Verpflichtung des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung?
(Quelle: juris.de) Der Europäische Gerichtshof beschäftigt sich zurzeit mit der Frage, ob Arbeitgeber verpflichtet sind, die tgl. Arbeitszeit zu erfassen (EuGH, C-55/18; PM EuGH Nr. 8/2019 v. 31.01.2019). Nach Auffassung von Generalanwalt Giovanni Pitruzzella sind Unternehmen verpflichtet, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit einzuführen, wobei es den Mitgliedstaaten freistehe, die Formen und Wege der Umsetzung dieser Verpflichtung zu bestimmen.
Generalanwalt Giovanni Pitruzzella hat in seinen Schlussanträgen vom 31.01.2019 dem EuGH vorgeschlagen festzustellen, dass die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und die Richtlinie 2003/88 (Arbeitszeitrichtlinie) den Unternehmen die Verpflichtung auferlegten, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit für Vollzeitarbeitnehmer einzuführen, die sich nicht ausdrücklich individuell oder kollektiv zur Ableistung von Überstunden verpflichtet hätten. Jedoch stehe es den Mitgliedstaaten frei, die für die Erreichung der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts geeignetste Form der Erhebung der effektiven täglichen Arbeitszeit vorzusehen.
Es müsse gewährleistet werden, dass die den Arbeitnehmern durch die Charta und die Richtlinie 2003/88 verliehenen Rechte auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten umfassend und tatsächlich in Anspruch genommen werden könnten. Ein umfassender und wirksamer Schutz setze nämlich die Bestimmung spezifischer Verpflichtungen der beteiligten Personen voraus, damit vermieden werde, dass der Unterschied in der wirtschaftlichen Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, der die schwächere Partei des Arbeitsvertrags sei, die tatsächliche Inanspruchnahme der von der Charta und der Richtlinie zuerkannten Rechte beeinträchtige. Die Mitgliedstaaten könnten zwar die Mittel und Wege, mit denen sie die Richtlinie 2003/88 umsetzten, frei wählen, doch werde ihnen jedenfalls eine Verpflichtung zur Erreichung eines bestimmten Ergebnisses auferlegt, die im Hinblick auf die Anwendung der in der Richtlinie 2003/88 aufgestellten Regeln durch keinerlei Bedingungen eingeschränkt sei. Sie hätten eine nationale Regelung zu erlassen, die geeignet sei, das Ziel des Schutzes der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer (deren Schutz zu den grundlegenden Zielen der Richtlinie gehöre) mittels der effektiven Einhaltung der Grenzen der Arbeitszeiten zu erreichen und jedes Hindernis zu beseitigen, das die Inanspruchnahme der von der Richtlinie zuerkannten subjektiven Rechte tatsächlich beeinträchtige oder beschränke. Diesen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie entspreche eine besondere Verantwortung des Arbeitgebers, der seinerseits die Verpflichtung habe, angemessene Maßnahmen zu treffen, um den Arbeitnehmern die Ausübung ihrer von der Richtlinie 2003/88 gewährleisteten Rechte ohne Hindernisse zu ermöglichen.
Im Fall des Fehlens eines Systems zur Messung der Arbeitszeiten gebe es keine Garantie, dass die von der Richtlinie 2003/88 festgelegten zeitlichen Beschränkungen tatsächlich beachtet würden, und daher auch nicht dafür, dass die Rechte, die die Richtlinie den Arbeitnehmern gewähre, ohne Hindernisse ausgeübt werden könnten. Ohne ein solches System könnten weder das Ausmaß tatsächlich geleisteter Arbeit und die Lage der Arbeitszeiten objektiv und sicher festgestellt werden noch zwischen Regelarbeitszeit und Überstunden unterschieden werden. Auch die für die Kontrolle der Einhaltung des Systems für die Sicherheit am Arbeitsplatz zuständige Behörde habe keine konkrete Möglichkeit, eine etwaige Nichterfüllung der Verpflichtungen festzustellen und zu beanstanden.
Zudem mache das Fehlen dieses Systems es für den Arbeitnehmer viel schwieriger, die Rechte, die ihm die Richtlinie 2003/88 gewähre, in einem Gerichtsverfahren zu wahren, da ihm dadurch eine erste wesentliche Nachweismöglichkeit genommen werde. Ohne ein solches System wäre es nämlich, wenn der Arbeitgeber Arbeitsleistungen unter Verstoß gegen die von dieser Richtlinie vorgesehenen Beschränkungen der Arbeitszeit vorschriebe, sehr schwierig, eine wirksame Abhilfe gegen diese rechtswidrigen Verhaltensweisen zu schaffen. Folglich werde durch dieses Fehlen die Wirksamkeit der Rechte, die die Richtlinie 2003/88 den Arbeitnehmern gewähre, erheblich geschwächt, die im Wesentlichen dem Ermessen des Arbeitgebers überlassen würden.
Quelle: Mitteilung vom 11.02.2019
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