Abgängiger Bewohner

Arbeits- und Arbeitsschutzrecht, Allgemeine Rechtskunde (einschließlich Staatsrecht), Zivilrecht (z.B. Erbrecht)

Moderator: WernerSchell

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wundmentor
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Abgängiger Bewohner

Beitrag von wundmentor » 18.09.2009, 19:25

Hallo,
bin im geschlossenen Bereich eines Pflegeheims tätig.
Wir haben einen Bew. der mehrmals im Monat über den Zaun geht.
Er ist durch Beschluss in meiner Einrichtung untergebracht.
Jedesmal wenn der Bew. über den Zaun geht muss die Polizei informiert werden um nach ihm zu fahnden.
Bei gestriger Abgängigkeit und Info an die Polizei teilte der Beamte meinen Kollegen mit, dass wenn dem Bew. ein körperlicher Schaden entsteht er ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Körperverletzung einleiten muss.

Wie ist das rechtlich geregelt, dass durch bauliche Mängel"Zaunhöhe" der Bew. übersteigen kann "sich selbstgefährdet" und dann die Pflegekraft die den Vorfall der Polizei namentlich meldet zur Rechenschaft gezogen werden kann.
Es ist der Leitung des Heimes bekannt, dass der Bew. oft abgängig ist...

Gruss wundmentor
Jedem alles recht getan, ist eine Kunst die niemand kann.

Rob Hüser
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Unterbringung - Sicherungspflichten beachten

Beitrag von Rob Hüser » 19.09.2009, 07:59

Hallo wundmentor,

wenn jemand geschlossen untergebracht ist (§1906 BGB), muss durch bauliche, organisatorische und personelle Maßnahmen sichergestellt werden, dass die Einrichtung von der untergebrachten Person nicht ohne Legitimation der zuständigen Personen verlassen werden kann. Das ist ja schließlich ein Hauptansatz für die Unterbringung.

Eine Unterbringung hat im Kern den Sinn, bestimmte Gefahren abzuwenden. Solche Gefahren, die im Unterbringungsverfahren durch Gutachten verdeutlicht wurden, dürfen nicht dadurch realisierbar werden, indem es "Löcher" gibt, mit denen sich die Unterbringung unterbrechen / per Eigenmacht aufheben lässt. Die Unterbringung muss mit der gebotenen Sorgfalt (§§ 276, 278 BGB) durchgeführt werden. D.h. konkret, ein Entweichen muss mit allen denkbaren und möglichen Maßnahmen ausgeschlossen werden.

Ich würde als verantwortliche Pflegekraft schriftlich an den Heimträger herantreten und auf die Situation und die möglichen Gefahren aufmerksam machen. Aber auch gleichzeitig in aller Deutlichkeit darum bitten, die geeigneten Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen. Dann ist der Träger in der Pflicht und der Mitarbeiter ist weitgehend entlastet.

Der Polizeibeamte hat die Situation korrekt beschrieben. Wer durch Handeln oder Unterlassen Voraussetzungen schafft, die eine Körperverletzung (oder mehr) nach sich ziehen können, handelt u.U. strafrechtlich relevant!

Mit freundlichen Grüßen
Rob
Das Pflegesystem muss dringend zukunftsfest reformiert werden!

Cicero
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Arbeitgeber über Gefahren informieren

Beitrag von Cicero » 20.09.2009, 07:18

Hallo,

bei einer geschlossenen Heimunterbringung ist der Träger in der Pflicht, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, die ein Ausbüchsen des Eingewiesenen unmöglich machen. Welche Maßnahmen zu ergreifen sind, richtet sich nach den Einzelumständen.
Wenn das Personal erkennt, dass die Sicherungsmaßnahmen unzureichend sind, müssen sie sich gegenüber dem Arbeitgeber zu Wort melden. Insoweit verweise ich auf die sog. Remonstrationspflicht und die Ausführungen zur Überlastungsanzeige. Wer den Arbeitgeber, die vorgesetzten Dienstkräfte, auf klar erkennbare Gefahrensituationen nicht aufmerksam macht, handelt pflichtwidrig.
Dies gilt unabhängig davon, in welchem Bereich ein Arbeitnehmer beschäftigt ist.

