Zwangsbehandlungen wieder erlaubt
Verfasst: 10.02.2013, 08:08
Zwangsbehandlungen wieder erlaubt
Der Bundestag hat im Januar mit großer Mehrheit grünes Licht für die Wiedereinführung der Zwangsbehandlung psychisch Kranker gegeben. Damit wird, diesmal auf gesetzlicher Basis, klinischen Psychiatern grundsätzlich erlaubt, psychisch kranke und geistig behinderte Menschen „in Notsituationen“ (v.a. bei „Selbst- und Fremdgefährdung", Suizidalität usw.) auch gegen deren Willen Psychopharmaka, Elektrokrampftherapie o.a. zu verabreichen. Dies war zwischenzeitlich – für 6 Monate - gerichtlich verboten worden. Betroffenen-Vertreter gehen von Menschenrechtsverletzung im Sinne der UN-Konventionen zu Patientenrechten aus und kritisierten die Verabschiedung des Gesetzentwurfs von Union und FDP scharf – die Linke stimmte als einzige Fraktion dagegen.
Ein halbes Jahr lang war das Vorgehen einer Zwangsbehandlung nicht möglich gewesen. Im vergangenen Sommer hatte nämlich der Bundesgerichtshof entschieden, Zwangsbehandlungen seien nicht zulässig, weil eine ausreichende rechtliche Grundlage fehle. Genau dafür soll nun das neue Gesetz sorgen. Dafür gelten jetzt jedoch einige Bedingungen: Voraussetzung ist etwa, dass einem Patienten ohne Eingreifen erheblicher Gesundheitsschaden droht. Ein Richter muss den Schritt genehmigen, und der Patient muss in stationärer Behandlung sein, also in einer Klinik versorgt werden und nicht in einer Praxis oder zu Hause. Zudem soll nach Möglichkeit ein zweiter Arzt die Notwendigkeit der Behandlung bestätigen. "Wir brauchen eine Regelung für (...) die Ausnahmesituation, wenn es anders gar nicht geht", hatte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) im Deutschlandradio Kultur erklärt.
Historische Chance verpasst
Ganz anders sieht dies Dr. Martin Zinkler, Chefarzt der Psychiatrischen Klinik am Klinikum Heidenheim gemacht. Die sechsmonatige „Experimentierphase“ (einer fehlenden Grundlage für Zwangsbehandlungen) habe "neue Möglichkeiten der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Patienten und Behandlungsteams" eröffnet. Zinkler plädierte dem Bundesjusiziministerium gegenüber dafür, zu prüfen, "ob nicht auf eine gesetzliche Grundlage zur medikamentösen Zwangsbehandlung grundsätzlich verzichtet werden kann".
Grundsätzlicher ist die Kritik der Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention, die in Berlin am Deutschen Institut für Menschenrechte angesiedelt ist. Valentin Aichele, Leiter der Monitoring-Stelle, bezweifelte, "ob der Entwurf im Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention steht". Es sei "eine historische Chance verpasst worden, aus den Erfahrungen einer Psychiatrie ohne Zwang zu lernen und das System der psychiatrischen Versorgung weiterzuentwickeln", schrieb er.
Nach Auffassung von Gita Neumann vom Humanistischen Verband Deutschland geht es jetzt darum, die die Souveränität von Menschen mit psychischen Erkrankungen bzw. die sich von Zwangsbehandlung bedroht sehen, zu stärken. „Leider“, bedauert Neumann, „können wir das mit unseren Angeboten von Patientenverfügungen, die auf sich auf körperliche Erkrankungen und lebensverlängernde Behandlungen beziehen, nicht leisten. Dennoch wenden sich immer wieder verzweifelte Ratsuchende mit mehr oder weniger ausgeprägten Angststörungen an unsere Bundeszentralstelle Patientenverfügung. Sie befinden sich teils in – dann freiwilliger - psychotherapeutischer Behandlung deswegen. Ich kann hier keinesfalls über psychiatrische Patienten allgemein sprechen, nur über Erfahrungen mit dieser Gruppe. Bei diesen Menschen ist es nicht selten so, dass die Angst vor Zwangsbehandlung der eigentliche Inhalt ihrer Störung ist. Dann verweisen wir in der Regel auf die Möglichkeit von Behandlungsvereinbarungen für Menschen mit einer Klinik oder ihrem Arzt des Vertrauens > http://www.psychiatrie-bielefeld.de/beh ... barung.pdf . Diese haben ja je nach Konkretisierungsgrad durchaus den Charakter einer verbindlichen Patientenverfügung.
