Seite 1 von 1

„Lieber tot als dement?“ - Selbstbestimmungsrecht !

Verfasst: 23.07.2009, 17:48
von Lutz Barth
„Lieber tot als dement?“

Mich haben einige Zuschriften erreicht, in denen der Versuch unternommen wird, eine Verbindung zwischen der diesseitigen kritischen Haltung zu „Verklärungsstrategien“ über die Demenz als Krankheit und dem Literaturhinweis zu den Innenansichten eines Neurologen und Psychiaters, namentlich Hans Förstl, herzustellen.

Unverblümt wird darauf verwiesen, dass ich wohl zu der Kategorie von Menschen gehöre, die Menschen mit Demenz „verachten“ und demzufolge es bei der Wertung des Herrn Förstl verbleibt.

Nun – diese kritischen Zeilen sind an mein Ohr gedrungen, ändern aber freilich nichts an meiner rechtlichen Grundhaltung, dass selbstverständlich auch Gesunde für den Fall einer späteren Demenz Vorsorge in ihren Patientenverfügungen treffen können und m.E. auch sollten, um so nicht ganz nebenbei ein „Opfer“ ihres Lebensrisikos zu werden.

Es steht außer Frage, dass auch Menschen mit einer Demenz zu tiefen Empfindungen fähig sind und dass sie sich für Musik begeistern, für Bilder und in Erinnerungen schwelgen können. Und sie können auch lange Zeit liebevoll mit den Menschen umgehen, die sie umgeben.

Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Implikationen ist allerdings mit dieser berechtigten Einschätzung für das Problem(dass es eigentlich nicht gibt!) um den Grund und die Reichweite patientenautonomer Erklärungen für den Fall einer Demenzerkrankung rein gar nichts gewonnen. Dies deshalb nicht, weil es allein darauf ankommt, ob der Gesunde für sich – und zwar nur für sich selbst – die Demenzerkrankung als annehmbar bewertet. Eine andere Betrachtung würde letztlich dazu führen, dass wir in gesunden Tagen tatsächlich in die „Pflicht“ genommen werden, eine ethische Werthaltung einzunehmen, nach der wir eine besondere Vorsorge für uns als Demenzerkrankte im Sinne einer „anderen Person“ zu tragen haben.
Eine solche Intention verträgt sich nicht mit meinem freiheitlichen Verständnis eines (und damit zuvörderst meines) Selbstbestimmungsrechts, dass gerade darauf ausgerichtet ist, nach individuellen Maßstäben in einem höchst exklusiven Bereich für sich verpflichtende Entscheidungen zu treffen, die von anderen zu respektieren sind. Es geht hierbei ausdrücklich nicht um die „Verachtung“ des Gesunden über einen Demenzerkrankten, sondern um die Wahrung eines zentralen Freiheitsrechts, dass nicht in die Beliebigkeit einzelner Interpreten gestellt ist.

Etwas anderes annehmen zu wollen, liefe letztlich darauf hinaus, den Einzelnen zur Annahme einer „Krankheit“ zu instrumentalisieren.
  • Die Verachtung der Gesunden gegenüber dem Krebs halte ich für ausgesprochen dumm. Auch Menschen mit einer Krebserkrankung sind zu tiefen Empfindungen fähig. Sie können sich für Musik begeistern, für Bilder, in Erinnerungen schwelgen. Und sie können auch lange Zeit liebevoll mit den Menschen umgehen, die sie umgeben.

    Die Verachtung der Gesunden gegenüber dem Wachkoma-Patienten halte ich …

    Die Verachtung der Gesunden gegenüber Behinderten halte ich …
    Usw.
Die Aufzählung freilich ist nicht erschöpfend und hier zeigt sich denn auch m.E. die Absurdität des Arguments: es geht nicht um „Verachtung“, sondern einzig um die Bestimmung des Selbst – verfassungsrechtlich gewendet: um das Selbstbestimmungsrecht.

Selbstredend bin ich mir bewusst, dass gerade solche Argumente in der Öffentlichkeit nicht ihre Wirkung verfehlen werden so wie es besonderen Eindruck zu machen scheint, die Patientenverfügung der Patienten als „Opium fürs Volk“ entlarven zu wollen oder all diejenigen als „egozentrische Individualisten“ zu brandmarken, die für sich ein Grundrecht auf Autonomie in Anspruch zu nehmen gedenken.

Aber mit Verlaub – ich meine, dass es gerade solche abenteuerlichen Auffassungen sind, die Ängste und Furcht schüren müssen und nicht mein Bekenntnis zu einem überragenden Grundrecht in unserer Verfassung, dass ich für mich in Anspruch nehmen möchte und ggf. eine Vielzahl von Grundrechtsträgern dies ebenfalls beabsichtigen.

