"Pflegebudget" ist zu teuer

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"Pflegebudget" ist zu teuer

Beitrag von Pflegeselbsthilfe » 02.03.2008, 09:51

"Pflegebudget" ist zu teuer

RZ 28.02.2008: Vier Jahre lang erprobte der Kreis Neuwied als eine von sieben Kommunen bundesweit das Modellprojekt Pflegebudget. Am 30. April endet die Erprobungsphase. "Es ist unwahrscheinlich, dass das Pflegebudget als eigenständige Option eingeführt wird. Denkbar ist hingegen, dass einzelne Konzeptteile in die Entwicklung der Pflegeversicherung einfließen", resümierte Prof. Thomas Klie, der wissenschaftliche Leiter dieses Projektes. Die 79 Bezieher des Budgets im Kreis Neuwied können sich noch bis Ende des Jahres auf die höheren Leistungen (Sachleistungssatz) der Kassen freuen, die ihnen zur Verfügung stehen, um die vereinbarten Haushaltshilfen oder Betreuungsdienste zu bezahlen, die ansonsten von der Pflegekasse nicht übernommen werden.

Einerseits sei jedem Pflegebedürftigen gewünscht, dass die Pflegeversicherung den häuslichen Betreuungsbedarf weitgehend deckt, andererseits erscheint dies nicht finanzierbar über den aktuellen Versicherungsbeitrag. Von vorne herein haben die für das Regelwerk Verantwortlichen versucht eine Grenze zu setzen, indem eben nur körperbezogene Pflegeleistungen - Sachleistungen genannt - kalkuliert wurden. Zeit für Betreuung, Begleitung und Haushaltshilfe wurden ganz bewusst nicht einkalkuliert. Hier setzt man auf den Einsatz von Angehörigen, die wie vor der Einführung der Pflegeversicherung zu einem großen Teil diese Aufgabe selbstverständlich übernehmen. Schließlich drückt sich darin ja auch ein wesentlicher Wert der Familie aus. Man lässt die pflegebedürftige Mutter, den Vater oder eine andere nahe stehende Person gerade dann nicht im Stich, wenn diese der Hilfe am meisten bedürfen. Also kann man vorerst noch darauf vertrauen, dass rund 70 Prozent der Pflegebedürftigen in der eigenen Familie versorgt werden, mit oder ohne Unterstützung eines ambulanten Pflegedienstes. Vor der Einführung der Pflegeversicherung war dieser Prozentsatz sogar noch höher, obschon die Angehörigen für diesen Einsatz keinen Pfennig erwarten konnten. Grund- und Behandlungspflegemaßnahmen durch ambulante Dienste wurden vormals von den Krankenkassen übernommen, wobei jedoch nicht - wie heute - jede Handreichung einzeln aufgeführt und abgerechnet werden musste. Auch einzelne Nachtbereitschaften und stundenweise Betreuungen oder Begleitdienste, konnten unter bestimmten Umständen - und nach Vorlage einer ärztlichen Verordnung - mit den Kassen abgerechnet werden. Wenn ich an meine Zeit als Verantwortliche einer Haus-, Kranken- und Familienpflegestation zurückdenke, hatten die Betroffenen, wie auch ambulanten Pflegedienste in der Zusammenarbeit mit dem Hausarzt deutlich mehr Möglichkeiten individuell maßgeschneiderte Hilfsangebote mit den Kassen zu vereinbaren. Seit Einführung der Pflegeversicherung haben wir zwei getrennte Kassen, wobei im Zweifelsfalle die jeweils angesprochene nicht zuständig ist. Die auch früher schon nicht leicht zu durchschauenden Verfahren und Formalitäten verkomplizierten sich hierdurch erheblich. Seither werden den Pflegediensten Preise und Zeitwerte (pro Einzelsachleistung) diktiert, die kaum noch einen Spielraum lassen. Zeit für Zuwendung und die oft viel notwendigere menschliche Begleitung, lassen sich nicht abrechnen, obschon man dadurch viele teuren und schädlichen Medikamente einsparen könnte oder gar Krankenhausaufenthalte. Stattdessen gibt es einen kleinen Obolus in Form von Pflegegeld, aber auch nur, sofern die Angehörigen auf regelmäßige Unterstützung von ambulanten Diensten verzichten und alles selber machen. Bürger und Fachleute die nicht täglich mit diesen Dingen zu tun haben, blicken hier zunächst überhaupt nicht durch. Entsprechend verstärkte sich der Beratungsbedarf: Wo kann ich was beantragen? Was steht mir in der aktuellen Situation zu? etc.

