Klinik scheitert mit Abmahnung wegen Gefährdungsanzeige

Arbeits- und Arbeitsschutzrecht, Allgemeine Rechtskunde (einschließlich Staatsrecht), Zivilrecht (z.B. Erbrecht)

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Klinik scheitert mit Abmahnung wegen Gefährdungsanzeige

Beitrag von WernerSchell » 24.01.2018, 07:28

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Ärzte Zeitung vom 28.12.2017:

Urteil
Klinik scheitert mit Abmahnung wegen Gefährdungsanzeige


Eine Pflegefachkraft empfindet das Personal auf Station als unzureichend und reagiert mir einer Gefährdungsanzeige. Ihr Arbeitgeber mahnt sie dafür ab – zu Unrecht, urteilt das Arbeitsgericht Göttingen.
GÖTTINGEN. Arbeitgeber dürfen gegenüber Beschäftigten, die wegen Personalmangels die Sicherheit und Gesundheit an ihrem Arbeitsplatz gefährdet sehen und deshalb eine so genannte Gefährdungsanzeige erstatten, nicht mit einer Abmahnung reagieren. Das hat vor Kurzem das Arbeitsgericht Göttingen entschieden. Das Gericht gab damit der Klage einer Pflegefachkraft einer psychiatrischen Fachklinik in Göttingen statt.
Die examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin hatte sich geweigert, eine Gefährdungsanzeige zurückzuziehen, und daraufhin eine Abmahnung erhalten. Zu Unrecht, befand das Gericht. Der Klinikbetreiber müsse die Abmahnung aus der Personalakte entfernen (Az.: 2 Ca 155/17).
Die Klägerin ist seit 25 Jahren als examinierte Fachkraft tätig. Im September 2016 sollte sie in der psychiatrischen Klinik als Vertretungskraft auf einer mit 24 Patienten belegten offenen Station eingesetzt werden. Ansonsten war dort lediglich noch eine Auszubildende im Einsatz.
... (weiter lesen unter) ... https://www.aerztezeitung.de/nl/?sid=95 ... efpuryykqr

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Göttinger Tagblatt:

Klinik verurteilt
Abmahnung unrechtmäßig: Arbeitsgericht Göttingen gibt Pflegefachkraft Recht


Arbeitgeber dürfen gegenüber Beschäftigten, die wegen Personalmangels die Sicherheit und Gesundheit an ihrem Arbeitsplatz gefährdet sehen und deshalb eine so genannte Gefährdungsanzeige erstatten, nicht mit einer Abmahnung reagieren.
Göttingen - Das Gericht gab damit der Klage einer Pflegefachkraft der Asklepios Fachklinik in Göttingen statt. Die examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin hatte sich geweigert, eine Gefährdungsanzeige zurückzuziehen, und daraufhin eine Abmahnung erhalten. Zu Unrecht, befand das Gericht. Der Klinikbetreiber müsse die Abmahnung aus der Personalakte entfernen (Aktenzeichen 2 Ca 155/17).
... (weiter lesen unter) ... http://www.goettinger-tageblatt.de/Goet ... raft-Recht

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Umgang mit Mängeln in Pflegeeinrichtungen - Buchtipp
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> http://www.wernerschell.de/Buchtipps/10 ... tungen.php
> viewtopic.php?f=5&t=21519

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Asklepios Klinik muss Abmahnung zurücknehmen
>>> https://ag-mav.org/2017/12/17/krankensc ... abgemahnt/
>>> https://www.ndr.de/nachrichten/niedersa ... os250.html

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Die Urteilsschrift liegt Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk in anonymisierter Fassung vor! Der Entscheidung ist uneingeschränkt zuzustimmen. Sie entspricht den Rechtsgrundsätzen, die von hier seit Jahren vorgestellt werden (siehe die o.a. Buchveröffentlichung "Umgang mit Mängeln in Pflegeeinrichtungen"). - Werner Schell
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
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Pflegepersonal: Überlastungsanzeigen unterdrückt?

