Hoher Pflege-Mindestlohn führt zu Versorgungslücken

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Hoher Pflege-Mindestlohn führt zu Versorgungslücken

Beitrag von Presse » 15.07.2009, 18:41

Hoher Pflege-Mindestlohn führt zu Versorgungslücken

Ein hoher Mindestlohn für Pflegehilfskräfte könnte bis zum Jahr 2020 zu einer Versorgungslücke von 260.000 Pflegeplätzen (ca. 16%) führen, wenn dadurch Insolvenzen zunehmen und sich Kapital teilweise aus dem deutschen Pflegemarkt zurückzieht. Dies ergibt eine Sonderauswertung des "Pflegeheim Rating Report 2009" von RWI, ADMED GmbH und HCB GmbH. Sie zeigt, dass ein derzeit diskutierter bundeseinheitlicher Mindestlohn von 9,68 Euro pro Stunde insbesondere auf Anbieter in Ostdeutschland, private Anbieter und ambulante Dienste massive negative Effekte hätte.
Die Einführung eines Mindestlohns von 9,68 Euro für Pflegehilfskräfte könnte in Pflegeheimen zu einer Versorgungslücke von rund 100 000 Plätzen im stationären und 160 000 Plätzen im ambulanten Bereich bis 2020 führen. Entsprechend wären bis dahin 22% der Pflegebedürftigen in Ostdeutschland und 7% der Pflegebedürftigen in Westdeutschland ohne Heimplatz. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Sonderauswertung des "Pflegeheim Rating Report 2009" von RWI, ADMED GmbH und HCB GmbH. Da der Mindestlohn die Arbeit der Pflegehilfskräfte verteuern würde, könnten Entlassungen und Einstellungsstopps in diesem Bereich die Folge sein. Zudem ist zu erwarten, dass die Insolvenzwahrscheinlichkeit von Pflegeheimen steigen würde und sich insbesondere private Kapitalgeber teilweise aus dem Pflegesektor zurückziehen würden. Im Jahr 2007 lag der Anteil stationärer Plätze in privater Trägerschaft bei 39%, 45% aller ambulant Pflegebedürftigen wurden von privaten ambulanten Diensten betreut.

Besonders stark von der Einführung von Mindestlöhnen betroffen wären Anbieter in Ostdeutschland, private Anbieter und ambulante Dienste. Dies könnte dazu führen, dass der Grundsatz "ambulant vor stationär" gefährdet würde. Die durch Einführung des Mindestlohns entstehende Versorgungslücke könnte geschlossen werden, indem die Preise für Pflegeleistungen angehoben werden. Würden die höheren Personalkosten vollständig auf die Preise umgelegt, kämen auf Pflegebedürftige, deren Angehörige und Sozialämter in den Jahren 2010 bis 2020 kumulierte Mehrkosten von 3,3 Milliarden Euro zu. In der Folge würden Angehörige voraussichtlich vermehrt auf illegale oder halblegale Pflegeangebote zurückgreifen, somit würde die Schwarzarbeit gestärkt.

In der Studie werden zwei verschiedene Szenarien berechnet

Für die Untersuchung wurden Daten des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) für über 13.000 Beschäftigte von stationären und über 700 Beschäftigte von ambulanten Einrichtungen verwendet. Es wurden zwei Mindestlohn-Szenarien berechnet: ein bundeseinheitlicher Mindestlohn von 9,68 Euro, wie er von Vertretern der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und der AWO befürwortet wird, sowie ein Mindestlohn von 8,50 Euro in West- und 7,50 Euro in Ostdeutschland. Da die Pflegebranche seit Februar 2009 unter das Arbeitnehmerentsendegesetz fällt, soll eine achtköpfige Kommission bis Ende dieses Jahres einen Vorschlag zur Höhe des Mindestlohns erarbeiten. Vertreter privater Anbieter sind in diesem Gremium unterrepräsentiert.

Ein regional gestaffelter Mindestlohn würde voraussichtlich zwar ebenfalls zu einer Versorgungslücke führen, diese wäre mit rund 20 000 Plätzen im stationären und 50 000 Plätzen im ambulanten Bereich bis 2020 jedoch nur gut ein Viertel so groß wie bei einem Mindestlohn von 9,68 Euro. Entsprechend würde sich auch die Insolvenzwahrscheinlichkeit privater Pflegeheime im gestaffelten Szenario geringfügiger erhöhen.

Auch gestaffelte Mindestlöhne führen zu Einbußen bei der Versorgung

Abgesehen von den wirtschaftlichen Folgen würde ein hoher Mindestlohn die Lohnunterschiede zwischen Pflegefach- und Pflegehilfskräften verringern. Hierdurch hat ein gering qualifizierter Arbeitnehmer geringere Anreize, sich zusätzliche Qualifikationen anzueignen. Angesichts des zusätzlichen Bedarfs von rund 50.000 Pflegefachkräften im stationären und 27.000 im ambulanten Bereich bis 2020 wäre dies kontraproduktiv.

