Alternativ-Charta sinnvoll!?

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

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Lutz Barth
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Alternativ-Charta sinnvoll!?

Beitrag von Lutz Barth » 09.09.2010, 08:28

Alternativ-Charta zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland (!?)

Kernthese:

Wir werden uns dafür einsetzen, dass ein freiverantwortliches Sterben unter würdigen Bedingungen ermöglicht wird und hierbei insbesondere dafür eintreten, dass den Bestrebungen nach einer ärztlichen Suizidbegleitung durch eine ethische Perspektive der Selbstbestimmung der schwersterkrankten und sterbender Patienten unter Respektierung der Gewissensfreiheit der Ärzteschaft abgesichert wird, ohne dass es gilt, einen nicht vorhandenen Widerspruch zwischen Palliativmedizin resp. hospizlicher Begleitung und ärztlicher Suizidbegleitung auflösen zu müssen, wobei im Einzelfall auch ein „aktives“ Tun der Ärzteschaft ermöglicht wird, wenn und soweit der Suizident nicht in der Lage ist, die Tathandlung selbst auszuüben.

Der freiverantworltliche Wille des Suizidenten ist gegenüber einer palliativmedizinischen Ethik und einem hierauf sich gründenden Werteverständnis dergestalt prioritär und stets zu akzeptieren, als dass der intraprofessionellen Standesethik durch die Gewissensentscheidung der Ärztinnen und Ärzte eine echte Grenze gezogen wird und die ärztliche Suizidassistenz regelmäßig dann zulässig ist, wenn und soweit hierüber in einem vertrauensvollen Gespräch zwischen dem schwersterkrankten und ggf. sterbenden Patienten und den ihn behandelnden Arzt Einvernehmen hergestellt worden ist, zumal das Selbstbestimmungsrecht des Patienten mit Blick auf den Wunsch nach einer ärztlichen Suizidbegleitung nicht zur Fremdbestimmung über die Ärztinnen und Ärzte führt.

Die „Tötung durch Verlangen“ schwersterkrankter und sterbender Menschen bedarf der weiteren Liberalisierung, sofern der Patient nicht in der Lage ist, seine freie Suizidentscheidung qua eigener Handlung in die Tat umzusetzen.


Was meinen Sie? Kann hierüber in unserer Gesellschaft und einschlägigen Fachkreisen Konsens hergestellt werden?

Wenn Sie mögen, können Sie hierzu gerne einen Kommentar in dem BLOG "Ärztliche Assistenz beim Suizd?" abgegeben >>> http://aerztliche-assistenz-beim-suizid ... utschland/
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thorstein
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Beitrag von thorstein » 09.09.2010, 10:47

Sehr geehrter Herr Barth,

was wäre denn nun die Kernthese?

Sie konstatieren einen grundsätzlichen Konflikt zwischen dem Willen von Suizidenten und der palliativmedizinischen Ethik und fragen dann nach einem Konsens?

Nun gibt es "die!" palliativmedizinische Ethik überhaupt? Wurde sie auf einer Steintafel von Gott selbst übergeben und ist jetzt wo zu bewundern?

Für mich stelt sich die Frage allgemeiner: Unter welchen Rahmenbedingungen können wir uns vorstellen, das die Suizidbeihilfe durch Ärzte erlaubt wird? Für solche Rahmenbedingungen einen gesamtgesellschaftlichen Konsens herzustellen, scheint mir gar nicht so schwierig zu sein. Schwierig wird es nur, wenn es grundsätzlich wird.

Grüsse

Lutz Barth
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Kernthese

Beitrag von Lutz Barth » 09.09.2010, 12:26

Verehrter Thorstein,
ich denke, dass sich die "Kernthese" in Form eines Leitsatzes sich nach den kurzen Zeilen aufdrängt: Es handelt sich dabei um Umsetzung eines freiverantwortlichen Suizidwunsches, auch wenn und soweit sich der Schwersterkrankte in palliatimedizinischer oder hospizlicher Betreuung befindet und er nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen in die Tat umzusetzen (mithin also nicht mehr die Tatherrschaft ausüben kann). In diesem Falle würde ein Dritter zur Tat schreiten müssen und zwar in Form einer "aktiven Sterbehilfe"; der Dritte wird also zur Tat bestimmt, wenngleich dieser durchaus die Alternative hat, sich diesem Wunsch des schwersterkrankten Patienten aufgrund seiner individuellen Gewissensentscheidung zu verschließen.

