Patientenverfügungen leisten oft nicht, was von ihnen erwartet wird ...

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WernerSchell
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Patientenverfügungen leisten oft nicht, was von ihnen erwartet wird ...

Beitrag von WernerSchell »

Patientenverfügungen leisten oft nicht, was von ihnen erwartet wird.
Woran liegt das und was lässt sich tun?


Ein Beitrag von Frank Spade - übermittelt am 19.06.2024


Seit 2009 regelt ein Gesetz, dass Patientenverfügungen befolgt werden müssen, wenn sie auf die aktuelle Situation zutreffen und konkrete Anweisungen enthalten. Letzteres wurde 2016 in einem Urteil des BGH in Erinnerung gebracht. Eigentlich also nichts Neues, aber wer liest schon ein Gesetz, bevor er eine Patientenverfügung aufsetzt, zumal im Internet über hunderte Angebote zu finden sind, die es scheinbar leichter machen. Tatsächlich gibt es aber erhebliche Unterschiede, was die Reichweite einer Patientenverfügung betrifft, d. h., in welchen Situationen sie beachtet werden muss. Hierzu wurde im Gesetz festgelegt, dass Patientenverfügungen unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung zu beachten sind.

Eine Patientenverfügung wird erst benötigt, wenn der eigene Wille nicht mehr kommuniziert werden kann. Selbst wenn das noch geht, fällt es vielen schwer zu entscheiden, auf welche Behandlung sie lieber verzichten wollen, weil die Konsequenzen nicht vollumfänglich erfasst werden.

Die allermeisten Patientenverfügungsvorlagen orientieren sich an den Empfehlungen des BMJV von 2004, die in ihrer Reichweitenvorgabe sehr eingeschränkt sind. Es gibt einige Angebote, die zulassen, die Reichweite enger oder weiter zu fassen. Das Spektrum geht dabei von Lebensschutz bis Sterbehilfe, wobei die meisten Angebote irgendwo dazwischen liegen.

Den größten Lebensschutz dürfte zurzeit jemand haben, der keine Patientenverfügung, aber eine gute Krankenversicherung hat. Dann kann erwartet werden, dass alles getan wird, um das Sterben hinauszuzögern. Dem am nächsten kommt die sog. Christliche Patientenvorsorge, deren Vorgabe die Ablehnung lebenserhaltender Maßnahmen nur im unabwendbaren, unmittelbaren Sterbeprozess oder Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Erkrankung vorsieht. In einer solchen Situation würde ein ethisch handelnder Arzt aber sowieso nichts mehr tun, um das Sterben hinauszuzögern, denn es ist ja bereits »unabwendbar«, bzw. der Patient ist »austherapiert«. Hier muss man fragen dürfen: Wem nützt es, dass in anderen aussichtslosen Fällen, eine Sterbeverzögerung durch diese „Patientenvorsorge“ legitimiert erscheint?

Am anderen Ende des Spektrums sind u. a. die beiden Patientenverfügungsmodelle des Humanistischen Verbands Deutschlands (HVD). Deren Standard-Patientenverfügung hat die Wahlmöglichkeiten erheblich über die Vorgaben des BMJV hinaus erweitert. Zudem wird eine kostenlose Beratung angeboten sowie die qualifizierte Erstellung von Patientenverfügung und Vorsorgevollmachten. Aber warum bietet ein Humanistischer Verband zwei konkurrierende Patientenverfügungen an, eine für 60 und die andere für 160 Euro und suggeriert, dass die teurere auch die bessere ist?

Die Wahlmöglichkeiten gehen sogar so weit, dass lebensverlängernde Maßnahmen bei Schwerstpflegebedürftigkeit ausgeschlossen werden können und/oder die Behandlung bei schwerer Hirnverletzung zeitlich begrenzt werden kann. Außerdem ist es möglich, Wiederbelebungsmaßnahmen bei Herz-/Kreislaufstillstand dann absolut auszuschließen.

Wer noch am Leben teilhaben und sich selbständig bewegen kann, schließt dadurch eine Wiederbelebung zunächst nicht aus, denn die Patientenverfügung liegt meist zuhause. Wenn aber nach einer fehlgeschlagenen Wiederbelebung, bei Nichteinwilligungsfähigkeit, eine strikte Verfügung zur Kenntnis gelangt, muss die weitere Behandlung eingestellt werden. Dann kann ich an meiner Erkrankung natürlich versterben, so wie es meine Großeltern und alle Generationen davor noch mussten (oder durften), weil die Medizin noch nicht anders konnte.

