„Modekrankheiten“ - Burn-out, chronische Migräne ...

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„Modekrankheiten“ - Burn-out, chronische Migräne ...

Beitrag von WernerSchell » 02.03.2015, 08:09

Deutscher Ethikrat
Jägerstr. 22/23
D-10117 Berlin


Deutscher Ethikrat diskutiert über „Modekrankheiten“

Burn-out, chronische Migräne, Wechseljahre des Mannes – werden mit diesen Beschwerdebildern tatsächlich Krankheiten erfasst oder neue Krankheiten frei erfunden? Werden soziale Probleme zu Krankheiten umgedeutet? Über den Drahtseilakt zwischen überflüssiger Medikalisierung und notwendiger Therapie diskutierte der Deutsche Ethikrat am 25. Februar 2015 im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung der Reihe „Forum Bioethik“ in Berlin.

Die zuverlässige Diagnostik von Krankheiten ist der Ausgangspunkt für eine zielgerichtete Therapie. Patienten sollten in ihrem eigenen Interesse nur dann behandelt werden, wenn eine Erkrankung tatsächlich vorliegt und es Therapien gibt, die die Krankheit verhindern, heilen oder Symptome lindern. Doch was überhaupt als Krankheit betrachtet und behandelt wird, hängt nicht immer nur von medizinischen Fakten ab. Auch kulturelle und wirtschaftliche Faktoren können eine Rolle dabei spielen, und manche Krankheiten geraten dadurch geradezu in Mode.

Dass die Geschichte der westlichen Medizin reich an „Modekrankheiten“ sei, die nicht nur unter Ärzten, sondern auch in der Bevölkerung bereitwillig aufgenommen werden, stellte Michael Stolberg von der Julius-Maximilians- Universität Würzburg in seinem Referat über Krankheitsmoden im Wandel der Zeiten sehr anschaulich dar. Sie seien in Indiz dafür, dass die Wahrnehmung, Deutung und Erfahrung von Krankheit stets und unausweichlich auch vom jeweiligen historischen und kulturellen Kontext geprägt sei.

Das Stichwort Disease-Mongering griff Gisela Schott von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft in ihrem Referat auf. Sie kritisierte, dass normale Prozesse des Lebens als medizinisches Problem definiert, neue Krankheitsbilder durch Werbemaßnahmen geradezu erfunden, leichte Symptome zu Vorboten schwerer Leiden stilisiert und Risiken als Krankheit verkauft würden. Dies habe unter anderem zur Folge, dass die Betroffenen im Rahmen einer Medikation einem unnötigen Risiko ausgesetzt seien und gleichzeitig Ressourcen des Gesundheitssystems verschwendet würden. Die Politik sieht sie in der Pflicht, die Werbung für Arzneimittel strenger zu regulieren und verstärkt die unabhängige Forschung zu fördern.
Aber auch die Bürger müssten sich aktiv informieren.

Thomas Schramme von der Universität Hamburg, der sich den normativen Fragen zum Umgang mit Krankheitsmoden widmete, beklagte die drohende Ausweitung des Krankheitsbegriffs. Es werde nicht unterschieden zwischen der Abwesenheit von Krankheit als Mindestkriterium für die Gesundheit (negativer Gesundheit) und der idealtypischen bestmöglichen Gesundheitsdisposition (positiver Gesundheit). Hier gelte es, begriffliche Klarheit zu schaffen und zwischen tatsächlich pathologischen Phänomenen und medizinisch normalen Zuständen zu differenzieren. Er stellte zudem die Funktion des Krankheitsbegriffs für die Entscheidung über die solidarische Finanzierung von Therapie infrage.