Beitrag von WernerSchell » 24.01.2018, 16:18

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NDR-Bericht - Panorama 3
Stand: 23.01.2018 19:52 Uhr - Lesezeit: ca.5 Min.

Pflegepersonal: Überlastungsanzeigen unterdrückt?
von Mareike Fuchs und Kaveh Kooroshy

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Pflegepersonal: Überlastungsanzeigen unterdrückt?
Panorama 3 - 23.01.2018 21:15 Uhr


'Was, wenn es einem der Patienten schlecht geht und ich bekomme es nicht mit? Oder sich gar einer etwas antut?' Das waren Fragen, die Lidia Schuster an einem Tag im September 2016 beschäftigten. Seit 26 Jahren arbeitet sie als Krankenpflegerin, die meiste Zeit davon in der Psychiatrie im Fachklinikum Göttingen, das seit mehr als zehn Jahren zum Asklepios Konzern gehört.

An diesem Tag im September sollte Lidia Schuster die Spätschicht auf einer anderen Station übernehmen - als einzige examinierte Kraft. Kollegen hatten sich krank gemeldet. Lediglich eine Auszubildende sollte sie unterstützen. Zwar kannte Lidia Schuster die Abläufe auf der Station, nicht aber die Patienten. "Gerade bei Psychiatrie-Patienten ist das besonders wichtig. Manche haben Scheu, dem Pflegepersonal mitzuteilen, wenn es ihnen nicht gut geht", erklärt sie. Wie sehr man sich um die Patienten kümmern muss, könne sich auf der Psychiatrie schnell ändern, so Lidia Schuster weiter. Ihre Sorge: Für 24 ihr unbekannte Patienten ist letztlich sie allein verantwortlich.

Wenn sie eine Gefahr sehen, sollten Arbeitnehmer Gefährdungsanzeigen stellen

Von ihrem Arbeitgeber forderte sie eine weitere examinierte Kraft zur Unterstützung an, doch nur ein weiterer Schüler sollte ihr helfen. Lidia Schuster reicht das nicht: Pflegeschüler dürfen viele Aufgaben noch nicht eigenständig übernehmen. "Ich empfand es als ein Risiko. Ein Risiko, dass es zu einer Gefährdung der Patienten kommen kann", sagt sie.
Lidia Schuster tat das, was Arbeitnehmer tun sollen, wenn sie eine Gefahr sehen: Sie meldete dies ihrem Vorgesetzten. Dann schrieb sie eine sogenannte Gefährdungsanzeige. Damit gab sie der Klinik die Möglichkeit die Gefahr abzustellen, sicherte sich aber auch rechtlich ab, falls tatsächlich etwas passieren sollte.

Abmahnung und Rechtfertigung

Dieser Tag im September verlief ruhig. Alle Patienten konnten trotz der personellen Enge gut versorgt werden. "Ich hätte mir gewünscht, dass mal jemand sagt: 'Super, es ist nichts passiert, jetzt gucken wir, was man künftig ändern kann'". Doch stattdessen musste Lidia Schuster sich rechtfertigen, zunächst vor der Ebenenleitung, dann von der Pflegedienstleitung.

Kurz darauf erhielt sie eine Abmahnung. "Ich war schockiert. Ich hatte Angst - was ist wenn ich deswegen meinen Job verliere? Und irgendwann war ich auch wütend. Ich habe ja nichts falsch gemacht, lediglich meine Meinung geäußert, dazu bin ich sogar verpflichtet. Ich habe das als Bestrafung empfunden."

Seit eineinhalb Jahren streitet Lidia Schuster nun mit ihrem Arbeitgeber. Im Dezember entschied das Arbeitsgericht Göttingen eindeutig für sie. Demnach sei eine subjektive Bewertung der Situation für das Schreiben einer Gefährdungsanzeige ausreichend - Asklepios müsse die Abmahnung streichen. Auf Anfrage von Panorama 3 teilt Asklepios mit, dass Gefährdungsanzeigen im Falle einer tatsächlichen Gefährdung durchaus gewünscht seien. Bei Frau Schuster habe aus Sicht von Asklepios jedoch keine wirkliche Gefährdung vorgelegen. Und deswegen sei auch die Abmahnung erfolgt.

