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Aktive Sterbehilfe

Verfasst: 16.10.2010, 07:25
von Lutz Barth
Bundeskanzlerin erteilt aktiver Sterbehilfe strikte Absage!

„Wir werden aktiver Sterbehilfe niemals das Wort reden“, so Angela Merkel auf einer CDU-Regionalkonferenz in Halle. ((Quelle: Frankfurter Allgemeine >>> F.A.Z.net v. 14.10.10 <<< (html)


Schon der Volksmund meint, „man/frau sollte niemals nie sagen“ und angesichts der Wünsche schwersterkrankter und sterbender Patienten wird sich auch die Bundeskanzlerin mit den ethischen Dilemmata thematisch zu befassen haben, die in erster Linie durch einen ethischen Paternalismus konservativer Palliativmediziner, Ärztefunktionäre und freilich auch Theologen heraufbeschworen worden sind. Der Diskurs um die aktive Sterbehilfe wird zunehmend durch eine Moraldebatte überfrachtet, die zu führen sinnvoll erscheinen mag, gleichwohl aber das Gebot zur ethischen und moralischen Neutralität nicht aufzuhebt. Ein Bekenntnis zum „C“ im Parteinamen und der Versuch, auch wieder konservative Wähler für die Partei zu gewinnen, ist legitim, ändert aber selbstverständlich nichts daran, dass auch eine Bundesregierung das Selbstbestimmungsrecht des schwersterkrankten und sterbenden Menschen zu respektieren hat und zwar auch unter der Voraussetzung, dass einzelne Regierungsmitglieder resp. Abgeordnete des Deutschen Bundestages mit Blick auf den frei verantwortlichen Suizd ggf. eine andere Gewissensentscheidung für sich selbst getroffen haben.

Die „Tötung auf Verlangen“ ist in Ausnahmefällen ein ethisches Postulat derjenigen Patienten, die ihrem Leid entfliehen wollen und unsere Gesellschaft würde gut daran tun, sich dieser Forderung im Einzelfall nicht zu verschließen, zumal anderenfalls unsere politisch Verantwortlichen dem Sterbetourismus weiter Vorschub leisten würden.

Stellen Sie sich einmal vor: Der schwersterkrankte und sterbende Patient muss um „Asyl zum selbstbestimmten Sterben“ in unseren aufgeklärten europäischen Nachbarländern nachsuchen und im Zweifel bangen, dass für ihn der Grenzübergang zu einem unüberwindbaren Hindernis aufgrund seiner fortgeschrittenen Krankheit wird oder gar verschlossen bleibt, weil unsere Nachbarn dem „Sterbetourismus“ einen Riegel vorschieben.

Keine gute Aussichten, wie ich meine!

Lutz Barth

Aktive Sterbehilfe ausnahmsweise straffrei stellen

Verfasst: 17.10.2010, 07:07
von Sabrina Merck
Guten Morgen,
ich denke, dass wir den Grundsatz, "aktive Sterbehilfe" unter Strafe zu stellen, nicht aufgeben sollten. Das hat Frau Merkel möglicherweise auch gemeint.
Ich kann mir aber durchaus Ausnahmesituationen vorstellen, in denen die Medizin und Pflege keine Hilfe mehr bieten kann. Schmerzen können bekanntlich nicht mehr ausreichend genommen werden. Dann kann der Wunsch / Forderung nach Sterbehilfe laut werden.
Für solche, auf das Selbstbestimmungsrecht gründende Sterbehilfemaßnahmen, ist m.E. eine Sterbehilfe denkbar. Man kann / sollte darüber nachdenken, insoweit eine strafbefreiende Vorschrift zu formulieren. Sie würde den Grundsatz der Strafbarkeit nicht aushebeln, könnte aber im Einzelfall den Bedürfnissen gerecht werden, eine Strafe ausschließen.
Mit sonntäglichen Grüßen
Sabrina Merck

Sterbehilfe und Glaube

Verfasst: 30.10.2010, 18:14
von manu1993
Guten Abend,
ich meine, es ist generell verboten, auch Menschen, die nur mit Hilfe von Maschinen leben können, einfach so sterben zu lassen. Schließlich hat Gott auch ihnen das Leben geschenkt. Alles was von Gott kommt darf nämlich nicht einfach so sterben gelassen werden. Das kann man der Bibel entnehmen (so zum Beispiel in 2. Sam 1,14-16 oder Hiob 6, 9).
Mit vielen Grüßen
Manuela

Sterbehilfe und Glaube

Verfasst: 31.10.2010, 07:12
von Lutz Barth
Guten Morgen, Manu.

