Pflegenotstand auflösen und in den Kommunen unterstützende Netzwerke gestalten - Statement 28.06.2021

Gesundheitswesen, Krankenhaus- und Heimwesen, Katastrophenschutz, Rettungsdienst, Arzneimittel- und Lebensmittelwesen, Infektionsschutzrecht, Sozialrecht (z.B. Krankenversicherung, Pflegeversicherung) einschl. Sozialhilfe und private Versorgung
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WernerSchell
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Pflegenotstand auflösen und in den Kommunen unterstützende Netzwerke gestalten - Statement 28.06.2021

Beitrag von WernerSchell »

Bild Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk
Unabhängige und gemeinnützige Interessenvertretung
für hilfe- und pflegebedürftige Menschen in Deutschland
Harffer Straße 59 - 41469 Neuss


28.06.2021

Pflegenotstand auflösen und in den Kommunen unterstützende Netzwerke gestalten

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Meinen Einsatz für gute Pflege-Rahmenbedingungen (= v.a. Gestaltung von kommunalen Quartiershilfen zur Unterstützung der ambulanten/häuslichen Pflege und deutliche Anhebung der Stellenschlüssel sowie verbesserte Vergütungen für die professionelle Pflege) gibt es seit über 20 Jahren (u.a. mit Erfahrungen in rd. 40 Jahren Lehrtätigkeit an Krankenpflegeschulen und Lehrtätigkeit an der Katholischen Fachhochschule Köln), ohne dass es in dieser Zeit nennenswerte Verbesserungen gegeben hat. Intensiv begonnen hat dieser Einsatz mit Einführung der Pflegeversicherung und gleichzeitiger Abschaffung der Pflege-Personal-Regelung (PPR) Mitte der 1990er Jahre!

Es wurde seitdem in vielfältiger Weise informiert, u.a. mittels Internet, aber auch über die TV- und Printmedien. Es gab Gelegenheit, in dutzenden von TV-Beiträgen zur Pflegesituation umfängliche Statements abzugeben (u.a. WDR-Lokalzeit Düsseldorf, WISO, "Nachtcafé", SWR). Von den Printmedien wurden ebenfalls zahlreiche Stellungnahmen erbeten; so z.B. auch von der Neuss-Grevenbroicher Zeitung. Besonders zielgerichtet wurde am 11.08.2010 unter dem Titel "Mehr Personal, bessere Pflege" berichtet.

NGZ-Bericht vom 11.08.2010 siehe:
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzw ... pflege.php


In über 20 Buchveröffentlichungen konnte über verschiedene Themen des Gesundheits- und Pflegesystem informiert werden. Besonders hervorzuheben ist dabei das Lehrbuch "Staatsbürger- und Gesetzeskunde für Pflegeberufe in Frage und Antwort" (Erstveröffentlichung im Thieme-Verlag 1974 mit insgesamt 12 Auflagen).

Nähere Infos zu den Buchveröffentlichungen:
https://www.wernerschell.de/publikationen.php


In über 30 Neusser Pflegetreffs wurde mit rd. 100 hochrangigen Politikern (z.B. Minister, Bundestags- und Landtagsabgeordnete, Landrat des RKN, Bürgermeister der Stadt Neuss, Patienten- bzw. Pflegebeauftragte der Bundesregierung) und sonstigen Experten (z.B. Verbandsvertreter, Ärzte, Wissenschaftlicher, Pflegefachkräfte) aus den verschiedenen Einrichtungen des Gesundheits- und Pflegesystems auf die dringlichsten Handlungserfordernisse aufmerksam gemacht. Ergänzend konnte wiederholt in der Gesundheitskonferenz des Rhein-Kreises Neuss vorgetragen werden. - Leider konnten entsprechende Veranstaltungen seit Beginn der Corona-Pandemie nicht fortgeführt werden. So musste auch der für den 06.05.2020 komplett geplante Pflegetreff, der v.a. die Themen Pflegenotstand und Quartiershilfen aufgreifen sollte, bereits im März 2020 abgesagt werden. Eine neue Terminierung ist ungewiss.

