Arztestreik und Pflegenotstand

Pflegespezifische Themen; z.B. Delegation, Pflegedokumentation, Pflegefehler und Haftung, Berufsrecht der Pflegeberufe

Moderator: WernerSchell

Antworten
DPR

Arztestreik und Pflegenotstand

Beitrag von DPR » 06.07.2006, 07:52

Streikausdehnung der Krankenhausärzte vernichtet weitere Arbeitsplätze der Pflege!

Klinikärzte und Klinikpflegekräfte stehen gemeinsam für die Notfall- und Akutversorgung der Patienten in den Kliniken engagiert zur Verfügung. Ihre Zusammenarbeit ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um gute und sichere Versorgungsqualität zu garantieren. Patienten und Angehörige haben ein Recht auf diese gesicherte Versorgung.

Der seit Monaten anhaltende und nun weiter organisierte Ärztestreik belastet Pflegekräfte in außerordentlicher Weise. Was die Ärztegewerkschaft den Pflegenden an Mehrbelastung zumutet ist unerträglich und darf nicht akzeptiert werden.

Waren es bisher 35 Universitätskliniken, so stehen jetzt 700 Kliniken auf der Streikliste. Konfrontiert wird das Pflegepersonal zusätzlich in der Haupturlaubszeit mit weiterer Mehrarbeit, warten auf ärztliche Entscheidungen, zusätzliche organisatorische Maßnahmen, Überstunden, Verzicht auf geplante freie Tage, vertröstende, ausgleichende Kommunikation bei Patienten und Angehörige etc., um Versorgungsengpässe zu verhindern. Das von Pflegekräften bisher gezeigte Verständnis und die über lange Strecken gezeigte Geduld brechen auf.

Der Deutsche Pflegerat bedauert zutiefst, dass die Ziele (bessere Vergütungsregelungen, verbesserte Arbeitsbedingen und einen eigenen Tarifvertrag) des Marburger Bundes zu großen Teilen auf dem Rücken der Pflegekräfte ausgetragen werden. Dies können und dürfen wir nicht lautlos zulassen. Pflege ist und will weiterhin zuverlässige und stabile Zusammenarbeit und will kompetenter Ansprechpartner der Patienten und deren Angehörigen bleiben. Dies ist allerdings nur mit einer Personalausstattung und mit verbindlichen Rahmenbedingungen möglich, die nicht durch die Streikergebnisse vernichtet werden.

Fakten:

Die Entsolidarisierung der Ärzteschaft durch die Streikaktivitäten des Marburger Bundes werden nachhaltige Auswirkungen auf das Gesamtgefüge der Klinikbeschäftigten haben. Mit einem eigenen Tarifvertrag verfestigt sich das dominierende, selbst definierte und selbstbestimmte Medizinsystem. Dieser Tatbestand führt die Krankenhäuser in tiefere wirtschaftliche Notlagen, wenn nicht Gegenmaßnahmen, z.B. mehr Geld, in die Krankenhausbudgets fließen, sofortige Umstrukturierungsprogramme und Neuordnung der Aufgaben eingeleitet werden. Bleibt es bei der gedeckelten Ausgabensteigerungsrate von 0,63%, so kommt es unweigerlich zum direkten Stellenabbau in der Pflege.

Der einseitig stattfindende schleichende Personalabbau von Pflegekräften (32.000 VK) seit 2003 in den Klinken konnte bisher nur durch stringente organisatorische Maßnahmen und innovative Personal- und Gestaltungskonzepte der verantwortlichen Pflegemanager/innen kompensiert werden. Hinzu kommt, dass der Pflege zusätzlich durch den kalkulierten Bettenabbau weitere Personalverluste drohen. Im Vergleichszeitraum wurde durch 2.500 neue Stellen im ärztlichen Bereich eine deutliche Verbesserung vorgenommen. Daher gibt es unter den aktuell neuen Bedingungen keine Spielräume mehr, Belastungsausgleiche herzustellen.