Ihr Meinung wird man/frau akzeptieren, wenngleich diese eben sicherlich auch ihren Ursprung in Ihrem persönlichen Glauben findet, den zu glauben Ihnen freilich gestattet ist.

Unabhängig davon, was wir im Zweifel alles in der Bibel an einschlägigen Textpassagen vorfinden und ggf. hieraus Interpretationen ableiten, verbleibt es dabei, dass auch die Bibel das Grundgesetz nicht ersetzt und so gesehen ist entspricht es dem Toleranzprinzip, sich gegenseitig mit seinen unterschiedlichen Meinungen zu respektieren. Hier liegt das eigentliche ethische Dilemma der derzeitigen Diskussion um die Sterbehilfe, da sich insoweit aus dem Recht durchaus verbindliche Maßgaben gewinnen lassen können )man/frau muss nur gewillt sein, sich einem liberalen Verfassungsverständnis zu öffnen).

Gruß Lutz Barth

Patientenwille kann religiöse Überzeugungen beinhalten

Verfasst: 31.10.2010, 18:47
von Sabrina Merck
Hallo,
ich denke, dass aufgrund unserer grundgesetzlichen Werteordnung der Patientenwille zu entscheiden hat. Wenn dieser Wille religiös geprägt ist, kann dies per Erklärung zur Geltung kommen.
Im Rahmen einer Patientenverfügung können auch entsprechende Willensbekundungen festgelegt werden. Soweit Auslegungen geboten erscheinen, sind ergänzende Wertebeschreibung in einer solchen Verfügung wichtig. Der mutmaßliche Wille kann dann leichter erkundet werden - auch unter Berücksichtigung religiöser Wertevorstellungen.
MfG Sabrina

Wenn unheilbar kranke Patienten vorzeitig sterben wollen

Verfasst: 03.11.2010, 07:49
von Presse
Sterbehilfe
Wenn unheilbar kranke Patienten vorzeitig sterben wollen


Manche Patienten, die unheilbar erkrankt sind, haben den Wunsch nach einem vorzeitigen Tod. Seit den 1970er und 1980er Jahren wird der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe in medizinischen, naturwissenschaftlichen und ethischen Zeitschriften diskutiert. Doch erst in den 1990er Jahren wurden erste systematische Untersuchungen dazu vorgenommen. Darauf macht die Arbeitsgruppe um Diplom-Psychologin Stephanie Stiel vom Universitätsklinikum der RWTH Aachen in ihrem CME-Beitrag zum Wunsch nach vorzeitigem Lebensende aufmerksam.
.... (mehr)
http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirt ... sid=626917

Interessenvertretung

Verfasst: 03.11.2010, 11:20
von johannes
Lutz Barth schreibt:

"da sich insoweit aus dem Recht durchaus verbindliche Maßgaben gewinnen lassen können )man/frau muss nur gewillt sein, sich einem liberalen Verfassungsverständnis zu öffnen)."

Sehe ich darin den Anspruch eines Menschen, keine Ordnung über der des Menschen anzuerkennen?

Das Recht - hier das übergeordnete Recht von Gott - stellt durchaus einen verbindlichen Maßstab dar. Doch dieses wollen Sie offensichtlich nicht anerkennen.

Sie reduzieren Recht auf das Recht menschlicher Entscheidung. Dabei beachten Sie nicht, daß Sie das Recht, welches Sie für liberale Menschen einfordern, die sich nicht um ein höheres Recht scheren, jenen absprechen, die sich auf ein höheres Recht berufen.

Recht auf menschlicher Ebene kann kein Recht sein, bestenfalls Interessenvertretung!

Sie machen damit Recht manipulierbar, unzuverlässig, ja tödlich. Es bringt immer nur das Recht des Stärkeren zum Ausdruck. Minderheiten haben darin keinen Platz mehr. Ein solches Recht mag wohl verlockend sein für jene, die sich als die Stärkeren fühlen.