Lesen wir dazu den 1. Leitsatz der nunmehr veröffentlichten Charta, wird deutlich, dass ich diesbezüglich eine diamentral andere Position vertrete, die allerdings m.E. der Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts der Patienten gerecht wird. Die Haltung zu § 216 StGB ist demzufolge zu ändern.

In der Tat gehe ich davon aus, dass die Palliativmedizin im Begriff ist, sich eine "eigene Ethik" zu verordnen. Hierzu haben einige prominente Vertreter etwa der Ethik aber auch der Palliativmedizin bereits gedacht und dieser ethische Ansatz mündet nach diesseitiger Auffassung in einen "ethischen Paternalismus", bei dem die latente Gefahr besteht, dass der schwersterkrankte Patient um des Erfolges der pallitaivmedizinischer Bemühungen willen instrumentalisiert wird. Besonders deutlich wurde dies im Zusammenhang mit der Debatte über das "Ob" einer Patientenverfügung.
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Beitrag von thorstein » 09.09.2010, 13:07

Wir werden uns dafür einsetzen, ein Sterben unter würdigen Bedingungen zu ermöglichen und insbesondere den Bestrebungen nach einer Legalisierung der Tötung auf Verlangen durch eine Perspektive der Fürsorge und des menschlichen Miteinanders entgegenzuwirken. Dem Sterben als Teil des Lebens ist gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.
Sehr geehrter Herr Barth,

ich nehme an, sie beziehen sich auf obiges Zitat. Wenn sie aus dem Selbsbestimmungsrecht einen Rechtsanspruch auf ärztliche Suizidbeihilfe ableiten, brauchen wir ja keine Debatte zu führen. Man darf sich dann nur wundern, dass es diesen Rechtsanspruch nicht längst gibt.
Ich persönlich glaube, dass gerade die Perspektive der Fürsorge und des menschlichen Miteinanders zu einer Legalisierung der Tötung auf Verlangen führen wird. Selbstbestimmung ist dabei eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung.

Grüsse

Lutz Barth
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Rechtsanspruch

Beitrag von Lutz Barth » 09.09.2010, 13:51

Verehrter Thorstein,

dass es keinen Rechtsanspruch auf ärztliche Suizidbeihilfe gibt, darf Sie nicht verwundern, denn einen solchen positivrechtlichen Anspruchs bedarf es nicht.
Entscheidend ist - und hier schließen wir dann wieder die Brücke zur Ethik -, dass die Gegenwartsethik endlich zur Erkenntnis gelangt, dass dem "Selbstbestimmungsrecht" keine weiteren "moralischen Pflichten" auferlegt werden und das ferner das Berufs- und Standesrecht insbesondere der verfassten Ärzteschaft dahingehend zu modifizieren ist, dass nicht über Gebühr ethische Grundrechtsrechtsschranken durch die Ärztefunktionäre generiert werden, die sich dann als unübersteigbare Hürden nicht nur für die Ärzteschaft selbst, sondern auch indirekt für die Patienten erweisen.

Hierzu bedürfte es dann zusätzlich noch einiger Klarstellungen, so etwa im Strafrecht: Wir sollten uns von der "Garantenstellung" der prinzipiell zur Hilfeleistung verpflichteten Ärzte verabschieden, wie im Übrigen ganz aktuell wohl durch die Einstellungsverfügung der StA München I geschehen. Ob dann allerdings eine Suizidassistenz bei Schwersterkrankten bei der Berufsgruppe der Ärzte ausnahmslos verortet werden soll, ist eine noch zu diskutierende Frage.

Ihren "Glauben" an die Perspektive der Fürsorge vermag ich insofern nicht zu teilen, weil jedenfalls einige Ethiker keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass das "Selbstentleibungsverbot" unverändert Geltung beanspruchen soll (ohne zwar ungeachtet einer moralphilosophischen Betrachtung!). Das Letztere allerdings eine nicht unübersteigbare Hürde errichtet hat, dürfte anhand spezifischer katholischer Dogmen unbestreitbar sein.

