Spritzenschein & Injektionstätigkeit

Pflegespezifische Themen; z.B. Delegation, Pflegedokumentation, Pflegefehler und Haftung, Berufsrecht der Pflegeberufe

Moderator: WernerSchell

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Gast

Spritzenschein & Injektionstätigkeit

Beitrag von Gast » 12.10.2003, 03:25

Meine Mutter ist Krankenpflegerhelferin und bei einer Häuslichen Altenpflege beschäftigt. Sie hat, wie sie sagt, einen Spritzschein und will sich woanders bewerben. Der andere Pflegedienst sagt aber, dass dieser Spritzenschein nicht gilt, sie könne dort nicht eingestellt werden, da der Spritzenschein nicht bei Helferinnen ausreiche.
Das Komische ist aber, dass meine Mutter beim bisherigen Dienst seit Jahren Wunden bindet, Medikamente verabreicht und auch alles spritzt! (sogar Morphium!). Also alles Mögliche ..., wird aber auch nur nach Ihrer Ausbildung als Helferin bezahlt.
In diesen Dienst spritzen sogar Leute, die Ihre Prüfung (schätze mal Lehre) nicht bestanden haben (Praktikanten).
Öfters unterschreiben andere Schwestern, sogar die Chefin, für Spritzen, die von Personal verabreicht werden sollen, aber eigentlich nicht dürfen.
Meine Mutter will dort weg - welche Möglichkeit besteht doch, bei einem anderen Dienst anzufangen (Spritzenschein erwerben oder so)?
Wie kann man diesem Spuk ein Ende setzen, möglichst so, dass dies nicht von meiner Mutter kommt.
An wen wendet man sich am besten, und macht sich meine Mutter strafbar?
Ich danke für Eure Antworten !
cu Smiley

Gast

Re: Spritzenschein & Injektionstätigkeit

Beitrag von Gast » 12.10.2003, 11:37

Hallo cu Smiley,
eine Befähigung, auf Anordnung Injektionen auszuführen, bedarf einer sorgfältigen Einschätzung, vor allem muss ärztlich geprüft sein, ob jemand entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten hat (= materielle Kompetenz). Es geht dabei nicht nur um praktisches Können, sondern auch um theoretisches Wissen, z.B. in der Pharmakologie. Es gibt aber keine formelle Voraussetzung für die Injektionstätigkeit, sondern allein die materielle Kompetenz ist entscheidungserheblich. Daher können auch grundsätzlich Krankenpflegehelfer/Innen bei entsprechenden Kenntnissen und Fähigkeiten Injektionen übertragen werden. Es müssen dann aber alle "mitspielen": Arzt, tätig werdende Person - Patientengefährdung muss ausgeschlossen sein - und alle müssen von der Richtigkeit überzeugt sein. D.h. auch, dass der Arbeitgeber (z.B. der Betreiber eines Pflegedienstes) dies arbeitsrechtlich billigt. Der Arbeitgeber kann grundsätzlich die Injektionstätigkeit ausschließen oder einschränken (Direktions- und Weisungsrecht).
In diesem Forum gab es bereits Texte zum Thema. Diese können unter "Suche" aufgefunden werden; einige habe ich herausgesucht und unten vorgestellt. Bitte ggf. „Befähigungsnachweis“, „Delegation“, "Injektionstätigkeit", „Sorgfaltspflicht“, „Krankenpflegehilfe“, „Tätigkeitsschutz“ alternativ eingeben (auch im archivierten Forum!). Siehe auch im Rechtsalmanach, Nr. 12. Dort finden sich z.B. "Delegationsgrundsätze". Sollten Fragen bleiben, bitte nochmals hier melden!
Wenn es gravierende Patientengefährdungen, Rechtsverletzungen usw. in der ambulanten Pflege gibt, kann man natürlich einmal den zuständigen Arzt bzw. den Kostenträger (Krankenkasse, Pflegekasse) informieren.
Gruß Berti

Zwei Texte aus dem Forum, aufgefunden unter „Suche“ bei Eingabe von „Spritzenschein“:

… Injektionen müssen immer vom Arzt angeordnet werden. Solche Verrichtungen dürfen von nichtärztlichen Personen nur ausgeführt werden, wenn sie die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen. Ob und ggf. inwieweit jemand über solche Kompetenzen verfügt, bedarf einer ärztlichen Feststellung. Dies kann in der Weise geschehen, dass ein Arzt im Einzelfalls nach entsprechender Prüfung einen Befähigungsnachweis (Spritzenschein) ausstellt (siehe dazu Schell, W. „Injektionsproblematik aus rechtlicher Sicht“, Kunz Verlag, Hagen 2001). Eine Befähigung dieser Art lässt aber die Übernahme solcher Verrichtungen nur zu, wenn der Arbeitgeber dies gestattet. Mit anderen Worten: Wenn der Arbeitgeber kraft seines Weisungsrechtes seinen Pflegekräften die Übernahme von Injektionen untersagt, ist dies verbindlich. Da hilft auch kein Befähigungsnachweis.