Unter diesen Entwicklungen lässt sich ein Pflegenotstand prognostizieren.

Konsequente Organisationsveränderungen werden von großen Teilen der Ärzteschaft abgelehnt. Zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen hätten sich die Ärzteorganisationen schon seit Jahren auf Erneuerungen einlassen müssen.

Das Pflegemanagement setzt sich selbstverständlich dafür ein, dass es eine vernünftige Harmonisierung der Erfordernisse zwischen Leistungsumfang, Arbeitsintensität, Arbeitszeitplanung und Dienstplangestaltung gibt. Alleine die vielen Arbeitszeitmodelle die erprobt sind und zusätzlich noch mit 700 Mio. € BMG-Mittel unterstützt werden, hätten den Ärzten die Chance gegeben, sich neu aufzustellen.

Mit den Forderungen des Streiks werden die eigentlichen Problemfelder, die das tägliche Arbeiten und die Zusammenarbeit der Berufsgruppen untereinander erheblich belasten, verdeckt. Aus der Sicht des Deutschen Pflegerates muss hier Transparenz zu den wirklichen Verhältnissen geschaffen werden, um keine Schieflage in der Bevölkerung zu bekommen. Den Patienten und der Bevölkerung wird mit den Streikargumenten vorgemacht, dass die Ärzteschaft ausgebeutet und schlechtesten Arbeitsbedingungen ausgesetzt sei.

Die Einsicht, dass durch interne Prozessveränderungen eine echte Verbesserung der Arbeitsbedingungen erreicht werden kann, wird ausgeblendet. Unausweichlich ist die Umgestaltung der Ablauforganisation, weg von einer Funktionsbetrachtung hin zur Prozessorientierung. Dies erfordert die Bereitschaft sich von Berufsegoismen, tradierten hierarchischen Strukturen und liebgewordenen Gewohnheiten zu lösen und sich der Neuordnung zu stellen. So wäre bei Einführung eines Schichtmodells, wie es die Pflege seit Jahren kennt, keine einzige ärztliche Planstelle zusätzlich erforderlich.

Dies würde allerdings bedeuten, dass sich endlich etwas in der tradierten und extrem hierarchischen Organisation des Arztsystems ändern müsste. Die Pflege hat hier vor langer Zeit ihre Hausaufgaben gemacht.

Würden die Kernkompetenzen, Aufgabenfelder und Tätigkeiten der Profession „Pflege“ ärztlicherseits institutionalisiert akzeptiert, respektiert und anerkannt werden, könnten sich solche egoistischen gewerkschaftlichen Prozesse nicht entwickeln.

Wir hoffen, dass die Vernunft zu Gemeinsamkeiten siegt und die einseitigen, unangemessenen Forderungen sich nicht durchsetzen.

Der Arbeitskampf könnte aus unserer Sicht ausgebremst werden, wenn die Arbeitsbedingungen für Pflege und Ärzte in gleichem Maße Verbesserung erfahren könnten durch:

- Umgestaltung der Behandlungs-Abläufe (Prozessorientierung, gemeinsame Patientendokumentation, Interprofessionelle Behandlungspfade,

- Abstimmung der Arbeitszeitregelungen

- Neuordnung der Aufgaben, Tätigkeiten, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten

- Gemeinsame Fort- und Weiterbildung

In Krankenhäusern, wo das Pflegemanagement bereits die Kompetenz und Verantwortung für gezielte Prozesse z. B. Aufnahme- und Entlassmanagement (Case-Management) und Patientenmanagement übernommen hat, Pflegeexperten schmerztherapeutische Dienste wahrnehmen, Wundmanagement und Ernährungsberatung offiziell durchgeführt wird und verantwortlich medizinisch-therapeutische Leistungen wie z.B. Insulintherapie, Infusionstherapieleistungen zum Tätigkeitsbereich der beruflichen Pflege gehören, gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Pflegekräften, Ärzten und Patienten zunehmend strukturierter, systematischer und reibungsloser.

