Sturz einer demenzbedingt desorientierten Heimbewohnerin ...

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Sturz einer demenzbedingt desorientierten Heimbewohnerin ...

Beitrag von WernerSchell » 16.11.2015, 06:45

Sturz einer demenzbedingt desorientierten Heimbewohnerin im Treppenhaus

Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Köln vom 05.01.2015 - 5 U 124/14 -

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Das OLG Köln hat mit seinem Urteil eine klageabweisende Entscheidung des Landgerichts Köln vom 13.06.2014 - 8 O 429/13 - bestätigt. Im Wesentlichen wurde ausgeführt:
Den Träger eines Pflegeheims treffen Obhutspflichten zum Schutz seiner Bewohner. Diese Pflichten ergeben sich aus den jeweiligen Heimverträgen und aus einer allgemeinen Verkehrssicherungspflicht mit dem Inhalt, die Heimbewohner vor Schädigungen zu bewahren, die diesen wegen Krankheit oder sonstigen körperlichen oder geistigen Einschränkungen durch sie selbst oder durch die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Altenheims drohen. Diese Pflichten sind allerdings begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab ist insoweit das Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare. Dabei ist insbesondere auch zu beachten, dass beim Wohnen in einem Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu förden sind (BGH, Urteil vom 28.04.2005, Az. III ZR 399/04, Tz. 2). *)
Ausgehend von diesen Grundsätzen konnten die Gerichte eine durch den Heimträger oder durch das bei ihm tätige Pflegepersonal begangene Pflichtverletzung nicht erkennen. Das Pflegepersonal des Trägers war nicht verpflichtet, die Heimbewohnerin Frau X ... beim Herumgehen auf dem Flur ständig zu begleiten oder zu beobachten. Bei Abwägung der Gefahren, die mit einer nicht ständigen Beaufsichtigung der Bewohnerin verbunden waren, den personellen Möglichkeiten eines Pflegeheims, aber nicht zuletzt auch unter Berücksichtigung der den persönlichen Freiheitsbereich betreffenden Einschränkungen, die die Versicherungsnehmer durch eine ständige Begleitung und Überwachung auf Schritt und Tritt durch Pflegepersonal erfahren hätte und die sie in der Bewahrung eines Mindestmaßes an Selbständigkeit gehindert hätte, war eine permanente Beaufsichtigung durch das Pflegepersonal nicht geboten.


Quelle und weitere Informationen:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/koel ... 50105.html
Zeitschrift "Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen", Sep/Okt 2015 (Seite 936ff.)

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*) Bundesgerichtshof zur Pflicht des Trägers eines Pflegewohnheims, die körperliche Unversehrtheit der Heimbewohner zu schützen
Urteil vom 28.4.2005 - III ZR 399/04 - Pressemitteilung vom 28.04.2005:
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat folgenden Fall entschieden:
Die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse Berlin machte gegen die beklagte Trägerin eines Altenpflegewohnheims einen kraft Gesetzes (§ 116 SGB X) übergegangenen Schadensersatzanspruch einer bei einem Unfall verletzten Heimbewohnerin geltend. Die Klägerin ist gesetzlicher Krankenversicherer einer im Jahre 1912 geborenen Rentnerin, die seit 1997 in einem von der Beklagten betriebenen Pflegewohnheim lebt. In den Jahren 1994 bis 1998 hatte die Versicherte sich bei drei Stürzen jeweils erhebliche Verletzungen zugezogen. Ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Pflegegutachtens ist sie hochgradig sehbehindert, zeitweise desorientiert und verwirrt; ihr Gang ist sehr unsicher. Sie ist der Pflegestufe III zugeordnet. Am 27. Juni 2001 wurde sie in der Zeit der Mittagsruhe in ihrem Zimmer vor ihrem Bett liegend aufgefunden. Sie hatte sich eine Oberschenkelhalsfraktur zugezogen, derentwegen sie stationär und anschließend ambulant behandelt werden mußte.
Die Klägerin war der Auffassung, daß der Unfall auf eine Pflichtverletzung der Beklagten zurückzuführen ist. Sie lastete der Beklagten insbesondere an, diese habe es versäumt, die sturzgefährdete Bewohnerin in ihrem Bett zu fixieren, zumindest die Bettgitter hochzufahren. Außerdem hätte die Beklagte der Bewohnerin Hüftschutzhosen (Protektorhosen) anlegen müssen, durch die die Gefahr eines Knochenbruchs bei einem Sturz gemindert worden wäre.
Das Landgericht hat der auf Ersatz der von der Klägerin getragenen Heilbehandlungskosten gerichteten Klage im wesentlichen stattgegeben; das Kammergericht in Berlin hat sie abgewiesen und die Revision zur Klärung der Frage zugelassen, unter welchen Voraussetzungen ein Pflegeheim für Verletzungen einzustehen hat, die sich ein Heimbewohner während des Heimaufenthaltes zuzieht.
Der III. Zivilsenat hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen.
Zwar erwuchsen der beklagten Heimträgerin aus den jeweiligen Heimverträgen Obhutspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihr anvertrauten Heimbewohner. Ebenso bestand eine inhaltsgleiche allgemeine Verkehrssicherungspflicht zum Schutz der Bewohner vor Schädigungen, die diesen wegen Krankheit oder einer sonstigen körperlichen oder geistigen Einschränkung durch sie selbst oder durch die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Altenheims drohten. Diese Pflichten sind allerdings begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab müssen das Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare sein, wobei insbesondere auch die Würde und die Selbständigkeit der Bewohner zu wahren sind.
Im vorliegenden Fall war der Unfallhergang im einzelnen nicht mehr aufklärbar. Das Berufungsgericht hatte es mit Recht abgelehnt, der Klägerin Beweiserleichterungen im Sinne einer Beweislastumkehr zugute kommen zu lassen. Allein aus dem Umstand, daß die Heimbewohnerin im Bereich des Pflegeheims der Beklagten gestürzt war und sich dabei verletzt hatte, konnte nicht auf eine schuldhafte Pflichtverletzung des Pflegepersonals der Beklagten geschlossen werden. Darlegungs- und beweispflichtig war vielmehr insoweit die Klägerin als Anspruchstellerin. Nach den Besonderheiten des Falles bestand für das Pflegepersonal insbesondere kein hinreichender Anlaß, die Bewohnerin im Bett zu fixieren, mindestens aber die Bettgitter hochzufahren. In rechtsfehlerfreier tatrichterlicher Würdigung hatte das Berufungsgericht eine schuldhafte Pflichtverletzung auch nicht darin erblickt, daß die Mitarbeiter der Beklagten es unterlassen hatten, der Bewohnerin Hüftschutzhosen (Protektorhosen) anzulegen, durch die die Gefahr eines Knochenbruchs bei einem Sturz gemindert worden wäre. Die Klägerin hatte weder konkret vorgetragen, noch unter Beweis gestellt, mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit Verletzungen, wie sie die Bewohnerin erlitten hatte, durch das Tragen dieser Schutzvorrichtung zu verhindern gewesen wären.
Urteil vom 28. April 2005 - III ZR 399/04 - LG Berlin - 28 O 336/02 ./. KG Berlin - 12 U 107/03
Quelle: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-b ... &linked=pm

