Anordnung von Sitzwachen

Arbeits- und Arbeitsschutzrecht, Allgemeine Rechtskunde (einschließlich Staatsrecht), Zivilrecht (z.B. Erbrecht)

Moderator: WernerSchell

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Anordnung von Sitzwachen

Beitrag von Presse » 28.04.2013, 06:34

Anordnung von Sitzwachen

(SchlSt. EKvW, 2. Kamer, Beschluss v. 18.07.2012, 2 M 39/12)

Die Anordnung der ständigen persönlichen Beobachtung mit kontinuierlicher Kontrolle der Vitalfunktion durch eine Sitzwache ist eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme gem. § 40 Buchst. i MVG-EKD.
Aus den Gründen:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Anordnung ständiger Überwachung von fixierten Patienten in der Psychiatrie zu einer mitbestimmungspflichtigen Hebung der Arbeitsleistung im Sinne von § 40 Buchst. i MVG.EKD führt.
Die Mitarbeitervertretung hat nachvollziehbar dargelegt, dass speziell in der Nachtschicht zusätzliche Anforderungen an die Pflegekraft außerhalb des Sitzüberwachungsraumes gestellt werden. Aus den von der Mitarbeitervertretung vorgelegten Formblättern zur Anordnung einer Fixierung ergibt sich, dass bis Anfang 2012 eine Sichtüberwachung fixierter Patienten nicht kontinuierlich sondern in Zeitintervallen erfolgte. Die zuständige Pflegekraft konnte daher auch außerhalb des Sichtüberwachungsraumes ihre weiteren Pflegeaufgaben erfüllen. Dies hat sich durch die Neufassung von § 20 PsychKG NW insofern geändert, als die zuständige Pflegekraft nunmehr kontinuierlich fixierte Patienten beobachten muss. Diese kontinuierliche Überwachung, ob in Form einer Sitzwache am Bett des Patienten oder aus dem Überwachungsraum heraus, bedingt, dass keine weiteren Pflegetätigkeiten verrichtet werden können. Hierfür muss die weitere Pflegekraft, die an sich für den offenen Bereich zuständig ist, einspringen. Diese Mehrbelastung ist Gegenstand einer Reihe von Gefährdungs- / Überlastungsanzeigen, die die Mitarbeitervertretung zu den Schlichtungsakten eingereicht hat. Diese Mehrbelastung fällt unter den Schutzzweck des § 40 Buchst. i MVG.EKD. Das Mitbestimmungsrecht greift dann ein, wenn die Mehrbelastung zu einer Erhöhung des Arbeitsdruckes führt, der objektiv deutlich spürbar ist (vgl. Beschluss des Kirchengerichtshofs vom 24.05.2011, AZ: KGH.EKD I-0124/S 39-10). An einer solchen Erhöhung des Arbeitsdruckes würde es fehlen, wenn Fixierungen von Patienten mit der damit verbundenen kontinuierlichen Überwachung nur gelegentlich vorkämen. Dies ist jedoch offensichtlich nicht der Fall. Vielmehr gehört nach dem unwidersprochenen Vortrag der Mitarbeitervertretung die Überwachung fixierter Patienten zu den Routineaufgaben des Pflegepersonals in der Psychiatrie. Da die kontinuierliche Überwachung zwangsläufig die betreffende Pflegekraft an das Überwachungszimmer bindet, müssen die ansonsten ihr obliegenden Pflegeaufgaben von der Zweitkraft immer zusätzlich mit erledigt werden.
Die Frage, wie die Beteiligten das durch die Mehrbelastung ausgelöste Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung handhaben, dürfte indessen nicht leicht zu beantworten sein. Dies schließt jedoch die grundsätzliche Feststellung im Sinne des Beschlusstenors nicht aus. Nach einer praktikablen Lösung zu suchen, bleibt daher zunächst den Beteiligten vorbehalten.

Quelle: Mitteilung vom 27.04.2013
Verband Kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Rheinland-Westfalen-Lippe
Weißenburger Straße 12
44135 Dortmund
Tel.: 0231/ 579743
Fax: 0231/ 579754
E-Mail: info@vkm-rwl.de

WernerSchell
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PsychKG NRW - Rechtsstand: 01.01.2017 - Mehr Freiheit wagen!