… es ist, wie in diesem Forum wiederholt beschrieben wurde, so, dass es bezüglich der Übernahme von bestimmten ärztlichen Aufgaben (siehe im Forum unter "Delegation") keine formelle, sondern eine materielle Befähigung gibt. Wer eine bestimmte Verrichtung ausführen kann, z.B. die i.m. Injektion, darf bei entsprechender ärztlicher Anordnung und gesunder Selbsteinschätzung hinsichtlich der erforderlichen theoretischen und praktischen Fähigkeiten auch tätig werden. Allerdings sind die Umstände des Einzelfalles zu beachten. Wo findet die Tätigkeit statt? Zu Hause, im Heim oder im Krankenhaus? Wie nah ist der Arzt? Wie geübt ist die Pflegekraft? Ein Spritzenschein selbst legitimiert zu nichts! Er kann nur Anhaltspunkt dafür sein, dass jemand einer bestimmten Person gegenüber die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten irgendwann einmal nachgewiesen hat. Soweit in Kürze!

Marlis_Jansen
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Spritzenschein & Injektionstätigkeit

Beitrag von Marlis_Jansen » 12.10.2003, 12:21

Hallo,

ich möchte noch ergänzend auf einige Stellungnahmen (des Teams W. Schell) in diesem Forum verweisen, die vielleicht an dieser Stelle ganz nützlich sind:

Der § 8 BAT erscheint wichtig, er bestimmt u.a.: „Der Angestellte hat Anordnungen, deren Ausführung - ihm erkennbar - den Strafgesetzen zuwiderlaufen würde, nicht zu befolgen“. Das Direktions- und Weisungsrecht des Arbeitgebers findet dort seine Grenzen, wo höherrangige Vorschriften entgegenstehen! (vgl. hierzu Schell, W. „Staatsbürgerkunde, Gesetzeskunde und Berufsrecht für die Pflegeberufe in Frage und Antwort“. Thieme Verlag, Stuttgart 1998, S. 148, 428f.).

Anordnungen, die nicht schriftlich dokumentiert sind (z.B. telefonische Anordnungen) müssen aus vielerlei Gründen eher die Ausnahme sein. Ärztliche Entscheidungen über den Patienten erfordern, wenn sie den Geboten der guten und sicheren Patientenversorgung entsprechen sollen, in der Regel eine persönliche Untersuchung bzw. Kontaktaufnahme beim Patienten. Routinemäßige Diagnosen und Entscheidungen per Telefon sind wohl eher eine Unsitte, die abgestellt gehört. Solche Verhaltensweisen werden auch dadurch nicht richtiger, wenn man gebetsmühlenartig auf personelle Engpässe verweist. Wenn allerdings ausnahmsweise eine telefonische Anordnung nicht zu vermeiden und auch möglich ist, muss dies natürlich von allen Beteiligten dokumentiert werden. Dazu gehört auf jeden Fall, und dies ist das Mindeste, dass die Anordnung bei nächster Gelegenheit vom zuständigen Arzt per Handzeichen in der Dokumentation quittiert wird. Bei nicht dokumentierten Vorgängen dieser Art können sich letztlich immer Fragen ergeben, ob das Handeln durch das nichtärztliche Personal überhaupt zulässig war. Insoweit ist die Dokumentation mit ärztlichem Handzeichen letztlich auch ein Beweismittel dafür, dass zulässigerweise eine ärztliche Maßnahme kraft Delegation ausgeführt wurde.

Siehe u.a. im Rechtsalmanach dieser Homepage:
Rechtsalmanach Nr. 16
-- Die Delegation von ärztlichen Aufgaben ist grundsätzlich schriftlich zu fixieren!
-- Die Delegation von Injektionen, Infusionen und Blutentnahmen auf nichtärztliches Personal – ein Dauer-Rechtsproblem im Bereich der vertikalen Arbeitsteilung
Rechtsalmanach Nr. 20
-- Verabreichung von Medikamenten in Werkstätten für Behinderte (WfB) und ähnlichen Einrichtungen
-- Medikamentenabgabe durch das nichtärztliche Personal

Sehr nützlich erscheint die 5. Auflage des Buches von Schell, Werner: „Injektionsproblematik aus rechtlicher Sicht“ (Brigitte Kunz Verlag, Hagen) veröffentlicht worden (siehe Rubrik Publikationen). Darin sind aktuell die rechtlichen Grundsätze zum Miteinander von Ärzten und nichtärztlichem Personal dargestellt.

Viele Grüße von Marlis

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