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Die Patientenverfügung eines Medizinethikers

Verfasst: 13.08.2010, 07:26
von Lutz Barth
Nachgefragt: Wie fassen Medizinethiker eigentlich ihre persönlichen Patientenverfügungen ab?

Im Rahmen der Diskussion um das Patientenverfügungsgesetz galt es in erster Linie, den arztethischen Widerstand mit einer rechtsethischen Argumentation zu überwinden, glaubte man/frau doch im Diskurs, das „Sterben sei nicht normierbar“ - jedenfalls mit der Folge, hier stoße die Regelungsmacht des Gesetzgebers an die Grenzen.

Nachdem uns der Präsident der BÄK erkennbar am Wortlaut seiner „Patientenverfügung“ hat teilhaben lassen wollen „Ich möchte gern, dass mich die Ärzte nach den Grundsätzen zur Sterbebegleitung der Bundesärztekammer behandeln.“ (Quelle: Deutsches Ärzteblatt 2008; 105(22) 30.05.08), sah ich mich veranlasst, der Frage nachzugehen, wie wohl Medizinethiker beabsichtigen, ihre Patientenverfügung zu verfassen.

Nun – meine Recherche ist nahezu „ergebnislos“ verlaufen, wenngleich ich Ihnen doch eine Fundstelle nicht vorenthalten möchte:

„Ich habe deshalb in diesen Tagen nach langem Zögern meine persönliche Konsequenz gezogen und eine „Patientenverfügung“ eigener Art geschrieben. Sie liegt bei meiner Organspende-Erklärung neben dem Perosnalausweis. Ihr Text stammt von dem Berliner Universitätsprofessor Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836), dem Leibarzt des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm III. (1770-1840).

Er lautet: „Wenn ein Kranker von unheilbaren Uebeln gepeinigt wird, wenn er sich selbst den Tod wünscht, wenn Schwangerschaft Krankheit und Lebensgefahr erzeugt, wie leicht kann da, selbst in der Seele des Besten, der Gedanke aufsteigen: Sollte es nicht erlaubt, ja sogar Pflicht sein, jenen Elenden etwas früher von seiner Bürde zu befreien, oder das Leben der Frucht dem Wohle der Mutter aufzuopfern? - So viel Scheinbares ein solches Raisonnement für sich hat, so sehr es selbst durch die Stimme des Herzens unterstützt werden kann, so ist es doch falsch, und eine darauf gegründete Handlungsweise würde im höchsten Grade unrecht und strafbar sein. Sie hebt geradezu das Wesen des Arztes auf. Er soll und darf nichts anderes thun, als Leben erhalten; ob es ein Glück oder Unglück sei, ob es Werth habe oder nicht, dies geht ihn nichts an, und maasst er sich einmal an, diese Rücksicht mit in sein Geschäft aufzunehmen, so sind die Folgen unabsehbar, und der Arzt wird der gefährlichste Mann im Staate; denn ist einmal die Linie überschritten, glaubt sich der Arzt einmal berechtigt, über die Nothwendigkeit eines Lebens zu entscheiden, so braucht es nur stufenweiser Progression, um den Unwerth und folglich die Unnöthigkeit eines Menschenlebens auch auf andere Fälle anzuwenden“


Ob die „Patientenverfügung“ des Medizinethikers praxistauglich ist, kann durchaus bezweifelt werden und dürfte bei immerhin 1/3 der Ärzteschaft ohne nachhaltigen Eindruck bleiben, wenn und soweit diese gar für eine Legalisierung der ärztlichen Suizidbeihilfe eintreten.

Natürlich möchte ich nicht verabsäumen, Ihnen die Quelle des vorstehenden Zitats mit einem Zitat anzugeben, zumal der Text insgesamt lesenswert erscheint, da er einem medizinethischen Paternalismus Vorschub leistet, der aus rechtsethischer Perspektive kaum nachvollziehbar ist.

Autonomie am Lebensende: Realität, Ideal, Illussion?
Vortrag im Rahmen der 6. Süddeutschen Hospiztage
Selbstbestimmung bis zuletzt – wer hat am Lebensende die Regie?
im Diözesanbildungshaus St. Bernhard in Rastatt am 30. Juni 2005
v. Axel W. Bauer (Quelle: >>> http://www.hirzel.de/universitas/archiv ... onomie.pdf
<<< pdf.)



