Nach wie vor große regionale Unterschiede bei der Qualität der Versorgung von Menschen in Pflegeheimen - Kaum Verbesserungen bei Dauermedikation mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln
(Anmerkungen dazu von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk weiter unten)

Fehlende Prophylaxe und Prävention, kritische Arzneimittelversorgung und vermeidbare Krankenhausaufenthalte: Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat aktuelle Daten zu insgesamt zehn Versorgungsthemen mit Blick auf Pflegeheimbewohnende im Online-Portal „Qualitätsatlas Pflege“ vorgelegt (> https://www.qualitaetsatlas-pflege.de/ ). Mit den sogenannten QCare-Indikatoren werden kritische Ereignisse in der pflegerischen, ärztlichen und therapeutischen Versorgung in Pflegeheimen in Deutschland erfasst und teils erhebliche regionale Qualitätsunterschiede in der Versorgung deutlich gemacht. Nach der ersten Veröffentlichung der Ergebnisse vor zwei Jahren sind aktuelle Auswertungen für die Datenjahre 2022 und 2023 ergänzt worden, die bei allen Indikatoren kaum Verbesserungen erkennen lassen. Die Auswertungen beruhen auf Abrechnungsdaten der Pflege- und Krankenkassen und werden mit dem Ziel aufbereitet, die Versorgungsqualität in Pflegeheimen bis auf Kreisebene transparent zu machen. Dabei werden auch Schnittstellen zur medizinischen Versorgung beleuchtet, zu denen es bisher keine systematischen und regelmäßigen Auswertungen gab.
Ein anhaltendes bundesweites Problem ist der Auswertung zufolge die Dauerverordnung von Beruhigungs- und Schlafmitteln bei Pflegeheimbewohnenden: So erhielten in Deutschland 7,14 Prozent von ihnen im Jahr 2023 eine Dauerverordnung von Benzodiazepinen, Benzodiazepin-Derivaten und Z-Substanzen (Abbildung 1). Diese Arzneimittel wirken schlaffördernd, beruhigend und angstlösend – allerdings nur kurzfristig, denn nach vier Wochen sind diese Effekte nicht mehr gegeben. Bei langfristiger Gabe drohen dann Abhängigkeiten, eine erhöhte Sturzgefahr sowie das Auftreten von Angst und Depressionen. „In Deutschland zählen diese Wirkstoffe zu den häufigsten potenziell inadäquat verschriebenen Medikamenten für ältere Menschen“, erklärt Susann Behrendt, Forschungsbereichsleiterin Pflege im WIdO. „Aktuelle Erkenntnisse darüber, wie viele Menschen speziell in Pflegeheimen davon betroffen sind, lagen bisher kaum vor. Mit unserer Auswertung sorgen wir hier für mehr Transparenz. Seit der ersten Veröffentlichung dieser Daten stellen wir nur einen geringen bundesweiten Rückgang fest. So ist der Anteil der Dauerverordnungen von 8,17 Prozent im Jahr 2017 auf 7,33 Prozent im Jahr 2022 und zuletzt auf 7,14 Prozent im Jahr 2023 gesunken.“
Regional zeigt das Update bei den Verordnungen erneut erhebliche Abweichungen: So war der Verordnungsanteil im Saarland im Jahr 2023 mit 15,88 Prozent doppelt so hoch wie im bundesweiten Schnitt. Auch Nordrhein-Westfalen (12,15 Prozent), Baden-Württemberg (9,07 Prozent) und Rheinland-Pfalz (7,69 Prozent) zählen zum Spitzenfeld bei den problematischen Dauerverordnungen. Im Vergleich zu 2017 gab es auch bei den Kreisdaten dieser Länder nur einen geringen Rückgang. Insgesamt lag der Anteil im Viertel der Kreise Deutschlands mit den besten Ergebnissen bei maximal 4,58 Prozent, während im Viertel der Kreise mit den schlechtesten Ergebnissen mindestens 9,52 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner – also etwa doppelt so viele – betroffen waren.