Beitrag von WernerSchell » 04.06.2017, 08:46

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Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG)
- Nordrhein-Westfalen - Rechtsstand 01.01.2017
:

Download:>>> https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_text_an ... 00086#NORM

Nachfolgend einige ausgewählte Regelungen des PsychKG - freiheitsentziehende Maßnahmen (feM) im Fokus:

§ 2 PsychKG - Grundsatz
(1) Bei allen Hilfen und Maßnahmen auf Grund dieses Gesetzes sind die Würde und persönliche Integrität der Betroffenen zu schützen. Auf ihren Willen und ihre Freiheit, Entscheidungen selbstbestimmt zu treffen, ist besondere Rücksicht zu nehmen. Hierbei sind die unterschiedlichen Bedarfe der verschiedenen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten zu berücksichtigen.
(2) Die §§ 1901a und 1901b des Bürgerlichen Gesetzbuches zur Patientenverfügung und zum Patientenwillen in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 396) geändert worden ist, sind zu beachten. Dies gilt auch für den in Behandlungsvereinbarungen niedergelegten freien Willen. Der Abschluss von Behandlungsvereinbarungen ist anzubieten und zu fördern. Auf die Möglichkeit zur Niederlegung des Willens in Patientenverfügungen ist hinzuweisen.
(3) Für eine sorgfältige und den Zielen dieses Gesetzes entsprechende Dokumentation ist Sorge zu tragen. Im Rahmen der Unterbringung sind alle Behandlungs- und Sicherungsmaßnahmen dokumentarisch zu erfassen.

§ 10 PsychKG - Unterbringung
(1) Ziel der Unterbringung ist es, die in § 11 Abs. 1 und 2 genannten Gefahren abzuwenden und die Betroffenen nach Maßgabe dieses Gesetzes zu behandeln.
(2) 1Eine Unterbringung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn Betroffene gegen ihren Willen oder gegen den Willen Aufenthaltsbestimmungsberechtigter oder im Zustand der Willenlosigkeit in ein psychiatrisches Fachkrankenhaus, eine psychiatrische Fachabteilung eines Allgemeinkrankenhauses oder einer Hochschulklinik (Krankenhaus) eingewiesen werden und dort verbleiben. 2 Die §§ 1631 b, 1800, 1915 und 1906 BGB bleiben unberührt. 3 Die Krankenhäuser haben durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass sich die Betroffenen der Unterbringung nicht entziehen. Die Unterbringung soll so weitgehend wie möglich in offenen Formen durchgeführt werden.
(3) Die Zuständigkeit der Krankenhäuser ergibt sich aus § 2 in Verbindung mit § 16 Krankenhausgestaltungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen – KHGG NRW – vom 11. Dezember 2007 (GV. NRW. S. 702, ber. 2008 S. 157) in der jeweils geltenden Fassung.

§ 16 PsychKG - Rechtsstellung der Betroffenen
(1) 1 Die Betroffenen unterliegen nur denjenigen Beschränkungen ihrer Freiheit, die sich zwingend aus dem Zweck der Unterbringung und aus den Anforderungen eines geordneten Zusammenlebens in einem Krankenhaus ergeben. 2 Maßnahmen, die die Freiheit der Betroffenen beschränken, sind im Verlauf der Behandlung ständig zu überprüfen und dem Behandlungsfortschritt anzupassen. 3Der Krankenhausträger hat den täglichen Aufenthalt im Freien, in der Regel für mindestens eine Stunde, zu ermöglichen.
(2) 1 Eingriffe in die Rechte Betroffener sind schriftlich festzuhalten und zu begründen. 2 Diese Unterlagen können Betroffene, ihre gesetzlichen Vertretungen, sowie die für die Betroffenen bestellten Verfahrenspflegerinnen und Verfahrenspfleger oder ihre Verfahrensbevollmächtigten einsehen. § 9 des Gesundheitsdatenschutzgesetzes vom 22. Februar 1994 (GV. NRW. S. 84), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 2. Februar 2016 (GV. NRW. S. 94) geändert worden ist, bleibt unberührt.
(3) Die Betroffenen sind darin zu unterstützen, notwendige Maßnahmen für ihre Familien und hilfsbedürftigen Angehörigen sowie ihre Vermögensangelegenheiten zu veranlassen.

