Sturz im Heim – Fixierung / Haftung?

Pflegespezifische Themen; z.B. Delegation, Pflegedokumentation, Pflegefehler und Haftung, Berufsrecht der Pflegeberufe

Moderator: WernerSchell

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Marlene_Uepping

Sturz im Heim – Fixierung / Haftung?

Beitrag von Marlene_Uepping » 01.09.2003, 10:52

Hallo Experten,
sind Altenheime bzw. die dort tätigen Leitungskräfte in jedem Fall verpflichtet, für einem dementen bzw. verwirrten Bewohner auch ohne akute – aber immerhin denkbare – Gefährdung eine Fixierung zu veranlassen (Betreuer, Vormundschaftsgericht), so dass ein Sturz vermieden werden kann?
Insoweit gibt es viele Untersicherheiten, so dass eine Klärung wünschenswert wäre.
Viele Grüße
Marlene Üpping

WernerSchell
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Re: Sturz im Heim – Fixierung / Haftung?

Beitrag von WernerSchell » 03.09.2003, 22:10

Sehr geehrte Frau Üpping,

das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz hat sich unlängst mit der Haftung eines Altenheims für den Unfall eines geistig verwirrten und in der körperlichen Beweglichkeit eingeschränkten Heimbewohners befasst und dabei interessante Feststellungen getroffen. Damit wird die aufgeworfene Frage in grundsätzlicher Hinsicht beantwortet. Ob und ggf. im Einzelfall mit einer Fixierung reagiert werden darf / soll / muss, hängt natürlich von den jeweiligen Umständen. Dazu kann in allgemeiner Forum nicht Stellung genommen werden.
Nachfolgend die Grundsatzpositionen des OLG Koblenz in seiner Entscheidung vom 21.03.2002.

Mit freundlichen Grüßen
Team Werner Schell
http://www.pflegerechtportal.de


Urteil des OLG Koblenz vom 21.03.2002 – 5 U 1648/01-:
Ohne konkreten Anhalt für eine Gefährdung ist ein Altenheim nicht verpflichtet, beim Vormundschaftsgericht die Fixierung eines geistig verwirrten und gehbehinderten Heimbewohners in seinem Rollstuhl zu beantragen. Maßgeblich sind insoweit die Erkenntnisse, die vor dem Schadensereignis gewonnen werden konnten.
Hat der Betreuer des Altenheimbewohners in Kenntnis aller maßgeblichen Umstände einen Antrag auf Fixierung des Betreuten aus vertretbaren Erwägungen abgelehnt, ist die Leitung des Altenheims im Regelfall gehalten, diese Entscheidung zu respektieren.
Was sich dem medizinischen Dienst der im Schadensfall eintrittspflichtigen Krankenkasse an Sicherungsmaßnahmen nicht aufdrängt, muss sich bei unverändertem Befund auch der Leitung eines Altenheims nicht aufdrängen.
Dass der zuständige Vormundschaftsrichter die Fixierung von Heimbewohnern auf entsprechenden Antrag „immer“ anordnet, ist nicht entscheidungserheblich. Maßgeblich ist allein, wie er nach Auffassung des Regressgerichts im konkreten Fall über einen derartigen Antrag hätte entscheiden müssen.
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
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Mueller-Bohlen
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Re: Sturz im Heim – Fixierung / Haftung?

Beitrag von Mueller-Bohlen » 06.09.2003, 11:55

Hallo Marlene,

die Einrichtung muss grundsätzlich das individuelle Sturzrisiko für die Bewohner regelmäßig erfassen und bewerten. Damit wird das Risiko - auch nach außen hin -objektivierbar; auch wenn neben sturen Punktewerten auch noch die individuelle Situation des/der Betroffenenzu berücksichtigen ist.

Dabei gibt es in vielen Fällen weitaus mildere Möglichkeiten, einem Sturzrisiko zu begegnen, als eine Fixierung. Nach meiner Rechtsauffassung muss nachgewiesen werden (Dokumentation), dass außer der Fixierung keine milderen Mittel Erfolg haben/hatten.

Und immer wieder gilt: Die Bewertung ob Fixierung - außer im Notfall - ist ärztliche Aufgabe. Es sollte daher aus der Dokumentation hervorgehen, dass das Problem mit dem betreffenden Hausarzt thematisiert worden ist.

mfG
Lutz Müller-Bohlen
unabh. Pflegesachverständiger
Gubitzstraße 51 a
10409 Berlin
Tel. 030/49855655

Stefan_Huber

Re: Sturz im Heim – Fixierung / Haftung?

Beitrag von Stefan_Huber » 07.09.2003, 11:08

Guten Morgen,
natürlich muss das Risiko immer individuell eingeschätzt und das mildeste Mittel gewählt werden, um eine Schädigung durch Sturz auszuschließen. Dabei ist die ständige Dokumentation der konkreten Lage hilfreich, aber auch notwendig. Es ist auch ein guter Hinweis, dass immer wieder die ärztliche Beteiligung und ggf. Entscheidung eingefordert wird.
Ich denke, auf dieser Linie liegt auch das vom Team Schell vorgestellte Urteil des OLG Koblenz.
Herzliche Grüße
Stefan Hubert

Gast

Re: Sturz im Heim – Fixierung / Haftung?

Beitrag von Gast » 07.09.2003, 18:56

Siehe auch Texteinstellung in der Rubrik Arzt- und Patientenrecht dieses Forums - Titelung des Beitrages:

----> Sturz im Heim und die Beweislast

WernerSchell
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Sturz im Heim – Fixierung / Haftung?