Die risikoreichen Dauerverordnungen kommen der Analyse zufolge im Westen deutlich häufiger vor als im Osten. Den geringsten Wert zeigt Sachsen-Anhalt – hier lag der Verordnungsanteil bei nur 2,90 Prozent. „Insgesamt unterstreichen die Ergebnisse des Qualitätsatlas Pflege den anhaltenden Optimierungsbedarf bei dieser risikoreichen und nicht zielführenden Dauermedikation“, betont Susann Behrendt. Einzubeziehen wären hierbei idealerweise auch Informationen zu privat rezeptierten Schlaf- und Beruhigungsmitteln. Die Auswertungen des Qualitätsatlas Pflege basieren auf den AOK-Routinedaten und damit ausschließlich auf Verordnungen, bei denen die Kostenerstattung über die Krankenkasse erfolgte.
79 Prozent der Pflegeheimbewohnenden mit Diabetes ohne augenärztliche Vorsorge
Klare Defizite in der Versorgungsqualität zeigen sich auch an der Schnittstelle zur ambulant-ärztlichen Versorgung: So haben bundesweit 79,15 Prozent der an Diabetes erkrankten Pflegeheimbewohnenden im Jahr 2023 keine augenärztliche Vorsorge erhalten (Abbildung 2). Dabei sehen die medizinischen Leitlinien eine regelmäßige Kontrolle der Augen vor, um frühzeitig Veränderungen der Netzhaut zu erkennen und irreversible Sehstörungen zu vermeiden. Behrendt: „Gerade der Erhalt der Sehkraft ist ein wesentlicher Faktor für Lebensqualität und Selbstständigkeit. Bei Verlust drohen soziale Isolation, psychische Beeinträchtigungen sowie ein erhöhtes Risiko für Verletzungen.“
In der regionalen Betrachtung zeigt die Auswertung ein leichtes Süd-Nord-Gefälle: So zählte jeweils mehr als ein Drittel aller Kreise in Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Bayern zum auffälligsten Viertel des Regionen-Vergleichs. Hier wiesen jeweils 84,56 Prozent oder mehr der Pflegeheimbewohnenden mit Diabetes keinen Augenarzt-Kontakt im Jahr 2023 auf. Neben deutlich geringeren Anteilswerten in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg erreichte oder überschritt demgegenüber in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen kein Kreis diesen Wert, in Nordrhein-Westfalen waren es zwei von 53 Kreisen und in Schleswig-Holstein einer von fünfzehn Kreisen. Behrendt: „Diese kleinräumige Analyse bis auf Kreisebene kann den Verantwortlichen vor Ort und den gesundheitspolitischen Akteuren helfen, gezielt nach den Ursachen für die regionale Unterversorgung zu fahnden. Ein entscheidender Faktor ist hier sicherlich die flächendeckende Versorgung mit Augenärzten.“
Zeitreihen zeigen konstantes Niveau der Stürze bei Risikomedikation
Der Qualitätsatlas Pflege betrachtet auch sturzbedingte Krankenhausaufenthalte bei Pflegeheimbewohnenden, die Medikamente erhalten, welche die Wahrscheinlichkeit für Stürze erhöhen (sogenannte FRIDs). Durch die Einnahme von Wirkstoffen wie Antidepressiva, Antipsychotika, Hypnotika/Sedativa oder auch durch Benzodiazepine und Anxiolytika erhöht sich das ohnehin schon hohe Sturzrisiko von betagten, multimorbiden Menschen noch weiter.
Der Qualitätsatlas Pflege zeigt, dass im Jahr 2023 mit 16,23 Prozent mehr als jede sechste Person, die im Pflegeheim FRIDs erhielt, sturzbedingt im Krankenhaus versorgt wurde (Abbildung 3). Auch 2017 belief sich der Anteil der Betroffenen auf 16,09 Prozent und blieb in den sechs Folgejahren nahezu konstant. Die regionale Varianz ist auch bei diesem Qualitätsindikator erheblich und reicht von nur 12,99 Prozent der Pflegeheimbewohnenden in Mecklenburg-Vorpommern bis zu 18,45 Prozent in Rheinland-Pfalz. Das obere Ende der Skala bilden ein Kreis in Rheinland-Pfalz sowie zwei Kreise in Bayern. Hier kamen jeweils mehr als ein Viertel (25,10 Prozent bis 33,54 Prozent) der Pflegeheimbewohnenden mit riskanter Medikation 2023 sturzbedingt ins Krankenhaus. Am unteren Ende der Skala finden sich drei Landkreise aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Hier war nur jeder zehnte Pflegeheimbewohnende betroffen (9,78 Prozent bis 10,06 Prozent).