Drohkulisse wird aufgebaut

Für Jens Havemann von der Gewerkschaft ver.di ist dieser Prozess die letzte Eskalationsstufe in einem langen Bemühen der Arbeitgeber Gefährdungsanzeigen zu unterdrücken. "Es geht darum, eine Drohkulisse aufzubauen und ein Exempel zu statuieren", sagt er. Asklepios bestreitet das.
Jens Havenmann bezieht sich dabei nicht nur auf Asklepios, sondern auch auf Helios, den anderen großen privaten Krankenhausbetreiber in Deutschland. "Unsere Erfahrungen bei Helios und bei Asklepios sind deckungsgleich. Erst wurden von den Mitarbeitern viele Gefährdungsanzeigen gestellt, dann baute der Arbeitgeber Hürden auf oder Mitarbeiter mussten sich im Nachhinein rechtfertigen, schriftliche Stellungnahmen verfassen", sagt Havemann. Auf Nachfrage bestreiten beide Konzerne Hürden aufzubauen. Helios schreibt, man nehme Gefährdungsanzeigen "sehr ernst".

Hohe Zahl an Gefährdungsanzeigen

Dennoch, die Zahl der Gefährdungsanzeigen ist weiterhin hoch. Panorama 3 liegt eine Stichprobe von ver.di unter den norddeutschen Asklepios-Kliniken zu Überlastungsanzeigen vor. Bei sieben Einrichtungen konnte die Zahl der Gefährdungsanzeigen ermittelt werden. In einem Zeitraum von zehn Monaten kommen aus diesen sieben Kliniken mehr als 1.000 Gefährdungsanzeigen zusammen. Absoluter Spitzenreiter ist eine Klinik in Hamburg, die im besagten Zeitraum auf 427 Überlastungsanzeigen kommt. Im Schnitt sind das anderthalb Gefährdungsanzeigen jeden Tag, die die Mitarbeiter schreiben. Asklepios wollte sich zu konkreten Zahlen nicht äußern.
Die Dokumentation der Missstände würde die Arbeitgeber unter Druck setzen, sagt Jens Havemann: "In der Regel ist der Arbeitgeber nicht erfreut, wenn so eine Anzeige kommt, gerade wenn es als Mittel eingesetzt wird, kollektiv mit mehreren Beschäftigten deutlich zu machen: wir brauchen mehr Personal". Eine Abmahnung wie im Falle Schuster sei der letzte Schritt der Arbeitgeber.

Gefährdungsanzeigen "Verwässerung des Systems"?

"Ich war traurig, weil ich nichts verkehrt gemacht habe. Ich hab meine Patienten versorgt, es ist keinem was passiert. Ich habe lediglich meine Meinung kundgetan, dass es zu einer Gefährdung kommen könnte, wenn ich auf der Station allein bin", sagt Lidia Schuster.
Asklepios sieht das anders. Gegenüber Panorama 3 heißt es: "Dort wo Gefährdungs- und Überlastungsanzeigen ohne konkreten objektiven Grund erstellt werden, sind sie nicht hilfreich, sondern kontraproduktiv, da sie zu einer Verwässerung des Systems führen."
Asklepios kündigt an, gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichtes Göttingen in Berufung zu gehen. Frau Schuster wird weiter streiten müssen.

