Positionspapier zur aktuellen Situation in der Pflege
NRW droht Pflegenotstand!
Pflegebedürftige Menschen in Nordrhein-Westfalen finden aktuell erschwert vollstationäre Pflegeplätze, kaum Kurzzeitpflegeplätze und zunehmend weniger ambulante Dienstleis-ter, die die pflegerische Versorgung übernehmen können. Alle Trägerverbände weisen auf diese Problematik seit längerer Zeit hin, in zahlreichen Regionen Nordrhein-Westfalens wird dazu in der allgemeinen Presse berichtet, und auch die Landesverbände der Pflege-kassen als die Verantwortlichen für die pflegerische Versorgung in NRW (Sicherstellungs-auftrag) haben in ihren zurückliegenden Stellungnahmen gegenüber dem zuständigen Fachministerium und dem Landtag bereits auf drohende Versorgungsengpässe in der Pflege hingewiesen.
Für diese Entwicklung gibt es zwei wesentliche Ursachen:
1. Die Platzkapazitäten in der vollstationären Pflege korrespondieren nicht mit der Zunahme an pflegebedürftigen Menschen in unserem Bundesland, und es ist nicht erkennbar, wie dem erheblichen Anstieg von heute ca. 640.000 auf ca. 780.000 im Jahr 2025 und im Jahr 2035 sogar auf über 900.000 pflegebedürftige Menschen in NRW (nach einer aktuellen Prognose des IW Köln) unter den aktuellen Rahmenbe-dingungen versorgungspolitisch begegnet wird. Hierzu wären erhebliche Investitionen in den Ausbau vollstationärer und ambulanter Pflegeangebote erforderlich.
Pflegepolitisch stehen allerdings der Abbau von Pflegekapazitäten durch Anpassung an die EZ-Quote, die Umsetzung verschlechterter Investitionskostenrefinanzierung sowie die Umsetzung bedarfssteuernder Instrumentarien in den Kommunen im Fo-kus, die allesamt nicht nur die notwendige Wachstumsdynamik hemmen, sondern in zahlreichen Regionen Nordrhein-Westfalens bereits zunehmend zu weiteren Versor-gungsengpässen führen. Am Beispiel der eingestreuten Kurzzeitpflegeangebote in vollstationären Pflegeeinrichtungen und der solitären Kurzzeitpflege hat bereits ein vom MAGS in Auftrag gegebenes Gutachten festgestellt, welche erheblichen Eng-pässe in fast allen Regionen in Nordrhein-Westfalen bestehen („Wissenschaftliche Studie zum Stand und zu den Bedarfen der Kurzzeitpflege in NRW“, IGES-Institut, Dez. 2017) .
2. Der akute Fachkräfte- und Personalmangel in der Pflege ist nun auch in der ambulanten pflegerischen Versorgung eklatant spürbar angekommen. Kranken-hausträger bemühen sich derzeit zur Deckung und zum Ausbau ihrer Fachkräfteres-sourcen verstärkt um Pflegefachkräfte und werben diese leider auch in ambulanten Pflegediensten teilweise sehr vehement und nachdrücklich ab. Aber auch die vollsta-tionären Träger erleben nach wie vor den immensen ordnungsrechtlichen Druck der Fachkraftquote und suchen händeringend nach entsprechenden MitarbeiterInnen.
Dagegen werben öffentlich rechtliche Institutionen wie der MDK WL in aktuellen Stel-lenausschreibungen um Pflegefachkräfte, indem sie attraktive Arbeitszeitregelungen bei natürlich freien Wochenenden und somit auch „Zeit für die schönen Dinge des Lebens“ in ihren Ausschreibungen herausstellen. Versorgungspolitisch, wie auch mo-ralisch ist dieses Vorgehen nicht akzeptabel!
Der Personalmangel in den Einrichtungen und Diensten vor Ort führt in der Folge zu einer noch höheren Arbeitsverdichtung, höherem Zeitdruck und Mehrarbeitsstunden und damit zu einer höheren Unzufriedenheit im Pflegeberuf.