Infos dazu:
> https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... =6&t=21660
> https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... =6&t=21963
> https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzw ... se2014.pdf
> https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzw ... 082015.pdf
> viewtopic.php?f=7&t=63&p=1782
> https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... =7&t=23481


Dass die hiesigen Informationen und Aktivitäten "oben angekommen" sind, zeigt der Umstand, dass es im Laufe der Jahre verschiedene Ehrungen gab (z.B. 2010: Ehrenpreis für soziales Engagement des LVR, 2013: Bundesverdienstkreuz, 2017: Deutscher Bürgerpreis, Kategorie Lebenswerk, 2017: Verdienstorden des Landes NRW).

Siehe insoweit:
> https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... =7&t=15095
> https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... hp?t=19976
> https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... hp?t=22294
> https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... hp?t=22406


Da es auch zahllose andere Akteure gab, die sich in ähnlicher Weise engagierten, habe ich schon in einer frühen Phase der hiesigen Bemühungen ein Aktionsbündnis all derjenigen angeregt, die sich für gute Pflege-Rahmenbedingungen zu Wort gemeldet haben. Es macht nämlich Sinn, gemeinsame Konzepte für nachhaltige Verbesserungen bei der ambulanten (häuslichen) und stationären Pflege abzusprechen und zum Gegenstand entsprechender Forderungen zu machen. Allein auf Einzelinitiativen beruhende Aktivitäten, Petitionen, TV-Berichte, Talk-Shows und Buchveröffentlichungen sind nicht wirklich hilfreich gewesen, den bestehenden Pflegenotstand zu beheben. Auch das pflegepolitische Wirken von Gewerkschaften und Sozial- bzw. Berufsverbänden sollte koordiniert werden.

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Es wird daher noch einmal vorgeschlagen, ein wirkungsvolles Aktionsbündnis zu organisieren. Zu bedenken ist, dass die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in den nächsten Jahren / Jahrzehnten deutlich zunehmen wird. Folglich ist eine zeitgerechte Gestaltung bzw. Gewährleistung entsprechender Versorgungsstrukturen dringend geboten. Es muss z.B. zeitgerecht sichergestellt werden, dass in den nächsten Jahren/Jahrzehnten genügend Pflege- und Betreuungskräfte sowie Pflegeheimplätze zur Verfügung stehen. Nach einer Stellungnahme des Deutschen Pflegerates vom 09.03.2021 werden allein in den nächsten 12 Jahren rd. 500.000 zusätzliche Pflegekräfte für die ambulante und stationäre Pflege benötigt (> einige Pflegemängel hat u.a. die "heute-show" am 12.3.2021 satarisch aufgegriffen). Für die Unterstützung der häuslichen Pflege sind Hilfestrukturen durch die Gestaltung entsprechender Quartiersangebote zwingend (z.B. präventive Hausbesuche, Lotsenpunkte).

Siehe insoweit:
> viewtopic.php?f=4&t=22&p=465#p465
> https://www.youtube.com/watch?v=KcabnpiEa1s


Es muss daher als sinnvoll erachtet werden, die verschiedenen Pflegebereiche - ambulant und stationär - gesamtheitlich in den Blick zu nehmen. Dabei muss auch die sog. "24-Stunden-Betreuung" durch meist osteuropäische Hilfs- bzw. Betreuungskräfte einbezogen werden. Insoweit bestehen vielfältige Regelungslücken, die dringend behoben und durch transparente und rechtssichere Betreuungsmodelle ersetzt werden müssen. Insoweit ist das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24.06.2021 - 5 AZR 505/20 - zu beachten. Nach dieser höchstrichterlichen Entscheidung haben nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeitsstunden. Dazu gehört auch Bereitschaftsdienst. Ein solcher kann darin bestehen, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten. - Dr. rer. pol. Bernhard Emunds, Professor für Christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie, Leiter des Oswald von Nell-Breuning-Instituts, hat bereits 2016 die häusliche "24-Stunden-Betreuung" in der Buchveröffentlichung "Damit es Oma gutgeht - Pflege-Ausbeutung in den eigenen vier Wänden" kritisch unter die Lupe genommen.