Wenn ein Mensch seinem Leben ein Ende setzen will, weil er glaubt, dieses Recht zu haben - wer will ihn daran hindern? Dritte in diesen Akt per Rechtsverordnung einbinden zu wollen geht über das Maß des Notwendigen hinaus.

Verehrter Johannes...

Verfasst: 03.11.2010, 14:45
von Lutz Barth
dass sehen Sie durchaus richtig!

Ich bin kein Verfechter des Naturrechts und ich neige dabei nicht dazu, mich persönlich eines Schöpfers anzuvertrauen, auf dessen Gnade ich angewiesen bin und dessen Sohn für uns sein Leben gegeben hat so wie ich eben in meiner Erziehung davon Abstand genommen habe, den "Weihnachtsmann" für irgendwelche Verfehlungen der Kinder instrumentalisieren zu wollen.
Gleichwohl akzeptiere ich die Werthaltung der Gläubigen so wie ich den Anspruch darauf erhebe, eben nicht "glauben" zu müssen. Dies ist die Kernbotschaft auch unseres Grundgesetzes, mag dieses auch seine christlichen "Wurzeln" nicht verleugnen können und insofern ist gerade unsere geschriebene Verfassung ein gelungener Kompromiss, bei dem es entscheidend darauf ankommt, gegenseitige Toleranz zu üben - eine Toleranz, die individualrechtlich abgesichert und zum allgemeinen normativen Prinzip erhoben worden ist.

Würde diese Erkenntnis Allgemeingut werden, müssten gerade Ethiker und freilich auch namhafte Theologen jedenfalls zur Einsicht gelangen, dass wir nicht (!) dem Herrn leben oder sterben.

Der Wertediskurs wird zunehmend durch eine manchmal unerträglich empfundene Klerikalisierung belastet und führt somit nicht weiter, wie sich eindrucksvoll an manchen unsäglichen ethischen Grundsatzpositionen namhafter Ethiker ablesen lässt!

Verfasst: 03.11.2010, 18:07
von johannes
Sehr geehrter Herr Barth,

es scheint, daß wir einen gemeinsamen Nenner gefunden haben. Doch auch wenn Sie mir zustimmen, bin ich nicht ganz überzeugt davon, daß Ihre Zustimmung meiner Zentralaussage gilt:

"Recht auf menschlicher Ebene kann kein Recht sein, bestenfalls Interessenvertretung!"

Die Beziehung des Menschen zu Gott war nach meiner Kenntnis immer schon eine gespaltene. Bereits aus einer Zeit vor mehr als 3.000 Jahren ist uns die Herausforderung des Menschen bekannt:

"Wer ist der Gott, dem ich gehorchen müßte?"

Dem Menschen ist es überlassen, zwischen Leben und Tod zu wählen - mit den daraus resultierenden Folgen. Das ist meiner Meinung nach auch gut so. Leider wollen viele die Folgen ihres Handelns dann aber doch wieder jemand anders aufbürden.

Hier - bei der aktiven Sterbehilfe, um bei dieser Terminologie zu bleiben - geht es allerdings nicht um eine Entscheidung eines Menschen für sich, sondern um eine Entscheidung über andere. Da kann und darf es keine Legalisierung geben. Dies würde Mißbrauch zur Durchsetzung vordergründiger Interessen Einzelner gegen andere nur Tür und Tor öffnen. Sehr schnell würde aus einem "Du darfst" ein "Du mußt" werden. Sehr schnell gibt es dann jene, die selbstherrlich über lebenswert und lebensunwert entscheiden wollen - und wenn sie an der Macht sind, dies auch tun.

Wenn Sie also, wie Sie schreiben, "die Wertehaltung der Gläubigen akzeptieren", damit Ihrer Wertehaltung gleichstellen, kann es keine gesetzliche Verpflichtung zu einem begleitenden Suizid geben.

Ich denke, daß bei dieser Diskussion auch und gerade die Berechtigung zu einer künstlichen - maschinellen oder medikamentösen - Lebensverlängerung, die meist nur eine Leidensverlängerung darstellen ins Blickfeld zu rücken ist.

Nach meiner Auffassung muß nicht alles, was machbar ist, auch richtig sein, nur weil es machbar ist.

Verehrter Johannes,

Verfasst: 03.11.2010, 18:50
von Lutz Barth
nun Ihr Unbehagen ist nicht ganz unberechtigt.