Erheblich verstärkt wird die bereits brisante Personalsituation in der ambulanten und stationären Pflege durch die politischen Ankündigungen vieler zusätzlicher Stellen in der Pflege in den Krankenhäusern und den jüngst geschlossenen und öffentlich kommunizierten Pakt unseres Gesundheitsministers mit der KGNW zur spürbaren Erhöhung der Ausbildungskapazitäten in der Gesundheits- und Krankenpflege. Diese Initiative des Gesundheitsministeriums und der KGNW hat leider auch dazu geführt, dass es im Bereich der Schulträger zu teils aggressiven Abwerbungen von Lehrkräften gekommen ist und damit die Gefährdung der wichtigen Ausbildungsstrukturen im Bereich der Fachseminare für Altenpflege in unserem Bundesland droht. Diesbezüglich ist ergänzend anzumerken, dass in Bezug auf die Schaffung von Ausbildungskapazitäten an Pflegeschulen in NRW vor allem die Verfügbarkeit von anerkanntem Lehrkörper am Arbeitsmarkt maßgeblich ist – der eklatante Mangel an anerkannten Lehrkräften ist seit einigen Jahren der Hauptgrund, warum keine weiteren zusätzlichen Ausbildungskapazitäten geschaffen werden können (weniger das Interesse
junger Menschen am Pflegeberuf – das ist aktuell noch groß! Jedoch ist bereits in naher Zukunft bei steigendem Bedarf an Fachkräften auch dieses Interesse quantitativ als problematisch einzustufen).
Wenn pflegebedürftige Menschen in NRW zunehmend keine vollstationären und kaum noch Kurzzeitpflegeangebote finden, so müssten sie doch zumindest in dem „Sicherheitsnetz“ der ambulanten bzw. häuslichen Versorgung aufgefangen werden. Andernfalls gefährden wir die Versorgung pflegebedürftiger Menschen in NRW in einem noch größeren Ausmaß als bisher angenommen und dies gilt es unbedingt zu verhindern.
Versorgungsengpässe in der ambulanten pflegerischen Versorgung sind somit hoch alarmierend, und es bedarf umgehend wirkungsvoller Gegenmaßnahmen, die die pflegerische Versorgungssicherheit wieder gewährleistet.
Vorschläge für Sofortmaßnahmen:
- Absicherung und Beförderung von vollstationären Pflegekapazitäten, einschließlich Kurzzeitpflegekapazitäten durch Schaffung einer längst überfälligen Vertrauensschutzregelung im § 8 APG DVO und wirtschaftlich tragfähiger Refinanzierungsbedingungen im Bereich der Investitionskosten (u. a. höherer Afa-Satz, Erhöhung der Angemessenheitsobergrenzen, realistische Zinsberechnung und Indexierung im Mietmodell), die die Existenz der Bestandseinrichtungen in NRW langfristig gewährleistet sowie gezielte politische Anreize, verstärkt in die Dauerpflege und Kurzzeitpflege in NRW, zu investieren.
- Schaffung von förderlichen politischen Rahmenbedingungen, die die Ausbildungskapazitäten an den Fachseminaren massiv steigern – neben wirtschaftlich tragfähigen Förderbedingungen spielt hier eine besondere Rolle, das Potential an Lehrkörpern – zumindest in einer längeren Übergangszeit - so zu vergrößern, dass erhebliche zusätzliche Kapazitäten überhaupt geschaffen werden können. Der Mangel an Lehrkräften ist aktuell der begrenzende Faktor für die Anzahl an Ausbildungsplätzen im Bereich der Altenpflegeschulen in NRW. U. a. ist dies zurückzuführen auf
die große Dynamik in den zurückliegenden 6 Jahren (Verdoppelung der Ausbildungskapazitäten in der Altenpflege) sowie die sehr restriktiven Zugangsvoraussetzungen und die hohen gesetzlichen Anforderungen an die Lehrkräfte an Fachseminaren. Faktisch ist es derzeit kaum noch möglich, zusätzliche hauptamtliche Lehrkräfte auf dem Arbeitsmarkt zu finden, die die vom Land gesetzten Anforderungen erfüllen. Ein Notfallplan
mit Quereinstiegsmöglichkeiten, zusätzlichen nebenamtlichen Lehrkräften und die Schaffung breiter Zugangsmöglichkeiten wäre zumindest für eine längere Übergangszeit dringend erforderlich.