Quelle und weitere Informationen: https://www.ndr.de/nachrichten/niedersa ... ge102.html

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Das Buch "Umgang mit Mängeln in Pflegeeinrichtungen" versteht sich v.a. als Handlungsanleitung für Pflegekräfte und zeigt auf, dass die Vorlage von Überlastungsanzeigen Rechtspflicht sind - jetzt erneut gerichtlich bestätigt.
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Klinik scheitert mit Abmahnung wegen Gefährdungsanzeige

Beitrag von WernerSchell » 25.01.2018, 18:03

Am 25.01.2018 bei Facebook gepostet:
Pflegepersonal sollte den Arbeitgeber/Dienstgeber bei (mutmaßlichen oder tatsächlichen) Gefährdungen schnellstmöglich mittels Überlastungs- bzw. Gefährdungsanzeigen informieren. Damit wird der insoweit bestehenden Rechtspflicht entsprochen! So urteilte am 14.12.2017 das ArbG Göttingen und bestätigte eindrucksvoll klar die Rechtslage. Die Urteilsschrift liegt hier in anonymisierten Fassung vor und verdient uneingeschränkte Zustimmung. Versuche, die Beschäftigen von solchen Anzeigen abzuhalten, sind nicht akzeptabel, u.U sogar rechtsmissbräuchlich. In einer Buchveröffentlichung (von 2011) habe ich für die Beschäftigen bereits Handlungsanleitungen zum korrekten Vorgehen präsentiert. Angesichts der unzureichenden Stellenschlüssel sind Mitteilungen der hier angesprochenen Art vorprogrammiert.
> viewtopic.php?f=5&t=22435&p=101962#p101962
> http://www.wernerschell.de/Buchtipps/10 ... tungen.php
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Überlastungsanzeige / Gefährdungsanzeige = Rechtspflicht

Beitrag von WernerSchell » 28.01.2018, 07:42

Es wird aus Beschäftigtensicht immer wieder auf die angeblich unklare Rechtssituation bei der Erstattung von Überlastungs- bzw. Gefährungsanzeigen aufmerksam gemacht. Man meint, die Erstattung solcher Anzeigen erfolge auf unsicherer rechtlicher Grundlage. Solche Auffassungen bestehen offensichtlich auch noch nach dem jüngst bekannt gewordenen Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 14.11.2017: > viewtopic.php?f=5&t=22435&p=101954
Dazu ergibt sich: Die Erstattung von Überlastungsanzeigen ist u.a. nach dem Arbeitsschutzgesetz Rechtspflicht. Darauf habe ich in den zurückliegenden Jahren immer wieder aufmerksam gemacht, u.a. auch in zahlreichen Veröffentlichungen. Siehe dazu u.a. > viewtopic.php?f=5&t=21519 Das Arbeitsgericht Göttingen hat mit Urteil vom 14.12.2017 lediglich die bestehende Rechtspflicht bestätigt. > viewtopic.php?f=3&t=22474&p=101992 Einige Arbeitgeber versuchen, mit Druck (Abmahnung, Kündigung) solche Anzeigen zu verhindern und bemühen dazu sogar die Gerichte. Wenn jetzt gegen die jüngste Entscheidung mit Berufung vorgegangen wird, kann man das auch als rechtsmissbräuchlich ansehen. Auf jeden Fall will der Arbeitgeber für die Zeit des Berufungsverfahrens den Druck aufrecht erhalten. Der im Streit befindliche Sachverhalt ist aus meiner Sicht zweifelsfrei so, dass die Arbeitgeberseite zu Unrecht gegen die Pflegekraft vorgeht.
Siehe auch unter:
Überlastung richtig anzeigen Handlungshilfe für betriebliche Interessenvertretungen
>>> http://www.mav-neustadt-wunstorf.de/res ... zeigen.pdf
>>> http://www.wernerschell.de/Rechtsalmana ... nzeige.php
>>> http://www.wernerschell.de/Rechtsalmana ... 031102.pdf
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Überlastungsanzeige / Gefährdungsanzeige = Rechtspflicht

