Lebenserhaltung als Haftungsgrund - Buchtipp!
Verfasst: 19.09.2010, 14:09
Petra Baltz
Lebenserhaltung als Haftungsgrund
1. Aufl. - Berlin : Springer Berlin, 2010. - XV, 298 S. - (MedR Schriftenreihe Medizinrecht)
„In der Arbeit wird untersucht, unter welchen Voraussetzungen die Erhaltung menschlichen Lebens Schadensersatzansprüche desjenigen begründet, der - einstweilig - am Leben erhalten wird.
Diese möglicherweise befremdlich anmutende Fragestellung ergibt sich aus der Existenz des Patientenrechts auf Selbstbestimmung, das auch die Ablehnung lebenserhaltender Maßnahmen umfasst.
Nach Darstellung der strafrechtlichen Rahmenbedingungen und der arzthaftungsrechtlichen Grundlagen wird unter Berücksichtigung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29.7.2009 erläutert, wer in welcher Situation nach welchem Maßstab die Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme lebenserhaltender Maßnahmen zu treffen hat.
Anschließend wird anhand verschiedener Fallkonstellationen geprüft, inwieweit lebenserhaltende Maßnahmen bei Sterbenden, tödlich Kranken, Wachkomapatienten, Suizidwilligen und Patienten, die aus religiösen Gründen eine vital indizierte Behandlung ablehnen, Schadensersatzansprüche auslösen.“
Diese kurze, aber gleichwohl prägnante Inhaltsangabe findet sich auf der Rückseite des Buchcovers und lässt den/die zunächst noch unbefangen LeserInnen erahnen, welch scheinbar seltsam anmutendes Themas sich die Autorin Petra Baltz angenommen hat.
Der Titel „Lebenserhaltung“ als Haftungsgrund muss in einer Zeit der aufgeregten Ethikdebatten inmitten eines vielleicht als historisch geltenden Wertediskurses nicht nur nachdenklich stimmen, sondern vielleicht auch über Gebühr strapazieren: Der Begriff der „Lebenserhaltung“ ist in der Tat ein zunächst überwiegend positiv besetzter Begriff und muss zwangsläufig zu Irritationen führen, wenn insbesondere diejenigen Fälle näher untersucht werden, in denen der Menschen resp. Patienten eine Erhaltung ihres Lebens nicht wünschen.
Die Autorin Petra Baltz konnte sich diesem Thema ersichtlich unvoreingenommen annehmen, handelt es sich doch bei ihrem vorgelegten Werk um die aktualisierte Fassung ihrer Dissertation, die der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg im Sommersemester 2009 vorgelegen hat und von daher konnte sie losgelöst von einem „Kulturkampf“ um die Würde schwersterkrankter und sterbewilliger Patienten ihre Arbeit rechtswissenschaftlich entfalten und hierbei Akzente setzen.
Nun möchte ich mich hier als Rezensent in der Frage der Bewertung des Buches, wie es allgemein üblich ist und hier vielleicht auch erwartet wird, bescheiden, geht es doch ausnahmslos um die Dogmatik, die die Autorin einerseits dargestellt und andererseits weiter entfaltet hat, um sich anschließend dogmatisch in der Frage nach der „Lebenserhaltung als Haftungsgrund“ positionieren zu können.
Dieses Vorhaben war, ist und bleibt auch weiterhin anspruchsvoll, ist doch die Diskussion innerhalb der Rechtswissenschaft in dieser Frage beileibe nicht abgeschlossen und da kommt der überarbeiteten Dissertation von Petra Baltz ohne Frage das Verdienst zu, neben ihrer dogmatischen Sichtweise zugleich auch die dazu vertretenen Rechtauffassungen in ihrer Vielfalt knapp und präzise dargestellt zu haben, um im Nachgang hieran ihre eigenen Schlüsse ziehen zu können.
Freilich gäbe es in der einen oder anderen Frage Diskussionsbedarf und nun darf man/frau nicht erwarten, dass „fertige Lösungen“ präsentiert werden, auf die sich ein allgemein gültiger Konsens gründen ließe.
In diesem Sinne ist die überarbeitete Dissertation ein hervorragendes Argument für die „Leistungsfähigkeit“ der Rechtswissenschaft schlechthin, in der es um einen „Wettbewerb um das bessere Argument“ geht und auch einen ganz entscheidenden Beitrag zur Befriedung einer Wertedebatte leisten kann, die leider allzu häufig von der Ethik als Wissenschaftsdisziplin dominiert wird und so das „Recht“ ins Hintertreffen gerät, sehen wir einmal von zentralen Einzelfallentscheidungen der Gerichte ab, die in der Öffentlichkeit auf besonderes Interesse stoßen.