- Zeitnahes Bekenntnis des Landes zur Investitionskostenförderung der Fachseminare mit Einführung und Umsetzung der neuen Pflegeausbildung gem. Pflegeberufegesetz. Die derzeitige Lücke im Bundesrecht führt aktuell zu erheblicher Unsicherheit bei allen Fachseminarträgern in NRW, da ohne die Refinanzierung von Raumkosten (Mieten etc.) ein wirtschaftlicher Schulbetrieb unmöglich gemacht wird und damit bestehende Schulstrukturen im Land eklatant gefährdet werden. Bereits jetzt machen kleinere Fachseminare zu und sehen keine Zukunft in der Fortführung des Schulbetriebs, mit erheblichen Konsequenzen für die aktuell und zukünftig so dringend benötigten Ausbildungskapazitäten in unserem Bundesland.
- Übergangsweise (bis zur Einführung einer Bundesregelung zum Personalbedarf) Senkung der Fachkraftquote in vollstationären Pflegeeinrichtungen auf bis zu 40 Prozent, sofern der MDK-Bericht und der Prüfbericht der zuständigen Behörde der jeweiligen Einrichtung keine relevanten Qualitätsmängel attestiert. Andernfalls werden Abwerbewellen und Verdrängungsprozesse auch weiterhin vor allem zu Lasten der ambulanten Pflegeinfrastruktur bestehen bleiben.
- Potentialerweiterung bezüglich der Interessenten für eine Pflegeausbildung, in dem zum einen erheblich in die einjährige Helferausbildung investiert und damit ein niedrigschwelliger Einstieg in die Pflegeausbildung mit anschließender Perspektive zur Fachkraftausbildung ermöglicht wird und zum anderen in ausbildungsbegleitende Bachelorstudiengänge „Pflege“ investiert wird, um vor allem sehr viel mehr Abiturienten für den Pflegeberuf zu gewinnen! Zudem könnte umgehend die Integration geflüchteter Menschen in die Pflegeausbildung quantitativ verstärkt werden – z. B. nach dem Vorbild des Projektes care für integration (cfi). Knapp 100 der 160 Projektteilnehmer sind seit längerer Zeit erfolgreich in der APH-Ausbildung und knapp 10 Teilnehmer konnten bereits direkt in die dreijährige Altenpflegeausbildung wechseln.
- Erweiterung des Curriculums Altenpflegehilfe, damit – dort wo gewünscht – ein nahtloser Einstieg in den Arbeitsmarkt vor allem in der ambulanten Pflege eröffnet wird. Dies ist seit Jahren nicht sichergestellt und nur über den Umweg zusätzlicher Schulungen möglich, trotz zahlreicher Interventionen und Hinweise des bpa und andere Trägerverbände.
- Schaffung eines transparenten, strukturierten (standardisierten), unbürokratischen und vor allem schnellen Anerkennungsverfahrens ausländischer Pflegefachkräfte wie z. B. im Nachbarbundesland Hessen. Dort sind die Anerkennungszeiten deutlich kürzer und laufen reibungslos ab. Zudem fördert das Land Hessen ein Zentrum zur Anwerbung und nachhaltigen Integration internationaler Pflege- und Gesundheitsfachkräfte (ZIP Hessen) und unterstützt damit aktiv die Pflegeeinrichtungen im Land bei ihren Bemühungen, ausländische Pflegefachkräfte zu integrieren. Das ZIP Hessen unterstützt mit Information, Orientierung, Beratung, Vernetzung und Kontaktvermittlung hessische Pflege- und Gesundheitseinrichtungen, die ihre Teams mit internationalen Kolleginnen und Kollegen verstärken wollen. Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser erhalten über das Zentrum wichtige Hinweise für die Auswahl eines kompetenten Anwerbepartners, zur Anerkennung der internationalen Berufsabschlüsse durch die zuständigen Behörden sowie zur fachlichen und sozialen Integration in das bestehende Team.
Sofern die Landesregierung bzw. das zuständige MAGS die akute Notsituation in der Pflege in NRW, verbunden mit den vorgeschlagenen Sofortmaßnahmen, nicht nachvoll-ziehen kann, halten wir es für erforderlich, zeitnah ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag zu geben, das eine fundierte Situationseinschätzung vornimmt und handlungslei-tende Empfehlungen für konkrete Maßnahmen beschreibt.
gez. Norbert Grote / bpa / 24.9.2018
Quelle: Mitteilung vom 05.10.2018
Alexandra Nuy
Landesreferentin
Assistentin des Geschäftsstellenleiters
bpa.Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V.
Landesgeschäftsstelle Nordrhein-Westfalen
Friedrichstr. 19
40217 Düsseldorf
Tel.: +49 211 311393 29
Fax: +49 211 311393 13
www.bpa.de
www.twitter.com/der_bpa