Beitrag von WernerSchell » 07.02.2018, 10:16

Die Zeitschrift "Kinderkrankenschwester" > http://kinderkrankenschwester.eu/ (Max Schmidt-Römhild Verlag, Lübeck > https://www.schmidt-roemhild.de/ ) stellt in ihrer Ausgabe Februar 2018 den von Werner Schell aus aktuellem Anlass verfassten Beitrag "Gefährdungs- bzw. Überlastungsanzeigen sind Rechtspflicht und haftungsrechtliche Entlastungsgrundlage für die Beschäftigten in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen" vor (Seiten 59 - 62). Darin wird die Rechtslage zur Abgabe solcher Anzeigen unter Berücksichtigung verschiedener Gerichtsentscheidungen (u.a. dass hier vorliegende Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 14.12.2017) vorgestellt und ausführlich erläutert. Es wird dabei auch auf eine weiterführende Buchveröffentlichung aufmerksam gemacht. Pflegekräfte sollten sich mit diesem Thema vertraut machen! - Siehe auch unter > http://www.wernerschell.de/forum/neu/vi ... =5&t=22435 bzw. > http://www.wernerschell.de/Buchtipps/10 ... tungen.php

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Weitere Informationen zum Gesundheits- und Pflegesystem >>> http://www.wernerschell.de/forum/neu/index.php
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Whistleblower-Schutz stärken

Beitrag von WernerSchell » 09.02.2018, 08:02

Große Koalition - CDU und SPD verpassen Whistleblower-Schutz

Nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen fehlt nach wie vor ein gesetzlich verankerter Whistleblower-Schutz im Koalitionsvertrag
Whistleblowing grenzt in Deutschland immer noch an sozialen und wirtschaftlichen Selbstmord. Daher stößt der Koalitionsvertrag bei Whistleblower-Netzwerk e.V. auf Enttäuschung und Unverständnis – denn in keinem Satz lässt sich der politische Wille feststellen, die rechtliche Schieflage gegenüber Hinweisgebern zu verbessern. Bis heute gibt es in hier nur einige wenige Urteile, die die Rechtslage bestimmen. Bei Fehlen eindeutiger Gesetze, an denen Whistleblower sich orientieren können, sind diese nach wie vor mit großer Rechtsunsicherheit konfrontiert. Dies führt dazu, dass Missstände nicht aufgedeckt und die Öffentlichkeit trotz berechtigen Informationsinteresses über diese im Unklaren gelassen wird. Whistleblower Netzwerk e.V. fordert seit über zehn Jahren gesetzlichen Whistleblower-Schutz, da die Gesellschaft mutige Whistleblower braucht, um Missstände aufzudecken und so zu einem transparenten, demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess beizutragen.

„Unsere Whistleblower, unsere Demokratie und unsere Wirtschaft brauchen endlich ein effektives, umfassendes Whistleblowerschutz-Gesetz“, sagt Annegret Falter, Vorsitzende von Whistleblower-Netzwerk e.V.

Seit 2008 wurden dem Bundestag vier Gesetzesentwürfe für einen mehr oder minder zureichenden Whistleblower-Schutz vorgelegt. Damit verbunden waren jeweils Ausschussanhörungen, in denen rund drei Dutzend Experten und Interessengruppen Notwendigkeit und alternative Ausgestaltungsmöglichkeiten eines Gesetzes diskutiert haben – alle fachlichen Fragen sind geklärt. Die SPD selbst hatte 2012 einen guten Gesetzesentwurf erarbeitet, der jedoch mit dem Wechsel der Partei in die Regierung unter den Tisch fiel. Im Koalitionsvertrag für die letzte Legislaturperiode war bereits vereinbart zu prüfen, ob Deutschland seinen Verpflichtungen zum Whistleblower-Schutz aus ratifizierten internationalen Vereinbarungen nachgekommen sei. Diese Prüfung unterblieb – stattdessen stellte der Deutsche Gewerkschaftsbund in einem eigenen Gutachten schwere Versäumnisse fest, die von Whistleblower-Netzwerk e.V. wiederholt angeprangert wurden. Es bleibt unverständlich, warum der politische Wille für ein höheres Schutzniveau für Hinweisgeber selbst im Lichte jüngster Skandale in der Arzneimittelversorgung und in der Autoindustrie unterbleibt.

