Palliativmedizin, Beratung, Sterbefasten – welche Folgen?

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

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Palliativmedizin, Beratung, Sterbefasten – welche Folgen?

Beitrag von WernerSchell » 05.01.2016, 08:52

Bild § 217 Strafgesetzbuch (StGB)

Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung
(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht."


Vorschrift neugefaßt durch das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 03.12.2015 (BGBl. I S. 2177) m.W.v. 10.12.2015.
Quelle: http://dejure.org/gesetze/StGB/217.html

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Neuer § 217 StGB – Palliativmedizin, Beratung, Sterbefasten – welche Folgen?

Ein gutes Drittel der Bevölkerung (38 %) setzt auch bei bzw. trotz guter palliativmedizinischer Versorgung auf die Option, das eigene Leben gegebenenfalls selbst beenden zu können. In einer im Dezember vorgestellten Studie zu diesem Zusammenhang werteten Medizinethiker der Ruhr-Universität Bochum (PD. Dr. Jan Schildmann unter Leitung von Prof. Dr. Dr. Jochen Vollmann) https://idw-online.de/de/news643561 und der Medizinische Hochschule Hannover Daten des Gesundheitsmonitors der Bertelsmannstiftung https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/ ... erbehilfe/ und der Krankenkasse Barmer aus. Darin waren bereits vor Monaten rund 1600 Menschen im Alter von 18 bis 79 Jahren befragt wurden.

Die Ergebnisse dieser Bürgerbefragung stimmen hinsichtlich eines befürworteten Ausbaus der Palliativversorgung weitgehend mit der neuen Gesetzeslage (verabschiedet am 6. November 2015) überein. Anders sieht es bei der Bewertung des Tags darauf (am 7. November 2015) verabschiedeten neuen Strafrechtparagraphen 217 aus. Dieser sieht zukünftig für die wiederholte Gewährung und auch unentgeltliche Vermittlung von Gelegenheiten zum Suizid (juristisch: deren „geschäftsmäßige Förderung“) Gefängnis bis zu 3 Jahren vor. Mit Blick auf die möglichen Konsequenzen einer ärztlichen Hilfe bei der Selbsttötung zeigt die Studie ein breites Vertrauen der Bevölkerung in die Medizinerschaft: 77 bzw. 66 Prozent glauben, dass ärztliche Suizidhilfe unnötiges Leid verringern könnte bzw. dass Ärzte bei einer solchen Regelung die Behandlung ihrer Patienten besser auf deren Werte abstimmen könnten.

Die nicht gerade als Suizidhilfe-Befürworterin bekannte Bertelsmannstiftung stellt in ihrem Resumé in Frage „ob das schwammig formulierte strafrechtliche Verbot der „geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ die so wichtige Diskussion über das Sterben zwischen Arzt und Patient behindern könnte.“ Sie hält als Ergebnis fest: „Eine ausführliche Palliativversorgung in Deutschland entspräche den Präferenzen und Werthaltungen in Deutschland noch besser, wenn sie um einen klar definierten gesetzlichen und berufsrechtlichen Handlungsspielraum für Patienten und Ärzte bei der Sterbehilfe erweitert würde.“ Die Bochumer Forscher erklärten darüberhinaus: Das im Dezember 2015 in Kraft getretene Gesetz, das die organisierte Gewährung, Beschaffung und Vermittlung von Gelegenheiten zum Suizid verbietet, lasse viel Interpretationsspielraum und könnte dadurch auch die Begleitung unheilbar kranker Menschen an ihrem Lebensende erschweren. Quelle: https://idw-online.de/de/news643561

Weg zum Bundesverfassungsgericht wird nun beschritten

An dem Text des neuen § 217 war vorab von vielen Juristen kritisiert worden, dass er zu vage sein dürfte, um dem Bestimmtheitsgebot der Verfassung zu genügen. Die unbestimmten Begriffe wie z. B. „geschäftsmäßig“ würden einer Interpretation erst in einschlägigen Prozessen zugeführt werden können – wenn es denn überhaupt zu solchen kommt. Denn die Wirksamkeit des Gesetzes liegt in erster Linie – wie von den Initiator/innen im Bundestag beabsichtigt – in der Abschreckung durch Verunsicherung.

