Hauptversammlung formuliert Grundsatzforderungen an künftige Regierung
Hartmannbund spricht sich für Einführung eines Primärarztsystems aus

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Der Hartmannbund spricht sich für die Einführung eines Primärarztsystems aus, um künftig die Patientenwege im Versorgungssystem effektiver zu koordinieren. „Das Gesundheitssystem benötigt eine koordinierte Inanspruchnahme von Versorgungsleitungen von Patientinnen und Patienten, um der Diskrepanz zwischen begrenzter Verfügbarkeit von Leistungen und Ressourcen und vorhandenem Behandlungsbedarf zu begegnen“, heißt es in einer am Wochenende von den Delegierten der Hauptversammlung verabschiedeten Erklärung.
Unter der Überschrift „Orientierungslos durch den Versorgungsdschungel – Wie lange können wir uns den ungesteuerten Patienten noch leisten“ hatte sich das höchste Gremium des Verbandes zuvor unter der Beteiligung hochkarätiger Expertinnen und Experten* intensiv mit der Frage von Patientenströmen und möglichen Lenkungsmechanismen befasst. „Der Selbstbedienungsladen in der Versorgung hat einen Punkt erreicht, an dem es so nicht mehr weitergeht“, sagte der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhardt. Dabei gehe es nicht nur um den effizienten Einsatz begrenzter finanzieller Mittel und den Schutz „ausgebrannter Kolleginnen und Kollegen“, sondern auch um Patientensicherheit. Auch Prof. Leonie Sundmacher, Mitglied des Sachverständigenrates Gesundheit, machte deutlich, dass das System „ein hohes Maß an Arztdichte bei hohen Fallzahlen verschleiße und an Wirkung verliere“. Vorhandene Steuerungsinstrumente setzten an den falschen Stellen an. Der Vorstandsvorsitzende der BKK, Ulrich Knieps, forderte die Ärzteschaft in diesem Zusammenhang zu mehr Mut und Eigeninitiative auf: „Es wird keinen Königsweg geben. Probieren Sie die Dinge aus!“
Vor dem Hintergrund der sich andeutenden Neuwahlen und der damit verbundenen zu erwartenden Diskontinuität zahlreicher gesundheitspolitischer Gesetzesvorhaben hatte der Hartmannbund zuvor seine Tagesordnung geändert und an die Stelle geplanter Resolutionen zu aktuellen Gesetzentwürfen unter der Überschrift „Für ein stabiles und modernes Gesundheitssystem“ die Formulierung eines Kataloges von Grundsatzforderungen** an eine künftige Regierung gestellt.
Die Versammlung war sich einig, dass eine zügige Wiederherstellung politischer Handlungsfähigkeit angesichts der akuten Herausforderungen dringend notwendig sei
Das Positionspapier finden Sie als PDF anbei (siehe unten)
*Bei der Podiumsdiskussion waren zu Gast: Prof. Dr. Leonie Sundmacher, u. a. Mitglied des Sachverständigenrates Gesundheit und Pflege; Prof. Dr. Martin Scherer, u. a. Institutsdirektor am UKE Hamburg; Franz Knieps, Vorstand des BKK-Dachverbandes; Prof. Dr. Martin Hirsch, Prof. für KI in der Medizin an der Universität Marburg; Veronika Schulte-Marin, Leiterin der Patientensteuerung bei consus.health, Part of Accenture sowie Dr. Michael Bayeff-Filloff, u. a. Chefarzt der Zentralen Notaufnahme am RoMed Kliniken Rosenheim
Den Text der Pressemeldung finden Sie auch in der Anlage bzw. auf der Homepage des Verbandes (www.hartmannbund.de).
Quelle: Pressemitteilung vom 09.11.2024
Gitta Dietrich
Referat Verbandskommunikation
Hartmannbund - Verband der Ärztinnen und Ärzte Deutschlands e.V.