In der anschließenden Podiumsdiskussion diskutierten Jörg Blech vom Magazin Der Spiegel, Lothar Weissbach von der Stiftung Männergesundheit, Boris Quednow von der Universität Zürich und Christiane Fischer von MEZIS e. V. mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates Wolf-Michael Catenhusen, welche Folgen die Beschreibung immer neuer Krankheitsbilder hat. Eine Orientierung von Behandlungsentscheidungen an bloßen Laborwerten führe dazu, so Weissbach, dass aus zuvor gesunden Menschen behandlungspflichtige Patienten gemacht würden, ein grenzwertiger Befund zum „Überbefund“ werde, der eine Überdiagnose und Übertherapie nach sich ziehe. Quednow warnte vor Krankheitsmoden in der Psychiatrie, die im Fall von Burn-out dazu führen könnten, dass einerseits eigentlich gesunde Menschen unnötig behandelt werden, andererseits aber das Risiko bestehe, dass Menschen, die an einer schweren Depression leiden, eine falsche Diagnose bekommen. Als die Urheber machten Blech und Fischer Pharmaunternehmen, medizinische Interessenverbände und PR-Agenturen aus, die neue Leiden erfänden und zum Industrieprodukt machten. Doch statt maximaler Versorgung unabhängig von der Ausprägung eines Krankheitsbildes sollten sich Ärzte in der „Kunst des Weglassens“ üben, so Weissbach, und dabei mitunter von einer Therapie abraten, auch wenn sie damit keine honorierte ärztliche Leistung im Sinne der Krankenkasse erbrächten.

Das Programm der Veranstaltung sowie in Kürze auch die Vorträge und Diskussionsbeiträge der Teilnehmer können unter
http://www.ethikrat.org/veranstaltungen ... rankheiten abgerufen werden.

Quelle: Pressemitteilung Deutscher Ethikrat, Ulrike Florian, 27.02.2015
Die gesamte Pressemitteilung erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/de/news626453

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution703


Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.ethikrat.org/veranstaltungen ... rankheiten
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Beitrag von WernerSchell » 03.03.2015, 08:10

Psychisch krank: Stellen Mediziner diese Diagnose unnötig oft?

Experten diskutieren am 4. März in Rostock das Thema: „Psychische Gesundheit, Arbeit und Gesellschaft“. Der Anteil von Frühberentungen im Jahr 2013 wegen psychischer und psychosomatischer Erkrankungen bei Frauen liegt bei 48 Prozent, bei Männern gehen 35 Prozent wegen einer psychischen Erkrankung vorzeitig in den Ruhestand.

Macht Arbeit psychisch krank? Auf einem öffentlichen wissenschaftlichen Symposium der Universitätsmedizin Rostock unter Leitung von Professor Dr. Dr. Wolfgang Schneider, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin, diskutieren am 4. März, 18 Uhr, im Audimax der Uni Rostock auf dem Campus Ulmenstraße Vertreter des Sozialministeriums von MV, Nordmetall, dem DGB, der Rektor der Uni Rostock, Prof. Wolfgang Schareck sowie weitere Experten das Thema: „Psychische Gesundheit, Arbeit und Gesellschaft“. Gemeinsam soll auch nach Rezepten gegen den Stress am Arbeitsplatz gefahndet werden.

Alarmierend: Der Anteil von Frühberentungen im Jahr 2013 wegen psychischer und psychosomatischer Erkrankungen bei Frauen liegt bei 48 Prozent, bei Männern gehen 35 Prozent wegen einer psychischen Erkrankung vorzeitig in den Ruhestand. Interessant: Wegen körperlicher Leiden erfolgen Frühberentungen in der Regel drei Jahre später. Und wenn dieses Phänomen kritisch reflektiert werden würde, zeige sich doch häufig, so Prof. Schneider, dass es primäre soziale Problemstellungen wie Langzeitarbeitslosigkeit seien, die über Diagnosestellungen und oftmals nicht angezeigten Therapien in die „Sprache“ der Medizin übersetzt werden würden. In diesen Fällen wäre oftmals eine kompetente Beratung zur Unterstützung der Betroffenen angezeigt, konstatiert Prof. Schneider. Aber wie ist es nun mit der immer schneller, komplexer und der globaler werdenden Arbeitswelt?

„Es gibt gesellschaftliche Tendenzen, dass soziale Faktoren wie beispielsweise Stress im Job oder Arbeitslosigkeit bei Diagnosestellungen von Betroffenen oftmals nur medizinisch betrachtet werden würden. Der Professor mahnt: „Menschen dürfen nicht unnötig zu Patienten gemacht werden“. Oft sei bereits eine niedrigschwellige Beratung hilfreich. Dann könnten Menschen eigenverantwortlich ihre Probleme lösen.