Siehe insoweit:
> viewtopic.php?f=6&t=190
> https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... =3&t=21560


Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24.06.2021 zur "24-Stunden-Betreuung" macht ganz aktuell deutlich, wie wichtig die von Pro Pflege - Selbsthilfenetz seit vielen Jahren eingeforderte Gestaltung von Quartiershilfen zur Unterstützung von pflegebedürftige Menschen und ihren Familien ist. Es ist nun dringlicher denn je, solche Unterstützungsstrukturen - nahe bei den Menschen - flächendeckend zu gestalten. Damit kann auch die Heimpflege deutlich entlastet werden.

Dass die Heimpflege dringend einer Verbesserung / Entlastung bedarf, zeigt auch ganz aktuell das von Ver.di vorgelegt Versorgungsbarometer 2021. Die von Ver.di ermittelten Ergebnisse verdeutlichen, dass bei 38% der befragten Beschäftigten in der Altenpflege die Grundpflege nicht immer bedarfsgerecht möglich ist. Nur 27% der Befragten gaben an, ausreichend Zeit für Gespräche mit den Bewohner:innen zu haben. Die Zeitschrift "CAREkonkret" berichtete dazu ausführlich am 25.06.2021.

Infos dazu:
> viewtopic.php?f=5&t=23&p=1730#p1730
> https://gesundheit-soziales.verdi.de/++ ... ometer.pdf


Zielgerichtete Reformen, die auf auskömmliche Hilfe und Unterstützungsleistungen abzielen, sollten nach all dem schnellstmöglich in einem "Masterplan Pflege" zusammen gefasst werden. Es gibt einen großen Handlungsbedarf mit einem Finanzvolumen von zig Milliarden Euro!

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Das aktuelle Pflegereförmchen von Juni 2021 ist unzureichend und kann nicht schön geredet werden. Die im Reförmchen gebotenen "Beruhigungspillen" werden die vorhandenen und noch zu erwartenden Probleme nicht ansatzweise lösen können. Die Pflegepolitik von Jens Spahn löst folglich null Probleme im Pflegesystem und muss als mangelhaft bzw. ungenügend bezeichnet werden. Der Pflegenotstand wird uns mit dem jetzigen Regelungsstand erhalten bleiben. ... Der Bundesrat hat am 25.06.2021 die "Pflegereform" gebilligt und in einer begleitenden Entschließung weitere Reformschritte angemahnt. Diese müssten unter Einbeziehung der Länder auf den Weg gebracht werden und insbesondere auch spürbare Entlastungen für die häusliche Pflege einschließen. Zur Finanzierung weiterer Reformschritte sei davon auszugehen, dass eine weitergehende Steuerfinanzierung zwingend zur Stabilisierung der Finanzierungsgrundlagen der Pflegeversicherung notwendig bleibe.

Infos dazu:
> viewtopic.php?f=5&t=23&p=1678#p1678


Bund, Länder und Kommunen sind gefordert - eine umfassende Reform an "Haupt und Gliedern" ist dringlich. Jedes Zögern macht alles nur noch schwieriger!

Im Übrigen ist das nachfolgende Zitat bedenkenswert:
"Ich würde mir wünschen, dass die Bürger dieselbe moralische und rechtliche Pflicht hätten, sich um ihre alternden Eltern zu kümmern, wie für Kinder". - Antwort einer führenden Mitarbeiterin in einem Gesundheitsministerium auf die Frage: "Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, mit dem Sie das Gesundheitswesen verbessern könnten, was würden Sie sich wünschen? - (Zitat von David Goodhart in dem Buch "Kopf Hand Herz, Penguin Verlag, 2020).