Wie dem pv-newsletter aus absolut verlässlicher Quelle – noch inoffiziell – zugetragen wurde:

Drei namhafte Juristen (man kann wohl sagen: die drei einschlägig namhaftesten) haben sich mit weiteren wissenschaftlichen Experten zusammengetan, um zwei Ärzte zu vertreten, die beim Bundesverfassungsgericht Einspruch gegen das neue Strafgesetz einlegen.

Die Namen der Ärzte sind auch dem pv-newsletter noch unbekannt, es könnte sich um Palliativ- oder Hausärzte aus dem Umfeld handeln, die sich hier in einem unabhängigen Ärzt /nnen-Forum https://www.esanum.de/sterbehilfe-geset ... nter-druck zu Wort gemeldet haben (das ist jetzt aber Spekulation). Fest steht: Es handelt sich bei den beiden Ärzten nicht um einschlägig bekannte oder mit einer Sterbehilfeorganisation in Verbindung stehende Mediziner (diese werden vielmehr parallel den Weg nach Karlsruhe beschreiten).

Erfahrung mit Palliativmedizin fördert Realismus

Zurück zur Studienauswertung: Der Wunsch nach der Möglichkeit einer qualifizierten Suizidhilfe war bei den 40- bis 59-Jährigen (43 Prozent) am höchsten. 44 Prozent aller Befragten antworteten: „Das kann ich nicht beurteilen“ - vor allem, weil sie keinerlei Erfahrungen hätten. Von den insgesamt 38 % ausdrücklichen Befürworter/innen wurden als Grund vor allem schwere körperliche Leiden (73 Prozent) und Verlust der geistigen Fähigkeiten (54 Prozent) genannt. Dies bestätigt in der Grundtendenz wieder einmal alle vorherigen Erhebungen – wobei die Zustimmungsrate noch viel höher ist, wenn allgemein nach ärztlicher Hilfe zum Sterben gefragt wird, was auch - offenbar bevorzugte – direkte oder indirekte Formen der „aktiven Sterbehilfe“ durch Ärzte einschließt.

Ein aber durchaus erstaunlichstes Ergebnis dieser Studie lautet: Menschen, die bereits persönliche Erfahrungen mit der Palliativmedizin gemacht hatten, konnten sich den Angaben zufolge eher vorstellen, trotz guter Versorgung dem eigenen Leben auch selbst ein Ende setzen zu wollen.

Beachtlich ist, dass sich auch Insider kritisch über viel zu hohe Erwartungen an die Hospiz- und Palliveinrichtungen, in denen sie tätig sind, wenden. Das angebliche „schöne Sterben“ dort sollte, so leitende Mitarbeiter/innen, ehrlicherweise als „eine Illusion“ zurückgewiesen werden. Zunehmend ist von einem Mythos die Rede, der nicht förderlich sei und einer realistischen Bewertung weichen sollte: http://www.patientenverfuegung.de/info- ... e-palliati

Mögliche Folgen für Medizinische Praxis und humanistische Organisationen

Die Folgen des neuen § 217 StGB sind zur Zeit unabsehbar und werden unterschiedlich eingeschätzt.
So betont der Bundesärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery, dass sich durch das neue Verbotsgesetz am „bisherigen Umgang der Ärzte mit dem Thema Sterbehilfe nichts ändern“ würde. Ausnahme seien allenfalls die Mediziner, die mit Sterbehilfe-Vereinen zusammengearbeitet hätten. Quelle: http://www.domradio.de/themen/ethik-und ... lfe-gesetz

