Soziale Betreuung der Heimbewohner ist Pflicht

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Dirk

Soziale Betreuung der Heimbewohner ist Pflicht

Beitrag von Dirk » 15.12.2005, 08:12

Soziale Betreuung der Heimbewohner ist Pflicht

Pflegeheime dürfen nach einer Entscheidung des sächsischen Oberverwaltungsgerichtes in Bautzen ihren Bewohnern soziale Betreuungsmaßnahmen nicht zusätzlich in Rechnung stellen. Das gelte zum Beispiel für die Verwaltung des Taschengeldes oder der Dokumente eines Pflegebedürftigen, teilte das Gericht mit. Dies berichtete die Ärzte Zeitung am 14.12.2005 (unter Berufung auf dpa).

Pflegeheime dürften sich nicht auf eine Pflege beschränken, die auf das Motto "satt und sauber" reduziert sei, hieß es in der mündlichen Begründung des Urteils. Ein Pflegeheim sei gesetzlich verpflichtet, die Heimbewohner auch sozial zu betreuen.

Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bautzen, Az.: 4 B 886/04

WernerSchell
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Heimbewohner sozial betreuen

Beitrag von WernerSchell » 17.10.2007, 06:35

Pflegeheime sind verpflichtet, die Heimbewohner sozial zu betreuen – eine Beschränkung auf eine „Satt- und Sauberpflege“ ist nicht zulässig!

Der Fall:
Ein in einem Pflegeheim wohnender Mann leidet seit Februar 1994 als Folge eines Schädel-Hirn-Traumas an einem ausgeprägten organischen Psychosyndrom und ist dauerhaft sowohl hinsichtlich körperlicher wie auch geistiger Verrichtungen von der Hilfe anderer Personen vollständig abhängig; der Grad seiner Behinderung beträgt 100. Er ist auch nicht in der Lage, den ihm gewährten monatlichen Barbetrag selbst zu verwalten. Der Rechtliche Betreuer des pflegebedürftigen Mannes hat mit dem Pflegeheim einen Heimvertrag geschlossen. Eine ausdrückliche Bestimmung über die Verwaltung des Barbetrages enthält der Vertrag nicht. Gleichwohl übernahm das Pflegeheim zunächst diese Verwaltung, ohne hierfür gesonderte Kosten zu erheben. Nachdem das Pflegeheim in der Folgezeit dem Betreuer einen neuen Heimvertrag anbot, wonach für verschiedene dort bezeichnete „Zusatzleistungen“ eine gesonderte Berechnung und darunter für die Geldverwaltung ein monatlicher Betrag von 25,43 DM / 13,00 € vorgesehen war, bat der Betreuer den zuständigen kommunalen Sozialhilfeträger um Kostenübernahme mit der Folge, dass darüber vor den Verwaltungsgerichten gestritten wurde. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Bautzen entschied die Streitsache mit Urteil vom 13.12.2005 – 4 B 886/04 – und machte interessante Ausführungen.