An dieser Einstellung wird der Referent wohl nach wie vor festhalten, wie sich im Übrigen unschwer aus seinen Nachfolgepublikationen ergibt und die eine diesseitige nachhaltige Kritik herausgefordert hat (vgl. dazu u.a. den BLOG Ärztliche Assistenz beim Suizid?“)

Auch wenn kein ernsthafter Zweifel daran begründet werden kann, dass auch Gesunde für den Fall einer späteren Demenz eine Patientenverfügung treffen können, möchte ich ferner auf eine Textpassage in dem veröffentlichten Vortrag hinweisen, in der Axel W. Bauer eine ähnliche Position vertritt, wie der Palliativmediziner Student.

„Damit spricht der Ethikrat dem Bürger A das Recht zu, dass dieser bereits heute unwiderruflich über jenen Demenzpatienten B letzte Verfügungen treffen darf, der vielleicht in einigen Jahren oder Jahrzehnten einmal aus ihm selbst geworden sein wird. Doch warum sollte man eine Patientenverfügung des Bürgers A aus dem Jahre 2005 eigentlich noch beachten, wo es doch der reale Demenzpatient A* sein wird, der im Jahre 2015 gemäß seinem „natürlichen“ Willen offenkundig noch weiterleben will? Und wer sollte dann gegen eine „widerrechtliche“ Weiterbehandlung von A* Klage erheben? Demenzpatient A* sicherlich nicht, denn er möchte ja leben, und Bürger A existiert ja gar nicht mehr, allenfalls dessen gesetzlicher Betreuer. Doch wen betreut der Betreuer – den ehemaligen Staatsbürger A oder den Demenzpatienten A*? Mir scheint, dass sich der Nationale Ethikrat hier in perfektionistischer Regelungsfreude und in einem kaum mehr rationalen Autonomie-Enthusiasmus in schwere rechtsphilosophische Konsistenz-Probleme und in eine moralische Sackgasse hinein manövriert hat.“ (Bauer, aaO., S. 17, 18)

Ob der Nationale Ethikrat einen „kaum mehr rationalen Autonomie-Enthusiasmus“ gefrönt hat, steht doch jedenfalls in dem Maße zu bezweifeln an, als dass eben der Nationale Ethikrat erkennbar um die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts der Bürgerinnen und Bürger weiß und hierbei sich ganz auf dem gesicherten Boden des Verfassungsrechts befindet, während demgegenüber mancher Ethiker doch eher geneigt ist, in die berühmte „ethische Glaskugel“ zu schauen, aus der dann „moralischen Pflichten“ entlehnt werden, die gleichsam in das Belieben der jeweiligen Interpreten gestellt sind und durchaus fantasievoll generiert werden können (vgl. dazu weiterführend und m.w.N: Lutz Barth, Sterbewille, Patientenverfügung und assistierter Suizid - Grenzen eines drohenden (palliativ)medizinethischen Paternalismus! (20.11.07) >>> http://www.iqb-info.de/Patientenverfueg ... lismus.pdf <<<).

Eher das Gegenteil steht zu befürchten an: Nicht das konsequente Bekenntnis zur grundrechtlichen Freiheit führt in eine „moralische Sackgasse“, sondern vielmehr der unsägliche ethische Paternalismus, der im Kern offensichtlich bereit ist, sich von grundlegenden Freitheitsverbürgungen zu verabschieden und so eine Grundrechtsinterpretation zu zelebrieren, die auf eine unmittelbare Instrumentalisierung der Bürgerinnen und Bürger und damit zugleich auch der schwersterkrankten Patienten hinausläuft.

Nicht die Rechtsphilosophie und Rechtsethik werfen „Konsistenzprobleme“ auf, sondern ein enthemmter medizinethischer Paternalismus, der im Begriff ist, zentrale Grundrechte in ihrem Wesensgehalt zu leugnen und zwar auch im Hinblick auf den Gesunden, der für den Fall einer späteren Demenzerkrankung beabsichtigt, eine Patientenverfügung zu verfassen.

Lutz Barth