Siehe auch unter:
Obhutspflichten / Verkehrssicherungspflichten im Heim
OLG Koblenz, Beschluss vom 17.06.2013, 3 U 240/13
Quelle: viewtopic.php?f=2&t=19504

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Am 24.09.2015 bei Facebook gepostet:
Qualität ohne Personal? Geht nicht!
So eine Pressemitteilung des DBfK vom 23.09.2015. Damit ist noch einmal alles auf den Punkt gebracht! - Im Übrigen: "Berufe der Altenpflege haben ein hohes Ansehen". Darüber informiert CAREkonkret in ihrer Ausgabe vom 18.9.2015 und bezieht sich dabei auf eine Bürgerbefragung. Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk stellt seit Jahren klar, dass die Wertschätzung und das Ansehen der Pflegekräfte bei den BürgerInnen hoch ist. Schlechte Noten erhalten hingegen die Pflege - Rahmenbedingungen. Und insoweit hat Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk am 08.09.2015 nochmals die Bundestagsabgeordneten mit dem Tenor "Nur gute Arbeitsbedingungen sichern die Pflege von morgen" gebeten, die notwendigen Folgerungen im Rahmen der Beschlussfassung über das PSG II zu ziehen. Näheres dazu unter > viewtopic.php?f=4&t=21252 Darüber wurde auch beim Neusser Pflegetreff am 21.10.2015 gesprochen. > viewtopic.php?f=7&t=20711
Werner Schell


Die Statements von Werner Schell, Vorstand von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk, beim Neusser Pflegetreff am 21.10.2015 sind nun auch in einem gesonderten Filmbeitrag (7.30 Minuten) anschaubar unter: https://youtu.be/qbyHRxX9ikk - Die wesentlichen Aussagen:
- Mehr Pflegepersonal - jetzt und nicht später!
- Mehr Zeit für Zuwendung und Pflege ermöglichen.
- Der im PSG II vorgesehene § 113c SGB XI, der ein Personalbemessungssystem anspricht, reicht nicht!
- Mängel müssen abgestellt werden, auch im Hinblick auf den Einsatz der Betreuungskräfte nach § 87b SGB XI.
Die gesamte Filmdokumentation (rd. 2 Stunden) ist weiterhin anschaubar bei Youtube > https://youtu.be/4cy5Ey-cBNg Ergänzende Beiträge im Forum (mit Fotos) unter > viewtopic.php?f=4&t=21326 .


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Der Sturz
Im Spannungsfeld zwischen Haftungsrecht
und pflegerischen Handlungsmöglichkeiten

Siehe dazu > viewtopic.php?f=2&t=21337

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Am 20.11.2015 bei Facebook gepostet:
Obhutspflichten / Verkehrssicherungspflichten im Heim - Qualität ohne gute Pflegepersonalausstattung? Geht nicht! > viewtopic.php?f=2&t=21275 - Die Unsicherheiten im Umgang mit sturzgefährdeten HeimbewohnerInnen sind weit verbreitet. Da können auch "entlastende" Gerichtsentscheidungen wenig helfen. Pflegekräfte sind gut beraten, wenn sie ihr Handeln ordentlich dokumentieren. > viewtopic.php?f=3&t=20323&hilit=Oberschenkelhalsbruch - "Der Sturz - Im Spannungsfeld zwischen Haftungsrecht und pflegerischen Handlungsmöglichkeiten" - Buchtipp dazu > viewtopic.php?f=2&t=21337
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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