Die Rahmenbedingungen in der ambulanten Pflege werden zunehmend schwieriger: Hoher Zeitdruck, zu viel Bürokratie und überbordende Kontrollen belasten die Pflegekräfte; unzureichende Entgelte und öffentliches Misstrauen machen den in der Pflege tätigen Menschen das Leben schwer. Die Folgen: Pflegebedürftige, die sich unzureichend versorgt fühlen, überforderte Angehörige und ein zunehmend bedrohlich werdender Personalmangel. Der Pflegenotstand ist schon heute Realität und wird allen Prognosen zufolge weiter zunehmen.

Der in den Entgelten für die ambulante Pflege unzureichenden Berücksichtigung der gestiegenen Qualitätsanforderungen, des hohen administrativen Aufwands und der zunehmenden Bürokratie wurde von den Pflegediensten mit Einsparungen bei den Personal- und Sachkosten und - als hier alle Potentiale ausgeschöpft waren - mit einer stetigen Kürzung der Pflegezeiten im Leistungskomplexsystem begegnet. Diese Entwicklung hat zu dem berechtigten Gefühl der Pflegebedürftigen und deren Angehörigen, der Pflegedienste und deren Mitarbeitern geführt, dass keine Zeit mehr für die Pflege zur Verfügung stehe.
Mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz hat der Gesetzgeber darauf reagiert: Die Vergütungen sind mit Wirkung ab dem 01.01.2013 explizit auch nach dem Zeitaufwand zu bemessen; die Pflegebedürftigen sind vom Pflegedienst darüber zu unterrichten, wie sich die vom Zeitaufwand unabhängige Vergütung im Vergleich zu einer rein zeitbezogenen Vergütung darstellt und auf ihre Wahlmöglichkeiten bei der Zusammenstellung dieser Vergütungsformen hinzuweisen.
Nicht bedacht hat der Gesetzgeber die Wechselwirkungen zwischen der Vergütung nach dem tatsächlichen Zeitaufwand und der Vergütung nach Leistungskomplexen, die sich aus dem verpflichtenden Vergleich der Vergütungen und dem Wahlrecht der Pflegebedürftigen ergeben.
Aus Sicht des Paritätischen Berlin ist von einer Abwanderung der „positiven Risiken“ im Leistungskomplexsystem hin zur Zeitvergütung auszugehen. Damit wird das im Leistungskomplexsystem enthaltende Solidaritätsprinzip, dass alle Pflegebedürftigen bei gleicher Leistung unabhängig vom tatsächlichen Zeitaufwand den gleichen Preis zahlen, ausgehöhlt. Der durchschnittliche Zeitaufwand im Leistungskomplexsystem steigt. Dies muss zwangsläufig Auswirkungen auf die im Leistungskomplexsystem hinterlegten Preise, aber auch auf den Stundensatz haben.
Die Annahmen werden von Diplom-Kaufmann Thomas Sießegger in dem betriebswirtschaftlichen Gutachten
"Diskussion zu den Wechselwirkungen von Stundensätzen neben einem System der Abrechnung nach Leistungskomplexen im Zuge der Umsetzung der Anforderungen des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes"
bestätigt. Er skizziert in dem Gutachten den Markt ambulanter Pflegedienste in der Zeit von der Einführung der Pflegeversicherung bis zur Reform durch das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz. Im Mittelpunkt des Gutachtens steht die Darstellung der finanziellen Wechselwirkungen zwischen den zwei Abrechnungssystemen – nach tatsächlichem Zeitaufwand und nach Leistungskomplexen – bei einer Wahlmöglichkeit der Kunden; hierzu wurde von Thomas Sießegger eine Modellrechnung entwickelt. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen benennt er Voraussetzungen für die Kalkulation der Zeitvergütung und beschreibt verschiedene Möglichkeiten für Vergütungsverhandlungen.
Das vollständige Gutachten können Sie als pdf-Datei hier aus dem Netz herunter laden: -> http://www.paritaet-berlin.de/fileadmin ... segger.pdf
Quelle: Pressemitteilung vom 04.07.2013
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Landesverband Berlin e. V.
+++ Anmerkung der Moderation +++
Das Thema Pflegenotstand wird beim Pflegetreff Anfang 2014 (voraussichtlich am 13. oder 14.05.2014) von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk umfassend neu aufgegriffen.
Siehe dazu die Ankündigung / Einladung ( stets aktuell unter -> modcp.php?mode=split&t=19125
Die u.a. auch die Beiträge unter:
viewtopic.php?t=18558
viewtopic.php?t=18285