Überdies überschatten die sog. "Dammbruch-Argumente" den Wertediskurs, obgleich diese nur die Qualität von Argumenten einnehmen sollen, um eine weitere Diskussion entbehrlich machen zu können. Die Lebensschützer-Fraktion weiß um die bescheidene Qualität dieser Argumentation (sozialverträgliches Frühableben etc.) und von daher macht es natürlich Sinn, den Fürsorgecharakter zu betonen, auch wenn hierbei das Selbstbestimmungsrecht und die Gewissensfreiheit der Ärztinnen und Ärzte ausgehöhlt wird.

Dass hier ein Umdenken stattfindet, kann ich nicht erkennen und von daher erscheint es mir zielführender, über die Kategorie des Rechts das Problem zu lösen, da letztlich das Recht und damit auch das Verfassungsrecht zur ethischen Neutralität verpflichtet ist.
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Beitrag von thorstein » 09.09.2010, 14:30

Sehr geehrter Herr Barth,

gerade das Selbsentleibungsverbot und Dammbruchargumente führen doch zum Gegenteil dessen, was damit beabsichtigt wird. Die Debatte um Schwangerschaftsabbrüche wurde auch aus der Gesellschaft heraus entschieden, unabhängig davon, wie die Regelung dann juristisch legitimiert wurde. Und nach wie vor gibt es natürlich entschiedene Gegner dieser Regelung und sicher auch eine Vielzahl an Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich ablehnen. Was spricht gegen eine ähnliche Entwicklung beim Theme Suizidassistenz?
Entscheidend ist - und hier schließen wir dann wieder die Brücke zur Ethik -, dass die Gegenwartsethik endlich zur Erkenntnis gelangt, dass dem "Selbstbestimmungsrecht" keine weiteren "moralischen Pflichten" auferlegt werden
Das scheint mir doch schon bei ganz banalen Fragen nicht richtig zu sein. Sollte ich zum Beispiel beschliessen, mein restliches Leben nackt zu verbringen, bekäme ich doch wohl Probleme, weil die Gesellschaft davon ausgeht, dass in der Öffentlichkeit Kleiderzwang herrscht. Und ich denke,e s handelt sich um eine moralische und nicht um eine ästhetische Pflicht.

Grüsse

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Sterben unter würdigen Bedingungen

Beitrag von Presse » 09.09.2010, 17:36

Jeder Mensch hat ein Recht auf ein Sterben unter würdigen Bedingungen - Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland vorgestellt

Die Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland hat in den vergangenen 25 Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Immer noch aber werden viele Menschen von entsprechenden ambulanten und stationären Angeboten nicht erreicht; sie leiden unter Schmerzen und anderen belastenden Symptomen, wären lieber an einem vertrauten Ort und fühlen sich häufig an ihrem Lebensende alleingelassen.

Die Bedürfnisse schwerstkranker und sterbender Menschen standen im Mittelpunkt eines zweijährigen Arbeitsprozesses, den die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) und die Bundesärztekammer (BÄK) im September 2008 in Gang gesetzt hatten. Rund 50 gesellschaftlich und gesundheitspolitisch relevante Institutionen haben jetzt am Runden Tisch die „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen“ verabschiedet.

„Das Thema Sterben gehört zum Leben, es darf nicht verdrängt oder ausgeklammert werden, sondern gehört in die Mitte der Gesellschaft“, hob Prof. Dr. Christof Müller-Busch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, bei der Vorstellung der Charta in Berlin hervor. „Trotz aller medizinischen Fortschritte und Aussichten, das Leben länger und besser zu gestalten, müssen wir uns auch vergegenwärtigen, dass in Deutschland über 800 000 Menschen, das ist ein Prozent der Bevölkerung, jährlich sterben - und dies unter ganz unterschiedlichen Bedingungen. Weder in der Gesundheits- noch in der Sozialpolitik, weder bei den Bildungsausgaben noch in der öffentlichen Kommunikation wird ein Sterben in Würde, werden Tod und Trauer explizit bzw. angemessen berücksichtigt.“

