Ethikberatung: Hier sind Hausärzte gefragt

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Ärztliche Praxis

Ethikberatung: Hier sind Hausärzte gefragt

Beitrag von Ärztliche Praxis » 10.07.2006, 17:56

Kliniker wollen Niedergelassene stärker einbeziehen
Ethikberatung: Hier sind Hausärzte gefragt


Zwischen Hausarzt und Patient besteht ein enges Vertrauensverhältnis. Daraus leitet sich die hausärztliche Kompetenz in ethischen Fragen ab.

von Antje Hoppe

Klinik-Entlassungen mit PEG-Sonde sind in bestimmten Fällen Standard. Doch wie würde Ihr Patient entscheiden, wenn er noch könnte? Hier ist Hausarzt-Kompetenz gefragt. Grund für die Zentrale Ethikkommission, sich die Teilnahme von Hausärzten an der klinischen Ethikberatung zu wünschen.

07.07.06 - „Gut und wichtig“ sei es, wenn Hausärzte an Einzelfallberatungen beteiligt würden, sagte Prof. Dr. Dr. Jochen Vollmann von der Ruhr-Universität Bochum. Auf einer Veranstaltung der Zentralen Ethikkommission (ZEKO) berichtete er von einem Fall, bei dem das Votum des Hausarztes eine entscheidende Rolle gespielt hatte:

Ein 90-jähriger Patient mit metastasiertem Melanom wurde aufgrund eines Schlaganfalls in die Klinik eingeliefert. Trotz intensiver neurologischer Behandlung besserte sich der Zustand des Patienten nicht – er war halbseitig gelähmt, hatte Schluckbeschwerden und musste daher intravenös ernährt werden. Der 90-Jährige war zudem nicht ansprechbar und konnte keine eigenständige Behandlungsentscheidung treffen.

Hausärzte betreuen Patienten oft über einen langen Zeitraum

Die Klinik wollte den Patienten mit PEG-Sonde ins Pflegeheim überweisen, wo er bereits vor dem Schlaganfall betreut worden war. Dies geht aber nicht ohne die Zustimmung des Angehörigen. Dieser beriet sich mit dem Hausarzt, der von dem Procedere abriet. Der Allgemeinmediziner behandelte den Patienten seit 15 Jahren und kannte die verschiedenen Vorerkrankungen.

Er war davon überzeugt, dass eine Lebensverlängerung mittels PEG-Sonde nicht dem Willen seines Patienten entsprochen hätte. Der Angehörige befand sich nun in einer schwierigen Situation: Auf der einen Seite der Vorschlag der Klinikärzte, für die in solchen Fällen die Sonde zur Entlassungsroutine gehört, andererseits die Einschätzung des Allgemeinmediziners, der viele vergleichbare Fälle kennt und den Kranken schon über einen langen Zeitraum betreut.

Gemeinsame Beratung: Meinung des Hausarztes gab den Ausschlag

Die Lösung war hier ein gemeinsames Gespräch im Rahmen der klinischen Ethikberatung, an dem auch ein Vertreter des Pflegeheims und der Hausarzt teilnahmen. „Das war die erste Situation, bei der sich alle Beteiligten in einem Raum befanden, sich ansehen und über den Fall sprechen konnten“, beschrieb Vollmann die Besprechung.
So habe man kommunikative Defizite ausgeräumt und Transparenz hergestellt. Der einvernehmliche Beschluss: Der Patient wurde, wie vom Allgemeinmediziner vorgeschlagen, ohne Sonde in das Pflegeheim überwiesen, wo er wenige Wochen später verstarb. Selbstverständlich müsse in solchen Fällen das Vorgehen mit dem Heim abgesprochen und vom Hausarzt mitgetragen werden, betonte Vollmann.

Vollmann, selbst Arzt und Philosoph, erklärte, er begrüße es, wenn Hausärzte an ethischen Einzelfallberatungen in Kliniken teilnehmen. Die Regel sei dies jedoch nicht. Zumal das Gespräch für die Hausärzte eine zusätzliche Zeit- und Kraftinvestition bedeute.

Allerdings suchen nicht nur Klinikärzte bei den Ethikkomitees Rat. „Bis zu 20 Prozent der Anfragen erhalten wir von Niedergelassenen“, sagte Prof. Dr. Dr. Urban Wiesing vom Komitee des Uniklinikums Tübingen, zugleich Vorsitzender der ZEKO. Meistens gehe es den Kollegen um Fragen der Therapiebegrenzung und der Sterbebegleitung. Wichtig für Wiesing: Die Beratung erfolgt freiwillig und stellt keine neue Hierarchie-Ebene dar (siehe unten). Auch sein Kollege Vollmann betonte: „Es geht nicht darum, einen Ethiker einzuladen, der dann die Entscheidung fällt.“


ÄP HINTERGRUND

Klinische Ethikkomitees
Klinische Ethikkomitees gibt es in Deutschland erst seit den 90ern. Prof. Dr. Dr. Urban Wiesing, Vorsitzender der Zentralen Ethikkommission (ZEKO), schätzt, dass von den rund 2.200 Krankenhäusern in Deutschland mindestens 150 ein Ethikkomitee eingerichtet haben. Weitere 200 hätten eine Ethikberatung in anderer Form implementiert. Tendenz steigend.

Die ZEKO hat jetzt eine Stellungnahme zu klinischer Ethikberatung veröffentlicht. Als Grundlagen einer guten Beratung werden darin unter anderem die Unabhängigkeit der Berater, die Freiwilligkeit der Beratung sowie der interdisziplinäre Austausch genannt. Die Kommission befürwortet die Mitarbeit von Ärzten in den multiprofessionell zusammengesetzten Komitees. „Hierdurch können die ethische Sensibilisierung, Argumentations- und Entscheidungskompetenz bei allen Beteiligten verbessert und ärztliche Entscheidungen transparenter gemacht werden“, heißt es. Betont wird aber auch, dass insbesondere der behandelnde Arzt weiterhin verantwortlich entscheiden und handeln müsse.

Quelle: Zeitung "Ärztliche Praxis", 7.7.2006
http://www.aerztlichepraxis.de/artikel? ... 1152287240

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