Das Buch widmet sich zentralen Fragen der strafrechtlichen Vorgaben zur Sterbehilfe, den Grundlagen der Haftung für die medizinische Behandlung, den rechtlichen Implikationen bei der Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen auch mit Blick auf solche bei Sterbenden, unheilbar Kranken und anhaltend bewusstlosen Patienten und allein dieser Themenkomplex lässt erahnen, wie inhaltsreich die Dissertation angelegt ist, zumal aus verschiedener Perspektive die zivilrechtlichen und (!) strafrechtlichen Ansätze intensiv beleuchtet werden.
Der lebensrettenden Bluttransfusion ohne die Einwilligung des heilungsfähigen Patienten – u.a. illustriert an der Entscheidung des OLG München v. 31.01.2002 im Falle einer Bluttransfusion bei einer Zeugin Jehovas – und der Rettung eines Suizidenten sind weitere Einzelkapitel gewidmet, ohne dass hier allerdings der Eindruck entsteht, als stünden diese isoliert neben den vorangegangen Kapiteln, in denen vorbildliche „Grundlagenarbeit“ von der Autorin geleistet wurde.
Allerdings soll mit dem diesseitigen Hinweis auf die „Grundlagenarbeit“ keinesfalls der Eindruck vermittelt werden, als handele es sich hierbei um „leichte“ bzw. „seichte Kost“, die den interessierten Leser gleichsam auf eine „Reise“ mitnimmt, an deren Ende man/frau sich entspannt in den Sessel zurücklehnen kann, um die Ergebnisse entweder als „richtig“ oder „falsch“ bewerten zu können.
Auch bei der überarbeiteten Fassung handelt es sich nach wie vor um eine rechtswissenschaftliche Dissertation, die den einen oder anderen Diskutanten zur kritischen Reflexion einlädt, ja sogar einladen muss und von daher bin ich der festen Überzeugung, dass uns das Werk von Frau Baltz auch künftig in den noch bevorstehenden Debatten über die Sterbehilfe im Allgemeinen und der ärztlichen Suizidassistenz im Besonderen buchstäblich begegnen wird, zumal es ihr gelungen ist, die hiermit zusammenhängenden Probleme in einen zivil- und strafrechtlichen Kontext zu stellen und somit sowohl den Straf- und Zivilrechtler auf den „Plan“ rufen dürfte, mal ganz davon abgesehen, dass auch das ärztliche Standesrecht immer mal wieder eine Erwähnung findet und – aus meiner Sicht – auch interessante Rückschlüsse über den Grad der Verbindlichkeit der Arztethik für den einen oder anderen Medizinethiker eröffnet.
Das Buch eignet sich über den juristischen Adressatenkreis hinaus also insbesondere auch für andere Wissenschaftsdisziplinen als wertvolle Lektüre und beim Schreiben dieser Zeilen sah ich mich an einen Titel von E. Steffen erinnert: Mit uns Juristen auf Leben und Tod (2007).
Die überarbeitete Dissertation von Petra Baltz wird diesem „Anspruch“ mehr als gerecht und als durchaus kritischer Zeitgenosse gerade in den Ethikdiskursen der Moderne darf ich festhalten, dass Frau Baltz mehr als nur ein „qualifiziertes Zeugnis“ darüber abgelegt hat, dass jedenfalls auch die Sterbehilfe-Debatte aus juristischer Perspektive beileibe keine „Hobbyphilosophie“ ist.
Die Dissertation kann ich uneingeschränkt zum näheren Studium empfehlen und ich möchte hier – dies mag nun ein wenig ungewöhnlich für eine Rezension sein – der Autorin Petra Baltz ein aufrichtiges Kompliment für ihre hervorragende Arbeit aussprechen. Eine für mich durchweg gelungene und vor allem auch in die Tiefe gehende Aufarbeitung der rechtswissenschaftlichen Diskussionsgrundlagen im Rahmen der Sterbehilfe-Debatte.
Es gibt aus meiner Sicht keine Kritik, die ich zu üben hätte und selbst dort, wo ich eine andere Lösung favorisieren würde, schweige ich dezent, zumal sich später einmal die Gelegenheit bieten dürfte, auf das eine oder andere Argument der Autorin näher einzugehen.