„Die Charta soll dazu beitragen, die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Themen Sterben und Sterbebegleitung zu fördern. Sie soll eine grundlegende Orientierung und ein wichtiger Impuls für die Weiterentwicklung der Palliativmedizin sein“, sagte Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer. Es gehe darum aufzuzeigen, wie eine Palliativversorgung aussehen muss, die sich nach den tatsächlichen Bedürfnissen unheilbar kranker und sterbender Menschen richtet. „Wir Ärztinnen und Ärzte setzen uns dafür ein, Schwerstkranken und Sterbenden ein Sterben unter würdigen Bedingungen zu ermöglichen und insbesondere Bestrebungen nach einer Legalisierung der Tötung auf Verlangen eine Perspektive der Fürsorge und des menschlichen Miteinanders entgegenzusetzen“, sagte Hoppe.
Dr. Birgit Weihrauch, Vorstandsvorsitzende des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbandes, betonte:
„Die Charta fordert, die Rechte schwerstkranker und sterbender Menschen und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen. In einem Gesundheitssystem, das zunehmend von Wettbewerb und ökonomischen Interessen bestimmt wird, müssen dazu die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Alle Menschen, die in dieser letzten Lebensphase einer hospizlich-palliativen Versorgung bedürfen, müssen Zugang zu ihr erhalten und müssen auf eine umfassende, menschenwürdige Begleitung und Betreuung vertrauen können, die ihrer individuellen Situation und ihren Wünschen Rechnung trägt und die auch die Angehörigen einbezieht. Dazu bedarf es der Anstrengung vieler Beteiligter. Dass so viele verantwortliche Institutionen aus Gesellschaft und Gesundheitssystem diese Charta mit erarbeitet haben und ihre Ziele unterstützen, ist dazu ein wichtiger Schritt.“

Die Empfehlungen der Charta sowie Perspektiven zu ihrer Umsetzung wurden am 8. September mit Annette Widmann-Mauz, MdB, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, und Josef Hecken, Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, und weiteren wichtigen Akteuren der deutschen Gesundheitspolitik sowie mit internationalen Experten intensiv diskutiert.

Die Charta zeigt in fünf Leitsätzen und ergänzenden Erläuterungen gesellschaftspolitische Herausforderungen auf, benennt Anforderungen an die Versorgungsstrukturen und die Aus-, Weiter- und Fortbildung, skizziert Entwicklungsperspektiven für die Forschung und misst den Stand der Betreuung schwerstkranker Menschen in Deutschland an europäischen Maßstäben.

Drängende Fragen, die in der Charta angesprochen werden, sind insbesondere:

Was bedeutet Sterben unter würdigen Bedingungen? Wie kann ein schwerstkranker Mensch sicher sein, dass an seinem Lebensende seine Wünsche und Werte respektiert und Entscheidungen unter Achtung seines Willens getroffen werden?
Kann sich jeder Mensch mit einer lebensbegrenzenden Erkrankung darauf verlassen, dass ihm bei Bedarf eine umfassende medizinische, pflegerische, psychosoziale und spirituelle Betreuung und Begleitung zur Verfügung steht? Inwieweit werden Angehörige und nahestehende Menschen in die Betreuung und Begleitung einbezogen?
Wie werden die unterschiedlichen Professionen dafür qualifiziert, dass sie zwar eine Krankheit nicht „heilen“, aber Schmerzen und andere belastende Symptome lindern, den schwerstkranken Menschen pflegen sowie ihn und seine Familie bestmöglich umsorgen und begleiten können?
Wie kann gewährleistet werden, dass jeder schwerstkranke und sterbende Mensch nach dem allgemein anerkannten Stand der Erkenntnisse zur Palliativversorgung behandelt und betreut wird?

Die „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen“ soll Orientierung geben für eine gemeinsame Weiterentwicklung der Hospiz- und Palliativversorgung, damit schwerstkranke Menschen in ihrer letzten Lebensphase gut und umfassend versorgt werden. Es ist sowohl die häufig noch unbefriedigende Alltagswirklichkeit sterbender Menschen zum Thema zu machen wie auch die existenzielle Erfahrungsdimension von Sterben und Tod. Darüber zu sprechen, fällt schwer. Vor diesem Hintergrund kommt der differenzierten öffentlichen Kommunikation über die mit Sterben und Tod verbundenen sozialen Fragen eine besondere Bedeutung zu.
Der Chartaprozess wurde gefördert von der Robert Bosch Stiftung und der Deutschen Krebshilfe.

