Sozialverträgliches Sterben.
Die Debatte um assistierten Suizid und Sterbehilfe
v. Susanne Niemz (2010)
„Ziel dieses Buches ist die Beförderung einer offen und ehrlich geführten Diskussion über Sterbehilfe bzw. assistierten Suizid. Zu diesem Zweck wird eine ausgesprochen breit angelegte Untersuchung erarbeitet, die eine inhaltsreiche Darstellung verschiedener Diskussionsarenen, Informationen über die Realität dieses schwer zugänglichen Bereichs und Brückenschläge zwischen Empirie und Normativität bietet. Die Arbeit besticht durch die umfassende Kenntnis zahlreicher wissenschaftlicher Teildiskurse (Rechtswissenschaft, Philosophie, Medizin, Ethik) und die empirische Materialfülle. Diese Kombination verleiht dem Werk einen eigenständigen Wert, der auch für all jene eine Bereicherung ist, die mit dem inhaltlichen Ergebnis des Gedankengangs möglicherweise nicht einverstanden sind.“
Das Buch von Susanne Niemz erscheint erscheint in einer Zeit, in der die Debatte um den (ärztlich) assistierten Suizid richtig an Fahrt aufgenommen hat: Der Präsident der BÄK hat verlautbaren lassen, dass es an der Zeit sei, das ärztliche Berufsrecht zu liberalisieren – eine Ankündigung, die sicherlich Folge der zwischenzeitlich unübersehbar gewordenen veränderten Einstellung eines Teils der Ärzteschaft zur Sterbehilfe ist – eine Einstellung, die durch die eigens von der BÄK in Auftrag gegebene Befragung der Ärztinnen und Ärzte mehr oder minder eindrucksvoll bestätigt worden ist.
Die Autorin Susanne Niemz hat sich der „Debatte um assistierten Suizid und Sterbehilfe“ aus dem Blickwinkel verschiedener Professionen angenommen und hierbei ist es ihr gelungen, die gelegentlich diametral entgegengesetzten Positionen in den jeweiligen Teildiskursen abzubilden und allein die dabei verarbeitete Literatur (ein Blick in das Literaturverzeichnis belegt dies) offenbart m.E. den besonders hervorzuhebenden Wert des Buches: Der Versuch, ein hochkomplexes Thema gerade in seiner Behandlung in den einzelnen Fachdisziplinen auf die verschiedenen Argumentationsstränge zurückzuführen und damit beizutragen, die schier unglaubliche Fülle an Material zum Thema ein stückweit zu systematisieren und in der gebotenen Kürze darzustellen, auch wenn die Autorin gelegentlich in ihrer Schrift darauf hinweist, dass sie „in überaus kursorischer Manier“ sich mit den zentralen Positionen jedenfalls in der abendländischen Philosophie befasst hat. Nun – diese Exkurse in den verschiedenen Teildisziplinen sind ihr m.E. vortrefflich gelungen und aufgrund ihrer umfangreichen Literaturverarbeitung wird der interessierte Leser geradezu dazu eingeladen, im Zweifel sich mit den verschiedenen Einzeldiskursen in den Fachdisziplinen thematisch weiter auseinanderzusetzen.
Der Autorin ist es daher gelungen, einen bedeutsamen Wertediskurs an der Schnittstelle zwischen Recht – Philosophie – Soziologie – Medizin &. Ethik lebendig darzustellen und aus ihrer Sicht zu kommentieren und etwaige Schlüsse zu ziehen, die letztlich für ihre inhaltliche Position tragend sind, mögen auch nicht alle im Einzelfall das von ihr gezogene Ergebnis teilen.
Erfreulich ist, dass die Autorin Susanne Niemz sich erkennbar auch dahingehend selbst diszipliniert hat, im Rahmen ihrer Arbeit nicht unbedingt jeden Teildiskurs aufarbeiten zu wollen:
„Theologische Argumente wie der Glaube und die Heiligkeit (menschlichen) Lebens oder an den Sinn des Leidens werden im Rahmen dieser Arbeit, die von einer grundsätzlichen Trennung von Staat und Kirche ausgeht, insofern einem säkularen Rechtsverständnis verpflichtet ist, nicht explizit behandelt“, so der Hinweis in Fußnote 172 auf Seite 122, nahezu am Ende der Buches und zu Beginn des VI. Kapitels „Diskussion und Ausblick“.
Dem einen oder anderen Leser mag dieser Hinweis etwas „zu spät“ kommen, aber er kommt eben nicht zu einer Unzeit, da die Autorin sich der verdienstvollen Aufgabe gestellt hat, die verschiedenen Teildiskurse vornehmlich mit Blick auf die Kategorie des staatlichen Rechts (hier näher des Strafrechts) darzustellen. Eine Befassung mit den im Diskurs vorgetragenen theologischen Argumenten und deren Diskussion hätte nicht nur den Rahmen der Arbeit gesprengt, sondern zugleich auch eine andere Schwerpunktsetzung bedingt: die Konzentration der widerstreitenden Positionen vor dem Hintergrund des Verfassungsrechts mit all seinen Implikationen.
Die Autorin hat es dabei belassen, die Darstellung der einzelnen Teildiskurse in den verschiedenen Fachdisziplinen überwiegend rund um das Strafrecht zu entfalten, nicht zuletzt sicherlich auch deswegen, weil hier das Thema unmittelbar dogmatisch verortet ist (§ 216 StGB) und gerade in der „theologischen Befassung“ des Themas vor dem Hintergrund des säkularen Verfassungsstaats unversöhnliche Auffassungen darzustellen wären, die eben nicht (?) befriedet werden können und hierin das eigentliche Dilemma für eine offene und ehrliche Sterbehilfe-Debatte erblickt werden kann.
