Entlassung eines Berufsbetreuers im Zusammenhang mit einer Corona-Schutzimpfung

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht
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WernerSchell
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Entlassung eines Berufsbetreuers im Zusammenhang mit einer Corona-Schutzimpfung

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- 1 BvR 1211/21 -

In dem Verfahren
über die Verfassungsbeschwerde des Herrn P…,
gegen
a) den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 26. Mai 2021 - 2-29 T 51/21 -,
b) den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 25. März 2021 - 2-29 T 51/21 -,
c) den Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main - Außenstelle Höchst - vom 1. März 2021 - 405 XVII 293/08 F -
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Paulus, Christ und die Richterin Härtel
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 31. Mai 2021 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

G r ü n d e:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Entlassung eines Berufsbetreuers im Zusammenhang mit einer Corona-Schutzimpfung (Impfung).

I.
Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und vormaliger Berufsbetreuer einer 93-Jährigen (im Folgenden: Betroffene), die an Demenz leidet und durch Dritte im Rahmen von Tagespflege zu Hause gepflegt wird. Daneben war der Beschwerdeführer für mindestens zwei weitere Personen als Betreuer mit dem Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge bestellt. In allen drei Verfahren wirkte der Beschwerdeführer einer Impfung der betreuten Personen entgegen, weil er nach eigener Einschätzung das damit verbundene Risiko im Verhältnis zu ihrem Nutzen für das Leben und die körperliche Unversehrtheit der betreuten Personen als schwerwiegender erachtete.
Nachdem das Betreuungsgericht den Beschwerdeführer zur Stellungnahme aufgefordert hatte, entließ es ihn schließlich als Betreuer der Betroffenen wegen mangelnder Eignung, ihre Angelegenheiten zu besorgen. Das Beschwerdegericht bestätigte die Entscheidung. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde. Er rügt eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG, weil die Gerichte seine Risiko-Nutzen-Abwägung einer Impfung für die Betroffene, die wegen der noch nicht zu überblickenden Nebenwirkungen mit „Russisch Roulette“ gleichzusetzen sei, nicht angehört hätten.

II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil keine Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG vorliegen und auch sonst kein Grund für ihre Annahme ersichtlich ist. Die Verfassungsbeschwerde ist mangels einer den § 92, § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BVerfGG entsprechenden Begründung bereits unzulässig; sie hat damit keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).
Der Beschwerdeführer rügt einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Er ist vor seiner Entlassung als Betreuer jedoch durchaus gehört worden.
Auch im Übrigen ist gegen die angegriffenen Gerichtsentscheidungen verfassungsrechtlich nichts zu erinnern. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber, ein System der Hilfe und des Schutzes für betreute Menschen vorzusehen, welche die Erforderlichkeit einer medizinischen Behandlung zur Abwehr erheblicher Erkrankungen nicht erkennen oder nicht danach handeln können (vgl. BVerfGE 142, 313 <338 Rn. 71>). Nach der gesetzgeberischen Ausgestaltung (vgl. §§ 1901 ff. BGB) ist der Wille einer betreuten Person wegen ihres grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts für den Betreuer und die staatlichen Organe handlungsleitend (vgl. BVerfGE 142, 313 <339 f. Rn. 74>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 31. März 2021 - 1 BvR 413/20 -, Rn. 30 f.).
Die Ersetzung des Willens der Betreuten durch den Betreuer und das Betreuungsgericht kommt unter den Voraussetzungen des § 1904 BGB überhaupt nur subsidiär in Betracht, wenn ihr tatsächlicher oder mutmaßlicher Wille nicht festzustellen ist. Wenn die ärztliche Maßnahme – wie hier möglicherweise die Impfung – medizinisch angezeigt ist und bei ihrer Unterlassung eine begründete Gefahr für Leben oder Gesundheit des Betreuten besteht, muss das Betreuungsgericht gemäß § 1904 Abs. 2 BGB die Nichteinwilligung des Betreuers in den Eingriff genehmigen. Ansonsten ist der Betreuer in Erfüllung seiner besonderen Verantwortung für die betreute Person zur Einwilligung in die Maßnahme verpflichtet. Die dauerhafte Nichterfüllung dieser Verpflichtung kann die Entlassung eines Betreuers gemäß § 1908b Abs. 1 Satz 1 BGB rechtfertigen.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Paulus Christ Härtel

Quelle: https://www.bundesverfassungsgericht.de ... 21121.html



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Die Redaktion beck-aktuell hat dazu am 4. Juni 2021 in Kürz erklärt:

BVerfG bestätigt Entlassung von impfkritischem Berufsbetreuer
Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat die Ent­las­sung eines Be­rufs­be­treu­ers be­stä­tigt, der eine 93 Jahre alte de­men­te Frau und min­des­tens zwei an­de­re Be­treu­te von der Co­ro­na-Imp­fung ab­hal­ten woll­te. Das Ge­richt nahm seine Ver­fas­sungs­be­schwer­de nicht zur Ent­schei­dung an. Der Rechts­an­walt hatte sich gegen die Imp­fung ge­stellt, weil er die Ri­si­ken für grö­ßer hielt als den Nut­zen.
Anwalt: "Impfen wie Russisch Roulette"
Wegen der noch nicht zu überblickenden Nebenwirkungen sei das Impfen wie Russisch Roulette, so der Anwalt. Das Amtsgericht Frankfurt am Main hatte ihn daraufhin Anfang März wegen mangelnder Eignung als Betreuer der Betroffenen entlassen. Das Landgericht bestätigte die Entlassung. Dagegen wandte sich der Mann erfolglos mit seiner Verfassungsbeschwerde.
BVerfG: Pflicht zur Einwilligung in medizinisch angezeigte Maßnahmen
Die Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg. Ein Betreuer sei grundsätzlich zur Einwilligung in medizinisch angezeigte Maßnahmen verpflichtet, wenn sonst Leben oder Gesundheit der Betreuten bedroht seien, entschieden die Richter. Die dauerhafte Nichterfüllung dieser Pflicht könne die Entlassung rechtfertigen.
Quelle: https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldu ... fsbetreuer
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