,
sehr geehrte Damen und Herren,

das Bundesgesundheitsministerium hat einen Referentenentwurf für ein "Pflegepersonal-Stärkungs-Gesetz (PpSG)" vorgelegt. Dazu gab es im Rahmen der Verbändeanhörung die Möglichkeit, bis zum 06.07.2018 eine Stellungnahme abzugeben. Mit dem PpSG sollen spürbare Verbesserungen im Alltag der Pflegekräfte durch eine bessere Personalausstattung und bessere Arbeitsbedingungen in der Kranken- und Altenpflege erreicht werden. Dazu wurden ergänzend erste Hinweise zu einer "Konzertierte Aktion Pflege - für mehr Wertschätzung, bessere Arbeitsbedingungen und gerechte Bezahlung" vorgestellt.

Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk hat am 06.07.2018 zum Referentenentwurf für ein PpSG eine Stellungnahme abgegeben > viewtopic.php?f=4&t=22697&p=104365#p104365 und dem Statement eine Anlage angefügt: > viewtopic.php?f=4&t=22697&p=104366#p104366 - Es wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die geplanten Regelungen für eine Auflösung des Pflegenotstandes nicht ausreichen!
Alles auch aufrufbar unter > http://www.wernerschell.de/aktuelles.php

Nun hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Urteil vom 24.07.2018 - 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16 - zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Fixierung von Patienten in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung grundsätzliche Ausführungen gemacht und die Möglichkeiten von freiheitsentziehenden Maßnahmen eingeschränkt (> viewtopic.php?f=2&t=22749 ). Die Auswirkungen dieser Entscheidung bedürfen noch einer näheren Prüfung, insbesondere dahingehend, inwieweit die einschlägigen Gesetze mit Fixierungsregelungen geändert werden müssen. Es ist aber schon jetzt abzusehen, dass die einschränkenden Vorgaben des BVerfG in erheblichem Umfang Personalverstärkungen erfordern. Denn die Zuwendungserfordernisse werden deutlich zunehmen.

Es wird daher gebeten, mit Rücksicht auf die angesprochene Entscheidung zusätzliche Personalstellen vorzusehen. In ähnlicher Weise hat sich auch der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe e.V. (DBfK) in einer Pressemitteilung 24.07.2018 geäußert (Quelle: viewtopic.php?f=2&t=22749&p=104653#p104653 ). In dieser Mitteilung heißt es u.a.:

> Pflegepersonal mit dem Problem nicht alleine lassen!
Nach dem gestern vom Bundesverfassungsgericht gesprochenen Urteil über die Anforderungen an die 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung von Patienten in der Psychiatrie weist der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) auf erheblichen Handlungsbedarf hin. „Erst einmal ist es gut und wichtig, dass mit dem Richterspruch von höchster Stelle jetzt Klarheit geschaffen wurde und die Grundrechte der Patienten gestärkt worden sind. Damit sind die Probleme, die sich vor Ort für die Versorgung und Behandlung solcher Patienten ergeben, aber noch nicht gelöst. Der DBfK fordert alle Verantwortlichen in den Einrichtungen dringend auf, tragfähige Regelungen zu treffen und konsequent umzusetzen. Es darf nicht geschehen, dass das Pflegepersonal im Falle einer Eskalation mit dem Problem alleine gelassen wird“, sagt DBfK-Sprecherin Johanna Knüppel. „Welche sonstigen Möglichkeiten stehen zur Verfügung und können genutzt werden? Soll ein solcher Patient durch ständige Anwesenheit von Mitarbeitern überwacht und ruhiggestellt werden? Dafür reicht die in aller Regel vorgehaltene Personaldecke bei weitem nicht aus. Soll es eine medikamentöse Ruhigstellung geben? Die müsste ärztlich angeordnet und medizinisch begründet werden. Eine chemische Sedierung hat erhebliche Nebenwirkungen, oft mit dauerhaften Gesundheitsschäden. Und schließlich: Auch Mitpatienten und Mitarbeiter haben Anspruch auf den Schutz ihrer Grundrechte, beispielsweise das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Als betreuende Einrichtung und Arbeitgeber haben Kliniken die uneingeschränkte Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen.“ <

Welche Erfordernisse sich bei einer intensiven Betreuung u.a. bei psychischen Auffälligkeiten ergeben können, hat bereits das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in einer Entscheidung vom 08.07.2015 – L 2 SO – 1431/13 – ausgeführt und eine 1:1 Betreuung für notwendig befunden (Quelle: viewtopic.php?f=2&t=21321&p=89269 ).

Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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Ethik in der Psychiatrie: Ansätze zur Vermeidung von Gewalt und Aggression in der psychiatrischen Versorgung

Beitrag von WernerSchell » 30.11.2018, 08:05

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Ethik in der Psychiatrie: Ansätze zur Vermeidung von Gewalt und Aggression in der psychiatrischen Versorgung

Die DGPPN beteiligt sich seit vielen Jahren intensiv an der gesellschaftlichen Diskussion zum Thema Zwangsmaßnahmen und Fixierung in der Psychiatrie. Auch die Neuregelung der Psychisch-Kranken-Gesetze wurde aktiv von ihr begleitet. Ihre Überzeugung: Vermeidung von Gewalt und Aggression in der Psychiatrie ist immer auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das Bundesverfassungsgericht schloss sich dieser Überzeugung mit einem maßgeblichen Urteil im Juli 2018 an, indem es klare Grenzen für die Anordnung von Zwang festlegte. Ein Schritt in die richtige Richtung. Die S3-Leitlinie der DGPPN mit Empfehlungen zur Vermeidung von Zwang unterstützt ihrerseits einen Wandel im Praxisalltag. Wegen seiner hohen gesellschaftlichen Relevanz hat der diesjährige DGPPN Kongress das Thema „Zwang“ ganz oben auf die Agenda gesetzt.

„Verhandeln anstatt Behandeln“ ist die Leitdevise, wenn es um den Umgang mit Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen geht. Die Fachwelt ist sich einig: Zwangsmaßnahmen sollten nur dann in Betracht gezogen werden, wenn eine Eigen- oder Fremdgefährdung in gefährlichen Situationen nicht auch durch andere, geringere menschenrechtliche Eingriffe abgewendet werden kann. Diesen Anspruch zu erfüllen, ist nicht nur eine Frage ethischen Handelns, sondern auch geeigneter Rahmenbedingungen. Sie müssen so gestaltet sein, dass ein menschenwürdiger, patientenorientierter Umgang in der Psychiatrie möglich ist. Wichtigste Voraussetzungen sind eine vertrauensvolle, zugewandte Atmosphäre mit adäquater Architektur und ausreichend großen Räumlichkeiten sowie eine angemessene Personalausstattung und Finanzierung. Aber auch, dass das zuständige Personal umfangreich in Deeskalationstechniken geschult wird und Zwangsmaßnahmen bundesweit einheitlich dokumentiert werden.

Grundsätzlich gilt, psychisch erkrankte Menschen haben in unserer Gesellschaft Anspruch auf größtmögliche Freiheit und Teilhabe. „Die richtige Maßnahme zu ergreifen, um eine drohende, krankheitsbedingte Gefahr für sich oder andere auszuschließen, ist immer und in allen Bereichen eine besondere Herausforderung in der medizinischen Versorgung. Besonders die Psychiatrie rückt bei diesen Fragen häufig in den Blickpunkt“, stellt Professor Arno Deister, Präsident der DGPPN, fest und betont, „dieses Thema ist aber insgesamt gesellschaftlich zu diskutieren. Politik und Gesetzgeber sind hier zuallererst aufgefordert, angemessene Rahmenbedingungen zu schaffen.“

2018 war bundesweit geprägt von zahlreichen Aktivitäten und wegweisenden Entscheidungen einzelner Landesregierungen zur Neuregelung der Psychisch-Kranken-Gesetze (PsychKGs). Nicht zuletzt mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurden verbindliche Rechtsnormen für die Anwendung von Zwangsmaßnahmen festgelegt. Aus aktuellem Anlass hat die DGPPN das Thema zu einem der Hauptthemen auf dem diesjährigen Kongress erklärt. Rund 20 Sessions geben Einblick in den komplexen Sachverhalt des Themas und beleuchten es von unterschiedlichen Seiten.