§ 18 PsychKG - Behandlung
(1) Während der Unterbringung besteht ein Anspruch auf eine medizinisch notwendige und im Sinne dieses Gesetzes zulässige Behandlung. Die in § 2 angeführten Grundsätze und die §§ 630a bis 630h des Bürgerlichen Gesetzbuches sind zu beachten. § 630g des Bürgerlichen Gesetzbuches gilt entsprechend für die Betroffenen, für ihre Verfahrenspflegerinnen oder Verfahrenspfleger, Verfahrensbevollmächtigte und für ihre rechtliche Vertretung.
(2) Unverzüglich nach der Aufnahme ist mit den Betroffenen ein individueller Behandlungsplan zu erstellen. Die Behandlung und der Behandlungsplan sind den Betroffenen und ihrer rechtlichen Vertretung zu erläutern, mit diesen abzustimmen und fortlaufend anzupassen. Bei der Unterbringung von Kindern und Jugendlichen sind diese altersgerecht in die Behandlungsplanung einzubeziehen. Auch bei ihnen bestehen der Vorrang der Freiwilligkeit und der Anspruch auf eine altersgerechte Aufklärung. Soweit die Betroffenen Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlung bei der ärztlichen Aufklärung nicht einsehen können, sind Zeitpunkt, Form der ärztlichen Aufklärung und Abstimmung des Behandlungsplanes nach therapeutischen Kriterien zu bestimmen.
(3) Die Behandlung bedarf vorbehaltlich der Regelungen in den Absätzen 4 und 5 der Einwilligung der Betroffenen.
(4) Die Krankheit, die Anlass der Unterbringung ist, darf ohne Einwilligung nach Absatz 3 behandelt werden, wenn die Betroffenen Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlung nicht einsehen oder sich nicht nach dieser Einsicht verhalten können und ohne Behandlung Lebensgefahr oder erhebliche Gefahren für die Gesundheit der betroffenen Person oder dritter Personen im Rahmen der Unterbringung drohen. Eine vorliegende Patientenverfügung ist zu beachten.
(5) Widerspricht eine medizinische Behandlung der Anlasserkrankung dem natürlichen Willen der Betroffenen (Zwangsbehandlung), darf zu deren Durchführung unter den Voraussetzungen des Absatz 4 unmittelbarer Zwang angewendet werden, wenn
1. eine weniger eingreifende Maßnahme aussichtslos ist,
2. eine rechtzeitige Ankündigung erfolgt, die den Betroffenen die Möglichkeit eröffnet, Rechtsschutz zu suchen,
3. aus Sicht der Betroffenen der zu erwartende Nutzen die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt,
4. der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommene Versuch vorausgegangen ist, die auf Vertrauen gegründete Zustimmung der Betroffenen zu erreichen und
5. die Maßnahme der Wiederherstellung der freien Selbstbestimmung dient, soweit dies möglich ist.
Behandlungsmaßnahmen nach Absatz 4 dürfen nur durch die ärztliche Leitung, bei deren Verhinderung durch deren Vertretung angeordnet und nur durch Ärztinnen oder Ärzte vorgenommen werden. Die Maßnahmen, einschließlich ihres Zwangscharakters, ihrer Durchsetzungsweise, ihrer maßgeblichen Gründe und der Wirkungsüberwachung, sind durch die behandelnde Ärztin oder den behandelnden Arzt zu dokumentieren und nachzubesprechen, sobald es der Gesundheitszustand der Betroffenen zulässt. Die Zwangsbehandlung ist unzulässig, wenn sie lebensgefährlich ist oder wenn sie die Gesundheit der Betroffenen erheblich gefährdet.
(6) Die Zwangsbehandlung einer volljährigen Person bedarf der vorherigen Zustimmung durch das zuständige Gericht. Den Antrag beim zuständigen Gericht stellt die ärztliche Leitung und bei Verhinderung deren Vertretung. In diesem Antrag ist zu erläutern, welche maßgebliche Gefahr droht und wie lange die Behandlung voraussichtlich erfolgen soll. Zudem sind die Voraussetzungen und Maßnahmen nach Absatz 4 und 5 darzulegen. Von der Einholung einer gerichtlichen Entscheidung kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn
1. diese nicht rechtzeitig erreichbar ist,
2. eine besondere Sicherungsmaßnahme nicht geeignet oder nicht ausreichend ist, um die akute Gefährdung zu überwinden, und
3. die sofortige ärztliche Zwangsmaßnahme zur Vermeidung einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder einer gegenwärtigen schwerwiegenden Gefahr für die Gesundheit der untergebrachten Person oder dritter Personen erforderlich ist.
Eine gerichtliche Zustimmung für die weitere Zwangsbehandlung ist unverzüglich zu beantragen, sofern die unmittelbare Lebensgefahr oder schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit über einen längeren Zeitraum andauert oder überwunden ist und die Fortführung der Zwangsbehandlung als weiterhin notwendig angesehen wird. Satz 3 und 4 gelten entsprechend. Zwangsbehandlungen nach Satz 5 sind monatlich der Aufsichtsbehörde zu melden.
(7) Die Zwangsbehandlung einer minderjährigen Person bedarf der vorherigen Zustimmung der sorgeberechtigten Person. Die Absätze 2 bis 5 finden Anwendung.
(8) Ist bei sonstigen Erkrankungen die Einwilligung der Betroffenen zur Behandlung nicht zu erlangen, so wird sie im Falle der Einwilligungsunfähigkeit durch die Einwilligung der rechtlichen Vertretungen oder der Bevollmächtigten ersetzt. Insoweit gelten die §§ 1896 bis 1906 des Bürgerlichen Gesetzbuches.