Mit freundlichen Grüßen
Cicero
Politisch interessierter Pflegefan!
Im Gleichklang: Frieden - Ausgleich - Demokratie - und: "Die Menschenwürde ist unantastbar"!

Gaby Modig
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Hilfeleistungspflicht & Garantenstellung

Beitrag von Gaby Modig » 22.09.2009, 07:13

Cicero hat geschrieben: .... bei einer geschlossenen Heimunterbringung ist der Träger in der Pflicht, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, die ein Ausbüchsen des Eingewiesenen unmöglich machen. Welche Maßnahmen zu ergreifen sind, richtet sich nach den Einzelumständen.
Wenn das Personal erkennt, dass die Sicherungsmaßnahmen unzureichend sind, müssen sie sich gegenüber dem Arbeitgeber zu Wort melden. Insoweit verweise ich auf die sog. Remonstrationspflicht und die Ausführungen zur Überlastungsanzeige. Wer den Arbeitgeber, die vorgesetzten Dienstkräfte, auf klar erkennbare Gefahrensituationen nicht aufmerksam macht, handelt pflichtwidrig.
Dies gilt unabhängig davon, in welchem Bereich ein Arbeitnehmer beschäftigt ist. ...
Hallo,
Zustimmgung zu dem o.a. Statement. Bei einer Unterbringung ist der Träger in der Pflicht, die im Einzelfall gebotenen Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen. Insoweit greifen die Aufsichtspflicht, aber auch die Garantenstellung.
Arbeitnehmer, denen diese Situation klar ist, sollten immer zeitgerecht auf die Handlungsnotwendigkeiten aufmerksam machen. Dann sind sie auf sicheren Seite.
MfG Gaby
Pflegesystem verbessern - weg von der Minutenpflege. Mehr Pflegepersonal ist vonnöten!

Rauel Kombüchen
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Geschlossene Unterbringung ohne Lücken !

Beitrag von Rauel Kombüchen » 02.10.2009, 07:29

Cicero hat geschrieben: .... bei einer geschlossenen Heimunterbringung ist der Träger in der Pflicht, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, die ein Ausbüchsen des Eingewiesenen unmöglich machen. Welche Maßnahmen zu ergreifen sind, richtet sich nach den Einzelumständen. ....
Hallo Forum,
dies ist auch meine Auffassung. Die Trägerverantwortlichen müssen Voraussetzungen schaffen, ggf. auch baulich, die ein Ausbüchsen der untergebrachten Personen nach menschlichem Ermessen in der Zukunft ausschließen.
MfG Rauel
Pflegeversicherung - Pflegebegriff erneuern und Finanzierung nachhaltig sichern! BürgerInnen müssen mehr Informationen erhalten - z.B. wg. Individualvorsorge!

WernerSchell
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Überlastungsanzeige / Gefährdungsanzeige = Rechtspflicht

Beitrag von WernerSchell » 25.01.2018, 18:14

Am 25.01.2018 bei Facebook gepostet:
Pflegepersonal sollte den Arbeitgeber/Dienstgeber bei (mutmaßlichen oder tatsächlichen) Gefährdungen schnellstmöglich mittels Überlastungs- bzw. Gefährdungsanzeigen informieren. Damit wird der insoweit bestehenden Rechtspflicht entsprochen! So urteilte am 14.12.2017 das ArbG Göttingen und bestätigte eindrucksvoll klar die Rechtslage. Die Urteilsschrift liegt hier in anonymisierten Fassung vor und verdient uneingeschränkte Zustimmung. Versuche, die Beschäftigen von solchen Anzeigen abzuhalten, sind nicht akzeptabel, u.U sogar rechtsmissbräuchlich. In einer Buchveröffentlichung (von 2011) habe ich für die Beschäftigen bereits Handlungsanleitungen zum korrekten Vorgehen präsentiert. Angesichts der unzureichenden Stellenschlüssel sind Mitteilungen der hier angesprochenen Art vorprogrammiert.
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