Aus den genannten Gründen raten wir dringend von der Einführung eines Mindestlohns ab. Insbesondere weisen die Ergebnisse der Untersuchung darauf hin, dass die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns von 9,68 Euro drastische Konsequenzen für die Versorgung mit Pflegeplätzen haben dürfte. Es ist zu vermuten, dass sich im Verhandlungsprozess regional differenzierte Mindestlöhne auf etwas niedrigerem Niveau ergeben. So würde sich beispielsweise eine Festsetzung von Mindestlöhnen von 8,50 Euro in West- und 7,50 Euro in Ostdeutschland in etwa an den bestehenden Lohnunterschieden orientieren. Die Berechnungen legen nahe, dass in diesem Falle die Konsequenzen ebenfalls negativ, allerdings weniger drastisch wären. Auch hier muss man jedoch eine spürbare Einschränkung der Versorgung befürchten, weil höhere Arbeitslöhne die Kosten steigern und letztlich zu einer Verminderung der Zahl der verfügbaren Pflegeplätze führen. Es wird nicht gelingen, mit der Einführung eines Mindestlohns den Interessen der Arbeitnehmer und der Patienten gleichermaßen zu dienen.

Ihre Ansprechpartner:
Sabine Weiler (Pressestelle RWI Essen) Tel.: (0201) 8149-213
Dr. Boris Augurzky (RWI Essen) Tel.: (0201) 8149-203
Dieser Pressemitteilung liegt der Projektbericht "Auswirkungen von Mindestlöhnen auf Pflegeeinrichtungen und Pflegebedürftige" zugrunde. Er ist unter http://www.rwi-essen.de/pb als pdf-Datei erhältlich.

RWI Essen, ADMED GmbH und HCB GmbH haben gemeinsam bereits mehrere Gutachten im Gesundheitsbereich erstellt, in jüngster Zeit unter anderem den "Krankenhaus Rating Report 2009" und den "Pflegeheim Rating Report 2009".

Weitere Informationen:
http://www.rwi-essen.de/presse - hier steht die Pressemitteilung auf der RWI-Homepage mit direktem Link zur Studie
http://www.rwi-essen.de/presse

Auswirkungen von Mindestlöhnen auf Pflegeeinrichtungen und Pflegebedürftige
Auszug aus dem Pflegeheim Rating Report 2009
von RWI, ADMED und HCB
http://www.rwi-essen.de/pls/portal30/do ... STLOHN.PDF

Quelle: Pressemitteilung vom 15.7.2009
Joachim Schmidt, Presse und Information
Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung e.V.

URL dieser Pressemitteilung: http://idw-online.de/pages/de/news326055
*****
Siehe auch in diesem Forum unter
viewtopic.php?t=10838

WernerSchell
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Mindestlöhne in der Pflege

Beitrag von WernerSchell » 18.07.2009, 17:07

Buchtipp!

Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (Hrsg.):

Auswirkungen von Mindestlöhnen auf Pflegeeinrichtungen und Pflegebedürftige
Auszug dem Pflegeheim Rating Report 2009

Bild

Näheres hier:
http://www.wernerschell.de/Buchtipps/mindestloehne.php
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
Bild

thorstein
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Beitrag von thorstein » 18.07.2009, 17:45

Zitate aus folgendem Link:

http://www.rwi-essen.de/pls/portal30/do ... 09_SUM.PDF

Ein Mindestlohn von 9,68 € pro Stunde, wie von Ver.di gefordert, würde zu einer
Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Pflegeheime führen, vor allem
von Einrichtungen in Ostdeutschland, von privaten Anbietern und von ambulanten
Diensten. Die Ausfallwahrscheinlichkeit von Heimen würde sich erhöhen, sodass
mittelfristig mehr Anbieter in die Insolvenz gingen als ohne Mindestlohn. Eine
infolgedessen geringere Verzinsung des Eigenkapitals dürfte außerdem zu einem
teilweisen Rückzug von privatem Kapital führen, sodass in Zukunft weniger neue
Plätze entstehen dürften als ohne einen Mindestlohn.

Schließlich besteht die Gefahr, dass durch einen hohen
Mindestlohn die Lohndifferenz von Pflegehilfskräften zu -fachkräften schrumpft
und damit die Bereitschaft, sich weiter zu qualifizieren, sinkt. Vor dem Hintergrund
des zu erwartenden Mangels an Fachkräften im nächsten Jahrzehnt wäre
dies kontraproduktiv.

Damit sollte noch einmal deutlich werden, um was es geht. Niedrige Löhne für Pflegehilfskräfte=Gewinnspanne. Das nachfolgende Argument entbehrt nicht einem gewissen Charme. Es soll ja niemand auf die Idee kommen, dass auch die Löhne der Fachkräfte steigen müßten, um den Beruf attraktiv zu machen?

Bettina Olbing
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Wo stehen die Kirchen ?

Beitrag von Bettina Olbing » 20.07.2009, 07:15

Guten Morgen,
ich fand soeben einen interessanten TV-Tipp für heute:
Kirche unterbietet Kirche
Warum in der Pflege noch immer keine gerechten Löhne bezahlt werden
viewtopic.php?t=12405
Ich bin sehr gespannt, was Report Mainz präsentiert. Nach meinen Feststellungen sind die Kirchen mit im Boot, wenn es darum geht, die Löhne in der Pflege "nach unten" zu drücken. Dies alles im Widerspruch zu der jüngsten Papst-Enzyklika, die sich mit der sozialen Weltlage beschäftigt. Viel gelobt, aber dann doch von der Kirche nicht immer selbst gelebt.
LB Grüße
Bettina
Pro Pflege - was denn sonst!

WernerSchell
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Kirche unterbietet Kirche

Beitrag von WernerSchell » 21.07.2009, 12:37

Die Manuskripte und Videos von REPORT MAINZ
vom 20.07.2009 sind nun online verfügbar; z.B.:


Kirche unterbietet Kirche: Warum in der Pflege noch immer keine gerechten
Löhne bezahlt werden

http://www.swr.de/report/-/id=233454/ni ... index.html
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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