Wenn Pflege rationiert wird – neueste Forschung über ein Tabuthema
Pflegefachleuten in europäischen Spitälern fehlt oft die Zeit, um pflegerische Massnahmen wie zum Beispiel Gespräche mit Patienten oder die Anleitung von Angehörigen durchzuführen. Auch Schweizer Spitäler sind davon betroffen. Das zeigt eine Untersuchung des Fachbereichs Pflegewissenschaft der Universität Basel, die in der Fachzeitschrift «BMJ Quality & Safety» publiziert wurde.
Der Spardruck im Gesundheitswesen zwingt Pflegefachleute im Spitalalltag oft zu schwierigen Entscheidungen: Sie müssen beurteilen, welche pflegerischen Massnahmen sie ihren Patienten überhaupt anbieten können und welche sie auslassen müssen. Studien in den letzten Jahren haben dieses Phänomen untersucht und beispielsweise einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Rationierung von Pflege und der Patientensterblichkeit gezeigt.
Eine Studie unter der Leitung des Fachbereichs Pflegewissenschaft der Universität Basel ging nun erstmals der Frage nach, welche notwendigen pflegerischen Massnahmen in allgemeinen chirurgischen und medizinischen Abteilungen von europäischen Akutspitälern nicht durchgeführt werden können und wie oft dies vorkommt. Hierfür wurden Befragungsdaten von 33'659 Pflegenden aus 488 Spitälern in zwölf europäischen Ländern, namentlich in Belgien, England, Finnland, Deutschland, Griechenland, Irland, den Niederlanden, Norwegen, Polen, Spanien, Schweden und der Schweiz ausgewertet. Die Daten waren ursprünglich im Rahmen der internationalen Studie «Nurse forecasting in Europe» (RN4CAST) erhoben worden, die im Rahmen des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms finanziert wurde.
Vier von 13 Massnahmen unterbleiben
Im europäischen Durchschnitt mussten Pflegefachpersonen vier von 13 pflegerischen Massnahmen in ihrer letzten Arbeitsschicht auslassen. Die Schweizer Spitäler schnitten mit drei von 13 ausgelassenen Massnahmen vergleichsweise gut ab. Allerdings bestanden zwischen und innerhalb der Länder teilweise grosse Unterschiede. In den 35 teilnehmenden Schweizer Spitälern variierte die Anzahl zwischen einer und vier ausgelassenen pflegerischen Massnahmen.
Die Ergebnisse zeigen im europäischen Vergleich ein ähnliches Muster: Psycho-edukative Massnahmen (zum Beispiel Gespräche mit Patienten oder das praktische Anleiten von Patienten und ihren Angehörigen) entfallen häufiger als beispielsweise Massnahmen wie Pflegeplanung und Dokumentation, Patientenüberwachung, Umlagern von Patienten und das rechtzeitige Verabreichen von Medikamenten.
«Psycho-edukative Massnahmen gehören zwar seit jeher zu den Kernaufgaben der Pflege, werden aber angesichts knapper Ressourcen häufig nicht durchgeführt. Sie erhalten vom Pflegefachpersonal geringere Priorität, da sie sehr zeitintensiv sind und der Zeitaufwand schlecht planbar ist», so Dr. René Schwendimann, Leiter der Schweizer Forschungsgruppe.
Negativer Einfluss auf Arbeitszufriedenheit
Das Rationieren von pflegerischen Massnahmen ist selbst innerhalb der Pflege ein Tabuthema, stellt es für Pflegefachpersonen doch ein berufsethisches und moralisches Dilemma dar. Dies kann sich negativ auf die Arbeitszufriedenheit auswirken und gar zu Burnout oder Berufsausstieg führen. Gerade deshalb sei es wichtig, dass zu diesem Thema im Gesundheitswesen ein offener Diskurs geführt wird, so die Studienautoren.
Spitalmanagement gefordert
Die Untersuchung zeigte auch, dass – unabhängig von der Länderzugehörigkeit – das Auslassen von pflegerischen Massnahmen in den Spitälern seltener vorkommt, in denen die Pflegefachleute bessere Rahmenbedingungen vorfanden. Diese betrafen unter anderem die Führungsqualität der Abteilungsleitung, die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegenden und das Ausmass von nicht-pflegerischen Tätigkeiten wie etwa das Reinigen von Patientenzimmern.