Angesichts der daraus resultierenden Unzufriedenheit vieler Betroffenen, kam man auf die Idee mit dem Pflegebudget, in Kombination mit einer individuellen Fallberatung (Case Management). Wiederum ein kompliziertes Verfahren, mit Prüfungen und Anträgen und ständiger Begleitung, die durch Pflegekräfte mit Hochschuldiplom gewährleistet werden soll (welche zunächst einmal den zumeist betagten, nur deutschsprachigen "Klienten" erklären müssen, was denn eine Case Managerin ist). Dieser ganze Aufwand, einschließlich der Personalkosten, dient keinem anderen Zweck, als für einige wenigen Pflegebedürftige, statt des Pflegegeldes den etwa doppelt so hohen Sachleistungsbetrag auszuhandeln, mit dem der Betreffende auch solche Hilfe einkaufen kann, die er sonst aus eigener Tasche zahlen müsste; wie z.B. eine stundenweise Betreuung zur Entlastung des Angehörigen, oder jemand der 3 mal die Woche kommt, um mit ihm spazieren zu fahren. Auch ohne die Mehrkosten zu kennen, kann die abschlägige Bewertung des Projektes Pflegebudget nachvollzogen werden.

Nun setzt unsere engagierte, rheinlandpfälzische Sozialministerin (fast im Alleingang) auf die nicht minder umstrittenen Pflegestützpunkte, die bei der gestrigen Tagung auf dem Petersberg zur Debatte standen und dort ins Ermessen der Länder gestellt wurden. Auch davon können wir nur abraten. Mit dem Geld, welches hierfür zusätzlich aufgebracht werden muss, sollte man das Betreuungsangebot vor Ort ausbauen und für die Angehörigen bezahlbar machen. Dann müssten nicht so viele Menschen, auch hier in Rheinland-Pfalz, auf illegal beschäftigte Osteuropäerinnen zurückgreifen, weil passende legalen Angebote entweder nicht vorhanden oder nicht bezahlbar sind. Das ist doch das eigentliche Problem, für das weder die Stützpunkte noch das Pflegebudget eine Lösung bieten.

Quelle: Pressemitteilung vom 28.2.2008
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Herbert Kunst
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Pflegebudget wenig hilfreich - Pflegesystem reformieren!

Beitrag von Herbert Kunst » 09.03.2008, 08:13

Pflegebudget wenig hilfreich - Pflegesystem reformieren!

Hallo

dem vorstehenden Statement kann ich nur zustimmen. Wir brauchen, wie vielfach ausgeführt, im Pflegesystem weniger Modellprojekte, es bedarf einer Reform des Systems an "Haupt und Gliedern". An einer solchen "Rundumerneuerung", die vor allem die dementiell erkrankten Menschen vollständig in die Versorgung einbeziehen muss, drücken sich die Politiker ständig, auch jetzt wieder, vorbei.
Diese Verweigerungshaltung der Politik muss der Bevölkerung deutlich gemacht werden, so dass sich ein entsprechender Protest formieren kann.
Bücher, die das Pflegesystem mit einer "Pflegemafia" (Fussek) gleichsetzen, bringen uns nicht weiter. Sie vergiften nur das Klima, weil sie auch keine wirklichen Lösungen aufzeigen.

Gruß
Herbert Kunst
Für menschenwürdige Pflege sind wir alle verantwortlich! - Dazu finde ich immer wieder gute Informationen unter http://www.wernerschell.de

Helga Ophoven
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Pflegebedürftige nicht verwalten, mehr Zuwendung

Beitrag von Helga Ophoven » 17.03.2008, 08:05

Pflegebedürftige nicht verwalten, mehr Zuwendung

Der Tendenz, die pflegebedürftigen Menschen mehr mehr zu verwalten, Pflegestützpunkte, Fallmanager usw. einzurichten, muss energisch entgegen getreten werden. Mehr Verwaltung, mehr institutionelle Beratung, ist Politik von "links". Da sage ich: nein danke!
Beratungshilfen gibt es genug, nur die Hilfen müssen besser und unabhängiger werden. Die Selbstbestimmung der Menschen ist stärker zu achten.
Die Pflegekassen als Beratungsinstitutionen halte ich für ungeeignet, sie verwalten Versicherte und wehren z.T. nur ab = Kostenminimierung!
Geben wir doch einfach den pflegebedürftigen Menschen verbesserte Anspüche auf der Grundlage eines neuen Pflegebegriffs. Dann wird sich vieles zum Guten wenden.

Helga

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