Pflegezeitberechnung - Pflegestufenzuordnung nach Stoppuhr
Verfasst: 11.03.2010, 17:40
Pflegestufenzuordnung nach Stoppuhr - BSG verlangt sekundengenaue Pflegezeitberechnung
Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hatte 10. März 2010 u.a. über eine Revision aus dem Bereich der gesetzlichen Pflegeversicherung zu entscheiden. Aktenzeichen des Verfahrens: B 3 P 10/08 R - .In der Pressemitteilung des Bundessozialgerichts zu diesem Verfahren wurde ausgeführt:
Im Revisionsverfahren allein noch streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen nach der Pflegestufe II im Zeitraum 1.3.2006 bis 30.11.2008 - insbesondere, wie der Zeitaufwand für die Hilfe beim Gehen zu berechnen ist.
Die 1923 geborene Klägerin ist vollstationär in einem Seniorenzentrum untergebracht. Die Beklagte gewährte ihr zunächst Leistungen bei vollstationärer Pflege nach der Pflegestufe I. Seit 1.12.2008 erhält die Klägerin Pflegeleistungen nach Pflegestufe II. Einen früheren Höherstufungsantrag vom 1.3.2006 lehnte die Beklagte nach Einholung eines MDK-Gutachtens mit der Begründung ab, der durchschnittliche Hilfebedarf in den Bereichen Körperpflege, Ernährung und Mobilität betrage lediglich 66 Minuten.
Das von der Klägerin angerufene SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, welches zu dem Ergebnis kam, es bestehe Hilfebedarf im Bereich Hauswirtschaft von mindestens 60 Minuten und grundpflegerischer Hilfebedarf im Umfang von 109 Minuten täglich (Körperpflege 55 Minuten, Ernährung 24 Minuten, Mobilität 30 Minuten). Für die Bemessung des Hilfebedarfs beim Gehen wurden dabei 25 bis 27 Wegstrecken für die Hin- und Rückwege zu den Mahlzeiten, zur Toilette und zur Dusche sowie dem abendliches Zubettgehen zugrunde gelegt. Bei einer nach den Begutachtungsrichtlinien (BRi) anzunehmenden durchschnittlichen Wegstrecke von 8 Metern benötige die Klägerin hierfür pro Weg 1/2 Minute. Insgesamt sei daher für die Hilfe beim Gehen ein durchschnittlicher täglicher Zeitbedarf von 13 Minuten (26 x 1/2 Minute) anzusetzen.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben. Die Klägerin sei schwerpflegebedürftig, da sie einen Grundpflegebedarf von mehr als 120 Minuten täglich habe. Über die gutachterlichen Feststellungen hinaus seien zusätzlich zu den errechneten 109 Minuten weitere 14 Minuten Hilfebedarf (insgesamt also 123 Minuten Grundpflege) anzusetzen. Eine Minute davon entfalle auf das Aufstehen und Zubettgehen und 13 Minuten auf die Hilfe beim Gehen. Nach den BRi sei der Wert der Verrichtungen jeweils mit mindestens einer Minute zu berücksichtigen; daher müsse jede einzelne Wegstrecke mit einem Hilfebedarf von einer Minute bemessen werden.
Das LSG hat das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen. Verrichtung im Sinne der BRi sei nicht jeder einzelne Weg, sondern das Gehen an sich. Die in den BRi enthaltene Regelung, wonach für jede Verrichtung volle Minutenwerte anzugeben sind, beziehe sich nicht auf einzelne Tätigkeiten oder Einzelverrichtungen, sondern auf die Tagesdurchschnittsbemessung. Erst bei letzterer seien keine Sekundenwerte mehr anzugeben, sondern gerundete volle Minuten. Daher sei kein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von mindestens 120 Minuten feststellbar.
Mit der von LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. § 14 Abs 4 SGB XI sei für die Frage, welche Verrichtungen berücksichtungsfähig seien, nicht in jedem Fall als abschließende Regelung zu betrachten. Der Gesetzgeber habe offensichtlich den Toilettengang nicht berücksichtigt - bei teleologischer Auslegung sei eine Lückenfüllung des Gesetzes geboten. Doch auch wenn man die Wege zur Toilette nicht als eigene Verrichtung verstehe, sondern der Verrichtung “Gehen” zuordne, müsse jeder Gang zur Toilette und zurück mit jeweils einer Minute zu berücksichtigt werden. Die Tatsache, dass der Richtliniengeber die einfache Wegstrecke der Länge nach definiert habe, zeige, dass er eben diesen einfachen Weg auch als maßgeblich ansehe für die Feststellung des für die Bewältigung dieses Weges erforderliche zeitliche Hilfestellung.
Vorinstanzen:
SG Duisburg - S 15 P 207/06 -
LSG Nordrhein-Westfalen - L 10 (6) P 108/07 -
Nach vorliegenden Medienberichten hat das Bundesozialgericht entschieden, dass der Aufwand für jeden Toilettengang nicht auf volle Minuten aufgerundet werden darf. Daraus ergibt sich, dass der Pflegebedarf nach dem SGB XI in dem o.a. Verfahren letztlich sekundengenau erfasst werden muss. Die Klage der 86jährigen pflegebedürftigen Frau, die auf Anerkennung einer über 120 Minuten liegenden Grundpflegezeit abstellte, wurde damit abgewiesen.