Dem widersprechen die Erfahrungen von Palliativmedizininern in NRW mit der neuen Bedrohung. Der Allgemeinmediziner Dr. Kurt-Martin Schmelzer berichtet im Ärzt/innen-Forum esanum von aktuellen Beschlagnahmebeschlüssen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen ärztliche Kollegen:
esanum: Herr Schmelzer, was wirft die Staatsanwaltschaft Ihren Kollegen vor?
Kurt-Martin Schmelzer: Ihnen wird vorgeworfen, sterbenskranken Patienten potenziell tödlich wirkende Medikamente verordnet zu haben – trotz Kenntnis suizidaler Tendenzen. In den bekannten Fällen waren das normale Packungsgrößen üblicher Medizin, die in der Regel am Lebensende verschrieben werden. Zum Beispiel Schmerz- und Beruhigungsmittel.
esanum: Sind dann auch andere Medikamente zur Leidenslinderung in der Palliativmedizin rechtlich problematisch?
Kurt-Martin Schmelzer: Überträgt man die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft und berücksichtigt, dass zehn bis dreißig Prozent der Palliativpatienten Sterbewünsche äußern, wäre auch die Verordnung von Betablockern, Insulin oder Paracetamol problematisch. …
Quelle (und weiter): https://www.esanum.de/sterbehilfe-geset ... ter-druck/

Das hieße: Würden bei Palliativpatienten zu Hause aus verschiedensten Gründen von jemanden die Polizei gerufen, müsse in Zukunft allen Hinweisen auf möglicherweise tödlich wirkende Verordnungen der Ärzte nachgegangen werden, wenn ein Suizid mit entsprechenden Mitteln erfolgt oder auch nur versucht worden wäre.

Möchte ein Arzt zukünftig tatsächlich mit voller Absicht bei einem Patientensuizid aus einmaligen Gewissensgründen helfen, wird er gut beraten sein, dies nicht im Rahmen seiner regulären ärztlichen Tätigkeit, sondern nur als medizinisch kompetente Privatperson zu tun.

In einem Beitrag für die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) lotet Prof. Dieter Birnbacher http://hpd.de/artikel/12584 aus, was der neue § 217 StGB etwa für die Arbeit dieser Organisation bedeuten würde. Er kommt zu dem Resummé: Eigentlich nichts, da die DGHS eh keine Suizidhilfeangebote machen würde. Birnbacher führt aus:

>> Das neue Gesetz `zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung´ betrifft bei Lichte besehen nur einen kleinen Randbereich der Sterbehilfe. Weder ist an den Regeln für die häufigsten Fälle von Sterbehilfe gerüttelt worden, den Abbruch bzw. die Nichtaufnahme einer von medizinischen Behandlung aufgrund einer akut geäußerten oder durch Patientenverfügung vorverfügten Ablehnung, noch ist die Hilfe zur Selbsttötung generell für strafbar erklärt worden. <<

Eine Strafbarkeit für eine Beratungstätigkeit (was sich gleichermaßen auch auf andere Organisationen wie den Humanistischen Verband beziehen läßt) sei nur unter einer bestimmten Konstellation gegeben: Dies betrifft den Teilaspekt der Vermittlung. Denn die zukünftige strafbare “Förderung” der Suizidhilfe umfasst, darüber lässt der Wortlaut des § 217 keinen Zweifel, nicht nur die Verschaffung und Bereitstellung von dazu geeigneten Mitteln, sondern auch die Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung, auch etwa solchen im Ausland.

Ergebnisoffene „Breitbandberatung“ und Sterbefasten vom Verbot unberührt?

Vertreter eines Vereins würden sich laut Birnbacher also strafbar machen, „wenn sie sich auf eine `Vermittlung´ von sterbewilligen Schwerkranken an Sterbehelfer oder Sterbehilfevereine einlassen würde, etwa in der Weise, dass sie im Namen eines ihrer Mitglieder den Kontakt zu diesen herstellen würde oder ihre bestehenden Kontakte zu den Anbietern in der Schweiz dazu nutzen würde, Mitglieder an diese zu vermitteln.“ Da die Kontaktaufnahme etwa zu DIGNITAS in der Schweiz eh nur vom Betroffenen selbst ausgehen kann, dürfte diese von Birnbacher beschriebene Konstellation jedoch unrealistisch sein.