Zur Pressemappe > https://klick.dgppn.de/info/s1okz2zd8kizmmklbz1zz3z3
Zum Kongress > https://klick.dgppn.de/info/s1okz3zd8kizmmklbz1zz3z3

Quelle: Pressemitteilung vom 29.11.2018
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Fixierung von Patienten und personelle Ausstattung der Gesundheitseinrichtungen

Beitrag von WernerSchell » 22.01.2019, 08:36

Das Bundesgesundheitsministerium wurde am 22.01.2019 wegen der o.a. Zuschrift vom 26.07.2018 erneut angeschrieben, und zwar wie folgt:

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich komme zurück auf das nochmals angefügte Schreiben vom 26.07.2019 und wäre für eine Mitteilung dankbar, was hinsichtlich der Personalausstattung der Gesundheitseinrichtungen im Zusammenhang mit erforderlichen Fixierungsmaßnahmen veranlasst worden ist. Mittlerweile gibt es im Zusammenhang mit Versorgungsaufträgen Rückfragen, wie konkret zu verfahren ist, um patientengerecht bzw. rechtstreu zu handeln.
Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell
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Richtervorbehalt für Fixierungen

Beitrag von WernerSchell » 24.01.2019, 07:42

Ärzte Zeitung vom 24.01.2019:
Baden-Württemberg
Richtervorbehalt für Fixierungen

Die baden-württembergische Landesregierung überarbeitet das Psychisch-Kranken-Gesetz, um es an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts anzupassen. Dabei geht es um die Fixierung während der Unterbringung. mehr » https://www.aerztezeitung.de/nl/?sid=98 ... efpuryykqr
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Rechte bei Fixierungsanordnungen

Beitrag von WernerSchell » 03.04.2019, 15:28

Rechte bei Fixierungsanordnungen
Recht und Verbraucherschutz/Gesetzentwurf

Berlin: (hib/mwo) Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD haben den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Betroffenen bei Fixierungen im Rahmen von Freiheitsentziehungen vorgelegt (19/8939 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/089/1908939.pdf ). Damit solle dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 2018 (2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16) für Fixierungen in der gerichtlich angeordneten Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft (Zivilhaft) Rechnung getragen werden, heißt es in dem Entwurf. Für freiheitsentziehende Fixierungsanordnungen in der Strafhaft, dem Maßregelvollzug, der Untersuchungshaft, der vorläufigen Unterbringung und im Jugendarrest werde ein richterliches Verfahrensrecht geschaffen.
Wie es in dem Entwurf weiter heißt, hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil festgestellt, dass die Fixierung einen Eingriff in das Grundrecht auf die Person darstelle. Sowohl bei einer 5-Punkt- als auch bei einer 7-Punkt-Fixierung von nicht nur kurzfristiger Dauer handele es sich um eine Freiheitsentziehung im Sinne des Artikels 104 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG), die von der zugrundeliegenden Entscheidung über die Freiheitsentziehung als solcher nicht gedeckt sei und daher den Richtervorbehalt abermals auslöse.
Daher sei im Bereich des Straf- und Maßregelvollzugs sowie im Bereich des Vollzugs der Untersuchungshaft und der einstweiligen Unterbringung eine Rechtsgrundlage für freiheitsentziehende Fixierungen zu schaffen, die den Richtervorbehalt vorsieht. Hierzu seien die Länder aufgerufen. Der Anwendungsbereich der bundesgesetzlichen Ermächtigung beschränke sich auf die nach der Föderalismusreform im Jahr 2006 weiterhin in die Kompetenz des Bundes fallenden Gefangenen der Zivilhaft.