Der Deutsche Pflegerat fordert die Bundesregierung auf, eine Personalbemessungsregelung einzuführen, die die sichere pflegerische Versorgung der Patienten in Krankenhäusern gewährleistet. Darüber hinaus ist endlich rechtlich verbindlich die pflegerische Autonomie auch im Bereich der medizinischen Betreuung neu zu regeln. Der Deutsche Pflegerat unterstützt alle Aktivitäten, die Pflegenden und Ärzten gemeinsam zu verbesserten Arbeitsbedingungen verhelfen. An erster Stelle steht für uns eine sichere klinische Behandlung, Fürsorge und das Wohl der Patienten.

Marie-Luise Müller
Präsidentin
Deutscher Pflegerat
Geisbergstr.39
10777 Berlin
http://www.deutscher-pflegerat.de

Quelle: Pressemitteilung vom 5.7.2006

WernerSchell
Administrator
Beiträge: 25302
Registriert: 18.05.2003, 23:13

Ärztestreik wird Pflegenotstand verschärfen

Beitrag von WernerSchell » 06.07.2006, 08:14

Ärztestreik wird Pflegenotstand verschärfen - Patienten bzw. die hilfe- und pflegebedürftigen Menschen sind die Leidtragenden!

Mit dem Ärztestreik ist eine Entsolidarisierung der Gesundheitsberufe eingetreten, die vielerlei negative Folgen haben wird. U.a. wird der Streik klar Auswirkungen für die Pflegeberufe haben, Stellen für das Pflegepersonal werden abgebaut – eine Verschärfung des Pflegenotstandes ist damit unvermeidlich. Leidtragende sind im Übrigen die Patienten bzw. die hilfe- und pflegebedürftigen Menschen!

Im Forum Werner Schell - index.php gibt es zum Thema umfangreiche Beiträge; nachlesbar unter:

Arztestreik und Pflegenotstand
viewtopic.php?t=4837

Ärzte sind auch nur Menschen - Wo bleibt die Pflege?
viewtopic.php?t=4815

Ärztestreik - Patienten sind die Leidtragenden!
viewtopic.php?t=3728

Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern - Streik & Folgen
viewtopic.php?t=1947

Streik im öffentlichen Dienst
viewtopic.php?t=3864

Der Deutsche Pflegerat hat zu recht mit einer aktuellen Pressemitteilung vom 5.7.2006 auf die bevorstehende Vernichtung von Arbeitsplätzen in der Pflege aufmerksam gemacht! Statt Stellenvernichtung in der Pflege brauchen wir eine Stärkung der Pflege verbunden mit einer Stellenausweitung!
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
Bild

Herbert Kunst
phpBB God
Beiträge: 894
Registriert: 13.11.2005, 13:48

Personalbemessungsregelung muss her!

Beitrag von Herbert Kunst » 07.07.2006, 07:29

DPR hat geschrieben: .... Der Deutsche Pflegerat fordert die Bundesregierung auf, eine Personalbemessungsregelung einzuführen, die die sichere pflegerische Versorgung der Patienten in Krankenhäusern gewährleistet. Darüber hinaus ist endlich rechtlich verbindlich die pflegerische Autonomie auch im Bereich der medizinischen Betreuung neu zu regeln. ...
Dem DPR ist beizupflichten, es muss eine Personalbemessungsregelung her, die die pflegerische Versorgung auf eine sichere Grundlage stellt. Allerdings muss diese Personalbemessung alle pflegerischen Bereiche erfassen, nicht nur die Krankenhäuser, sondern auch die stationären Pflegeeinrichtungen, die Heime also.
Dazu wurden in diesem Forum bereits wiederholt Beiträge eingestellt. Grob skizziert fehlen mindestens 20% Pflegekräfte!!
Siehe dazu unter:

Stellenschlüssel für das Heimpersonal
viewtopic.php?t=3917&highlight=personalbemessung

Pflege-Stellenschlüssel im Krankenhaus?
viewtopic.php?t=3807&highlight=personalschl%FCssel
Für menschenwürdige Pflege sind wir alle verantwortlich! - Dazu finde ich immer wieder gute Informationen unter http://www.wernerschell.de

H.P.

