Obhutspflicht - Überwachung sehr gebrechlicher Bewohner

Pflegespezifische Themen; z.B. Delegation, Pflegedokumentation, Pflegefehler und Haftung, Berufsrecht der Pflegeberufe

Moderator: WernerSchell

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VDAB

Obhutspflicht - Überwachung sehr gebrechlicher Bewohner

Beitrag von VDAB » 11.03.2006, 08:13

OLG Frankfurt/Main zu Obhutspflichten eines Heimträgers

Frankfurt/Main (mee). Wie das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/Main am 19. Januar 2006 entschied, sind Pflegeheimbetreiber nicht zu einer dauernden Überwachung sehr gebrechlicher Bewohner verpflichtet (Az.: 1 U 102/04).
Eine Pflegeheimbewohnerin hatte ihr Zimmer ohne Begleitung verlassen und sich bei einem Sturz den Oberschenkelhals gebrochen. Der Bewohnerin war kurz vor dem Unfall eine Injektion verabreicht worden. Sie sollte eine halbe Stunde darauf in den Essenssaal begleitet werden.
Der Versicherungsträger klagte auf Schadensersatz wegen schuldhafter Verletzung der Obhutspflicht. Der Senat verneinte dies. Zwar sei der Träger eines Alten- und Pflegeheims verpflichtet, die Bewohner vor vermeidbaren Verletzungen zu schützen. Ihm dürfe aber organisatorisch und wirtschaftlich nichts Unmögliches zugemutet werden, wie etwa eine umfassende Betreuung rund um die Uhr. Die Bereitstellung einer Pflegekraft zur ständigen Überwachung sei schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht zuzumuten, so die Richter. Eine Besuchsfrequenz von 30 Minuten sei nicht zu beanstanden.
„Das Urteil des OLG unterstreicht unsere Auffassung, dass Einrichtungen nur bis zu einem bestimmten Grad in die Verantwortung für Stürze von Bewohnern genommen werden können“, betont Oliver Aitcheson, Justiziar des VDAB. Gleichwohl müsse der Träger eines Pflegeheims sehr sorgfältig seinen Obhutspflichten nachkommen und habe stets die geeigneten Schutzmaßnahmen für die körperliche Unversehrtheit seiner Bewohner zu treffen und diese auch zu dokumentieren.
Die Entscheidung kann in vollem Wortlaut in der Rechtsprechungsdatenbank des Oberlandesgerichts abgerufen werden. Fragen? Bitte wenden Sie sich an Oliver Aitcheson, Tel.: 02054 / 95 78-11, Fax: 02054 / 95 78-40, oliver.aitcheson@vdab.de.

Quelle: Mitteilung vom 8.3.2006
Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe e.V. (VDAB)
Gemeinnütziger Fachverband mit Sitz in Essen
Im Teelbruch 132
45219 Essen
Telefon: +49 2054/ 9578-0
TeleFax +49 2054/ 9578-40
E-Mail: info@vdab.de
Internet: http://www.vdab.de

Dirk

Sturzprophylaxe und Selbstbestimmungsrecht

Beitrag von Dirk » 13.04.2006, 07:43

Heimträger sind verpflichtet, zum Schutz von sturzgefährdeten Heimbewohnern Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Hierbei sind allerdings das Selbstbestimmungsrecht und die Würde des Heimbewohers zu beachten.
Bei der Intensität der mit Heimbewohnern zur Abwendung von Sturzgefahren zu führenden Beratungsgespräche kommt den Pflegekräften ein Beurteilungsspielraum zu.

Urteil des Oberlandesgericht (OLG) Dresden vom 17.01.2006 - 2 U 753/04 -

Presse
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Sturzprophylaxe - Pflichten im Pflegeheim

Beitrag von Presse » 04.12.2006, 21:52

Sturz einer Heimbewohnerin
Deutsches Ärzteblatt 102, Ausgabe 25 vom 24.06.2005, Seite A-1839 / B-1555 / C-1463

Pflichten im Pflegeheim müssen vernünftig zu realisieren sein. ... Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist ein Heim zwar verpflichtet, für die körperliche Unversehrtheit der ihm anvertrauten Bewohner zu sorgen. Diese Pflichten seien allerdings begrenzt auf die üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab müssten das Erforderliche und das für die Heimbewohner und Pflegepersonal Zumutbare sein.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. April 2005 - III ZR 399 -

Weitere unter
http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/art ... p?id=47435

Siehe auch unter
http://www.recht-in.de/urteile/urteilze ... _id=119844
http://lexetius.com/2005,784
http://www.forsea.de/tipps/Urteile/061.shtml

Herbert Kunst
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Sturz im Seniorenheim: Wer muss zahlen?

Beitrag von Herbert Kunst » 30.12.2006, 13:51

Sturz im Seniorenheim: Wer muss zahlen?

Zu dieser Thematik gibt es unter
http://www.modernealtenpflege.de/Recht/ ... orten.html
einige Hinweise zu relevanten Gerichtsentscheidungen.
Fazit der Vorstellung: Wenn ein Bewohner in einem Seniorenheim stürzt, muss der Heimbetreiber nicht automatisch zahlen. Allein die Tatsache, dass der Bewohner nicht rund um die Uhr bewacht und bei jedem Schritt begleitet wurde, reicht für eine Haftung nicht aus.