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Dass unabhängig von einer nachhaltig wirkenden Pflegereform dringliche Maßnahmen zum Klimawandel und zur Corona-Pandemiebekämpfung geboten sind, versteht sich! Die Alternative wäre: Mit Vollgas in die Klimakatastrophe und die nächste Pandemie.

Infos dazu:
> viewtopic.php?f=7&t=42


Werner Schell
Diplom-Verwaltungswirt - Oberamtsrat a.D. - Buchautor/Journalist - Dozent für Pflegerecht
Mitglied im Verband der Medizin- und Wissenschaftsjournalisten e. V.- https://www.vmwj.de
https://www.wernerschell.de - Pflegerecht und Gesundheitswesen
Infos auch bei https://www.facebook.com/werner.schell.7 bzw. https://twitter.com/SchellWerner


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Mit dem Statement von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk vom 26.09.2021
"Pflegenotstand auflösen und in den Kommunen unterstützende Netzwerke gestalten"
wurden zahlreiche Hinweise zu den Handlungserfordernissen im Gesundheits- und Pflegesystem ausgeführt. Dazu ergibt sich ergänzend:

Über die Rekrutierung ausländischer Pflegekräfte wird seit vielen Jahren diskutiert. Es gibt insoweit anhaltend erhebliche Vorbehalte, so dass sich u.a. die Feststellung aufdrängt, die personelle Not im Gesundheits- und Pflegesystem eher nicht im Ausland, sondern durch geeignete Reformmaßnahmen mit Blick auf die inländischen Bewerberinnen und Bewerber auszurichten. Vorrangig müssen, wie vielfach ausgeführt, deutlich verbessere Arbeitsbedingungen gestaltet werden. Dabei muss gelten: "Nicht kleckern, sondern klotzen". Die Anreize müssen stimmen! - Dazu einige ergänzende Hinweise aus einer aktuellen Buchveröffentlichung, die ebenfalls bedacht werden müssen.

> Nicht übersehen werden darf aber, dass ein hoher Aufwand notwendig ist, bis die aus dem Ausland rekrutierten Pflegekräfte voll einsatzfähig sind. Oftmals ist dieser Aufwand auch verloren, weil die angeworbenen Pflegepersonen mit anderen Vorstellungen gekommen sind und entweder wieder zurückgehen oder in einen anderen Beruf wechseln (Bonin et al. 2015).
Darüber hinaus müssen auch sprachliche und kulturelle Herausforderungen sowie unterschiedliche Studien- und Ausbildungsinhalte der im Ausland erworbenen Berufsabschlüsse bedacht werden. Ein zentraler Aspekt, "der von denen, die gerne die großen Lösungsansätze suchen, aber die Umsetzung dann nicht ausbaden müssen, oftmals kleingeredet wird" (Sell 2019), sind ausreichende Sprachekenntnisse. In der Pflege als Interaktionsarbeit sind Beziehungsaufbau und damit Kommunikation von zentraler Bedeutung. Auch in Hinblick auf Patientensicherheit müssen sich Pflegepersonen adäquat ausdrücken und die Anliegen der Patient/inn/en und Teamkolleg/inn/en sowie die Anordnungen von Ärzteseite verstehen können. Sell spricht im Pflegereport des Jahres 2019 davon, dass, würde die Diskussion ehrlich geführt, zugegebenen werden müsste, dass tagtäglich zahlreiche Pflege- und vor allem Behandlungsfehler gemacht werden, weil es bei einem Teil der Beschäftigten große Sprachprobleme gäbe. Diese ehrliche Diskussion würde aber deshalb ausbleiben, weil man ja über jede/n dankbar sei, die/der die lichten Reihen wieder füllt (Sell 2019). <

Quellen:
Gerda Sailer: "Pflege im Fokus", Springer, 2021 (Seite 42f) > viewtopic.php?f=4&t=195
Jacobs u.a.: Pflege-Report 2019, Springer, 2019 (Seite 93ff. > https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... =3&t=23325
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