Anders ist es, wenn ich bereits pflegebedürftig bin und in einer Pflegeeinrichtung gepflegt werde. Dann sollte der Inhalt der Patientenverfügung bekannt sein und eine Kopie (nicht das Original!) in der Pflegeakte liegen. Solange ich es noch kann, könnte ich die Pflegenden darauf hinweisen, dass ich nun auf keinen Fall mehr wiederbelebt werden will. Dazu kann ich in der Verfügung auch die Benachrichtigung eines Notarztes ausschließen.

Leider sind viele Pflegeeinrichtungen nicht bereit, das dann zu respektieren. Zu groß ist die Angst wegen unterlassener Hilfeleistung belangt zu werden oder die, einen einträglichen Patienten zu verlieren. Darum ist es hilfreich, wenn der behandelnde Arzt in einer vorausschauenden
Notfallplanung, entsprechende Anweisungen gegeben hat und die offen, neben dem Bett aushängen.

Leider gibt es bisher keine glaubwürdige Instanz, die die Qualität angebotener Patientenverfügungen vergleicht und beurteilt. Unglücklicherweise hat sich die für sowas prädestinierte Stiftung Warentest selber disqualifiziert, indem sie eine eigene Patientenverfügung herausgegeben hat und damit
versucht Geld zu verdienen. Bei einem Vergleich würde deutlich werden, dass ihre eigene kaum über die Empfehlungen des BMJV hinausgeht, dafür aber die möglichen Festlegungen teilweise unnötig verkompliziert.

Das macht die Situation für einen Vorsorgewilligen natürlich nicht einfacher. Naheliegend wäre, sich von einem Arzt beraten zu lassen, doch dürfte auch diesem der Überblick fehlen, und die Kenntnisse und Bereitschaft eine individuelle Patientenverfügung zu erstellen, denn die Beratung zur
Patientenverfügung ist keine kassenärztliche Leistung. Da das Ziel einer Patientenverfügung das Zulassen eines natürlichen Sterbens ist, könnte ein Arzt zudem in einen Gewissenskonflikt kommen, wenn er seine Aufgabe vorrangig in der Lebenserhaltung sieht.

Da Ärzte mit Sterbeverhinderung viel Geld verdienen können, kann dies zu einem Interessenskonflikt führen, der in der Qualität der empfohlenen Patientenverfügung zum Ausdruck kommen kann. Aber Ärzte sind nicht von Haus aus qualifiziert zu Patientenverfügungen zu beraten, denn die wenigsten haben Erfahrung mit Sterbenden, auch weil Hausbesuche sich finanziell nicht mehr lohnen.

Mancher meint sich von einem Anwalt oder Notar beraten lassen zu müssen, doch fehlt denen dazu meist die medizinische Qualifikation, sodass sie oft einen vorgefertigten Text benutzen und relativ hohe Gebühren verlangen. Dafür wird dann zusätzlich die Erstellung eines Testaments angeraten, wodurch die Kosten sich entsprechend dem Wert der Hinterlassenschaft erhöhen.

Wer genau weiß, was er will, kann sich eine passend erscheinende Patientenverfügung aussuchen, doch dürfte den meisten dafür der Überblick fehlen. Sich aber mit dem ersten Formular, das einem begegnet, aus Unkenntnis zu begnügen, kann leidvolle Folgen haben.

Weiter geht da das Angebot des gemeinnützigen Projektes Patientensorge (www.patientensorge.de), das auch Situationen anbietet, deren Vorliegen sogar von Laien beurteilt werden kann. Dazu kommt das Angebot einer kostenlosen, ergebnisoffenen Beratung. Sie geht sogar so weit, dass ich mir das Recht vorbehalten kann, mein Leben einmal selbst zu beenden. Dafür wird die altehrwürdige Methode des Freiwilligen Verzichts auf Essen und Trinken (FVET) vorgeschlagen.

Nachdem die gewünschten Vorgaben ausgewählt worden sind, wird die individuell-konkrete Patientenverfügung mit Vollmachten und weiteren wichtigen Dokumenten erstellt und in einer mit Namen und Geburtsdatum versehenen Vorsorgemappe zugesandt.

Gut zu wissen ist, dass eine Patientenverfügung jederzeit geändert werden kann, solange noch die Einsichtsfähigkeit vorausgesetzt werden kann; auch deshalb sollte unbedingt auf ein Ablaufdatum verzichtet werden, was von einigen Anbietern aber vorgesehen wird. Besser frühzeitig eine
individuell-konkrete Patientenverfügung erstellen und vom Hausarzt bezeugen lassen, die dann vielleicht nicht gebraucht wird, als keine zu haben und deshalb unter langwieriger Sterbeverzögerung leiden zu müssen.

Stand 19.06.2024 – Frank Spade
Frank Spade ist Sterbebegleiter und humanistischer Berater zu Patientenverfügung, Vorsorge und Selbstbestimmung am Lebensende, sowie Berater für die Behandlung im Voraus planen (ACP).
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