Beitrag von WernerSchell » 16.11.2003, 12:05

Siehe die Beiträge unter der Titelung
----> Stürze und Hüftverletzungen alter Menschen
Direktaufruf unter
http://www.wernerschell.de/cgi-bin/foru ... 03;start=0
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WernerSchell
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Stürze in Alten- und Pflegeheimen - Haftung

Beitrag von WernerSchell » 16.11.2003, 14:36

In der Zeitschrift "Pflegerecht", 10/2003, Seite 379ff., gibt es einen sehr informativen Beitrag von Rechtsanwältin Alexandra Jorzig mit dem Titel "Zur haftungsrechtlichen Problematik von Sturzunfällen in Alten- und Pflegeheimen".
Besonders angesprochen wird die Situation, dass die Träger der GKV (Krankenkassen) offensichtlich in breiter Front versuchen, erbrachte Leistungen im Zusammenhang mit Sturzereignissen gerichtlich abklären zu lassen in der Absicht, Schadensersatzansprüche durchzusetzen.

Siehe auch "Pflegerecht im Spiegel der Rechtsprechung"
http://www.pflegerechtportal.de
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Gast

Der Sturz im Alter

Beitrag von Gast » 27.11.2003, 22:04

Der Sturz im Alter

[27.11.2003] Möglichst lange beweglich und damit von fremder Hilfe unabhängig zu sein, gehört wohl zu den größten Wünschen älterer Menschen. Ein plötzlicher Sturz kann da von heute auf morgen einen dicken Strich durch die Rechnung machen. Daten aus europäischen Ländern zeigen, dass etwa jeder dritte über 64-Jährige mindestens einmal im Jahr stürzt, bei den über 90-Jährigen ist statistisch sogar jeder Zweite betroffen. Häufig sind die Stürze gerade bei älteren Menschen mit Knochenbrüchen verbunden, die eine Krankenhausbehandlung erforderlich machen und nicht selten die künftige Beweglichkeit erheblich einschränken. Bei Eis und Schnee auf den Straßen häufen sich solche Verletzungen. Um ältere Mitbürger rechtzeitig zu Beginn der kalten Jahreszeit über Ursachen, Vorbeugung und Behandlung sturzbedingter Knochenbrüche aufzuklären, lädt die Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsklinikums Münster (UKM) alle Interessierten am kommenden Mittwoch, 3. Dezember 2003, in der Zeit von 17 bis 20 Uhr zu einem großen Informationsabend in den Hörsaal der Chirurgischen Klinik an der Waldeyerstraße 1 ein.

Die Veranstaltung „Der Sturz im Alter“ unter der Leitung von Klinikdirektor Prof. Dr. Michael Raschke erfolgt nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung in Deutschland. Mit einer stetig steigenden Zahl älterer Menschen in der Bevölkerung kommt Bemühungen zur Prävention und Therapie von Verletzungen, die durch Stütze ausgelöst werden, immer größere Bedeutung zu. Experten gehen davon aus, dass bis zu jeder zehnte Sturz bei älteren und hochbetagten Menschen mit Verletzungen einhergeht, die einer ärztlichen Behandlung bedürfen. Bei der Hälfte dieser Verletzungen handelt es sich um Knochenbrüche. So kommt es hier zu Lande bereits heute jährlich zu mehr als 90.000 Oberschenkelhals-Brüchen bei über 60-Jährigen. Bis zum Jahr 2030 wird mit einer Steigerung allein solcher Frakturen um mindestens 40 Prozent gerechnet.

Wie die Unfallchirurgen bei dem Informationsabend erklären werden, sind Stürze im Alter oft folgenschwere Ereignisse. Häufig ist die Mobilität anschließend längere Zeit sehr eingeschränkt. Oftmals trauen sich die Betroffenen aus Angst vor einem erneuten Sturz auch kaum noch auf die Straße, werden zunehmend immobiler und allein dadurch schon wieder besonders gefährdet. Wie es überhaupt dazu kommen kann, wo genau die Gefahren liegen und vor allem, was die älteren Menschen tun können, um
Stürzen vorzubeugen, werden sie am Mittwochabend von erfahrenen Unfallchirurgen in allgemeinverständlichen Kurzvorträgen ausführlich erfahren. Vor allem werden die Ärzte auch darüber informieren, welche Folgen ein Sturz haben kann und wie sich die Betroffenen unmittelbar nach einem Sturz am besten verhalten sollten. Darüber hinaus werden die heute zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten bei Knochenbrüchen vorgestellt. Selbstverständlich bietet der Informationsabend den Teilnehmern auch reichlich Gelegenheit, Fragen zu stellen und mit den Medizinern ins Gespräch zu kommen.

Quelle: Pressemitteilung des Universitätsklinikums Münster vom 27.11.2003
http://medweb.uni-muenster.de/shownews.php?id=265

Gast

Sturz im Heim – Fixierung / Haftung?

Beitrag von Gast » 30.11.2003, 12:44

Aus haftungsrechtlicher Sicht muss m.E. noch festgestellt werden, dass den Pflegekräften immer eine Beobachtungspflicht obliegt. Dabei müssen sie natürlich auch auf eventuelle Sturzrisiken achten und schauen, ob sich ggf. eine Situation ungünstiger entwickelt hat.
Die getroffenen Feststellungen müssen die Pflegekräfte nicht nur dokumentieren, sondern auch dem für die Behandlung zuständigen Arzt mitteilen, ggf. wiederholt. Dass eine solche Mitteilung erfolgt ist, sollte aus Beweisgründen ebenfalls zeitgerecht dokumentiert werden. Wird ein Arzt unter Umständen in dem für erforderlich erachteten Umfang nicht tätig (wiederholte Hinweise vorausgesetzt), müßte auch gesondert die jeweilige Pflegedienstleitung auf die Situation aufmerksam gemacht werden.

Sofie

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