H.K.
Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hatte 10. März 2010 u.a. über eine Revision aus dem Bereich der gesetzlichen Pflegeversicherung zu entscheiden. Aktenzeichen des Verfahrens: B 3 P 10/08 R - .In der Pressemitteilung des Bundessozialgerichts zu diesem Verfahren wurde ausgeführt:
Im Revisionsverfahren allein noch streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen nach der Pflegestufe II im Zeitraum 1.3.2006 bis 30.11.2008 - insbesondere, wie der Zeitaufwand für die Hilfe beim Gehen zu berechnen ist.
Die 1923 geborene Klägerin ist vollstationär in einem Seniorenzentrum untergebracht. Die Beklagte gewährte ihr zunächst Leistungen bei vollstationärer Pflege nach der Pflegestufe I. Seit 1.12.2008 erhält die Klägerin Pflegeleistungen nach Pflegestufe II. Einen früheren Höherstufungsantrag vom 1.3.2006 lehnte die Beklagte nach Einholung eines MDK-Gutachtens mit der Begründung ab, der durchschnittliche Hilfebedarf in den Bereichen Körperpflege, Ernährung und Mobilität betrage lediglich 66 Minuten.
Das von der Klägerin angerufene SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, welches zu dem Ergebnis kam, es bestehe Hilfebedarf im Bereich Hauswirtschaft von mindestens 60 Minuten und grundpflegerischer Hilfebedarf im Umfang von 109 Minuten täglich (Körperpflege 55 Minuten, Ernährung 24 Minuten, Mobilität 30 Minuten). Für die Bemessung des Hilfebedarfs beim Gehen wurden dabei 25 bis 27 Wegstrecken für die Hin- und Rückwege zu den Mahlzeiten, zur Toilette und zur Dusche sowie dem abendliches Zubettgehen zugrunde gelegt. Bei einer nach den Begutachtungsrichtlinien (BRi) anzunehmenden durchschnittlichen Wegstrecke von 8 Metern benötige die Klägerin hierfür pro Weg 1/2 Minute. Insgesamt sei daher für die Hilfe beim Gehen ein durchschnittlicher täglicher Zeitbedarf von 13 Minuten (26 x 1/2 Minute) anzusetzen.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben. Die Klägerin sei schwerpflegebedürftig, da sie einen Grundpflegebedarf von mehr als 120 Minuten täglich habe. Über die gutachterlichen Feststellungen hinaus seien zusätzlich zu den errechneten 109 Minuten weitere 14 Minuten Hilfebedarf (insgesamt also 123 Minuten Grundpflege) anzusetzen. Eine Minute davon entfalle auf das Aufstehen und Zubettgehen und 13 Minuten auf die Hilfe beim Gehen. Nach den BRi sei der Wert der Verrichtungen jeweils mit mindestens einer Minute zu berücksichtigen; daher müsse jede einzelne Wegstrecke mit einem Hilfebedarf von einer Minute bemessen werden.
Das LSG hat das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen. Verrichtung im Sinne der BRi sei nicht jeder einzelne Weg, sondern das Gehen an sich. Die in den BRi enthaltene Regelung, wonach für jede Verrichtung volle Minutenwerte anzugeben sind, beziehe sich nicht auf einzelne Tätigkeiten oder Einzelverrichtungen, sondern auf die Tagesdurchschnittsbemessung. Erst bei letzterer seien keine Sekundenwerte mehr anzugeben, sondern gerundete volle Minuten. Daher sei kein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von mindestens 120 Minuten feststellbar.
Mit der von LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. § 14 Abs 4 SGB XI sei für die Frage, welche Verrichtungen berücksichtungsfähig seien, nicht in jedem Fall als abschließende Regelung zu betrachten. Der Gesetzgeber habe offensichtlich den Toilettengang nicht berücksichtigt - bei teleologischer Auslegung sei eine Lückenfüllung des Gesetzes geboten. Doch auch wenn man die Wege zur Toilette nicht als eigene Verrichtung verstehe, sondern der Verrichtung “Gehen” zuordne, müsse jeder Gang zur Toilette und zurück mit jeweils einer Minute zu berücksichtigt werden. Die Tatsache, dass der Richtliniengeber die einfache Wegstrecke der Länge nach definiert habe, zeige, dass er eben diesen einfachen Weg auch als maßgeblich ansehe für die Feststellung des für die Bewältigung dieses Weges erforderliche zeitliche Hilfestellung.
Vorinstanzen:
SG Duisburg - S 15 P 207/06 -
LSG Nordrhein-Westfalen - L 10 (6) P 108/07 -
Nach vorliegenden Medienberichten hat das Bundesozialgericht entschieden, dass der Aufwand für jeden Toilettengang nicht auf volle Minuten aufgerundet werden darf. Daraus ergibt sich, dass der Pflegebedarf nach dem SGB XI in dem o.a. Verfahren letztlich sekundengenau erfasst werden muss. Die Klage der 86jährigen pflegebedürftigen Frau, die auf Anerkennung einer über 120 Minuten liegenden Grundpflegezeit abstellte, wurde damit abgewiesen.
H.K.