Gleichwohl ist dieser „theologische Teildiskurs“ in seiner Bedeutung für die Sterbehilfe-Debatte keinesfalls zu unterschätzen, zumal in der Tendenz zur Klerikalisierung etwa der Palliativmedizin, aber eben auch um der Bedeutung der „Freiheit“ willen zentrale Verfassungsrechtsfragen angesprochen sind, die ebenfalls nach einer „Aufarbeitung“ verlangen.
Meinen letzten Hinweis möchte ich allerdings nicht als Kritik an dem Buch verstanden wissen, da die Autorin erkennbar das „Strafrecht“ als Ausgangspunkt ihrer Erörterungen genommen hat, auch wenn ich persönlich einen anderen Ansatz gewählt hätte.
Die Autorin hat sich dahingehend offenbart, einem säkularen Rechtsverständnis verpflichtet zu sein und von daher ist die Ausblendung der theologischen Dimension eines höchst konfliktbeladenen Wertediskurses durchaus nachvollziehbar.
Das Buch von Susanne Niemz kann ich zum Lesestudium uneingeschränkt empfehlen und gerne schließe ich mich den Worten von Jürgen Kühling in seinem Geleitwort an, würde diese aber wie folgt „modifizieren“( *) wollen:
„Insgesamt leistet sie einen wertvollen Beitrag zu einer vernunft- und erkenntnisgeleiteten Erörterung der ethischen und (straf-*)rechtlichen Problematik des assistierten Suizids. Die Studie sei vor allem Mediziner, Juristen und Politiker empfohlen“ und ich bin geneigt, zu ergänzen, auch den Ethikern, Hobbyphilosophen und Theologen.
Ob ein „Fragezeichen“ in dem Titel „Sozialverträgliches Sterben“ gleichsam im Zuge des Buchdrucks verlustig gegangen ist, erschließt sich mir nicht, zumal in der beigefügten Beschreibung des Verlags eben dieses Fragezeichen hinter dem Titel steht.
Dies halte ich auch für sinnvoll, da allein der von der Autorin gewählte Titel in einer hochemotional geführten Debatte überaus negativ besetzt ist.
Freilich – aus dem fehlenden Fragezeichen darf nun aber nicht auf die Position der Autorin geschlossen werden, denn diese ergibt sich erst nach dem Lesen ihrer instruktiven Schrift – eine Position, die sie im Übrigen selbst zur Diskussion stellt.
Mehrfach „wirbt“ sie in Buch um eine offene und ehrliche Debatte und allein hierfür gebührt der Autorin ein besonderer Dank, denn im Umkehrschluss würde dies wohl bedeuten, dass ein stückweit der große Wertediskurs um die Liberalisierung der (ärztlichen) Suizidassistenz und Sterbehilfe nicht frei von Ideologien und Interessen geführt wird.
So gesehen verwundert es nicht, dass die Autorin Susanne Niemz es auch für wissenschaftlich geboten erachtet, u.a. auch auf die thematisch einschlägigen Schriften von dem Soziologen Klaus Feldmann zu verweisen, die eben nicht selten einen pseudowissenschaftlichen Diskurs kritisieren.
Was also bleibt für mich als ein persönliches Fazit?
Es erscheint mir tatsächlich hohe Zeit zu sein, in Anlehnung an die Schrift von Susanne Niemz nunmehr erneut für eine verfassungsrechtliche Befassung mit den aufgeworfenen Fragen in den einzelnen Teildiskursen zu werben, denn eines steht für mich unverbrüchlich fest: Auch die Teildiskurse müssen sich mit ihren Argumentationssträngen der Verfassungswirklichkeit stellen und dies gilt freilich auch in einem besonderen Maße sowohl für das Strafrecht als auch das Berufsrecht der verfassten Ärzteschaft.
Auffällig jedenfalls ist in nahezu allen Monografien zur einschlägigen Thematik, die in den letzten zwei Jahren erschienen sind, dass das Berufs- und Standesrecht der Ärzte als „gegeben“ hingenommen wird, obgleich sich gerade diesbezüglich die Frage nach „Freiheit und Selbstbestimmung“ aufdrängt. Gerade eine fundierte Debatte in diesem „verfassungsrechtlichen Teildiskurs“ über berufsrechtliche Fragen – so meine Hoffnung – wird ganz entscheidend dazu beitragen, dass die Debatte offener und ehrlicher geführt werden kann, als dies bisher der Fall war; da insoweit Verfassungsrecht nicht nur „Strafrecht“, sondern auch Berufs- und Standesrecht „bricht“ und im Übrigen auch den „theologischen Diskurs“ zu befrieden vermag, der letztlich einer weiteren Aufarbeitung gerade mit Blick auf die Palliativmedizin und Hospizkultur bedarf.
Kurzum: Das Buch von Susanne Niemz Sozialverträgliches Sterben (?) – Die Debatte um assistierten Suizid und Sterbehilfe, erschienen im S. Roderer Verlag, Regensburg, kann ich guten Gewissens empfehlen, wird es doch letztlich auch dazu beitragen, sich wieder auf die rechtlichen Kernprobleme des assistierten Suizids und Sterbehilfe in seiner strafrechtlichen Dimension zu konzentrieren.
Lutz Barth
Sozialverträgliches Sterben - Buchtipp
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