Zehn Indikatoren an den Schnittstellen der Versorgung von Pflegebedürftigen
Neben den genannten Indikatoren betrachtet der Qualitätsatlas Pflege noch sieben weitere Themen im regionalen und zeitlichen Vergleich: die Krankenhauseinweisungen von Demenzkranken aufgrund von Flüssigkeitsmangel, vermeidbare Krankenhausaufenthalte am Lebensende, das Auftreten von Dekubitus, die Dauerverordnung von Antipsychotika bei Demenz, die gleichzeitige Verordnung von neun oder mehr Wirkstoffen, den Einsatz von für ältere Menschen ungeeigneter Medikation und die Häufigkeit besonders kurzer Krankenhausaufenthalte von bis zu drei Tagen.
Die WIdO-Analysen für den Qualitätsatlas Pflege beruhen auf den Abrechnungsdaten der elf AOKs, die rund ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland versichern. Dabei wurden die Daten aus der Kranken- und aus der Pflegeversicherung einbezogen und miteinander verknüpft. Zur Darstellung von räumlichen Verteilungsmustern bei der Versorgungsqualität nutzt das WIdO ein wissenschaftlich entwickeltes Set von Qualitätsindikatoren für die Pflege (QCare Indikatoren). Insgesamt sind in die Auswertung die Daten von rund 350.000 Pflegeheimbewohnenden ab 60 Jahren eingeflossen. Das entspricht knapp der Hälfte aller stationär versorgten Pflegebedürftigen in Deutschland. Im Online-Portal „Qualitätsatlas Pflege“ des WIdO sind die Ergebnisse für die einzelnen Bundesländer und für die rund 400 Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland im regionalen Vergleich dargestellt. Die Ergebnisse zu den zehn betrachteten Themen können nun auch als Zeitreihen für die Datenjahre 2017 bis 2023 betrachtet werden.
Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann, kommentiert die Ergebnisse des Daten-Updates im Qualitätsatlas Pflege des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). >>> https://www.aok.de/pp/bv/statement/reim ... as-pflege/
Quelle: Pressemitteilung vom 02.06.2025 > https://www.aok.de/pp/bv/qualitaetsatlas-pflege/#c53239
Siehe auch > https://www.wido.de/news-presse/pressem ... as-pflege/
+++
AOK: Zu viele Pflegeheimbewohner mit Pillen ruhiggestellt
Die AOK sieht einen Zusammenhang zwischen zu wenigen Pflegekräften und dem Ruhigstellen von Pflegeheimbewohnern mit Medikamenten. Bundesweit sind laut der Kasse noch mehr Menschen betroffen.
Berlin/Schwerin (dpa/mv) - In deutschen Pflegeheimen werden aus Sicht der Krankenkasse AOK zu viele Bewohner mit Tabletten ruhiggestellt. In Mecklenburg-Vorpommern haben einer Untersuchung der Kasse zufolge 4,6 Prozent aller Pflegeheimbewohner eine Dauerverordnung von Benzodiazepinen, Benzodiazepin-Derivaten und sogenannten Z-Substanzen. Damit bekommt jeder 22. Pflegebedürftige im Heim dauerhaft Beruhigungs- und Schlafmittel. Bundesweit liegt der Anteil laut dem jüngsten "Qualitätsatlas Pflege" der AOK sogar bei 7,14 Prozent - das ist jeder 14. Bewohner.
Die genannten Arzneimittel wirken den Angaben zufolge kurzfristig schlaffördernd, beruhigend und angstlösend. Nach vier Wochen seien diese Effekte aber nicht mehr gegeben. Bei langfristiger Gabe drohten Abhängigkeit, erhöhte Sturzgefahr sowie das Auftreten von Angst und Depressionen.