Wir müssen kein „Leid“, aber eben auch keine „Freude“ annehmen, um das hohe Gut der Freiheit der Selbstbestimmung zu kosten. Mit anderen Worten: wir müssen nicht die „Demenz“ erfahren, um in Freiheit selbstbestimmt über uns Schicksal entscheiden zu können!

Das Selbstbestimmungsrecht dient expressis verbis nicht (!) dazu, als „Recht“ Moralvorstellungen unserer Gesellschaft entweder neu zu generieren oder gleichsam zu konservieren, mag dies auch von anderen Rechtswissenschaftlern so gesehen werden. Hier wäre dringend ein intensives verfassungsrechtliches Lesestudium zu empfehlen, um sich ggf. nochmals die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts in Erinnerung rufen zu können, dass eben dazu bestimmt ist, in einem exklusiven Freiheitsbereich jenseits moralischer Werthaltungen eine Entscheidung zu treffen, die uns zu treffen ausdrücklich nach dem Grundgesetz erlaubt ist!

Lutz Barth

Verfasst: 23.07.2009, 20:05
von thorstein
Alzheimer ist eine degenerative Erkrankung, deren Verlauf ich als bekannt voraussetze. Patientenverfügungen dienen gerade dazu, vorab Entscheidungen für Krankheitsverläufe zu treffen, bei denen ich als Patient nicht mehr meinen Willen äußern kann.

Wer in den letzten Jahren über das Für und Wider von Patientenverfügungen diskutiert hat, diskutierte in erster Linie über Alzheimer. Ich gehe davon aus, dass sich bei den medizinischen Maßnahmen im Endstadium dieser Erkrankung die Verbindlichkeit der Patientenverfügung deutlich auswirken wird.

Das Argument, es handele sich bei Alzheimerpatienten in einem späteren Stadium der Krankheit um eine andere Person, ist an Frechheit nicht zu überbieten. Wer Menschen, die am Ende einer schweren Erkrankung praktisch alle kognitiven Fähigkeiten verloren haben, so nebenbei als andere Person deklariert, um sie damit wiederum unter ihren Einfluss zu bringen, den halte ich schlichtweg für bedrohlich. Dahinter steckt offenbar eine maßlose Arroganz und eine Allmachtsphantasie, der entschieden entgegenzutreten ist.

...bedrohlich...

Verfasst: 24.07.2009, 06:29
von Lutz Barth
Guten Morgen, Thorstein.

Ein gelungenes Statement Ihrerseits und ich teile die Auffassung nachdrücklich, dass sich hinter einigen medizinethischen Positionen ein hohes Maß an Arroganz verbirgt und eigentlich von einer "Überzeugungstäterschaft" gesprochen werden kann.

Es ist manchmal unerträglich, mit welcher Leichtigkeit hier über das Verfassungsrecht philosophiert wird und "Dünnbrettbohrer" sich aufschwingen, uns an Ihre Weisheiten teilhaben zu lassen.

In der wissenschaftlichen Debatte allerdings Zurückhaltung und ggf. ein mehr an solidem Wissen einzufordern, erscheint derzeit nahezu unmöglich.

Besonders dramatisch dürfte sein, dass in der Tat eine Tendenz zur Trivialität in mehreren Bereichen auch des sog. "Pflegerechts" festzustellen ist. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die bedeutsamen Rechtsfragen, die im Zusammenhang mit einer Betreuung von Demenzerkrankten in stationären Einrichtungen zu diskutieren sind. Hier werden denn schon einmal kritische Stimmen mit Hinweis darauf, dass "diese sich nicht auf der Höhe der Zeit" befinden, abgekanzelt. Es wird mit dem Gestus der Wissenden die Fachwelt ersucht, dass Juristen nicht den intraprofessionellen Diskurs belasten sollen - ein Ansinnen, dass abenteuerlicher nicht sein kann, zumal ein schlichter Blick in das Gesetz gerade eine interdisziplinäre Zusammenarbeit wünschenswert erscheinen lässt.

Sei es drum - die Debatte um die Demenzerkrankten wird jedenfalls weiter zu führen sein und ich finde es - unverblümt zum Ausdruck gebracht - schlicht für unverschämt, wenn Wissenschaftler meinen, uns in gesunden Tagen für den Fall einer späteren Demenzerkrankung instrumentalisieren zu wollen.

Hier haben einige Apologeten einer "schönen neuen Welt" rein gar nichts vom Geist und Wert unserer Verfassung verinnerlicht oder halt nichts verstanden!

Letzteres könnte ich da ja noch nachvollziehen, denn Verfassungsrecht ist nicht eine stiefmütterliche Rechtsmaterie, über die man/frau so ganz nebenbei einmal "schwätzen" kann. Um so wichtiger erscheint es mir dann aber, entsprechende Aufklärung zu leisten.