Institutionen haben ab sofort die Möglichkeit, die Charta aktiv zu unterstützen - mit ihrer Unterschrift, dass sie Ziele und Inhalte der Charta mit tragen und für diese eintreten.

http://www.charta-zur-betreuung-sterbender.de

quelle: Pressemitteilung vom 08.09.2010
Pressestelle der deutschen Ärzteschaft
Herbert-Lewin-Platz 1
10623 Berlin
Tel.: 030 / 4004 56 700
Fax: 030 / 4004 56 707

Lutz Barth
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Beitrag von Lutz Barth » 09.09.2010, 18:26

Nun - gegen eine ähnliche Entwicklung spricht der schlichte, aber dennoch gravierende Unterschied, dass die verfasste Ärzteschaft (und hier meine ich in erster Linie die Kammern) meinen, das Problem der ärztlichen Suizidassistenz intralprofessionell -also über das Berufs- und Standesrecht - lösen zu können, obgleich m.E. der Gesetzgeber gefordert ist.

Ihr Beispiel mit Blick auf die moralischen Pflichten mag plausibel erscheinen, trifft allerdings nicht den Kern des Problems: Dass das Selbstbestimmungsrecht nicht unbegrenzte "Freiheit" verbürgt, ist unbestritten, steht doch dieses Recht unter dem Vorbehalt des Gesetzes und letztlich auch der Grundrechte Dritter. Entscheidend ist vielmehr, ob wir bereits bei der Exegese der grundrechtlichen Freiheiten moralische Pflichten postulieren, die dann unmittelbar den Inhalt des Grundrechts per definitionem beschneiden und so ein Konflikt erst gar nicht entstehen kann. Insofern wird über die Moral dem Freiheitsrecht bereits ein bestimmter resp. gewünschter Inhalt beigemessen, der das Problem der "Selbstentleibung" nicht im Ansatz erfasst.
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Beitrag von thorstein » 09.09.2010, 19:24

Entscheidend ist vielmehr, ob wir bereits bei der Exegese der grundrechtlichen Freiheiten moralische Pflichten postulieren, die dann unmittelbar den Inhalt des Grundrechts per definitionem beschneiden und so ein Konflikt erst gar nicht entstehen kann.
Nun, diese Erklärung erscheint mir etwas schwer verdaulich. Meine Gegenthese dazu wäre, dass man grundsätzlich nicht wertfrei argumentieren kann, also auch keine Exegese betreiben. Wchtiger scheint mir zu sein, dass man sich dieser Beschränkung bewußt ist. Es käme dann immer noch auf den Inhalt dieser moralischen Pflichten an, z.B. ob er intersubjektiv unumstritten ist.

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Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen

Beitrag von Presse » 13.09.2010, 06:57

Grosser Fortschritt:
Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland verabschiedet

Berlin (ALfA). Rund 50 gesellschaftlich und gesundheitspolitisch relevante Institutionen haben am 8. September am Runden Tisch in Berlin die "Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen" verabschiedet. Vorangegangen war dem ein zweijaehriger Arbeitsprozess, den die Deutsche Gesellschaft fuer Palliativmedizin (DGP), der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) und die Bundesaerztekammer (BAEK) im September 2008 in Gang gesetzt hatten.

"Die Charta soll dazu beitragen, die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Themen Sterben und Sterbebegleitung zu foerdern. Sie soll eine grundlegende Orientierung und ein wichtiger Impuls fuer die Weiterentwicklung der Palliativmedizin sein", erklaerte Prof. Dr. Joerg-Dietrich Hoppe, Praesident der Bundesaerztekammer in einer gemeinsamen Pressemitteilung mit den Verbaenden zur Vorstellung des Papiers. Es gehe darum aufzuzeigen, wie eine Palliativversorgung aussehen muss, die sich nach den tatsaechlichen Beduerfnissen unheilbar kranker und sterbender Menschen richtet. "Wir Aerztinnen und Aerzte setzen uns dafuer ein, Schwerstkranken und Sterbenden ein Sterben unter wuerdigen Bedingungen zu ermoeglichen und insbesondere Bestrebungen nach einer Legalisierung der Toetung auf Verlangen eine Perspektive der Fuersorge und des menschlichen Miteinanders entgegenzusetzen", sagte Hoppe.

