Textübernahme aus Forum zur Fortführung der Diskussion betr. Angehörigenrechte in dieser Rubrik (Vorschlag):
Sterbehilfe - Versuchte Sterbehilfe im Gelderner Hospiz
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Brigitte Bührlen - Text vom 30.07.2010 - Wer hat welches Recht über mich zu bestimmen?
Absolute Laienfragen an den geballten Rechtsverstand:
@Angenommen ich habe meinen eigenen Willen nicht bekundet,
bin ich dann in erster Linie Staatsbürger oder Familienmitglied?
@Welche Rechte hat der Staat an mir, welche Rechte meine Familie?
Lutz Barth – Text vom 30.07.2010 – Interessante Fragen!
Absolute Laienfrage an den geballten Rechtsverstand:
Ich neige allerdings dazu, die Frage nicht an den „geballten Rechtsverstand“ zu richten, sondern vielleicht an einen interessierten Juristen, da anderenfalls die nachstehenden Fragen jeweils für sich ein „ganzes Buch“ zur Beantwortung beanspruchen würden und außerdem sollten wir Juristen uns nicht ganz so wichtig nehmen!

Wenn ich meinen eigenen Willen nicht bekunden kann:
Bin ich dann in erster Linie Staatsbürger oder Familienmitglied?
Nun – Sie geben bereits einigen Antworten in Ihrer Fragestellung, die allerdings um ein gewichtigen Aspekt zu erweitern ist: Sie sind Träger von Rechten und Pflichten und zwar ab Vollendung der Geburt!
Die Rolle als Staatsbürger oder Familienmitglied ist daher ggf. von rechtssoziologischer Bedeutung, ändert aber freilich nichts an der ureigenen Rechtsfähigkeit, die nun allerdings nicht mit der Geschäftsfähigkeit und dem sog. „natürlichen Willen“ zu verwechseln ist.
Welche Rechte hat der Staat an mir, welche Rechte meine Familie?
Diese Frage ist interessant und kann hier nur in dem vermuteten Kontext einer eher salomonischen Antwort zugeführt werden: keine!
Im Übrigen ist mit Ihrer Frage zugleich ein Problem aufgeworfen, dass gerade unter ethischen Aspekten diskutiert wird: Kann der Patient am „Sterben“ einstweilen gehindert werden, weil der in Amerika weilende Sohn noch anreisen muss, um sich verabschieden zu können. Dieser Aspekt kann auch mit Blick auf Ihre nachstehende Frage diskutiert werden.
Wer hat maßgeblich das Recht über mich zu bestimmen?
Die Antwort dieser Frage erschließt sich aus dem Betreuungsrecht und, soweit auf medizinische Maßnahmen bezogen, im Zweifel aus dem Gedanken der Notkompetenz. Im Vorfeld können Sie allerdings selbst bestimmen, wer "über sie bestimmen soll" (Patientenverfügung, Vollmacht etc.)
Im Übrigen sollte hier ein Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht genügen.
Gruß L. Barth
Gerhard Schenker – 31.07.2010 - Selbstbestimmungsrecht - Angehörigenrechte
Hallo Brigitte,Brigitte Bührlen hat geschrieben: @Angenommen ich habe meinen eigenen Willen nicht bekundet,
bin ich dann in erster Linie Staatsbürger oder Familienmitglied?
@Welche Rechte hat der Staat an mir, welche Rechte meine Familie?
@Wer hat maßgeblich das Recht über mich zu bestimmen?
es gibt hier einige Vorschriften, die bedeutsam sind: Art. 1 und 2 GG (Selbstbestimmungsrecht), Strafrecht und BGB (Betreuungsrecht).
Wenn jemand per Patientenverfügung seinen Willen nicht festgelegt hat, dann ist der mutmaßliche Wille zu erkunden. Insoweit liegt die Kemptenz bei Betreuer bzw. Bevollmächtigten. Die Angehörigen und sonstige Vertrauenspersonen sind in die Ermittlungen einzubinden. Wenn es bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens keine Übereinstimmung zwischen Rechtsvertreter und Arzt gibt, muss das Betreuungsgericht entscheiden.
