Beitrag
von Lutz Barth » 03.10.2010, 16:47
…so RA Wolfgang Putz in einem aktuellen Interview mit dem Titel „ Pflegekräfte haben äußerst wirksame Instrumente an der Hand“, welches Martina Weber für die Zeitschrift Die Schwester/Der Pfleger (Ausgabe 10/2010, S. 1033) führte.
Das Interview lockt mit seinen Aussagen dort zum nachhaltigen Widerspruch auf, die über die eigene Bewertung des Freispruchs in letzter Instanz durch den seinerzeitigen Angeklagten hinausragen und so selbstverständlich eigentlich nicht war, wie uns nunmehr seit geraumer Zeit öffentlichkeitswirksam mitgeteilt wird. Die „längst geltende Rechtslage“ war so klar nicht und es überrascht ein wenig, dass dies nun in entsprechenden Verlautbarungen so transportiert wird, wobei ich freilich ein gewisses Maß an Verständnis dafür habe, wenn und soweit man/frau meint, dass die „geltende Rechtslage“ immerhin seit 1995 dazu führte, das 270 Behandlungsabbrüche rechtlich abgesichert werden konnten und so gesehen über diese Information hinaus sich gleichsam auch weitere „Botschaften“ aufdrängen.
Schnippisch könnte also hieraus der Schluss gezogen werden, als habe man/frau bereits seit 1995 die „geltende Rechtslage“ zur Anwendung gebracht und es war nur eine Frage der Zeit, bis dies auch der BGH in letzter Instanz erkannt hat.
Mit Verlaub – dem ist mitnichten so und dem Freispruch wurde insbesondere nach diesseitiger Rechtsauffassung der Weg insbesondere deshalb geebnet, weil es dem Strafsenat möglich war, vor dem Hintergrund des zwischenzeitlich erlassenen Patientenverfügungsgesetzes die sog. „Einheit der Rechtsordnung“ zu bemühen, so dass die Divergenz zwischen „zivil- und strafrechtlicher Sicht“ mit Blick auf die sog. „Einheit der Rechtsordnung“ gleichsam befriedet werden konnte, auch wenn der Strafsenat gleich umgehend mitteilt, dass nun allerdings die strafrechtlichen Problemlage nicht nur als zivilakzessorisches Problem begriffen werden darf.
Nun – wie soll es auch anders sein, hatte doch der Strafsenat beim BGH über eine bis dato immer noch nicht hinreichend abgeklärte strafrechtsdogmatische Frage zu befinden und nicht ein Zivilsenat und von daher ist in der Tat ein „Wunsch eines Angeklagten“ in Erfüllung gegangen, der naturgemäß in einem Freispruch besteht, dessen Qualität allerdings durchaus kritisch hinterfragt werden kann, auch wenn eine Kritik im Zweifel dazu führt, von einer namhaften humanistischen Organisation gleichsam einen „Rüffel zu erhalten“, da offensichtlich sich eine Kritik an dem Urteil des BGH nicht schickt und noch weniger an irgendwelchen Verfahrensbeteiligten.
Sei es drum – hierüber zu philosophieren, soll nicht das Anliegen meiner kurzen Stellungnahme sein, sondern vielmehr der Hinweis in dem Interview, dass es nach Auffassung von Putz es wohl keinen weiteren Aspekt aus dem Themenbereich Sterbehilfe gibt, den der Gesetzgeber regeln sollte.
Abermals mit Verlaub: Selbstverständlich gibt es derartige Regelungsbereiche und zwar gerade mit Blick auf die aktive Sterbehilfe in solchen Fällen, in denen über den Weg der ärztlichen Assistenz beim freien Suizid des schwersterkrankten Patienten letztere nicht in der Lage ist, eigens die „Tat“ auszuüben.
Mit einer ärztlichen standesrechtlichen Liberalisierung resp. Legalisierung der ärztlichen Suizidbeihilfe ist es beileibe nicht getan, ungeachtet des Umstandes, dass hier dem „Normgesetzgeber“ des Berufs- und Standesrechts keine Normsetzungskompetenz zukommt, sondern vielmehr der Vorbehalt des Gesetzes greift und demzufolge der parlamentarische und im Übrigen demokratisch legitimierte Gesetzgeber zur Entscheidung und damit Regelung einzig berufen ist.