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Positionspapier > Für ein modernes und stabiles Gesundheitssystem
Das Gesundheitssystem bedarf vor dem Hintergrund demografischer Herausforderungen, steigender Kosten, reformbedürftiger Versorgungsstrukturen und des Rückgangs ärztlicher Arbeitszeit mutiger Veränderungen. Ein effizienterer Einsatz der vorhandenen Ressourcen ist essentiell. In diesem Sinne müssen folgende grundlegende Eckpunkte das politische Handeln künftig bestimmen:
• Das Gesundheitssystem benötigt eine koordinierte Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen durch Patientinnen und Patienten, um der Diskrepanz zwischen begrenzter Verfügbarkeit von Leistungen und Ressourcen und steigendem Behandlungsbedarf zu begegnen. Das System muss aus
Patientensicht leicht verständlich und einfach aufgebaut sein. Ein Primärarztsystem ist ein geeignetes Instrument, um Patientenwege zu steuern. Die Versorgungslandschaft der Zukunft benötigt zudem - ggf. auf der Grundlage finanzieller Anreizsysteme - eine erreichbare ambulante Grund- und fachärztliche Versorgung.
• Es braucht eine Krankenhausreform, um die stationären Strukturen zukunftsfähig zu machen. Der Fokus muss dabei auf der Steigerung von Behandlungsqualität durch Spezialisierung bei gleichzeitiger Gewährleistung der flächendeckenden Versorgung liegen. Krankenhäuser in Deutschland brauchen langfristige Planbarkeit und sichere finanzielle Rahmenbedingungen.
• Digitalisierung bietet enorme Chancen für die Versorgung. Diese müssen unter Gewährleistung der Interoperabilität konsequent genutzt werden. Kommunikationsprozesse und der strukturierte Datenaustausch werden dadurch auf allen Ebenen beschleunigt und verbessert. Eine konsequente
Datenverfügbarkeit und sichere Datennutzung werden die Versorgung optimieren.
• Künstliche Intelligenz wird die Gesundheitsversorgung in den kommenden Jahren revolutionieren. Sie kann ärztliches Handeln unterstützen, die Qualität von Diagnosen und Therapien steigern und die Effizienz in vielen Prozessen erhöhen. Der Einsatz von KI muss jedoch in ärztlicher Hand leiben und die medizinischen Handlungsmöglichkeiten erweitern. KI darf ärztliches Handeln nicht ersetzen.
• Nur durch eine massive Entbürokratisierung auf allen Ebenen des Gesundheitssystems werden Prozesse schneller und effizienter. Die limitierte Arztzeit kann auf dieser Basis effektiv für die Versorgung der Patientinnen und Patienten eingesetzt werden. Die Arzt-Patienten-Beziehung wird gestärkt. Versorgungsqualität und Patientenzufriedenheit steigen. Arbeitsbelastung und Kosten werden reduziert.
• Es braucht gesamtgesellschaftliche, in alle Lebensbereiche hineinwirkende Präventionsmaßnahmen. Sie verringern die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen, indem sie Erkrankungen vermeiden, ihre Schwere reduzieren und mehr gesunde Jahre ermöglichen.
• Der Schutz vor versorgungsfremden, renditegetriebenen Einflüssen ist wesentliche Grundlage für die unabhängige Patientenversorgung und ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis. Die freiheitliche ärztliche Berufsausübung muss erhalten bleiben, ebenso Therapiefreiheit und Pluralismus.
• Die ungekürzte Vergütung aller erbrachten ärztlichen Leistungen ist Grundlage, um die qualitativ hochwertige Patientenversorgung auch zukünftig noch gewährleisten zu können.
• Zu einer guten Patientenversorgung gehört eine ärztliche Weiterbildung mit gesicherten strukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen.
• Nur durch ein modernes Medizinstudium kann die zukünftige Ärztegeneration auf die Anforderungen der Versorgung sachgerecht vorbereitet werden und dem internationalen Vergleich standhalten. Die Umsetzung des Masterplans 2020 ist überfällig.
• Der Erhalt des dualen Krankenversicherungssystems garantiert Wettbewerb und Innovationsanreize im Gesundheitssystem und schafft damit die notwendigen Impulse und Voraussetzungen für eine Versorgung auf hohem medizinischem Niveau. Dafür braucht es sowohl in der gesetzlichen als auch in der privaten Krankenversicherung moderne Honorierungssysteme. Health in All Policies: Gesundheit muss in allen politischen Bereichen berücksichtigt werden, da soziale, ökonomische und ökologische Faktoren wesentlichen Einfluss auf die Gesundheit der Bevölkerung haben. Es braucht eine enge Zusammenarbeit zwischen Gesundheitswesen und anderen Politikbereichen wie Bildung, Umwelt und Stadtplanung, um gesundheitsfördernde Lebensbedingungen zu schaffen.
Berlin, 9.11.2024