Sollte es keine Rechtsklarheit geben, wird wohl im Zweifel pro Leben zu entscheiden sein.
Angehörige haben allein aufgrund ihrer verwandtschaftlichen Verbindung nur eine begrenzte Mitwirkungsmöglichkeit. Daher sollte jeder frühzeitig darüber nachdenken, eine Vorsorge-Vollmacht zu erstellen, mit der er einen oder mehrere Angehörige mit Rechtsmacht ausstattet. Nur wenn Angehörige diese Rechtsmacht haben (per Vollmacht oder als rechtliche Betreuer eingesetzt), können sie umfassend agieren. Ansonsten gibt es nur eingeschränkte Eingriffsmöglichkeiten. Und das ist - rechtlich gesehen - auch richtig so.
MfG Gerhard Schenker
Sabrina Merck – 31.07.2010 - Angehörige - Es geht um differenzierte Betrachtungen!
Guten Morgen Brigitte,Brigitte Bührlen hat geschrieben: ..... Absolute Laienfragen an den geballten Rechtsverstand: ....
Begrifflichkeiten, wie Angehörige und Familie, helfen in manchen Rechtssituationen allein nicht weiter. Ich empfehle u.a. das Studium der Hinweise unter
http://de.wikipedia.org/wiki/Angeh%C3%B6riger
Es kommt in der Tat, wie Gerhard Schenker bereits anmerkte, auf bestimmte Kompetenzen, Bevollmächtigung oder Zuordnung der rechtlichen Betreuung, an. Im Übrigen gibt es in verschiedenen Rechtsgebieten ganz bestimmte Rechte und Pflichten (z.B. Unterhaltspflicht bzw. -berechtigung, Erbrecht).
Wir müssen uns von der Vorstellung frei machen, Angehörige seien immer (vorrangig) maßgeblich für Pflege und Therapie. Das sind meist nur die konkret (mit) pflegenden Angehörigen / Familienmitglieder (mit rechtlicher Kompetenz - siehe oben).
Solche Personen sind aber oft (und immer öfter) nicht feststellbar. Es gibt keine Kinder, Kinder sind weggezogen, wohnen weit entfernt, können oder wollen sich nicht kümmern.
Nicht selten kommt es vor, dass sich mehrere Kinder um das angebliche Wohl der Eltern streiten, der eine will Hüh und der andere Hot. Es geht auch manchmal um vorweggenommene Erbauseinandersetzungen. Dabei wird das vermeintliche Elternwohl u.U. danach beurteilt, welche Lösung die kostengünstigte ist. In solchen Fällen wird dann u.U. vom Betreuungsgericht eine völlig fremde Person zum rechtlichen Betreuer bestellt.
Das alles gilt es zu bedenken, wenn wir um die Hilfe für ein Familienmiglied ringen, das nicht mehr selbst entscheiden kann. Es geht um differenzierte Betrachtungen!
Lb. Grüße
Sabrina
Brigitte Bührlen – 31.07.2010 - Recht und Gerechtigkeit
Danke für die profunden Antworten auf meine Fragen!
Herr Barth:
....und außerdem sollten wir Juristen uns nicht ganz so wichtig nehmen!
@ Da Juristen dem Recht (auch der Gerechtigkeit?) verpflichtet sind und ihm Raum verschaffen sollen/wollen sind sie außerordentlich
wichtig für das gesellschaftliche Zusammenleben in unserem Staat

@ hm, interessant!Welche Rechte hat der Staat an mir, welche Rechte meine Familie?
Diese Frage ist interessant und kann hier nur in dem vermuteten Kontext einer eher salomonischen Antwort zugeführt werden: keine!
Hat der Staat ( also die Summe der Einzelnen) nicht grundsätzlich das Recht darauf zu achten, dass ihm der einzelne Staatsbürger zur Verfügung stehe?
Hat die Familie (im Sinne von lebenspartnerschaftlichem Verbund in der kleinsten Zelle der Gesellschaft ) nicht das Recht festzulegen, wie ihr hilfsbedürftiges Mitglied aus einem engen Lebenszusammenhang heraus individuell versorgt wird?