Mal abgesehen davon, dass ich es durchaus spannend finde, aus den theologischen Grundpositionen Folgerungen für die Handlungen der gläubigen Christen trotz meiner religionskritischen Haltung abzuleiten, neige ich der Auffassung zu, dass Recht und freilich damit auch das Verfassungsrecht jedenfalls durch den Menschen weitestgehend frei kreiert werden kann und zwar in den Grenzen, die von den sog. Staatsfunadamentalnormen gesetzt werden.

Neben der Würde des Menschen erblicke ich in der prinzipiellen Handlungsfreiheit des Individuums einen verfassungsrechtlichen Höchstwert, der nun allerdings nicht in die Beliebigkeit der subjektiven Grundrechtsträger gestellt ist.
Ich setze bei dem Norminhalt an und in diesem Sinne ergibt sich für mich nicht das Problem, dass Sie angesprochen haben: Aktive Sterbehilfe kann nur in Form eines Wunsches an einen Dritten (m.E. vorzugsweise an den Arzt und nur bei einem noch näher zu bestimmenden Krankeitspanorama mit infausten Prognosen) herangetragen werden, ohne dass sich hieraus eine Pflicht konstruieren ließe.
Allerdings - und dies gebe ich bereitwillig zu - ergibt sich derzeit für mich "nur" eine einzige Konfliktsituation und zwar für den Fall, dass sich hierzulande keine Ärztin oder Arzt finden ließe, die es mit ihrem Gewissen vereinbaren können, an einem freiwilligen Suizid ärztlich mitzuwirken. Dieser Fall ist zwar theoretisch, da immerhin mehr als ein Drittel der verfassten Ärzteschaft für eine Liberalisierung eintreten, aber um der Redlichkeit willen muss dieser Frage dogmatisch nachgegangen werden. Nun - ich bin zwar noch nicht ganz entschieden, aber da ich prinzipiell nicht mit der herrschende Lehre übereinstimme, wonach etwa die Würde des Menschen nicht der Abwägung zugänglich sei und ich ein grundrechtliches Schutzpflichtkonzept des Staates favorisiere, wäre es dann in dem theoretisch anzunehmenden Fall wohl eine Verpflichtung des Staates, jedenfalls die Möglichkeit zur ärztlichen Suizidbeihilfe auch in aktiver Form dergestalt zu eröffnen, in dem der schwerkranke oder sterbende Patient durch ausländische Ärzte begleitet werden können und zwar auch in häuslicher Umgebung.

Den befürchteten "Dammbruch" sehe ich nicht, mal ganz davon abgesehen, dass dieser aus rechtsethischer Persepktive zunächst auch keine entscheidende Rolle spielt; im Übrigen ein Umstand, der beharrlich von den Medizinethikern nicht gesehen wird.

Mit freundlichen Grüßen und Dank für den angenehmen Dialog.
Lutz Barth

Gegen die Freigabe der "aktiven Sterbehilfe"

Verfasst: 04.11.2010, 07:55
von johannes
Sehr geehrter Herr Barth,

ich stimme Ihnen zu, daß Menschen das Recht - auch das Verfassungsrecht - de facto frei kreieren. Da dies von den jeweiligen Staatsfundamentalnormen maßgeblich beeinflußt wird, finden wir in allen Völkern unterschiedliche Rechtsnormen. Hierbei ist festzustellen, daß wir in unserer vorgeblich so fortschrittlichen Rechtsauffassung befindlichen Europäer uns maßlos aufregen können über die Rechtsauffassungen z. B. im Iran, Irak, Afghanistan - muslimischen - oder auch in den ehemals kommunistischen Staaten.

Ist es nicht sonderbar, daß wir jenen nicht die gleiche Kompetenz zugestehen wollen, die wir uns genehmigen? Mit der gleichen Selbstgefälligkeit ist unsere Gesellschaft immer wieder darum bemüht, ein christlich fundiertes Rechtsverständnis in Frage, wenn nicht gar ad absurdum zu stellen. Damit offenbart sich doch letztlich, daß gerade die herrschende Lehre das bestimmende Element ist.