Insofern sei die Frage interessant, inwieweit wir unsere Befindlichkeit unnötig pathologisieren. Das heißt, nicht jede Erschöpfung oder Niedergedrücktheit ist als Krankheit zu sehen. Aufgrund der wachsenden Sensibilität für diese Themen würden Unternehmen zunehmend Maßnahmen des Gesundheitsmanagements zur Prävention von psychischen Überforderungen ihrer Mitarbeiter implementieren. Dazu gehöre auch die Gefährdungsbeurteilung etwaiger psychischer Risiken im Arbeitsprozess. Auch von der Politik würde diese Thematik inzwischen ernst genommen, so Schneider. Zu diesem Thema spricht Prof. Harald Gündel von der psychosomatischen Universitätsklinik Ulm.

Die öffentliche Aufmerksamkeit, die das Thema „psychische Belastungen in der Arbeitswelt“ erfährt, führt mehr und mehr dazu, dass sich Individuen als psychisch gefährdet und überlastet fühlen. Um dieser Problematik angemessen zu begegnen,“ ist eine sorgfältige Abklärung notwendig, ob und welche Art von professioneller Unterstützung der Einzelne benötigt“, regt Schneider an.

Was er damit meint? „Überforderungen, Stress, Angst, Arbeitsüberlastung genauso wie Arbeitslosigkeit, berufliche Schwierigkeiten führen sicherlich häufiger zu psychischen und sozialen Problemen, die jedoch nicht notwendig als Ausdruck einer psychischen Erkrankung anzusehen sind, wie es allzu oft geschieht“. Sie in das Reich der psychischen Erkrankungen zu befördern, schütze davor, soziale Missstände und prekäre Arbeitsverhältnisse offen anzusprechen und sich damit auseinanderzusetzen. „Unsere Gesellschaft schiebt die Schuld daran, dass jemand nicht mehr richtig funktioniert lieber dem Betroffenen zu. Sie behandelt dann lieber kranke Menschen, als ihre sozialen Problem zu lösen“.

Schneider kritisiert auch, dass die Betroffenen oftmals von ihren Ärzten zu widerspruchslos die gewünschte Diagnose Burnout oder Depression gestellt werde, sie zu schnell mit Medikamenten versorgt und auch krankgeschrieben würden. Damit könnten erst Krankheitsprozesse initiiert und chronische Krankheitsverläufe angestoßen werden, ohne dass man sich den tatsächlichen sozialen Problemen nähere. Vor diesem Hintergrund – so Schneider – würden allerdings auch die Menschen vielfach eine Tendenz aufweisen, Befindlichkeitsstörungen, Erschöpfung, Frustration und Demotivierung zu schnell als Ausdruck einer psychischen Erkrankung wahrzunehmen. Letztlich geht es auch für den Einzelnen darum, aktiv und möglichst selbstbestimmt sein Leben zu gestalten. Text: Wolfgang Thiel

Quelle: Pressemitteilung vom 27.02.2015
Universität Rostock
Universitätsmedizin
Zentrum für Nervenheilkunde
Prof. Dr. Dr. Wolfgang Schneider
Tel: 0381 494 9670
Mail: wolfgang.schneider@uni-rostock.de

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/de/news626445

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution210
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Gesunde werden für krank erklärt - Ökonomisierung

Beitrag von WernerSchell » 01.09.2015, 06:44

Aus Forum:
viewtopic.php?f=6&t=21239

Am 01.09.2015 wurde folgender Texte bei Facebook gepostet:

Gesunde werden für krank erklärt - Ökonomisierung hemmungs- und grenzenlos!
"Boreout statt Burnout - Wenn Langeweile krank macht". Wirklich eine neue Krankheit oder nur ein Geschäftsmodell? (> Info vom 27.08.2015) - Müssen wir uns nicht auf die wirklich wichtigen psychischen Krankheitssituationen konzentrieren? Gefordert werden u.a. "… strengere Regulierung der Werbung für bestimmte Medikamente oder Behandlungen, um erst gar keine Modekrankheiten aufkommen zu lassen. So müsse etwa verboten werden, Arzneimittel als Lösung für bloße Befindlichkeitsstörungen anzupreisen." - Quelle: Pharmazeutische Zeitung, 11/2015 - Der WDR, Westpol, informierte am 10.05.2015 sehr anschaulich über Modekrankheiten. http://www1.wdr.de/mediathek/video/send ... en100.html (Näheres im Forum von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk: viewtopic.php?f=6&t=21239 )
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