Das Selbstbestimmungsrecht des schwersterkrankten Patienten droht ins Leere zu laufen, wenn der Gesetzgeber nicht einen Rahmen dafür schafft, dass auch bei einigen Fallkonstellationen dem Schwersterkrankten die Möglichkeit eröffnet wird, qua eines freiwilligen Suizids aus dem Leben zu scheiden und er hierfür die aktive (!) Hilfe eines Dritten – freilich vorzugsweise in Gestalt einer Ärztin oder eines Arztes – bedarf.
Im Übrigen scheint es mir derzeit verfrüht zu sein, an der These des BGH unverrückbar festhalten zu wollen, dass den Pflegekräften und den Ärzten es verwehrt sei, sich auf ihre individuelle Gewissensentscheidung zurückziehen zu können. Es streiten gute Argumente dafür, dass es im Interesse einer pluralen Wertegemeinschaft liegen sollte, hier nach einer angemessenen dogmatischen Lösung zu streben, die insbesondere die Interessen aller Beteiligten angemessen zum Ausgleich zu bringen in der Lage ist.
Grundrechtsdogmatisch ist eine Lösung nicht nur vorstellbar, sondern m.E. nach auch geboten, die weder das Grundrecht der Gewissensentscheidung noch das Selbstbestimmungsrecht „opfern“ muss, in dem die miteinander konfligierenden Wertvorstellungen einen schonenden Ausgleich erfahren. Das Toleranzprinzip eröffnet eine zeitgemässe Normexegese der insoweit betroffenen Grundrechtsgarantien, so dass diesbezüglich eingangbarer Weg beschritten werden kann, zumal ich persönlich der festen Überzeugung bin, dass die Freiheit des einen nicht die Unfreiheit des anderen bedeutet und – anders gewendet – nicht zur Unfreiheit im Sinne einer Fremdbestimmung führt.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass in der Tat auch die Pflegekräfte „äußerst wirksame Instrumente an der Hand (haben)“, wie RA Putz zu bedenken gibt. Problematisch erscheint mir allerdings in diesem Zusammenhang zu sein, dass wir insoweit Gefahr laufen, die Ärzteschaft mit ihrer individuellen Gewissensentscheidung strafrechtlich zu stigmatisieren, wenn und soweit neben der Einschaltung des Betreuungsrechts zugleich auch die Möglichkeit besteht, ggf. Strafanzeige gegen den Arzt zu stellen, da dieser gegen den Willen des Patienten letzteren behandelt.
Damit hier allerdings keine Spekulationen aufkommen: Selbstverständlich ist der Patientenwille zu respektieren und ich möchte vielmehr eine Diskussion darüber anregen, ob uns nicht das „Recht“ Mittel und Wege eröffnet, hier einen scheinbar schwierigen Spagat zwischen der Selbstbestimmung und der Akzeptanz einer Gewissensentscheidung eines Dritten vollziehen zu können. Ich meine, dass dies nicht unmöglich ist und ein Streben nach einem schonenden Ausgleich der widerstreitenden ethischen Wert- und Gewissensentscheidungen jedenfalls nicht über eine „Strafanzeige“ gelöst werden sollte – die denkbar schlechteste Alternative, die einen zu erwartenden Diskurs über die im Zweifel gebotene aktive Sterbehilfe über Gebühr strapazieren und die Dialogbereitschaft zwischen Befürwortern und Gegner nicht sonderlich erhöhen dürfte.
Nur in Parenthese sei denn auch abschließend angemerkt, dass sich die Strafjustiz auch gegen die Pflegenden wenden könnte, wie wir eindrucksvoll dem Interview entnehmen können: Die Verantwortlichen des Pflegeheimes sind unter allen rechtlichen Aspekten angezeigt worden, so RA Putz und der eigentliche Skandal sei gewesen, dass sich die „Staatsmacht auf die Seite der Täter gestellt (hat)“.
Wie es scheint, ist der Kreis der „potentiellen Straftäter“ durchaus weit zu ziehen, zumal wohl auch die (personifizierte) Staatsmacht nicht immer den Durchblick über die anscheinend klare Rechtslage besitzt.
Lutz Barth
Wir vertreten nicht immer die herrschende Lehre!