Whistleblower-Netzwerk e.V. wird sich auch weiterhin für gesetzlichen Whistleblower-Schutz einsetzen und Aufklärungsarbeit über die Bedeutung von Whistleblowing für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Transparenz leisten.
Für Rückfragen: Ali Fahimi, Geschäftsführer Whistleblower-Netzwerk e.V., +4917680862682

Quelle: Pressemitteilung vom 08.02.2018
Whistleblower-Netzwerk e.V.
c/o djv (Deutscher Journalisten-Verband)
Alte Jakobstr. 79/80
10179 Berlin
Tel. 0162 7393651
info@whistleblower-net.de
https://www.whistleblower-net.de
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Klinik scheitert erneut mit Abmahnung wegen Gefährdungsanzeige

Beitrag von WernerSchell » 21.09.2018, 06:09

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Abmahnung wegen Anzeige einer Gefährdungslage nach § 16 ArbSchG
14 SA 140/18 (VORINSTANZ ARBEITSGERICHT GÖTTINGEN 2 CA 155/17)

Die im Jahre 1962 geborene Klägerin ist seit dem 01.04.1992 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin tätig. Die Beklagte ist ein Unternehmen des Gesundheitswesens, das zwei psychiatrische Fachkliniken betreibt.
Die Klägerin wurde am 26.09.2016 vertretungsweise auf einer anderen Station eingesetzt; in der Regel ist diese mit zwei examinierten Fachkräften besetzt. In der Vertretungssituation waren neben der Klägerin lediglich zwei Auszubildende auf der Station tätig. Darüber hinaus konnte im Bedarfsfall zusätzliche Unterstützung von der Nachbarstation angefordert werden. Die Klägerin empfand die personelle Situation als unzureichend.
Die Klägerin verfasste gegenüber dem Arbeitgeber eine Gefährdungsanzeige gemäß § 16 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) die auch als Beschwerde nach § 84 BetrVG gilt. Nach § 16 ArbSchG haben Beschäftigte dem Arbeitgeber oder dem zuständigen Vorgesetzten jede von ihnen festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit unverzüglich zu melden.
Die Beklagte sprach der Klägerin wegen der Anzeige einer Gefährdungslage eine Abmahnung aus. Sie hielt die Gefährdungsanzeige für unberechtigt und wertete das Verhalten der Klägerin daher als arbeitsvertragliche Pflichtverletzung.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, die der Klägerin mit Schreiben vom 24.01.2017 erteilte Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen. Hierzu hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass bei der Anzeige einer Gefährdungslage durch einen Arbeitnehmer ein subjektiver Maßstab gelte. Ob im konkreten Fall tatsächlich nach einem objektiven Maßstab die Annahme einer Gefahr im Sinne von § 16 Abs. 1 ArbSchG bestehe, sei nicht maßgeblich.
Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 14.12.2017 hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie vertritt weiterhin die Auffassung, die Abmahnung zu Recht erteilt zu haben.
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen verhandelt über die Berufung am Mittwoch, den 12.09.2018, 12:00 Uhr.

Quelle: Landesarbeitsgericht Niedersachsen vom 05.09.2018
https://www.landesarbeitsgericht.nieder ... 68522.html

+++
Zu der o.a. angekündigten Entscheidung teilte "Altenpflege" am 20.09.2018 mit:
Arbeitnehmer, die ihren Vorgesetzten per Überlastungsanzeige auf eine mögliche Gefährdungslage aufmerksam machen, dürfen dafür in der Folge nicht abgestraft werden. Das hat jetzt, wie das "Deutsche Ärzteblatt" meldete, das Landesarbeitsgericht Niedersachsen mit Sitz in Hannover entschieden (Az.: 14 Fa 140/18).
… (weiter lesen unter) …
http://www.altenpflege-online.net/Infop ... t-rechtens

Anmerkung:
Mit dieser Entscheidung wurde die hier vorgestellte arbeitsgerichtliche Entscheidung vom 14.12.2017 bestätigt. Auf die näheren Einzelheiten wird noch näher einzugehen sein, sobald die Entscheidung des LAG Niedersachen vorliegt.
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EU-Signal zum Schutz von Hinweisgebern kann Leben retten