"In Deutschland zählen diese Wirkstoffe zu den häufigsten potenziell inadäquat verschriebenen Medikamenten für ältere Menschen", erklärte Susann Behrendt vom Wissenschaftlichen Institut der AOK. Eine erhöhte Dauergabe von Ruhigstellern hänge häufig mit einer knappen Personaldecke zusammen. Die Daten stammen den Angaben zufolge aus dem Jahr 2023.
Fehlende Augen-Prophylaxe bei Diabetikern
76 Prozent aller Pflegeheimbewohner mit Diabetes in MV haben überdies 2023 keine augenärztliche Vorsorge erhalten, wie es weiter heißt. Bundesweit waren es den Angaben zufolge sogar 79,2 Prozent. "Dabei sehen die medizinischen Leitlinien eine regelmäßige Kontrolle der Augen vor, um frühzeitig Veränderungen der Netzhaut zu erkennen und irreversible Sehstörungen zu vermeiden", so die AOK.
Insgesamt erleben Bewohner von Pflegeheimen in Mecklenburg-Vorpommern seltener kritische Ereignisse als im Bundesdurchschnitt, wie das AOK-Institut resümierte. So mussten 2023 bundesweit 16,2 Prozent aller Pflegeheimbewohner nach einem Sturz im Krankenhaus behandelt werden - in MV waren es 13 Prozent, wie es hieß.
Mehr Stürze in Vorpommern-Greifswald
Innerhalb von MV reichte die Bandbreite von 11,2 Prozent im Landkreis Vorpommern-Rügen bis zu 15,1 Prozent in Vorpommern-Greifswald. Bei Druckgeschwüren (Dekubitus) schneidet MV mit 11,3 Prozent betroffenen Pflegeheimbewohnern besser ab als der Bundesdurchschnitt von 12,5 Prozent. Innerhalb des Landes reicht die Bandbreite von 9,2 Prozent Liegegeschwüren im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte bis zu 15,1 Prozent in der Landeshauptstadt Schwerin.
Quelle: dpa - Bericht > https://www.n-tv.de/regionales/mecklenb ... 07879.html
+++
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk bemerkt zu dem vorgestellten Qualitätsatlas Pflege:
Die beschriebenen Mängel sind nicht neu, bestehen eigentlich seit Jahrzehnten in unterschiedlicher Ausprägung. Pro Pflege – Selbsthilfewerk hat daher immer wieder auf die gebotenen Reformerfordernisse aufmerksam gemacht und hat dazu umfangreiche Vorschläge unterbreitet. In über 30 Pflegetreffs wurde mit Bundes- und Landesministern, Kommunalpolitikern und Pflegeexperten über die Handlungsanforderungen diskutiert. Im Gefolge solcher Informationen wurde zwar an „kleinen Schräubchen“ gedreht, aber die gegebenen Probleme wurden nicht aufgelöst. Im Gegenteil: Der Pflegenotstand entwickelte sich ständig weiter, so dass in naher Zukunft eine handfeste Pflegekatastrophe ansteht. Die neue Koalition muss sich nun eigentlich kümmern und dazu viel Geld in die Hand nehmen.
Auf einige aktuelle Infotexte im hiesigen Forum wird wie folgt aufmerksam gemacht:
Pflegenotstand: Es besteht leider kein Anlass zu Optimismus ... > viewtopic.php?p=12895#p12895
Der Versorgungsnotstand in der ambulanten und stationären Pflege wird dramatische Ausmaße annehmen > viewtopic.php?f=5&t=796
Pflegeversicherung - Politikversagen auf breiter Front > viewtopic.php?f=5&t=1106
Pflege der Zukunft ist eine Pflege im Quartier > viewtopic.php?f=4&t=1119
5,7 Millionen Pflegebedürftige zum Jahresende 2023 > viewtopic.php?f=4&t=1281
Pflegebedürftigkeit frühestmöglich verhindern – Gesundheitsförderung und Prävention in der Pflege stärken > viewtopic.php?f=4&t=1091
Gesunde Lebensführung stärkt das Immunsystem und kann einige Krankheiten vermeiden helfen oder deutlich Hinauszögern ... > viewtopic.php?f=5&t=78
…. (weitere Infos u.a. unter > viewforum.php?f=4 )
Werner Schell (04.06.2025)