Fuenf Leitsaetze

In fuenf Leitsaetzen und ergaenzenden Erlaeuterungen zeigt die Charta gesellschaftspolitische Herausforderungen auf, benennt Anforderungen an die Versorgungsstrukturen und die Aus-, Weiter- und Fortbildung, skizziert Entwicklungsperspektiven fuer die Forschung und misst den Stand der Betreuung schwerstkranker Menschen in Deutschland an europaeischen Massstaeben. Draengende Fragen, die in der Charta angesprochen werden, sind insbesondere u. a.: Was bedeutet Sterben unter wuerdigen Bedingungen? Wie kann ein schwerstkranker Mensch sicher sein, dass an seinem Lebensende seine Wuensche und Werte respektiert und Entscheidungen unter Achtung seines Willens getroffen werden? Die Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland habe in den vergangenen 25 Jahren zwar erhebliche Fortschritte gemacht. Immer noch aber werden viele Menschen von entsprechenden ambulanten und stationaeren Angeboten nicht erreicht. Sie leiden unter Schmerzen und anderen belastenden Symptomen, waeren lieber an einem vertrauten Ort und fuehlen sich haeufig an ihrem Lebensende alleingelassen.

"Das Thema Sterben gehoert zum Leben, es darf nicht verdraengt oder ausgeklammert werden, sondern gehoert in die Mitte der Gesellschaft", hob Prof. Dr. Christof Mueller-Busch, Praesident der Deutschen Gesellschaft fuer Palliativmedizin, bei der Vorstellung der Charta hervor. Er gab zu bedenken, dass trotz aller medizinischen Fortschritte und Aussichten, das Leben laenger und besser zu gestalten, in Deutschland ueber 800.000 Menschen, d.h. ein Prozent der Bevoelkerung, jaehrlich sterben - und dies unter ganz unterschiedlichen Bedingungen. "Weder in der Gesundheits- noch in der Sozialpolitik, weder bei den Bildungsausgaben noch in der oeffentlichen Kommunikation wird ein Sterben in Wuerde, werden Tod und Trauer explizit bzw. angemessen beruecksichtigt", kritisierte Mueller-Busch.

Aufruf zur Unterstuetzung der Charta

"Die Charta fordert, die Rechte schwerstkranker und sterbender Menschen und ihre Beduerfnisse in den Mittelpunkt zu stellen. In einem Gesundheitssystem, das zunehmend von Wettbewerb und oekonomischen Interessen bestimmt wird, muessen dazu die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden", erklaerte Dr. Birgit Weihrauch, Vorstandsvorsitzende des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbandes. Dazu beduerfe es der Anstrengung vieler Beteiligter. Dass so viele verantwortliche Institutionen aus Gesellschaft und Gesundheitssystem diese Charta mit erarbeitet haben und ihre Ziele unterstuetzen, sei dazu ein wichtiger Schritt.

Die Empfehlungen der Charta sowie Perspektiven zu ihrer Umsetzung wurden im Rahmen der Vorstellung mit Annette Widmann-Mauz, MdB, Parlamentarische Staatssekretaerin beim Bundesminister fuer Gesundheit, und Josef Hecken, Staatssekretaer im Bundesministerium fuer Familie, Senioren, Frauen und Jugend, und weiteren wichtigen Akteuren der deutschen Gesundheitspolitik sowie mit internationalen Experten intensiv diskutiert. Institutionen haben ab sofort die Moeglichkeit, die Charta aktiv zu unterstuetzen - mit ihrer Unterschrift, dass sie Ziele und Inhalte der Charta mit tragen und fuer diese eintreten.