§ 20 PsychKG - Besondere Sicherungsmaßnahmen
(1) Besondere Sicherungsmaßnahmen zur Abwendung einer gegenwärtigen erheblichen Selbstgefährdung oder einer gegenwärtigen erheblichen Gefährdung besonderer Rechtsgüter Dritter sind ausschließlich
1. Beschränkung des Aufenthalts im Freien,
2. Unterbringung in einem besonderen Raum,
3. Festhalten statt Fixierung oder
4. Fixierung in der Form der Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch mechanische Hilfsmittel
Sie dürfen nur dann angeordnet werden, soweit und solange die Gefahr nicht durch mildere Maßnahmen abgewendet werden kann. Soweit es sich um die Anwendung unmittelbaren Zwangs nach den Nummern 2, 3 und 4 handelt, ist jeweils die Maßnahme anzuwenden, die am wenigsten in die Rechte der Betroffenen eingreift.
(2) Bei über einen längeren Zeitraum andauernden oder sich regelmäßig wiederholenden Sicherungsmaßnahmen nach Absatz 1 Nummer 4 gelten § 18 Absatz 6 Satz 1 bis 4 und Absatz 7 entsprechend. § 12 Satz 2 ist anzuwenden. Ist die gerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig erreichbar und die sofortige Durchführung der besonderen Sicherungsmaßnahme zur Vermeidung von erheblichen Nachteilen notwendig, so ist der Antrag unmittelbar nach Fixierungsbeginn zu stellen.
(3) Maßnahmen nach Absatz 1 und 2 sind den Betroffenen vorher anzukündigen und zu begründen. Von der Ankündigung kann bei einer Fixierung ausnahmsweise abgesehen werden, wenn die Umstände sie nicht zulassen, insbesondere wenn die sofortige Anwendung des Zwangsmittels zur Abwehr einer Gefahr notwendig ist. Sie bedürfen der ärztlichen Anordnung und Überwachung. Sie sind zu befristen und sofort aufzuheben, sobald die Voraussetzungen für ihre Anordnung entfallen. Eine Beobachtung durch Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen sowie zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes ist verboten. Eine Beobachtung im Rahmen besonderer Sicherungsmaßnahmen darf ausschließlich durch den Einsatz von Personal erfolgen. Bei Fixierungen ist eine ständige persönliche Bezugsbegleitung sowie die Beobachtung mit kontinuierlicher Kontrolle der Vitalfunktionen sicherzustellen. Anlass, Anordnung, Art, Umfang und Dauer einer Unterbringung in einem besonderen Raum und einer Fixierung sind zu dokumentieren und der Verfahrenspflegerin oder dem Verfahrenspfleger, den Verfahrensbevollmächtigten und der rechtlichen Vertretung der Betroffenen unverzüglich mitzuteilen.
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