Als möglichen Ausweg deutet Birnbacher an: „Eine ergebnisoffene Beratung der Mitglieder über die bestehenden Optionen ist damit nicht ausgeschlossen, vorausgesetzt, diese hat keinen eindeutig empfehlenden Charakter und bezieht alle verfügbaren Möglichkeiten – im Sinne einer “Breitbandberatung” – ausgewogen ein.“ Der bloße Hinweis auf eine frei zugängliche Internetadresse oder ein Hinweis auf ein nicht verbotenes Ratgeberbuch dürfte wohl auch (noch) kein Strafbarkeitsdelikt in unserem freiheitlichen Rechtsstaat sein.

Wie sieht es mit der Gewährung der Gelegenheit zum „Sterbefasten“ aus – etwa wenn sich ein Pflegeheim – anders als geschäftsmäßig geht es dabei ja gar nicht – dafür sein Zimmer zur Verfügung stellt? Birnbacher meint dazu: „Bei aller Unbestimmtheit der zentralen Begriffe des Gesetzes dürfte sich zumindest so viel sagen lassen: Mit “Selbsttötung” ist ausschließlich die aktive Selbsttötung gemeint, nicht die durch “passive” Verfahren wie das Sterbefasten. Das entspricht zwar nicht dem juristischen Verständnis von “Selbsttötung”, die durchaus auch “passive” Formen umfasst, aber den Intentionen der Initiatoren des Gesetzes.“ Quelle: http://hpd.de/artikel/12584

Wer zu Recht davon ausgeht, dass die eigentliche Wirkung des neuen § 217 in seiner Abschreckung durch Verunsicherung besteht, wird kaum annehmen dürfen, dass es einem Pflegeheim oder begleitenden Arzt auf die Intentionen (!) des Gesetzes ankommen kann. Diese lassen sich allenfalls für Juristen im begleitenden Begründungstext erschließen.

Sofern der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) auch medizinethisch als Suizid gelten soll, kann er nicht als vom Verbot „unberührt“ dargestellt werden. Nun ist Birnbacher nicht vorzuwerfen, dass er sogar akribisch alle Argumente dafür zusammengestellt hat, dass Sterbefasten unstreitig als eine (passive) Form von Suizid zu gelten habe. Er sei, so Birnbachers Schlussfolgerung, keine dritte, ganz andere Handlungsweise „sui generis" neben dem Behandlungsverzicht und dem eigentlichen (aktiven) Suizid. In der aktuellen Zeitschrift „Ethik in der Medizin“ sind seine Argumente aufgeführt (Band 27, Dez. 2015, S. 315 ff). Als die Bedingungen werden von Birnbacher zusammengestellt: Der Aktuer zum FVNF beabsichtigt, sein Leben zu beenden. Er erwartet, dass in Folge seines (Verzicht-)Handelns sein Tod eintritt und verursacht ihn willentlich, ohne dass dies durch Abbruch oder Nicht-Beginnen einer lebenserhaltenden medizinischen Behandlung geschieht. Was als akademische Frage erscheinen mag, ist im Hinblick auf den neuen § 217 StGB von sehr praktischer Relevanz. Dabei gibt es durchaus – ebenso berechtigt – die medizinische und ethische Gegenmeinung, dass nämlich das Sterbefasten eine „ganz eigene Handlungsweise“ (sui generis) sei – nachzulesen in einem Beitrag bereits aus 2014 im Deutschen Ärzteblatt. http://www.aerzteblatt.de/archiv/158359

Nur soviel ist unstrittig: Die Reichweite des neuen Suizidhilfe-Verbots ist noch völlig unklar.