Quelle: Mitteilung vom 03.04.2019
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Klarstellungen zu Fixierungsanordnungen

Beitrag von WernerSchell » 07.05.2019, 16:24

Klarstellungen zu Fixierungsanordnungen
Recht und Verbraucherschutz/Gesetzentwurf

Berlin: (hib/mwo) Nach den Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und SPD (19/8939 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/089/1908939.pdf ) hat nunmehr die Bundesregierung ihren Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Betroffenen bei Fixierungen im Rahmen von Freiheitsentziehungen vorgelegt (19/9767 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/097/1909767.pdf ). Mit dem Entwurf soll dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 2018 (2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16) für Fixierungen in der gerichtlich angeordneten Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft (der sogenannten Zivilhaft) Rechnung getragen werden. Für freiheitsentziehende Fixierungsanordnungen in der Strafhaft, dem Maßregelvollzug, der Untersuchungshaft, der vorläufigen Unterbringung und im Jugendarrest wird ein richterliches Verfahrensrecht geschaffen. In dem Urteil stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass es sich bei der 5- Punkt- sowie bei der 7-Punkt-Fixierung von nicht nur kurzfristiger Dauer um eine Freiheitsentziehung im Sinne des Artikels 104 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG) handelt, die von der zugrundeliegenden Entscheidung über die Freiheitsentziehung als solcher nicht gedeckt ist und daher den Richtervorbehalt im Sinne des Artikels 104 Absatz 2 Satz 1 GG abermals auslöst.
Wie es in dem Entwurf heißt, kommt dem Bund aufgrund der Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes die Gesetzgebungskompetenz lediglich für Fixierungen im Bereich der Zivilhaft zu, so dass in diesem Bereich auch die Voraussetzungen für Fixierungsanordnungen sowie die konkrete Art der Durchführung bundesgesetzlich zu bestimmen sind. Für den Bereich des Straf- und Maßregelvollzugs, im Bereich des Untersuchungshaftvollzugs und des Vollzugs der einstweiligen Unterbringung sowie im Jugendarrest sei die Befugnis des Bundes auf die Regelung des gerichtlichen Verfahrensrechts bei freiheitsentziehenden Fixierungen beschränkt. Insoweit werde im Strafvollzugsgesetz eine Verweisung auf die für Unterbringungssachen nach dem Familienverfahrensgesetz (FamFG) geltenden Bestimmungen vorgesehen. Auch für Fälle der freiheitsentziehenden Fixierung psychisch Kranker soll bundeseinheitlich die Anwendung des FamFG vorgesehen und damit einem Anliegen der Länder entsprochen werden.

Quelle: Mitteilung vom 07.05.2019
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Experten-Ideen zum Fixierungsrecht