«Das Spitalmanagement kann durch die Optimierung der Rahmenbedingungen dazu beitragen, dass Pflegefachpersonen pflegerische Massnahmen weniger häufig rationieren müssen», so Schwendimann. Angesichts der Sparmassnahmen im Gesundheitswesen in vielen europäischen Ländern kann sich das Auslassen von Pflegemassnahmen weiter verschärfen. Regelmässige Befragungen des Pflegepersonals können als Warnsystem dienen, um Ressourcenmängel frühzeitig zu erkennen.
Originalbeitrag
Ausserhofer, D., Zander, B., Busse, R., Schubert, M., De Geest, S., Rafferty, A., Ball, J., Scott, A., Kinnunen, J., Heinen, M., Strømseng, S., Moreno-Casbas, T., Kózka, N., Lindqvist, R., Diomidous, M., Bruyneel, L., Sermeus, W., Aiken, L., Schwendimann, R., on behalf of the RN4CAST consortium
Prevalence, patterns and predictors of nursing care left undone in European hospitals: Results from the multi-country cross-sectional RN4CAST study
BMJ Quality & Safety, Published Online 10 November 2013 | doi: 10.1136/bmjqs-2013-002318
--------------------------------------------------------------------------------
Weitere Informationen:
http://www.unibas.ch/index.cfm?uuid=329 ... A7&type=se...
Quelle: Pressemitteilung vom 11.11.2013
MA Reto Caluori Kommunikation & Marketing
Universität Basel
--------------------------------------------------------------------------------
Ergänzung vom 11.11.2013
Weitere Auskünfte
Dr. René Schwendimann, Universität Basel, Fachbereich Pflegewissenschaft, Tel. +41 61 267 09 19, E-Mail: rene.schwendimann@unibas.ch
Wenn Pflege rationiert wird .. Forschung zu Tabuthema ...
Moderator: WernerSchell
-
- Administrator
- Beiträge: 25257
- Registriert: 18.05.2003, 23:13
Zum Thema "Pflegenotstand" (= unzureichende Personalausstattungen der Einrichtungen) wird es am 13.05.2014 einen Pflegetreff geben. Siehe dazu die angefügten Hinweise:
20. Pflegetreff am 13.05.2014, 17.00 - 19.00 Uhr, in Neuss-Erfttal
Thema: "Pflegenotstand" (Arbeitstitel).
- Es wird vorrangig darum gehen darzustellen, dass die Pflege-Rahmbedingungen in unzureichender Weise die personelle Ausstattung der Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen mit Pflege(fach)personal regeln und politisches Handeln insoweit dringend geboten ist. - Vorschläge sind sehr willkommen. Siehe dazu-> viewtopic.php?t=19125
20. Pflegetreff am 13.05.2014, 17.00 - 19.00 Uhr, in Neuss-Erfttal
Thema: "Pflegenotstand" (Arbeitstitel).
- Es wird vorrangig darum gehen darzustellen, dass die Pflege-Rahmbedingungen in unzureichender Weise die personelle Ausstattung der Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen mit Pflege(fach)personal regeln und politisches Handeln insoweit dringend geboten ist. - Vorschläge sind sehr willkommen. Siehe dazu-> viewtopic.php?t=19125
-
- Administrator
- Beiträge: 25257
- Registriert: 18.05.2003, 23:13
Personalmangel in der Pflege erhöht Patientensterblichkeit
Studie
Personalmangel in der Pflege erhöht Patientensterblichkeit
Der Mangel an Pflegepersonal kann sich unmittelbar auf die Mortalität von Patienten auswirken. Das hat ein Wissenschaftlerteam aus Großbritannien, Schweden und Italien nach Angaben des Ärzteblatts im British Medical Journal Quality and Safety auf Basis von retrospektiv ausgewerteten Daten herausgefunden.
…
Die Analyse der Daten zeigte, dass die Sterbewahrscheinlichkeiten um 3 % für jeden Tag stieg, an dem die professionelle Pflegebetreuung unterdurchschnittlich war.
Auch Tage, an denen die Zahl der Aufnahmen für jede registrierte Krankenschwester deutlich höher war als üblich – mehr als 25 % über dem Durchschnitt –, waren mit einem um 5 % erhöhten Todesrisiko verbunden. Jede weitere Stunde Pflege durch eine examinierte Krankenschwester führte zu einer 3-prozentigen Reduzierung der Sterbewahrscheinlichkeit.
"Die Ergebnisse deuten auf einen potenziellen Nutzen hin, wenn die Verfügbarkeit von examiniertem Pflegepersonal auf Akutkrankenstationen erhöht wird", so die Forscher.
Quelle und weitere Informationen:
https://www.bibliomed-pflege.de/alle-ne ... CX2y0ketDk