Die pv-newsletter-Redakion wünscht allen Leser/innen ein gutes, aufklärerisches Neues Jahr 2016!

Quelle: Pressemitteilung vom 05.01.2016
Humanistischer Verband Deutschlands - Landesverband Berlin-Brandenburg e. V.
Wallstraße 61–65
10179 Berlin
Telefon: 030 613904-0
Fax: 030 613904-864
E-Mail: geschaeftsstelle@hvd-bb.de
Web: http://www.hvd-bb.de

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Anmerkung der Moderation - Buchtipp zum Thema:

Chabot, Boudewijn / Walther, Christian

Ausweg am Lebensende
Sterbefasten - Selbstbestimmtes Sterben
durch freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken


Mit einem Geleitwort von Dieter Birnbacher

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Reinhard Verlag,
4., überarbeitete Auflage 2015. 180 Seiten.
(ISBN 978-3-497-02565-7) kt
€ [D] 19,90 / € [A] 20,50 / SFr 25,30

Kurztext
Bereits in 4. Auflage!
Wenn für todkranke Menschen der Segen der Apparatemedizin zum leidensverlängernden Fluch wird und sie sich wünschen zu sterben,
gibt es einen Ausweg: das Sterbefasten, den freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit.
Die Autoren klären umfassend über medizinische Aspekte des Sterbefastens auf und informieren, was man rechtlich für diese Entscheidung beachten muss.
Im Mittelpunkt steht der Patient, der würdig aus dem Leben scheiden möchte, und die Angehörigen, Pflegenden und Ärzte, die ihn auf dem schwierigen Weg
des Sterbefastens begleiten.

Quelle und weitere Informationen:
http://www.reinhardt-verlag.de/de/titel ... 7-02565-7/
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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WernerSchell
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Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung

Beitrag von WernerSchell » 22.01.2016, 07:28

Erfolgloser Antrag auf einstweilige Anordnung gegen die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 21.12.2015 - Aktenzeichen: 2 BvR 2347/15

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Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den seit 10. Dezember 2015 gültigen § 217 des Strafgesetzbuches (StGB) abgelehnt. Der Beschluss beruht auf einer Folgenabwägung: Die Beschwerdeführer werden durch die Ablehnung des Antrags zwar - jedenfalls bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache - daran gehindert, die von ihnen grundsätzlich gewünschte Form einer begleiteten Selbsttötung in Anspruch zu nehmen. Im Fall des Erlasses der einstweiligen Anordnung wäre jedoch zu besorgen, dass sich Personen, die in weit geringerem Maße als die Beschwerdeführer zu einer selbstbestimmten und reflektierten Entscheidung über das eigene Sterben in der Lage sind, zu einem Suizid verleiten lassen könnten. Insgesamt wögen die Nachteile bei Außervollzugsetzung der Vorschrift daher schwerer als die nachteiligen Folgen, die den Beschwerdeführern durch deren Weitergeltung entstehen. Über die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache wird zu einem späteren Zeitpunkt entschieden.

Sachverhalt:

Nach § 217 StGB macht sich strafbar, wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt. Die Tat wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die vier Beschwerdeführer sind Mitglieder des Vereins Sterbehilfe Deutschland e.V., der ihnen auf ihren Wunsch hin und nach Maßgabe seiner ethischen Grundsätze die Zusage erteilt hat, sie im Falle eines eigenverantwortlichen Sterbewunsches bei einer Selbsttötung zu unterstützen. Im Hinblick auf den neuen § 217 StGB hat der Verein jedoch erklärt, keine Suizidbegleitungen mehr durchzuführen.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sind zulässig, aber unbegründet.

1. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Hierfür nimmt das Bundesverfassungsgericht eine Folgenabwägung vor. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache haben außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Wenn die Außervollzugsetzung eines Gesetzes begehrt wird, ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen, da der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Gesetz in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers eingreift.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Derzeit ist jedoch in Anbetracht des besonders strengen Prüfungsmaßstabs nicht feststellbar, dass die Beschwerdeführer bei Fortgeltung der angegriffenen Strafvorschrift bis zur Entscheidung in der Hauptsache so gravierende Nachteile erleiden würden, dass es zum jetzigen Zeitpunkt unabdingbar wäre, das angegriffene Gesetz außer Vollzug zu setzen.

a) Sofern § 217 StGB nicht außer Vollzug gesetzt wird, wären die Beschwerdeführer jedenfalls bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache gehindert, die von ihnen grundsätzlich gewünschte Form einer begleiteten Selbsttötung in Anspruch zu nehmen. Sie setzen sich selbst zwar keinem Strafbarkeitsrisiko aus. Jedoch verhindert das strafbewehrte Verbot einer geschäftsmäßigen Sterbehilfe, dass der Verein Sterbehilfe Deutschland e.V. die den Beschwerdeführern zugesagte Unterstützung leistet. Dabei ist jedoch zum einen zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführer ihren grundsätzlichen Wunsch nach einem begleiteten Suizid bereits in einem Zeitraum von Mai 2013 bis Januar 2014 geäußert haben, ohne dass sich seitdem ihr Wunsch aktualisiert hätte. Zum anderen könnte die beabsichtigte Form der begleiteten Selbsttötung im Falle eines Erfolgs der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache noch realisiert werden; der Eintritt irreversibler Folgen ist somit nicht zu befürchten. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die von den Beschwerdeführern gewünschte Selbstbestimmung über ihr eigenes Sterben durch eine Fortgeltung des § 217 StGB nicht vollständig verhindert, sondern lediglich hinsichtlich des als Unterstützer in Betracht kommenden Personenkreises beschränkt wird. Selbst die Inanspruchnahme professioneller ärztlicher Unterstützung wäre für die Beschwerdeführer nicht gänzlich ausgeschlossen, sofern der betreffende Helfer nicht das Tatbestandsmerkmal der Geschäftsmäßigkeit erfüllt.

b) Für den Fall, dass die einstweilige Anordnung ergeht, die Verfassungsbeschwerde aber später erfolglos bliebe, sind nicht nur die Auswirkungen auf die Beschwerdeführer, sondern auf alle von dem Gesetz Betroffenen zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber sieht die Gefahr, dass der „fatale Anschein einer Normalität“ und schlimmstenfalls sogar der sozialen Gebotenheit der Selbsttötung entstehen und dadurch auch Menschen zur Selbsttötung verleitet werden könnten, die dies ohne ein Angebot eines assistierten Suizids aus eigenem Antrieb nicht täten. Weder der Vortrag der Beschwerdeführer noch sonstige Anhaltspunkte lassen darauf schließen, dass die tatsächlichen Feststellungen, von denen der Gesetzgeber ausgegangen ist, offensichtlich fehlerhaft sein könnten und die von diesem prognostizierte weitere Entwicklung einer rationalen Grundlage entbehren könnte. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass bei Erlass der einstweiligen Anordnung der durch § 217 StGB bezweckte Schutz menschlichen Lebens als eines grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Rechtsguts von höchstem Rang und der Schutz des autonomen Umgangs des Einzelnen mit diesem Rechtsgut vor einer jedenfalls abstrakten Gefährdung entfallen würde. Die Anzahl der Personen, bei denen sich diese abstrakte Gefährdung vom Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Anordnung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache realisieren könnte, ist dabei kaum einzuschätzen.