Beitrag von WernerSchell » 10.05.2019, 06:26

Experten-Ideen zum Fixierungsrecht
Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/MWO) Mit einem äußerst komplexen und sensiblen Thema befasste sich der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz in einer öffentlichen Anhörung am Mittwochabend. Geladen waren neun Sachverständige aus den Bereichen Medizin, Rechtswissenschaft und Justiz, die zum Entwurf der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD für ein Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Betroffenen bei Fixierungen im Rahmen von Freiheitsentziehungen (19/8939 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/089/1908939.pdf ) Stellung nahmen und die Fragen der Abgeordneten beantworteten.
Mit dem Entwurf soll einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen werden. Die Vorgaben begründen der Vorlage zufolge auch im Bereich des Straf- und Maßregelvollzugs, der Zivilhaft sowie im Bereich des Vollzugs der Untersuchungshaft und der einstweiligen Unterbringung die Notwendigkeit, Rechtsgrundlagen für Fixierungen, Regelungen zur sachlichen und örtlichen gerichtlichen Zuständigkeit für freiheitsentziehende Fixierungsanordnungen, zum anzuwendenden gerichtlichen Verfahrensrecht und zur Kostenerhebung zu schaffen. Auch Fälle der freiheitsentziehenden Fixierung von Personen, die nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker erfolgen, sollen bundeseinheitlich geregelt werden.
Die Sachverständigen begrüßten die schnelle Umsetzung des Urteils durch den Gesetzgeber, äußerten sich gleichwohl kritisch sowohl zu inhaltlichen Punkten wie auch zu handwerklichen Schwächen, die der Entwurf aus ihrer Sicht aufweist. So bemängelte der Strafrechtler Alexander Baur von der Universität Hamburg, dass der Richtervorbehalt effektiver gestaltet werden müsse. Auch die vorgesehene geteilte gerichtliche Zuständigkeit werde nicht näher begründet. Die Belastung der Gerichte werde zunehmen. Baur sprach sich für eine schnelle Evaluation des Gesetzes aus, da der vorliegende Entwurf vielfach auf einer wackeligen Tatsachengrundlage stehe. So lasse sich derzeit noch nicht einmal sagen, wie viele Fixierungen pro Jahr es bundeseinheitlich gebe. Generell gebe es zu wenig Problembewusstsein.
Auch der Strafrechtler Heinz Kammeier und die Rechtsanwältin Jenny Lederer vom Deutschen Anwaltverein halten den Richtervorbehalt für nachbesserungswürdig. Kammeier sprach von einen Phantom, Lederer hält ihn für bedenklich. Beide Experten warnten vor einer Aushöhlung des Richtervorbehalts, da dieser auf andere Personen ohne erforderliche Qualifizierung abgewälzt werden könne. Die Anordnungsbefugnis sei sehr problematisch, fügte Lederer hinzu. Kammeier sagte, der Entwurf entspreche zum Teil nicht verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Mehrere Sachverständige sprachen sich dafür aus, die gerichtliche Zuständigkeit bei den Amtsgerichten zu bündeln. Die Justiz müsse in der Lage sein, den effektiven Rechtsschutz bei Fixierungen in den Einrichtungen vor Ort zu gewährleisten, sagte Marc Petit, Richter am Landgericht Lübeck. Das klappe seiner Erfahrung nach mit dem Amtsgerichten am besten. Gleichwohl gebe es praktische Probleme bezüglich Ausstattung und Personal. Auch Ragnar Schneider, Richter am Amtsgericht München, sprach sich für ein einheitliches Verfahren mit nur einem Spruchkörper aus.
Nicht klar genug formuliert ist den Sachverständigen zufolge auch die Frage, ob sich die Voraussetzungen einer Fixierung im Strafvollzug der Sache nach nicht grundlegend von denen in einer Fixierung in der landesrechtlichen Unterbringung oder auch im Vollzug der strafrechtlichen Behandlungsmaßregeln unterscheiden. Nicht eindeutig ist Petit zufolge auch die Definition der Fixierungen. Dies bringe Probleme in der Praxis mit sich. Auch der Vizepräsident des DBH - Fachverband für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik, Johannes Sandmann, mahnte Verbesserungen bei Formulierungen des Entwurfs an.
Peter Fölsch, Stellvertretender Direktor des Amtsgerichts Bad Segeberg, begrüßte im Namen des Deutschen Richterbunds die geplanten Regelungen. Diese müssten aber mit dem systematischen Gesamtgefüge der bereits existierenden rechtlichen Grundlagen in Einklang stehen. Auch der Richterbund hat verfassungsrechtliche Bedenken zu verschiedenen Regelungsvorschlägen, weil sie laut Fölsch die besondere Schwere des Eingriffs durch eine Fixierung und die hiermit verbundenen Gesundheitsgefahren nicht ausreichend berücksichtigen. So könne es nicht richtig sein, erklärte Fölsch, dass für ein Hauptsacheverfahren die Anforderungen an eine Sachverhaltsaufklärung abgesenkt werden und die Einholung eines ärztlichen Zeugnisses - statt eines Gutachtens - ausreichen soll. Auch müssten Qualifikationen für den behördlich beteiligten und den gerichtlich bestellten Arzt gesetzgeberisch festgelegt werden müssen.
Die Ärzte Christian Koßmann und Dirk Zedlick gaben den Abgeordneten Einblicke in ihre Arbeit in psychiatrischen Kliniken. Zedlick bedauerte, dass der Entwurf nicht widerspiegele, dass es sich wie vom Bundesverfassungsgericht betont bei einer Fixierung um eine Ultima Ratio handele. Dies müsse betont werden, denn zunächst müssten andere Methoden der Ruhigstellung zur Anwendung kommen. Wichtig für die Umsetzung sei auch ausreichendes Personal. Koßmann betonte die Notwendigkeit der Gewährleistung einer Eins-zu-Eins-Betreuung. Mehr Personal bedeute weniger Fixierungen. Eine richterliche Genehmigung, wenn die Fixierungsdauer eine halbe Stunde überschreitet mag gerechtfertigt sein, sagte Koßmann. Die Dauer von 30 Minuten sei seines Erachtens allerdings zu kurz, manchmal dauere es länger, bis sich die Situation und der Patient beruhigt hat. 60 Minuten wären sinnvoller.
Zedlick sagte, auch wenn das Bundesverfassungsgericht nur die 5- und 7-Punkt-Fixierung betrachtet, sei es für den Betroffenen egal, ob er 2-, 3-, 4-, oder 5-, oder 7-Punkt fixiert ist. Jede Fixierung sei eine Freiheitsentziehung und bedürfe des Richtervorbehalts. Dieser Sachverhalt werde im Entwurf nicht ausreichend gewürdigt. Auch die Regelungen zur jederzeitigen ärztlichen Überwachung und deren Zielsetzung seien nicht ausreichend konkret.

