Enge berufliche Kontakte sind kein Grund, Sachverständige vor Gericht als befangen abzulehnen
Haftungsprozess: Auch guter Bekannter darf Gutachter sein
von Diana Niedernhöfer
Wenn der Gutachter in einem Arzthaftungsprozess den verklagten Arzt aus gemeinsamer Arbeit in einer Fachgesellschaft oder einem Berufsverband gut kennt und schätzt, kann er deshalb noch nicht als befangen abgelehnt werden.
14.06.06 - So ist es einem Beschluss des Landgerichts Berlin zufolge völlig normal, dass Gutachter und Beklagter sich nicht nur auf Kongressen treffen, sondern auch Mitglieder einer Fachgesellschaft sind. Auch dann könne der Gutachter die angeblichen medizinischen Fehler des Arztes neutral beurteilen und müsse nicht ausgetauscht werden.
Im konkreten Fall waren beide Ärzte Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie der Internationalen Gesellschaft für endoskopische Gynäkologie. Als einer der Frauenärzte wegen eines angeblichen Arzthaftungsfehlers verklagt wurde, bestellte das Landgericht Berlin den Kollegen als medizinischen Gutachter.
Doch der Kläger wollte einen neuen Sachverständigen haben. Denn der beauftragte Gutachter stehe dem beklagten Mediziner wegen der vielfältigen gemeinsamen beruflichen Kontakte und Mitgliedschaften nicht mit der notwendigen kritischen Distanz gegenüber, argumentierte dieser. Das könne man schon daran sehen, dass der Sachverständige auf einer internationalen Tagung sogar einen wissenschaftlichen Vortrag für den Beklagten gehalten habe.
Selbstverständlichkeit, dass sich Ärzte gleicher Fachrichtung oft auf Kongressen begegnen
Doch das Landgericht lehnte dies Argument ab. Enge berufliche Kontakte machten einen Gutachter noch nicht der Befangenheit verdächtig. Denn es sei eine Selbstverständlichkeit, dass sich Ärzte gleicher Fachrichtung oft auf Kongressen begegneten und Mitglieder in entsprechenden Gesellschaften seien.
Befangenheit sei erst dann anzunehmen, wenn zwischen beiden Ärzten eine besondere Bindung und Abhängigkeit anzunehmen sei, etwa weil es sich bei ihnen um den ehemaligen Doktoranden oder wissenschaftlichen Mitarbeiter und den Doktorvater beziehungsweise Lehrherren handle. Da dies hier jedoch nicht vorliege, sei der Sachverständige als neutral einzustufen. Dass er für den Beklagten einen wissenschaftlichen Vortrag gehalten habe, ändere daran nichts (Az.: 6 O 58/03).
Quelle: Zeitung "Ärztliche Praxis", 14,6.2006
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Moderator: WernerSchell