Ohne Frage ist eine sachgerechte Aufklärung notwendig. Andererseits warne ich eindringlich davor, zum wiederholten Male hier einen "ethischen Glaubenskieg" zu führen, in deren Folge es dann weniger um das Problem als vielmehr um das Debattieren geht.
Die sog. bioethischen Hochdiskurse, so mein Eindruck in den letzten Jahren, eignen sich in hervorragender Weise für die Übermittlung von "Glaubensbotschaften" und ich denke, man/frau sollte gelegentlich darüber nachdenken, die "Ethik im Dorf zu lassen" und sich auf die wesentlichen Fragen konzentrieren.
Allein die unsägliche Debatte um die Patientenverfügung hat doch letztlich eines deutlich belegt: Einige namhafte Ethiker (aber auch Juristen) haben ein höchst seltsames Verständnis von dem Grund und die Reichweite des Selbstbestimmungsrechts entwickelt und es scheint in Mode gekommen zu sein, dass ein Jeder glaubt, durch einen Blick in die ethische Glaskugel die "Wahrheit" entdeckt zu haben.
Freilich sind die vorgetragenen Bedenken ernst zu nehmen, aber auch hier gilt: Mit dem Selbstbestimmungsrecht ist eine hohe Eigenverantwortung verbunden und sofern dann eine ausgewogene Aufklärung stattgefunden hat, sollte es möglich sein, eine Entscheidung treffen zu können.
Wo also liegt das Problem?
Natürlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass zu Lebzeiten ein ungeheures Desinteresse an den gewichtigen Lebensfragen besteht; vielleicht liegt es auch daran, dass das Volk der Deutschen sich eben nicht mehr durch seine "Denker und Dichter" auszeichnet, sondern sich vornehmlich durch in einer - zugegebenermaßen vornehmen - Geschwätzigkeit übt, ohne sich auf rationale Diskurse einzulassen. PISA-Studien weisen in eine nicht minder bedenkliche Richtung und da frage ich mich schon einmal in einer stillen Stunde, ob die jetzige Generation nicht nur der Jugendlichen, sondern in Teilen auch die Zünfte der Wissenschaften und der politisch verantwortlichen Klasse eher durch ihre höchst bescheidene Mittelmäßigkeit glänzt, so dass in der Regel nur Sprechblasen produziert werden, denn keine nennenswerten Taten folgen.
Diese Mittelmäßigkeit zieht sich nahtos durch alle gesellschaftlich relevanten Bereiche und dass dem so ist, können wir auch bei den Bemühungen um eine Pflegereform ablesen. Wir haben keinen weiteren Bedarf an Analyse, sondern an konkreten Modellen, die dann in der Praxis ihrer Umsetzung harren. Dass was gewünscht wird, liegt klar auf dem Tisch und nun müssen wir schlicht "Geld" in die Hand nehmen, um zur Tat schreiten zu können.
In diesem Punkte unterscheide ich mich freilich von der Position eines Herrn Schell. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nicht endlose Debatten benötigen, um festzustellen, unter welchen Rahmenbedingungen ggf. eine Pflege "eine menschenwürdige sei". Wenn dies gleichwohl der Fall sein sollte, dann - mit Verlaub - hat sich die Profession der "Pflege" ein Zeugnis ausgestellt, was desaströser nicht sein kann. Experten, auch solche von selbsternannten, gibt es seit Jahren in Hülle und Fülle und da frage ich mich denn schon, was all die Experten in den letzten Jahren so geforscht haben?
Nimmt es da wunder, wenn auch die Generation 60+ in eine Resignation verfällt und Ängste sich breit machen, lieber nicht zum Pflegefall zu werden? Fragen Sie heute bei einem durchschnittlich begabten Jugendlichen nach, ob er bereit ist, künftig einen überobligatorischen Anteil an den Kosten mitzutragen, die auf uns aufgrund des demografischen Wandels notwendig zukommen?
Nun möchte ich zwar nicht in Spekulationen verfallen, aber ein Generationskonflikt ist höchst wahrscheinlich und dieser könnte unter dem Aspekt der "Priorisierung" und "Rationalisierung" pflegerischer Leistungen Assoziationen an eine unsägliche Vergangenheit wach werden lassen, in denen "Ballastexistenzen" eigentlich nur das "Volksvermögen" aufgebraucht haben, ohne hierfür selbst weiter einen Beitrag geleistet zu haben.
Ist es bei solchen Aussichten vielleicht nicht doch besser, "frühzeitig" abzuleben und zwar jenseits einer selbstbestimmten Entscheidung? Ein sozialverträgliches Frühableben aufgrund der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen?
Wohlgemerkt: dies ist nicht mit einer frei verantwortlichen Suizidentscheidung gleichzusetzen, aber es scheint mir hohe Zeit zu sein, den Preis dafür zu benennen, was uns die Pflege (freilich auch eine Medizin lege artis) im wahrsten Sinne des Wortes "Wert" ist, denn wenn dies transparent diskutiert wird, kann ein Jeder von uns hieran seine selbstbestimmte Entscheidung ausrichten und im Zweifel dem in Aussicht gestellten (ethischen) Minimum entfliehen - wohin auch immer...
Nun - alles in allem denke ich, muss das Selbstbestimmungsrecht gestärkt werden, bei dem zugleich ein freiheitsliebendes Staatsvolk daran zu erinnern ist, dass Selbstbestimmung immer auch mit einer entsprechenden Eigenverantwortung verbunden ist! Zu fragen allerdings ist, ob dies die große Masse überhaupt interessiert und ob diese nicht selbst dermaßen in dem alltäglichen Existenzkampf verstrickt ist, der die Problematik der "Organspende" und die anderen bioethischen Hochdiskurse als unwichtig, weil nicht existentiell, erscheinen lässt.