@ Wo endet das Selbstbestimmungsrecht ?Im Übrigen sollte hier ein Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht genügen.
Herr Schenker:
@ Heisst das, dass sie (Angehörige/ Betreuer/ Bevollmächtigte) eingebunden werden sollen oder müssen?Insoweit liegt die Komptenz bei Betreuer bzw. Bevollmächtigten. Die Angehörigen und sonstige Vertrauenspersonen sind in die Ermittlungen einzubinden
@ ......... so lange es ein Betreuungsrichter zulässt ?Nur wenn Angehörige diese Rechtsmacht haben (per Vollmacht oder als rechtliche Betreuer eingesetzt), können sie umfassend agieren.
Frau Merck:
@ Einverstanden!Es geht um differenzierte Betrachtungen!
Erwähnenswerte Tatsachen sind auch:
Ca.70% der in Pflegestufen erfassten Menschen werden zu Hause von Angehörigen , Freunden und sonstigen Nahestehenden versorgt.
Pflegestufenunabhängig werden ca.80% zu Hause versorgt!
Nach wie vor stirbt ein Gutteil der Menschen zu Hause betreut von Angehörigen.
Ohne den in der Regel ehrenamtlichen Einsatz von Angehörigen, Lebenspartnern, Freunden u.ä. würden Pflege und Sterbebegleitung in Deutschland zusammenbrechen.
Gaby Modig – 01.08.2010 - Angehörige - Es geht um differenzierte Betrachtungen!
Hallo Brigitte,
ich denke, dass wir grundsätzlich über die Wichtigkeit der Angehörigen und Ehrenamtler nicht streiten müssen.
Allerdings gibt es doch einige Dinge, Regeln, die es zu beachten gilt:
Solange in einem Familienverband Einvernehmen im Miteinander besteht, steht der Staat nicht auf der Matte. Gegenseitige Hilfen und Unterstützungsleistungen sind nahezu unbegrenzt möglich. Demjenigen, dem geholfen wird, obliegt ja letztlich die Entscheidung darüber, welche Hilfe und Unterstützung er braucht und anzunehmen bereit ist. Selbstbestimmungsrecht!
Gerät allerdings jemand in eine Situation, in der eigene Entscheidungen nicht mehr möglich sind, muss der Staat ggf. eingreifen, um sicher zu stellen, dass am Wohl des Betroffenen ausgerichtet gehandelt wird (§ 1896 ff. BGB). Dazu wird ggf. ein Betreuer eingesetzt. Diesen kann man aber verhindern durch eine entsprechende Vollmacht. Es wird dann für den Angehörigen mittels der vorgesehenen Rechtsmacht gehandelt. Darüber wacht der Staat - und das ist grundsätzlich gut so. Ob es insoweit ggf. zu Fehlern im Behörden- und Justizsystem (Betreuungsgericht) kommt, ist ein anderes Thema. Es gibt ja auch Rechtsmittel.
Soweit der Wille einer Person zu ermitteln ist, sind die §§ 1901a und b BGB maßgeblich. Danach gibt es für die Angehörigen nur Beteiligungsmöglichkeiten, aber keine eigene Entscheidungsmacht. Die liegt beim Betreuer oder Bevollmächtigten (ist ggf. Angehöriger). Nicht einmal der Arzt hat Entscheidungsmacht.
Dass rd. 70 % der pflegebedürftigen Menschen Zuhause versorgt werden, ist richtig. Allerdings muss die konkrete Versorgung und Pflege unterschiedlich gesehen werden. Auf jeden Fall sind viele Angehörige mit eingebunden. Die Gründe dafür sind unterschiedlich, die konkreten Pflegesituationen sind sehr verschieden (manchmal auch nicht gut!).
Gestorben wird aber idR. nicht Zuhause. 80 bis 90% der Menschen sterben entweder im Krankenhaus oder im Pflegeheim!
Ehrenamtlicher Einsatz ist wichtig und notwendig. Das macht aber die Ausrichtung an bestimmten Vorschriften (Betreuungsrecht usw.) nicht entbehrlich.
Die pauschalierende These: alle Macht den Angehörigen ist nicht umsetzbar!
Es grüßt Gaby Modig