Viele verängstigte Menschen werden geradezu panisch, wenn sie die Seite http://www.patverfue.de gelesen haben. Dort wird nämlich suggeriert: Es kann jeden jederzeit treffen, der Anruf eines Nachbarn bei einer Behörde genügt, und schon ist man völlig verloren in der Zwangspsychiatrie eingesperrt. Dagegen könne angeblich nur eine sogenannte „Psychiatrie-Verfügung“ helfen, wobei strikt darauf zu achten wäre, jedes Gespräch mit einem psychiatrischen Arzt zu vermeiden. Denn dieser würde stets jeden Widerstand gegen eine Behandlung nur als Symptom eben einer schweren psychiatrischen Erkrankung klassifizieren. Eine vertrauensbildende, sicherheitsstiftende Maßnahme gegen die Angst sieht natürlich anders aus.
Aber auch die Wiedereinführung einer möglichen Zwangsbehandlung erscheint für diese Patientengruppe verheerend. Der Verweis, dass Ärzte doch in Zukunft erst alle alternativen Möglichkeiten auszuschöpfen und das Einverständnis der Betroffenen einzuholen haben, beruhigt sie leider keinesfalls. Denn zur Angststörung gehört leider, stets nur das Negativste und Schlimmste anzunehmen - eben die Zwangsbehandlung."
Quellen:
http://www.aerztezeitung.de/politik_ges ... dizinethik
http://www.zeit.de/gesellschaft/familie ... ung-gesetz
Quelle: Mitteilung vom 09.02.2013
Humanistischer Verband Deutschlands - Landesverband Berlin-Brandenburg e. V.
Wallstraße 61-65
10179 Berlin
Telefon: 030 613904-0
Fax: 030 613904-864
E-Mail: geschaeftsstelle@hvd-bb.de
Web: http://www.hvd-bb.de
Der Bundestag hat im Januar mit großer Mehrheit grünes Licht für die Wiedereinführung der Zwangsbehandlung psychisch Kranker gegeben. Damit wird, diesmal auf gesetzlicher Basis, klinischen Psychiatern grundsätzlich erlaubt, psychisch kranke und geistig behinderte Menschen „in Notsituationen“ (v.a. bei „Selbst- und Fremdgefährdung", Suizidalität usw.) auch gegen deren Willen Psychopharmaka, Elektrokrampftherapie o.a. zu verabreichen. Dies war zwischenzeitlich – für 6 Monate - gerichtlich verboten worden. Betroffenen-Vertreter gehen von Menschenrechtsverletzung im Sinne der UN-Konventionen zu Patientenrechten aus und kritisierten die Verabschiedung des Gesetzentwurfs von Union und FDP scharf – die Linke stimmte als einzige Fraktion dagegen.
Ein halbes Jahr lang war das Vorgehen einer Zwangsbehandlung nicht möglich gewesen. Im vergangenen Sommer hatte nämlich der Bundesgerichtshof entschieden, Zwangsbehandlungen seien nicht zulässig, weil eine ausreichende rechtliche Grundlage fehle. Genau dafür soll nun das neue Gesetz sorgen. Dafür gelten jetzt jedoch einige Bedingungen: Voraussetzung ist etwa, dass einem Patienten ohne Eingreifen erheblicher Gesundheitsschaden droht. Ein Richter muss den Schritt genehmigen, und der Patient muss in stationärer Behandlung sein, also in einer Klinik versorgt werden und nicht in einer Praxis oder zu Hause. Zudem soll nach Möglichkeit ein zweiter Arzt die Notwendigkeit der Behandlung bestätigen. "Wir brauchen eine Regelung für (...) die Ausnahmesituation, wenn es anders gar nicht geht", hatte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) im Deutschlandradio Kultur erklärt.