Weitere Informationen:
Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen
http://www.charta-zur-betreuung-sterbender.de

Quelle: Pressemitteilung vom 13.09.2010
Aktion Lebensrecht fuer Alle (ALfA) e.V.
Geschaeftsstelle Augsburg:
Ottmarsgaesschen 8
D-86152 Augsburg
Telefon: 08 21 / 51 20 31
Telefax: 08 21 - 15 64 07
E-Mail: bgs@alfa-ev.de
Internet: http://www.alfa-ev.de

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Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen

Beitrag von Presse » 15.09.2010, 17:08

Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen verabschiedet

Berlin. Rund 50 gesellschaftlich und gesundheitspolitisch relevante Institutionen haben jetzt die "Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen" verabschiedet. Dem vorausgegangen war ein zweijähriger Arbeitsprozess, den die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) und die Bundesärztekammer (BÄK) im September 2008 in Gang gesetzt hatten.
"Die Charta soll dazu beitragen, die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Themen Sterben und Sterbebegleitung zu fördern. Sie soll eine grundlegende Orientierung und ein wichtiger Impuls für die Weiterentwicklung der Palliativmedizin sein", sagte Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer. Es gehe darum aufzuzeigen, wie eine Palliativversorgung aussehen muss, die sich nach den tatsächlichen Bedürfnissen unheilbar kranker und sterbender Menschen richtet.

Die Charta im Internet: http://www.charta-zur-betreuung-sterbender.de

Mehr zum Thema in einer der nächsten Ausgaben von CAREkonkret

Quelle: Pressemitteilung vom 15.09.2010
Vincentz Network, Hannover, http://www.vincentz.net

valenta
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Ja Gegen-Charta, aber nicht ins Gegenteil verkehren!

Beitrag von valenta » 15.09.2010, 19:57

Ja, es bedaft allerdings dringend einer anderen Charta - aber keineswegs umgekehrt mit einseitigem Schwerpunkt auf die Sterbehilfe!

Der höchst problematische Kernsatz der jetzt vorgelegten Palliativ-/Hospiz-Charta lautet:


„Wir werden uns dafür einsetzen, ein Sterben unter würdigen Bedingungen zu ermöglichen und insbesondere den Bestrebungen nach einer Legalisierung der Tötung auf Verlangen durch eine Perspektive der Fürsorge und des menschlichen Miteinanders entgegenzuwirken.“


Das ist aus mehreren Gründen fatal:

A.) Wie kann der eindrucksvolle Einsatz 1.) für ein Sterben unter würdigen Bedingungen in Zusammenhang gebracht werden mit dem Einsatz gegen vage 2.) Bestrebungen - die soweit absehbar keine einzige praktisch tätige Organisation verfolgt?

2.) Braucht man für die eigene Identität und Einsatzfähigkeit ein Feindbild? Oder ist es auch - Freud läßt grüßen - nach innen gerichtet? Wen will man (bei sich selbst?) ausgrenzen - was haben die betroffenen Menschen davon?

3.) Bedarf es des 2. Einsatzes, um den 1. zu legitimieren? Wenn 2. wegfiele (durch Legalisierung wie in den Niederlanden, Luxemburg oder Belgien), wäre dann der 1. Einsatz für Palliativmedizin und hospizlich/geriatrische Sterbebegleitung etwa obsolet?

Eine ernstgemeinte "Gegen-Charte" kann sich m. E. nur auf Prinzipien des "sowohl Sterbebegleitung als auch in Ausnahmen Suizidhilfe" beziehen. Etwa so, wie es hier auf dieser Seite zum "Humanen Sterben" www.patientenverfuegung.de/humanes-sterben vorgedacht zu sein scheint (freilich müsste die Gegencharta ihren Schwerpunkt ebenfalls auf Verbesserung der Sterbebedingungen legen!)

R. V.

thorstein
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Noch eine Charta?

Beitrag von thorstein » 15.09.2010, 22:29

Ja, es bedaft allerdings dringend einer anderen Charta
Das scheint mir eher eine Mode zu werden, Früher gründete man einen Arbeitskreis, heute schreibt man eine Charta.

Mir sind verbindliche Regelungen allemal lieber. Papier ist bekanntlich geduldig.

Wie sieht es denn mit der hochgelobten Pflege-Charta aus: alle haben sie unterstützt - sicherlich auch die Caritas in Mönchengladbach. Vielleicht kann mich jemand aufklären: welche positiven Veränderungen für die Pflegebedürftigen sind denn aus dieser Pflege-Charta heraus entstanden? 2007 (!) gab es ein Modellprojekt, dessen Abschlussbericht an Unverbindlichkeit nicht zu übertreffen ist.