Entscheidungsgründe (wesentlich eingekürzt):
Die Klage sei begründet, weil der pflegebedürftige Heimbewohner (Kläger) gegen die Sozialleistungsbehörde als sachlich zuständigen überörtlichen Träger der Sozialhilfe die Kostenübernahme als Hilfe zur Pflege beanspruchen könne; ein Aufwand für die Verwaltung des ihm gewährten Barbetrages werde von der Hilfe zur Pflege durch eine vollstationäre Betreuung umfasst. Eine bedarfsdeckende Alternative durch eine Verwaltung des Barbetrages durch den Rechtlichen Betreuer des Klägers bestehe nicht. Der Inhalt der Hilfe zur Pflege bestimme sich nach den Regelungen der Pflegeversicherung für die in § 28 Abs. 1 Nr. 1, 5 bis 8 SGB XI aufgeführten Leistungen. Inhalt der in § 28 Abs. 1 Nr. 8 SGB XI angesprochenen vollstationären Pflege sei nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XI auch die soziale Betreuung. Die soziale Betreuung sei pflegewissenschaftlich Bestandteil der Pflege und nach der Systematik des SGB XI eine pflegebedingte Aufwendung. Den Gesetzesmaterialien könne entnommen werden, dass mit der sozialen Betreuung den besonderen Bedürfnissen von pflegebedürftigen Menschen Rechnung getragen werden solle, die ihren Lebensmittelpunkt in Pflegeeinrichtungen haben. Sie trage damit im Interesse einer ganzheitlichen Pflege dazu bei, dass der Pflegebedürftige soweit wie möglich ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben innerhalb und außerhalb einer Einrichtung führen könne, indem Vereinsamung, Apathie, Depression sowie Immobilität vorgebeugt und die bestehende Pflegebedürftigkeit nicht verschlimmert, sondern gemindert werde. Demzufolge beziehe sich die soziale Betreuung auf die Dienstleistungen, die ansonsten typischerweise durch die Familie oder sonst nahe stehende Personen wahrgenommen werden und die nun die Einrichtung an deren Stelle wahrzunehmen habe. Dementsprechend werde auch in der Gemeinsamen Empfehlung gemäß § 75 Abs. 5 SGB XI zum Inhalt der Rahmenverträge nach § 75 Abs. 1 SGB XI vom 25.11.1996 ausgeführt, dass die soziale Betreuung der Unterstützung bei der Erledigung persönlicher Angelegenheiten diene. Die Verwaltung des dem Kläger gewährten Barbetrags durch das Pflegeheim sei eine solche Unterstützungsleistung, deren Kosten der Kläger auch nicht durch seinen Barbetrag zu bestreiten hatte. Die Verwaltung des Barbetrages durch ein Pflegeheim für einen Heimbewohner, der wegen seiner Krankheit oder Behinderung seinen Barbetrag nicht selber verwalten kann, sei eine der sozialen Betreuung i.S.v. § 28 Abs. 1 Nr. 8 SGB XI zuzuordnende Unterstützungsleistung, weil sie mit derjenigen typischerweise vergleichbar sei, die dem Hilfebedürftigen außerhalb einer Einrichtung bei der Verwaltung seines Taschengeldes von Familienangehörigen oder sonst nahe stehenden Personen zuteil werden würde. Ebenso wie diese Personen einem außerhalb eines Pflegeheimes lebenden Pflegebedürftigen bei seiner persönlichen Lebensführung helfen und sich nicht auf die Gewährleistung von Grundpflege, Unterkunft und Verpflegung beschränken könnten, müsse auch das Pflegeheim für den Pflegebedürftigen, der in dem Heim seinen neuen Lebensmittelpunkt finden müsse, diese soziale Betreuungsarbeit leisten. Diese Betreuung beziehe sich insbesondere auch auf Hilfen zur Erledigung persönlicher Angelegenheiten, wie etwa die Beratung über den Umgang mit dem zur persönlichen Verfügung gewährten Barbetrages oder auch dessen Verwaltung. Da der klagende Heimbewohner somit die Barbetragsverwaltung als Hilfe zur Pflege durch die ihm zu gewährende soziale Betreuung beanspruchen könne, sei er schon deshalb nicht darauf zu verweisen, den Aufwand für diese Leistung durch Einsatz seines Barbetrages zu bestreiten. Der Barbetrag, der bis zu seiner Umbenennung als Taschengeld angesprochen war, diene als Ergänzungsleistung zu den weiteren Leistungen der Sozialhilfe der Befriedigung persönlicher Bedürfnisse. Nicht von dem Barbetrag zu bestreiten sei damit auch der Aufwand für eine Leistung, die - wie hier - ein Pflegebedürftiger als Hilfe zur Pflege beanspruchen könne. Eine wegen der Nachrangigkeit der Sozialhilfe dem Anspruch entgegen stehende bedarfsdeckende Alternative durch eine Verwaltung des Barbetrages durch den Betreuer des klagenden Heimbewohners (Klägers) habe nicht bestanden. Abgesehen davon, dass der Betreuer die Verwaltung tatsächlich nicht wahrgenommen habe, sei er hierzu auch nicht verpflichtet, weil auch die Betreuung selbst gegenüber anderen Hilfen nachrangig sei (§ 1896 Abs. 2 BGB). Diese Subsidiarität der Betreuung beziehe sich auch auf behördliche Hilfen in Sozialhilfeangelegenheiten, wie etwa bei der Verwaltung des Barbetrages.

Urteil des OVG Bautzen vom 13.12.2005 – 4 B 886/04 –
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
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