Quelle: Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 1/2016 vom 8. Januar 2016
http://www.bundesverfassungsgericht.de/ ... 6-001.html
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Umschalten auf Palliativmedizin gelingt Ärzten oft nicht

Beitrag von WernerSchell » 24.08.2016, 06:19

Ärzte Zeitung vom 24.08.2016:
Loslassen fällt schwer: Umschalten auf Palliativmedizin gelingt Ärzten oft nicht
Stirbt die Hoffnung zuletzt? Ärzten können oft nicht die Heilung bei Patienten aufgeben, sondern versuchen diese während der palliativen Behandlung weiter:
Gut ein Drittel der Patienten werden so behandelt, so australische Forscher.
mehr » http://www.aerztezeitung.de/nl/?sid=917 ... ebs&n=5180
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Palliativwegweiser mit vielfältigen Angeboten gestartet

Beitrag von WernerSchell » 14.10.2016, 07:17

Am 14.10.2016 bei Facebook gepostet:
Zum Deutschen Hospiztag am 14.10.2016 startet die AOK auf ihrer Internetseite einen bundesweiten Palliativwegweiser,
mit dem sich schwerstkranke und sterbende Menschen und deren Angehörige über Versorgungs- und Beratungsangebote
in ihrer Nähe informieren können! - Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk informiert ebenfalls regelmäßig zum Thema - u.a. mit
Vortragen zur "Patientenautonomie am Lebensende."
>>> viewtopic.php?f=2&t=21835
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Recht auf Freiheit - bei der selbstverantworteten Selbsttötu

Beitrag von WernerSchell » 01.11.2016, 18:56

Recht auf Freiheit - auch bei der selbstverantworteten Selbsttötung

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Quelle: Gesundheitsmonitor

"… Der Mensch ist … weder dem Staat noch der Bundesärztekammer (BÄK) zum Leben verpflichtet. Ob er sich einem übermenschlichen Prinzip oder gar einer moralischen Macht verpflichtet fühlt, die ihm - angeblich - verbietet, über sein Leben selbst zu bestimmen, ist, schlicht und ergreifend, Privatsache. Das mag jeder halten, wie er will, und wir können einander nichts Besseres tun, als uns in dieser Freiheit gegenseitig zu respektieren.
Ärzte sind in ihrem Auftrag nicht ihrer Landes- oder der Bundesärztekammer verpflichtet, sondern ihren Patienten. Die drohende Regelung in den Grundsätzen der BÄK zur Sterbehilfe ´Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe`, die ebenso der Deutsche Ethikrat vertritt, ist ein hilfloser Versuch, Grenzen zu ziehen, wo der Natur der Sache nach keine sein können. Sie ist im Übrigen eine unerträgliche Bevormundung verantwortungsvoller Gewissensentscheidung der einzelnen Ärzte und eine zynische Absage an die Hilfsbedürftigkeit unzähliger Menschen. …"

Quelle: Thomas Fischer, Bundesrichter, in seinem Buch "Im Recht - Einlassungen von Deutschlands bekanntestem Strafrichter", Droemer, März 2016

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Beiträge zum Thema "Sterbehilfe" im Forum von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk
u.a. unter folgenden Adressen
:
viewtopic.php?f=2&t=21427
viewtopic.php?f=2&t=21426
viewtopic.php?f=2&t=20596
viewtopic.php?f=2&t=21457
viewtopic.php?f=2&t=21449
viewtopic.php?f=2&t=20617
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen

Beitrag von WernerSchell » 14.04.2017, 07:08

"Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen" - so sangen die Mönche im Mittelalter bei ihrem Nachtgebet. --- "Nicht erst in den letzten Lebenstagen, sondern schon viel früher sollten wir uns Gedanken über unser Lebensende machen und mit uns vertrauten Menschen besprechen, was uns für unseren letzten Lebensabschnitt wichtig ist und wie wir einmal sterben wollen. Das sollte dann unbedingt in einer Patientenverfügung dokumentiert werden. ... Auf jeden Fall ist eine Vorsorgevollmacht zu erstellen, in der festgelegt ist, wer entscheiden soll, wenn der Verfasser dazu nicht mehr in der Lage ist" --- Heinke Geiter in "Weil der Tod zum Leben gehört." --- Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk macht seit Jahren auf die Erfordernisse, zeitgerecht eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht zu erstellen, aufmerksam, informiert auch immer wieder dazu in Vorträgen und sonstigen Veranstaltungen. Der Neusser Pflegetreff am 10.05.2017 wird das Thema "Patientenautonomie am Lebensende" ebenfalls erneut aufgreifen und die "gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase - Behandlung im Voraus planen" in den Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion mit ausgewiesenen Experten stellen. --- Werner Schell
>>> viewtopic.php?f=2&t=21966
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https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase ...