Beitrag von WernerSchell » 13.03.2019, 15:54

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EU-Signal zum Schutz von Hinweisgebern kann Leben retten


Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) begrüßt die gestrige Einigung innerhalb der EU für einen wirksamen Whistleblowerschutz ausdrücklich. „Leider gehört Deutschland noch immer zu den Staaten, in denen Hinweisgeber gravierende Konsequenzen befürchten müssen, wenn sie Missstände aufdecken. Gerade im Gesundheitswesen gibt es zahlreiche Beispiele, die das belegen“, erklärt DBfK-Sprecherin Johanna Knüppel. „Patient/innen und Bewohner/innen erlitten bleibende Schäden oder haben sogar ihr Leben verloren, weil Mitarbeiter/innen bedroht bzw. zum Stillschweigen verpflichtet wurden. Wer seinem Gewissen folgt und Gesetzesverstöße, Qualitätsmängel oder Betrug anprangert, wird häufig als Verräter, Nestbeschmutzer oder Denunziant angesehen und behandelt. Das Ansehen der Einrichtung gilt dann mehr als die körperliche Unversehrtheit, die Würde und das Leben von Schutzbefohlenen. Das darf nicht hingenommen werden, ganz im Gegenteil. Eine Gesellschaft ist dringend auf verantwortungsbewusste Menschen angewiesen, die zum Wohle Anderer uneigennützig handeln und Zivilcourage zeigen. Sie brauchen Unterstützung und Ermutigung statt arbeitsrechtlicher Konsequenzen und Repressalien. Wir fordern daher Arbeitgeber im Gesundheitswesen auf, Hinweise auf Fehler und Mängel als wichtige Chance zu betrachten, die genutzt werden muss und vor schlimmen Folgen bewahrt. Und wir fordern Pflegefachpersonen auf, ihre professionelle Verantwortung als Fürsprecher kranker und pflegebedürftiger Menschen ernst zu nehmen. Der Ethikkodex des Weltverbands der Pflegeberufe formuliert es so: ‚Die grundlegende professionelle Verantwortung der Pflegenden gilt dem pflegebedürftigen Menschen‘. Der DBfK wird in Kürze eine Broschüre herausgeben, die Wege zu mehr Sicherheit für zu Pflegende aufzeigt und professionell Pflegenden eine Handlungshilfe bietet.“

Im April 2018 hatte die EU-Kommission einen Richtlinienvorschlag zum Whistleblowerschutz vorgelegt. Lange waren sich EU-Parlament und die Vertreter der EU-Staaten danach uneins, welches Meldeverfahren zugrunde gelegt werden soll. Während die Staaten für ein dreistufiges Verfahren plädiert hatten, wonach sich Hinweisgeber immer zuerst an interne Stellen wenden müssen, wollte das EU-Parlament mehr Wahlfreiheit. Die nun erzielte Einigung ohne den verpflichtenden internen Meldeweg muss nun noch von EU-Staaten und Parlament formell bestätigt werden. Danach haben die Länderregierungen zwei Jahre Zeit, um die neue Richtlinie in nationales Recht zu überführen.

Quelle: Pressemitteilung vom 13.03.2019
Johanna Knüppel, Referentin, Sprecherin, Redakteurin
Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e.V. (DBfK)
Alt-Moabit 91, 10559 Berlin
Tel.: 030-2191570
Fax: 030-21915777
presse@dbfk.de
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Beitrag von WernerSchell » 23.03.2019, 08:51