Dadurch, daß Sie Recht der freien menschlichen Entscheidung zugestehen, stellen Sie es gerade in die Beliebigkeit der subjektiven Grundrechtsträger. Dies hat nicht nur die Geschichte - auch die deutsche Geschichte - gezeigt, dies zeigt sich auch heute noch in den unterschiedlichen Rechtsgebilden dieser Welt. Wer an der Macht ist bestimmt, was Recht und Unrecht ist.

Ich orientiere mich an einer höheren Ordnung, die ja nicht unbekannt ist, um auf diese Weise eine für alle Menschen gleich verbindliche Rechtsordnung ins Feld zu führen. Diese Ordnung wäre - würde sie denn Beachtung finden - über alle Staatsgrenzen hinweg für alle Menschen eine verläßliche Grundlage. Ich bin mir sehr wohl bewußt, daß dies ein Ideal ist, das wohl schwerlich zu erreichen sein wird.

Um zurück zu kommen auf die "aktive Sterbehilfe", sehe ich sehr wohl auch in Bezug auf den Norminhalt unseres Grundgesetzes ein Problem, das sich vielleicht noch nicht heute offenbart, aber doch in greifbare Nähe rückt. Berücksichtigen wir, daß wir schon einmal eine Demokratie in Deutschland hatten, in der die Norminhalte der Grundrechte unbestritten waren. Wie schnell jedoch wurde die Demokratie abgelöst durch eine Diktatur, die sich nichts um Norminhalte scherte? Sag niemals nie! Das lehrt uns die Geschichte.

Es mag Ihr Wunsch sein, daß

"aktive Sterbehilfe nur in Form eines Wunsches an einen Dritten (m.E. vorzugsweise an den Arzt und nur bei einem noch näher zu bestimmenden Krankeitspanorama mit infausten Prognosen) herangetragen werden kann."

Wer aufmerksam gerade die Veröffentlichungen in Bezug Sterbehilfe aus den als fortschrittlich bezeichneten Leitkulturen Niederlande, Schweiz, Belgien, Frankreich verfolgt, wird schnell feststellen, wie schnell sich Gesetze ändern lassen. Waren es dort anfangs tatsächlich nur jene, die den Wunsch hatten, ihrem Leben ein vorzeitiges Ende zu setzen, wird heute bereits von Dritten mit eben staatlicher Genehmigung über lebenswertes und lebensunwertes Leben entschieden. Die Fakten sind bereits geschaffen! Euthanasie, rückblickend auf das Dritte Reich, mit Abscheu verworfen, ist gesellschaftsfähig geworden.

Nachrichten haben heute den Nachteil, daß sie kurzlebig sind und schnell in Vergessenheit geraten. So hat der Berater des letzten französischen Präsidenten öffentlich verlauten lassen, daß

"Euthanasie das Mittel der Zukunft sein wird, die sozialen Probleme unserer Gesellschaft zu lösen". Sie haben Recht, daß das noch kein Dammbruch ist. Aber Politiker haben eine gefährliche Eigenart. Worüber sie nachdenken, vor allem wenn sie dies laut tun, wird irgendwann einmal zu Gesetz! Ich gehe zwar davon aus, daß ich (62) das nicht mehr erleben werde, aber sicher ist das nicht.

Ich habe gute Gründe, mich gegen die Freigabe der "aktiven Sterbehilfe" zu wenden, auch wenn mir klar ist, daß sie kommen wird. Und wie Sie schon richtig sagen, derzeit sind - offiziell - erst 1/3 der Mediziner für die aktive Sterbehilfe. Aber in 5 Jahren wird das Verhältnis nach meiner Einschätzung sehr viel anders aussehen.

Mit freundlichen Grüßen

Johannes Paetzold

Verehrter Johannes,

Verfasst: 04.11.2010, 09:39
von Lutz Barth
ich kann Ihre Bedenken sehr gut nachvollziehen. Ich persönlich setze allerdings auf das "Wächteramt" - namentlich das BVerfG -, wenn es darum geht, einer "demokratisch" legitimierten Euthanasie, die im vermeintlichen gesellschaftlichen Wohl zu liegen scheint, tatsächlich salonfähig zu machen. Nach dem hiesigen Verfassungsverständnis und gerade mit Blick auf die unverrückbare Position des BVerfG in dieser Frage ist dies ausgeschlossen.