Diese Enschätzung ist zweifelsfrei richtig. Die Haftung bestimmt sich immer nach den Umständen des Einzelfalles. Generalisierungen sind also hinsichtlich einer Schadenshaftung, z.B. im Zusammenhang mit Stürzen, nicht möglich. Siehe auch
http://www.pflegerechtportal.de
Für menschenwürdige Pflege sind wir alle verantwortlich! - Dazu finde ich immer wieder gute Informationen unter http://www.wernerschell.de

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Sturzgefahr bei Demenz - Keine Pflicht zur Fixierung

Beitrag von Service » 17.07.2007, 07:41

Sturzgefahr bei Demenz - Keine Pflicht zur Fixierung

Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 2. 3. 2006, Az.: I-8 U 163/04, 8 U 163/04

Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) muss auch eine Patientin, die aufgrund ihrer Demenzerkrankung zum eigenständigen Gehen nicht mehr in der Lage ist, nicht ständig fixiert oder durchgehend beaufsichtigt werden.
Am 7. 4. 2001 saß die demente Klägerin zum Kaffeetrinken in ihrem Zimmer am Tisch. Gegen 15:00 Uhr stand sie auf und stürzte zwischen Tisch und Bett. Nach der Entscheidung des OLG lässt sich nicht feststellen, dass dem ärztlichen oder nichtärztlichen (Pflege-)Personal des Einrichtungsträgers Versäumnisse vorzuwerfen sind, die für den Sturz der Klägerin ursächlich geworden sind. Auf Grund des neurologischen Zustandes der Klägerin bestand kein Anlass, die Patientin dauerhaft - auch im Sitzen - zu fixieren oder lückenlos zu überwachen. Es war vielmehr legitim und entsprach dem im Jahre 2001 geübten Standard, eine teilweise Mobilisierung zu versuchen, indem man die Klägerin zum Kaffeetrinken im Rollstuhl bei angezogener Bremse an den Tisch setzte und im Übrigen seitlich jeweils einen Stuhl aufstellte, die Zimmertür offen hielt und in regelmäßigen Abständen nach der Klägerin sah.

Quelle: Zeitschrift ALTENHEIM 07/2007, Rubrik Rechtsforum, Fundstelle: Gerichtsakten - Mitteilung vom 17.7.2007
http://www.vincentz.net/altenheim/

WernerSchell
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Obhutspflichten des Heimträgers - BGH-Hinweise!

Beitrag von WernerSchell » 16.04.2008, 13:46

Siehe auch die Urteilsvorstellung in diesem Forum unter
viewtopic.php?t=8663
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
Bild

fiutare

Beitrag von fiutare » 16.04.2008, 14:29

Wir haben einen Bewohner (bekanntes Alkoholproblem), der ständig ausbüxt. Dabei ist er dann doch so desorientiert, dass er nicht mehr zurückfindet und immer wieder von der Polizei gebracht wird. Die Polizei weigert sich neuerdings, den Bewohner zu suchen. Die Angehörigen bestehen darauf, dass "wir die Aufsichtspflicht haben". Aber wir sind nun mal keine geschlossene Einrichtung und das Personal ist nicht in der Lage, ständig auszurücken, um den Bewohner zu suchen und einzufangen (Personalbesetzung auf den Bereichen minimal).

Der Ausgang ist zwar durch eine etwas versteckte Drucktaste geschützt - aber der Bewohner hat das schnell "gelernt".

Da stehen wir nun mit unserem Problem.

:?

Rauel Kombüchen
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Registriert: 15.11.2005, 15:04

Selbstbestimmung hat Vorrang

Beitrag von Rauel Kombüchen » 17.04.2008, 07:11

fiutare hat geschrieben:Wir haben einen Bewohner (bekanntes Alkoholproblem), der ständig ausbüxt. Dabei ist er dann doch so desorientiert, dass er nicht mehr zurückfindet und immer wieder von der Polizei gebracht wird. Die Polizei weigert sich neuerdings, den Bewohner zu suchen. Die Angehörigen bestehen darauf, dass "wir die Aufsichtspflicht haben". Aber wir sind nun mal keine geschlossene Einrichtung und das Personal ist nicht in der Lage, ständig auszurücken, um den Bewohner zu suchen und einzufangen (Personalbesetzung auf den Bereichen minimal). ...
Nach der augenblicklichen Rechtsprechung hat das Selbstbestimmungsrecht Vorrang vor die Freiheit einschränkenden Maßnahmen. Freiheitsentziehende Maßnahme sind daher nur zulässig, wenn die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen bezüglich konkreter Gefahren vorliegen.
Wenn jemand mit Rücksicht auf sein Selbstbestimmungsrecht ausbüxt, darf sich die Polizei m.E. bei einer notwendigen Hilfemaßnahme nicht verweigern. Wenn sie es dennoch tut, wäre eine Beschwerde möglich.

Rauel

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