Lutz Barth
Lebenserhaltung als Haftungsgrund
1. Aufl. - Berlin : Springer Berlin, 2010. - XV, 298 S. - (MedR Schriftenreihe Medizinrecht)
„In der Arbeit wird untersucht, unter welchen Voraussetzungen die Erhaltung menschlichen Lebens Schadensersatzansprüche desjenigen begründet, der - einstweilig - am Leben erhalten wird.
Diese möglicherweise befremdlich anmutende Fragestellung ergibt sich aus der Existenz des Patientenrechts auf Selbstbestimmung, das auch die Ablehnung lebenserhaltender Maßnahmen umfasst.
Nach Darstellung der strafrechtlichen Rahmenbedingungen und der arzthaftungsrechtlichen Grundlagen wird unter Berücksichtigung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29.7.2009 erläutert, wer in welcher Situation nach welchem Maßstab die Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme lebenserhaltender Maßnahmen zu treffen hat.
Anschließend wird anhand verschiedener Fallkonstellationen geprüft, inwieweit lebenserhaltende Maßnahmen bei Sterbenden, tödlich Kranken, Wachkomapatienten, Suizidwilligen und Patienten, die aus religiösen Gründen eine vital indizierte Behandlung ablehnen, Schadensersatzansprüche auslösen.“
Diese kurze, aber gleichwohl prägnante Inhaltsangabe findet sich auf der Rückseite des Buchcovers und lässt den/die zunächst noch unbefangen LeserInnen erahnen, welch scheinbar seltsam anmutendes Themas sich die Autorin Petra Baltz angenommen hat.
Der Titel „Lebenserhaltung“ als Haftungsgrund muss in einer Zeit der aufgeregten Ethikdebatten inmitten eines vielleicht als historisch geltenden Wertediskurses nicht nur nachdenklich stimmen, sondern vielleicht auch über Gebühr strapazieren: Der Begriff der „Lebenserhaltung“ ist in der Tat ein zunächst überwiegend positiv besetzter Begriff und muss zwangsläufig zu Irritationen führen, wenn insbesondere diejenigen Fälle näher untersucht werden, in denen der Menschen resp. Patienten eine Erhaltung ihres Lebens nicht wünschen.
Die Autorin Petra Baltz konnte sich diesem Thema ersichtlich unvoreingenommen annehmen, handelt es sich doch bei ihrem vorgelegten Werk um die aktualisierte Fassung ihrer Dissertation, die der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg im Sommersemester 2009 vorgelegen hat und von daher konnte sie losgelöst von einem „Kulturkampf“ um die Würde schwersterkrankter und sterbewilliger Patienten ihre Arbeit rechtswissenschaftlich entfalten und hierbei Akzente setzen.
Nun möchte ich mich hier als Rezensent in der Frage der Bewertung des Buches, wie es allgemein üblich ist und hier vielleicht auch erwartet wird, bescheiden, geht es doch ausnahmslos um die Dogmatik, die die Autorin einerseits dargestellt und andererseits weiter entfaltet hat, um sich anschließend dogmatisch in der Frage nach der „Lebenserhaltung als Haftungsgrund“ positionieren zu können.
Dieses Vorhaben war, ist und bleibt auch weiterhin anspruchsvoll, ist doch die Diskussion innerhalb der Rechtswissenschaft in dieser Frage beileibe nicht abgeschlossen und da kommt der überarbeiteten Dissertation von Petra Baltz ohne Frage das Verdienst zu, neben ihrer dogmatischen Sichtweise zugleich auch die dazu vertretenen Rechtauffassungen in ihrer Vielfalt knapp und präzise dargestellt zu haben, um im Nachgang hieran ihre eigenen Schlüsse ziehen zu können.
Freilich gäbe es in der einen oder anderen Frage Diskussionsbedarf und nun darf man/frau nicht erwarten, dass „fertige Lösungen“ präsentiert werden, auf die sich ein allgemein gültiger Konsens gründen ließe.
In diesem Sinne ist die überarbeitete Dissertation ein hervorragendes Argument für die „Leistungsfähigkeit“ der Rechtswissenschaft schlechthin, in der es um einen „Wettbewerb um das bessere Argument“ geht und auch einen ganz entscheidenden Beitrag zur Befriedung einer Wertedebatte leisten kann, die leider allzu häufig von der Ethik als Wissenschaftsdisziplin dominiert wird und so das „Recht“ ins Hintertreffen gerät, sehen wir einmal von zentralen Einzelfallentscheidungen der Gerichte ab, die in der Öffentlichkeit auf besonderes Interesse stoßen.