Freilich haben Sie recht, wenn Sie auf die Absurdität der Intention mancher gesellschaftlicher Gruppen hinweisen, die ständig bemüht sind, einen ewigen Feldzug gegen das Christentum zu führen. Dies hat m.E. wenig mit fundierter Religionskritik gemein, denn wenn wir alle redlich sein wollen, müssen wir die Grundrechte insgesamt ernst nehmen. Problematisch wird es freilich dann, wenn gewisse Divergenzen offenbar werden. Aber auch dies ist insofern zunächst unproblematisch, weil diese nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz aufzulösen sind.

Natürlich soll man/frau niemals "nie" sagen, aber ich setze hier ganz auf unsere freiheitliche Verfassungsordnung, die sich im Kern gegenüber "Diktaturen" - auch solche aus ethisch und moralisch überzeugender Natur - verfassungsfest zeigt.

Ich weiß, dass dies eine ungeheure These ist: Aber ich denke, dass berufsspezifische Sonderwege in der Ethik sich mehr aus einem Herrschaftswillen auszeichnen, denn durch eine gebotene Toleranz. Auch wenn der Begriff "Diktatur" natürlich in einem bestimmten Sinne verwendet wird, so sind ihre Folgen allerdings in einer "Wertediskussion", die den Anspruch einer Diskursethik genügen will, unübersehbar: Der Gewährleistungbereich einer individuellen Gewissensentscheidung wird nahezu auf Null reduziert und so gesehen erweist sich dann eine Sonderethik als probates Herrschaftsinstrument einiger weniger selbsternannter Experten, die allerdings insoweit ihren Expertenstatus nicht gerecht werden, weil diese nicht empfänglich für Impulse aus anderen Wissenschaftsdisziplinen sind.

Ich möchte es einmal so ausdrücken: Aus meinen Verständnis einer liberalen Verfassungsinterpretation heraus wäre es mir nicht möglich, einen "Glaubenskrieg" gegen die gläubigen Christen zu führen, geschweige denn diese in einer wichtigen Debatte zu diskriminieren, mit anderen Worten: Sofern Sie sich an einer höheren Ordnung orientieren, ist dies nicht nur legitim, sondern auch verfassungsrechtlich garantiert und dies zu akzeptieren, ist ein Gebot der Toleranz.

Wir alle müssen aber aufpassen, nicht allzusehr die aktive Rolle von wahrhaftigen "Überzeugungstätern" einzunehmen, denen es zuvörderst darauf ankommt, unter dem Tarnmäntelchen einer wohlmeinenden Ethik eine handfeste Gesinnungsethik anzupreisen, aus der es kein Entrinnen mehr gibt.
Es gibt halt Bereiche, in dem ein ethischer Generalkonsens zwar möglich, aber nicht immer erforderlich ist: Entscheidend ist, dass er keinesfalls einer demokratischen Legitimation bedarf und genau ein solcher Fall liegt der Wertedebatte um das selbstbestimmte Sterben und der ärztlichen Suizidbeihilfe zugrunde.
Wenn Sie so wollen, verehrter Herr Paetzold, hat die Charta zur Betreuung schwerkranker und sterbende Menschen durchaus etwas Bedrohliches für mich: Die Charta wird aufgrund einer Selbstverpflichtung mit all seinen Implikationen von den Unterzeichnenden internalisiert und zementiert so eine ethische Werthaltung, die sich aus meiner Sicht nicht durch eine gebotene Toleranz auszeichnet.

Nun - dies mag anders gesehen oder gewertet werden: Aber ich streite für das Selbstbestimmungsrecht mit all seinen Implikationen und akzeptiere freilich auch all diejenigen, die sich einer höheren Ordnung verpflichtet wissen und - dies ist ganz entscheidend - hieraus auch Kraft und Zuversicht schöpfen können. Ein schöne Vorstellung aus der Sicht derjenigen, die da meinen und glauben können, was ihnen verheißen wird.

Herzliche Grüße aus dem hohen und leider verregnerischten Norden.

Lutz Barth

Auswüchsen stand halten

Verfasst: 04.11.2010, 13:30
von johannes
Nochmals ich

Ich danke für den interessanten Disput. Hoffen wir, daß unsere Verfassung und unser Verfassungsgericht stabil genug bleiben, Auswüchsen, wie wir sie schon einmal hatten, stand zu halten.

Herzlichst

Johannes Paetzold