Aus Forum:
http://www.wernerschell.de/forum/neu/vi ... 82#p108182

Zum Thema "Überlastungsanzeige / Gefährdungsanzeige in der Pflege" habe ich wiederholt informiert und nach meiner Buchveröffentlichung ("100 Fragen zum Umgang mit Mängeln in Pflegeeinrichtungen" > http://www.wernerschell.de/Buchtipps/10 ... tungen.php ) u.a. auf ein insoweit bedeutsames Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 14.12.2017 aufmerksam gemacht. Diese Entscheidung ist mit Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachen vom 12.09.2018 bestätigt worden. Zu diesem Thema habe ich in der Z. "Kinderkrankenschwester", 03/2019, Seite 80ff., nochmals die Rechtlage erläutert und getitelt:
"Beschäftigt sind nach dem Arbeitsschutzrecht immer dann zu einer Anzeige beim Arbeitgeber verpflichtet, wenn nach subjektiver Einschätzung von einer konkreten Gefährdungslage ausgegangen werden kann".

Werner Schell
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Neue DBfK-Broschüre: Achtung – Risiko!

Beitrag von WernerSchell » 28.03.2019, 12:16

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Neue DBfK-Broschüre: Achtung – Risiko!

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Die grundlegende professionelle Verantwortung der Pflegenden gilt dem pflegebedürftigen Menschen - so sagt es der ICN-Ethikkodex. Zum Tragen kommt das insbesondere dann, wenn seine Sicherheit in Gefahr gerät. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hat jetzt eine Broschüre herausgegeben, die beruflich Pflegenden Information und Handlungshilfe zugleich geben kann: „Achtung – Risiko! Gefährdungsanzeige, CIRS, Whistleblowing – ein Plädoyer für mehr Patientensicherheit“ .

Die Broschüre beleuchtet kompakt und gründlich wichtige Aspekte rund um die Gefährdungsanzeige - auch Überlastungsanzeige genannt - sowie den Umgang mit anonymen Berichts- und Fehlermeldesystemen. Den Abschluss bildet ein Kapitel über das Whistleblowing und die Notwendigkeit, dass Hinweisgeber in Deutschland sehr viel besser geschützt werden müssen als das bisher der Fall ist. Gerade im Gesundheitswesen können dadurch Menschenleben gerettet und Pflegebedürftige vor bleibenden Schäden bewahrt werden. Angesichts der Dynamik, die sich gerade zu diesem Thema derzeit auf europäischer Ebene abzeichnet, erhalten die Tipps und Informationen der neuen Broschüre eine besondere Bedeutung.

Die 20-seitige Broschüre im Format A4 ist kostenlos im DBfK-Shop zu bestellen: https://www.dbfk.de/de/shop/artikel/Achtung-Risiko.php. Versandkosten werden in Rechnung gestellt. Es gibt sie auch als Download unter www.dbfk.de.

Quelle: Pressemitteilung vom 28.03.2019
Johanna Knüppel, Referentin, Sprecherin, Redakteurin
Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e.V. (DBfK)
Alt-Moabit 91, 10559 Berlin
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Fax: 030-21915777
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Fälschen von Dokumentaten beenden und Überlastungsanzeigen ausfertigen

Beitrag von WernerSchell » 19.08.2019, 07:28

Am 19.08.2010 bei Facebook gepostet - Prof. Dr. Volker Großkopf hatte das Thema zum Gegenstand einer Umfrage gemacht:

Claus Fussek hat in seinem Interview in Z. „Die Schwester / Der Pfleger“, 08/19, erneut die konsequente Einhaltung der Menschenwürde im Pflegesysteme gefordert und mahnt die Pflegekräfte: „Das Schönreden und Dokumentationsfälschen muss ein Ende haben. Es braucht einen Aufstand der Anständigen.“ Bezüglich des gerügten falschen Dokumentierens geht es um strafrechtlich relevante Vorgänge, die, falls sie stattfinden, sofort beendet gehören. Pflegerische Verrichtungen, die nicht durchgeführt wurden, dürfen nicht als erledigt bestätigt werden. Unzureichende Pflege-Rahmenbedingungen müssen ggf. Überlastungsanzeigen zur Folge haben – und das ist Rechtspflicht! Dazu gibt es aktuelle Rechtsprechung - > http://www.wernerschell.de/forum/neu/vi ... =5&t=22435
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