Das Buch widmet sich zentralen Fragen der strafrechtlichen Vorgaben zur Sterbehilfe, den Grundlagen der Haftung für die medizinische Behandlung, den rechtlichen Implikationen bei der Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen auch mit Blick auf solche bei Sterbenden, unheilbar Kranken und anhaltend bewusstlosen Patienten und allein dieser Themenkomplex lässt erahnen, wie inhaltsreich die Dissertation angelegt ist, zumal aus verschiedener Perspektive die zivilrechtlichen und (!) strafrechtlichen Ansätze intensiv beleuchtet werden.
Der lebensrettenden Bluttransfusion ohne die Einwilligung des heilungsfähigen Patienten – u.a. illustriert an der Entscheidung des OLG München v. 31.01.2002 im Falle einer Bluttransfusion bei einer Zeugin Jehovas – und der Rettung eines Suizidenten sind weitere Einzelkapitel gewidmet, ohne dass hier allerdings der Eindruck entsteht, als stünden diese isoliert neben den vorangegangen Kapiteln, in denen vorbildliche „Grundlagenarbeit“ von der Autorin geleistet wurde.
Allerdings soll mit dem diesseitigen Hinweis auf die „Grundlagenarbeit“ keinesfalls der Eindruck vermittelt werden, als handele es sich hierbei um „leichte“ bzw. „seichte Kost“, die den interessierten Leser gleichsam auf eine „Reise“ mitnimmt, an deren Ende man/frau sich entspannt in den Sessel zurücklehnen kann, um die Ergebnisse entweder als „richtig“ oder „falsch“ bewerten zu können.
Auch bei der überarbeiteten Fassung handelt es sich nach wie vor um eine rechtswissenschaftliche Dissertation, die den einen oder anderen Diskutanten zur kritischen Reflexion einlädt, ja sogar einladen muss und von daher bin ich der festen Überzeugung, dass uns das Werk von Frau Baltz auch künftig in den noch bevorstehenden Debatten über die Sterbehilfe im Allgemeinen und der ärztlichen Suizidassistenz im Besonderen buchstäblich begegnen wird, zumal es ihr gelungen ist, die hiermit zusammenhängenden Probleme in einen zivil- und strafrechtlichen Kontext zu stellen und somit sowohl den Straf- und Zivilrechtler auf den „Plan“ rufen dürfte, mal ganz davon abgesehen, dass auch das ärztliche Standesrecht immer mal wieder eine Erwähnung findet und – aus meiner Sicht – auch interessante Rückschlüsse über den Grad der Verbindlichkeit der Arztethik für den einen oder anderen Medizinethiker eröffnet.
Das Buch eignet sich über den juristischen Adressatenkreis hinaus also insbesondere auch für andere Wissenschaftsdisziplinen als wertvolle Lektüre und beim Schreiben dieser Zeilen sah ich mich an einen Titel von E. Steffen erinnert: Mit uns Juristen auf Leben und Tod (2007).
Die überarbeitete Dissertation von Petra Baltz wird diesem „Anspruch“ mehr als gerecht und als durchaus kritischer Zeitgenosse gerade in den Ethikdiskursen der Moderne darf ich festhalten, dass Frau Baltz mehr als nur ein „qualifiziertes Zeugnis“ darüber abgelegt hat, dass jedenfalls auch die Sterbehilfe-Debatte aus juristischer Perspektive beileibe keine „Hobbyphilosophie“ ist.
Die Dissertation kann ich uneingeschränkt zum näheren Studium empfehlen und ich möchte hier – dies mag nun ein wenig ungewöhnlich für eine Rezension sein – der Autorin Petra Baltz ein aufrichtiges Kompliment für ihre hervorragende Arbeit aussprechen. Eine für mich durchweg gelungene und vor allem auch in die Tiefe gehende Aufarbeitung der rechtswissenschaftlichen Diskussionsgrundlagen im Rahmen der Sterbehilfe-Debatte.
Es gibt aus meiner Sicht keine Kritik, die ich zu üben hätte und selbst dort, wo ich eine andere Lösung favorisieren würde, schweige ich dezent, zumal sich später einmal die Gelegenheit bieten dürfte, auf das eine oder andere Argument der Autorin näher einzugehen.
Lutz Barth