Braucht man eine Charta, um einen Anspruch auf palliative Versorgung zu festzuschreiben?

Braucht man eine Charta, um ärztliche Suizidbeihilfe zu legalisieren?

Lutz Barth
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Re: Noch eine Charta?

Beitrag von Lutz Barth » 16.09.2010, 05:12

thorstein hat geschrieben:
Ja, es bedaft allerdings dringend einer anderen Charta

Braucht man eine Charta, um einen Anspruch auf palliative Versorgung zu festzuschreiben?

Braucht man eine Charta, um ärztliche Suizidbeihilfe zu legalisieren?

Kurz und knapp: Nein, denn es wird ja gerade mit einer Charta beabsichtigt, neue (oder halt auch "alte") Botschaften zu transportieren, ohne sich der Mühen zu unterziehen, für einen entsprechenden Grad an Verbindlichkeit Sorge zu tragen. Vielfach sind die in einer Charta angesprochenen ehernen Ziele bereits in einschlägigen Rechtsnormen als Anspruch formuliert und da darf denn schon einmal nachgefragt werden, welchen Sinn derartige Charten haben.

Mein obiger Vorschlag zur "Alternativcharta" ist denn auch eher zynisch gemeint, denn gerade das Selbstbestimmungsrecht bedarf erkennbar einer weiteren positivrechtlichen Ausprägung, die weit über die Charta hinausreichen dürfte. Überdies fällt auf, dass bestimmte Ethiker und Funktionärsträger nahezu jede Gelegenheit nutzen, darauf hinzuweisen, dass "wir Ärztinnen und Ärzte" einen Gegenentwurf zu den aktuellen Bestrebungen der weiteren Liberalisierung der Sterbehilfe entgegensetzen wollen. Hier wird ganz bewusst nicht zur Kenntnis genommen, dass immerhin mehr als ein Drittel der Ärzteschaft für eine Legalisierung eintritt.

Problematisch ist allerdings zuvörderst, dass nach wie vor mit der Charta der Eindruck verfestigt werden soll, dass es einen Widerspruch zwischen der Palliativmedizin und der "Sterbehilfe" gäbe; ein "Widerspruch", der nicht besteht und von daher nimmt für mich die Charta eher die Qualität eines "Glaubensbekenntnisses" an - mal ganz davon abgesehen, dass sich hierin ein unsäglicher ethischer Paternalismus widerspiegelt.

Dass die Palliativmedizin weiter ausgebaut gehört, versteht sich von selbst, so wie eben es selbstverständlich sein sollte, dass dies nicht zur "Instrumentalisierung" auch nur einiger weniger schwersterkrankter Patienten führen darf! Dass dem aber so ist, belegen "eindrucksvoll" manche Statements von Palliativmediziner und Ethikern und da muss dann mit aller Deutlichkeit interveniert werden.
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Rüdiger Bastigkeit
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Chartagrundsätze verbindlich machen

Beitrag von Rüdiger Bastigkeit » 25.09.2010, 09:20

Hallo / guten Morgen!

Die Charta enthält, ähnliche wie die Charta Pflege, viele gute und auch selbstverständliche Aussagen. Damit ist sie grundsätzlich unterstützungswürdig!
Wie schon angemerkt, brauchen wir aber eher Regelungen, die mit Verbindlichkeit ausgestattet sind. Es kann m.E. nicht dabei bleiben, gute und angemesse Versorgung und Pflege, auch bei schwerstkranken Menschen, allein mit einem Art Empfehlungscharakter zu versehen. Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk hat es bezüglich der Charta Pflege bereits mehrfach auf den Punkt gebracht: Selbstverständlichkeiten der hier angesprochenen Art müssen als subjekt-öffentliche Rechte ausgestaltet werden. Dann gibt es Rechtsansprüche und alle Beteiligten sind in der Pflicht, die entsprechenden Voraussetzungen auch tatsächlich zu schaffen. Zum Beispiel brauchen wir für die Umsetzung all der netten Chartaaussagen deutlich mehr Pflegepersonal. Und das muss dringend her. Neue passende Stellenschlüssel usw. sind notwendig.

In diesem Sinne grüßt
Rüdiger Bastigkeit
Pflegesystem verbessern - dringend!

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