Quelle: 09.05.2019
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Regelmäßig Übergriffe und Zwang in der Psychiatrie

Beitrag von WernerSchell » 10.09.2019, 06:06

Deutsches Ärzteblatt vom 10.09.2019:
Umfrage: Regelmäßig Übergriffe und Zwang in der Psychiatrie
Berlin – Wegen Personalengpässen in der Psychiatrie kommt es einer Umfrage zufolge regelmäßig zu Übergriffen auf Beschäftigte und zur Zwangsfixierung von Patienten. Fast die Hälfte der Beschäftigten erlebt regelmäßig körperliche Übergriffe gegen sich... [mehr] > http://170770.eu1.cleverreach.com//c/30 ... 975-pxkrb1
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Ärztliche Zwangsmaßnahmen im Sinne des § 1906a BGB

Beitrag von WernerSchell » 28.11.2019, 07:49

Ärztliche Zwangsmaßnahmen
Recht und Verbraucherschutz/Antwort

Berlin: (hib/MWO) Der Bundesregierung stehen keine nach Monaten aufgeschlüsselten Daten zur Anzahl ärztlicher Zwangsmaßnahmen im Sinne des Paragrafen 1906a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) seit Inkrafttreten der Norm zur Verfügung. Diese würden von den Gerichten teilweise nur jährlich zu der zum Betreuungsrecht geführten Gerichtsstatistik gemeldet, schreibt sie in der Antwort (19/13813 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/138/1913813.pdf ) auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion (19/13394 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/133/1913394.pdf ). Eine händische Auswertung sei aufgrund der kurzen Frist nicht erfolgt und auch nicht in allen Gerichten möglich. Jahresdaten lägen auch nicht aus allen Bundesländern vor.
Nach Angaben der Bundesregierung dürfen ärztliche Zwangsmaßnahmen nur im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus durchgeführt werden. Bei den Maßnahmen handele es sich überwiegend um medikamentöse Therapien im Rahmen psychiatrischer Behandlungen. Ferner kämen diagnostische Maßnahmen wie Blutabnahmen, zahnärztliche Behandlungen und operative Eingriffe in Betracht. Weiter heißt es, die Bundesregierung gehe von der Verfassungsmäßigkeit des Paragrafen 1906a aus.

Quelle: Mitteilung vom 27.11.2019
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