Beitrag von WernerSchell » 20.05.2017, 07:38

Zum Neusser Pflegetreff am 10.05.2017 mit dem Thema: Gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase (§ 132g SGB V) … gibt es umfängliche Informationen. Siehe insoweit > http://www.wernerschell.de/aktuelles.php - Es können folgende Beiträge aufgerufen werden:
- Einführendes Statement von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk im Forum hier viewtopic.php?f=4&t=22110
- Bericht der Neuss-Grevenbroicher Zeitung vom 13.05.2017 hier http://www.rp-online.de/nrw/staedte/rhe ... -1.6816993
- Filmdokumentation Langfassung (rd. 2 Stunden) hier https://youtu.be/4JyK_cU1Ayo
- Statement von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk vom 18.05.2017 hier (PDF) http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwe ... 052017.pdf
- Bilderschau (Auswahl) hier (PDF) http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwe ... 052017.pdf

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Dr. med. Verfürth und Werner Schell beim Pflegetreff am 10.05.2017

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Werner Schell und Barbara Steffens, Pflegeministerin NRW beim Pflegetreff am 10.05.2017
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Hospizarbeit - Planung für die letzte Lebensphase

Beitrag von WernerSchell » 14.10.2017, 08:08

Am 14.10.2017 bei Facebook gepostet:
Der Welt-Hospiztag (14.10.2017) gibt Veranlassung, erneut auf einige unzureichende Rahmenbedingungen in der hospizlichen Versorgung und Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase aufmerksam zu machen. Das Sterben in den Stationären Pflegeeinrichtungen wird von einigen Experten als "Sterben zweiter Klasse" beschrieben. - Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk hat beim Pflegetreff am 10.05.2017 das Thema: "Gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase (§ 132g SGB V) -- Behandlung im Voraus planen - BVP -" behandelt und die gesetzlichen Vorschriften mit Hilfe eines hochkarätigen Podiums vorgestellt. Leider sind die erforderlichen Ausführungsvorschriften des GKV - Spitzenverbandes bis heute nicht abschließend formuliert worden. Daher können die angekündigten Hilfen, u.a. bei der Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase, nicht umgesetzt werden. Eingaben an das Bundesgesundheitsministerium führten bisher nicht weiter. Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk wird daher in den nächsten Tagen das Thema erneut aufgreifen und den Druck erhöhen. >>> viewtopic.php?f=2&t=20985&p=100394#p100394
Das Thema "Patientenautonomie am Lebensende" wird von mir am 06.11.2017, 17,30 - 19.00 Uhr, in der Volkshochschule Neuss behandelt. Veranstaltungsort: Romaneum, Brückstr. 1 (voraussichtlich Raum 127) - Der Eintritt ist frei! - Werner Schell
>>> viewtopic.php?f=7&t=22132
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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Gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase

Beitrag von WernerSchell » 26.02.2018, 08:32

"Gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase (§ 132g SGB V)" - Thema beim Neusser Pflegetreff am 10.05.2017 mit hochkarätigen Experten. Die zur Umsetzung der Regelungen erforderliche Vereinbarung des GKV-Spitzenverbandes ist nun am 07.02.2018 mit erheblicher Verspätung vorgestellt worden. Statements und Filme informieren im Forum. - Pro Pflege … wird sich nunmehr für die Gestaltung der Beratungsangebote, v.a. in den Pflegeeinrichtungen, einsetzen.
>>> viewtopic.php?f=2&t=22530
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
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