Historische Chance verpasst
Ganz anders sieht dies Dr. Martin Zinkler, Chefarzt der Psychiatrischen Klinik am Klinikum Heidenheim gemacht. Die sechsmonatige „Experimentierphase“ (einer fehlenden Grundlage für Zwangsbehandlungen) habe "neue Möglichkeiten der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Patienten und Behandlungsteams" eröffnet. Zinkler plädierte dem Bundesjusiziministerium gegenüber dafür, zu prüfen, "ob nicht auf eine gesetzliche Grundlage zur medikamentösen Zwangsbehandlung grundsätzlich verzichtet werden kann".
Grundsätzlicher ist die Kritik der Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention, die in Berlin am Deutschen Institut für Menschenrechte angesiedelt ist. Valentin Aichele, Leiter der Monitoring-Stelle, bezweifelte, "ob der Entwurf im Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention steht". Es sei "eine historische Chance verpasst worden, aus den Erfahrungen einer Psychiatrie ohne Zwang zu lernen und das System der psychiatrischen Versorgung weiterzuentwickeln", schrieb er.
Nach Auffassung von Gita Neumann vom Humanistischen Verband Deutschland geht es jetzt darum, die die Souveränität von Menschen mit psychischen Erkrankungen bzw. die sich von Zwangsbehandlung bedroht sehen, zu stärken. „Leider“, bedauert Neumann, „können wir das mit unseren Angeboten von Patientenverfügungen, die auf sich auf körperliche Erkrankungen und lebensverlängernde Behandlungen beziehen, nicht leisten. Dennoch wenden sich immer wieder verzweifelte Ratsuchende mit mehr oder weniger ausgeprägten Angststörungen an unsere Bundeszentralstelle Patientenverfügung. Sie befinden sich teils in – dann freiwilliger - psychotherapeutischer Behandlung deswegen. Ich kann hier keinesfalls über psychiatrische Patienten allgemein sprechen, nur über Erfahrungen mit dieser Gruppe. Bei diesen Menschen ist es nicht selten so, dass die Angst vor Zwangsbehandlung der eigentliche Inhalt ihrer Störung ist. Dann verweisen wir in der Regel auf die Möglichkeit von Behandlungsvereinbarungen für Menschen mit einer Klinik oder ihrem Arzt des Vertrauens > http://www.psychiatrie-bielefeld.de/beh ... barung.pdf . Diese haben ja je nach Konkretisierungsgrad durchaus den Charakter einer verbindlichen Patientenverfügung.
Viele verängstigte Menschen werden geradezu panisch, wenn sie die Seite http://www.patverfue.de gelesen haben. Dort wird nämlich suggeriert: Es kann jeden jederzeit treffen, der Anruf eines Nachbarn bei einer Behörde genügt, und schon ist man völlig verloren in der Zwangspsychiatrie eingesperrt. Dagegen könne angeblich nur eine sogenannte „Psychiatrie-Verfügung“ helfen, wobei strikt darauf zu achten wäre, jedes Gespräch mit einem psychiatrischen Arzt zu vermeiden. Denn dieser würde stets jeden Widerstand gegen eine Behandlung nur als Symptom eben einer schweren psychiatrischen Erkrankung klassifizieren. Eine vertrauensbildende, sicherheitsstiftende Maßnahme gegen die Angst sieht natürlich anders aus.
Aber auch die Wiedereinführung einer möglichen Zwangsbehandlung erscheint für diese Patientengruppe verheerend. Der Verweis, dass Ärzte doch in Zukunft erst alle alternativen Möglichkeiten auszuschöpfen und das Einverständnis der Betroffenen einzuholen haben, beruhigt sie leider keinesfalls. Denn zur Angststörung gehört leider, stets nur das Negativste und Schlimmste anzunehmen - eben die Zwangsbehandlung."
Quellen:
http://www.aerztezeitung.de/politik_ges ... dizinethik
http://www.zeit.de/gesellschaft/familie ... ung-gesetz
Quelle: Mitteilung vom 09.02.2013
Humanistischer Verband Deutschlands - Landesverband Berlin-Brandenburg e. V.
Wallstraße 61-65
10179 Berlin
Telefon: 030 613904-0
Fax: 030 613904-864
E-Mail: geschaeftsstelle@hvd-bb.de
Web: http://www.hvd-bb.de