Pflegepersonalsituation in Deutschland ist angespannt

Beitrag von H.P. » 08.07.2006, 07:17

Es hat in der Vergangenheit bereits zahlreiche Stellungnahmen und Resolutionen zum Pflegenotstand gegeben: siehe u.a.:

Die Pflegepersonalsituation in Deutschland ist angespannt - mehr als 40.000 Stellen nicht besetzt
http://www.wernerschell.de/Medizin-Info ... spannt.htm

Resolution zur Situation in Pflegeheimen
http://www.wernerschell.de/Medizin-Info ... eheime.htm

Droht ein neuer Pflege-Notstand?
Anspruch und Wirklichkeit professioneller Pflege in Deutschland
http://www.wernerschell.de/Rechtsalmana ... tstand.htm

Weitere Text unter
http://www.wernerschell.de/Medizin-Info ... pflege.htm

Pflegeunterricht konkret

Aktuelle Ärztestreiks werden von Pflegeverbänden kritisiert

Beitrag von Pflegeunterricht konkret » 27.07.2006, 08:46

Aktuelle Ärztestreiks werden von Pflegeverbänden kritisiert

Durch die juengste AErztestreikwelle wurden Kritik und Unverstaendnis bei verschiedenen Pflegeverbaenden (z. B. beim DBfK und beim Deutschen Pflegerat) wach. Es sei zu befuerchten, dass die Berufsgruppen des Gesundheitswesens dadurch noch staerker entzweit werden.
Laut des DBfK seien die Forderungen des Marburger Bundes ueberzogen und foerderten eine Entsolidarisierung der Gesundheitsberufe. Eventuelle Verbesserungen fuer die AErzte koennten auf dem Ruecken der Pflegekraefte ausgetragen werden. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat sich deshalb fuer einen Streik der Pflegenden ausgesprochen.

http://gesundheit-soziales.verdi.de/tar ... her_dienst
http://www.marburger-bund.de
http://www.dbfk.de/index.php?subaction= ... m=&ucat=10

Quelle: Pflegeunterricht konkret - Newsletter
Ausgabe 43 - 26.07.2006

dradio

Pflegerat kritisiert Lohnforderungen der Ärzte

Beitrag von dradio » 28.07.2006, 06:57

"Das ist unsozial und unsolidarisch"
Pflegerat kritisiert Lohnforderungen der Ärzte

Moderation: Doris Simon

Die Präsidentin des Deutschen Pflegerates, Marie-Luise Müller, hat die Lohnforderungen der Mediziner an den kommunalen Krankenhäusern kritisiert. Es werde eine " Erpressung zu Lasten des Pflegepersonals" vorgenommen. Durch die "überzogenen Forderungen" könnten bis zu 50.000 Stellen in der Pflege wegfallen. Wenn es nicht zu einem Ausgleich käme, seien Streiks von Krankenschwestern und -pflegern nicht auszuschließen.

...
Weiter unter
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/inte ... lf/524852/

Pflegeselbsthilfe
Jr. Member
Beiträge: 65
Registriert: 29.11.2005, 07:58

Ärztestreik gefährdet die Pflege

Beitrag von Pflegeselbsthilfe » 28.07.2006, 08:57

Die Neuss-Grevenbroicher Zeitung hat heute einen Leserbrief von Herrn Dr. Goder, Ärztevertreter in Neuss, abgedruckt. Dabei wurde ausdrücklich auf eine frühere Stellungnahme von mir, mit der ich die maßlosen Ärzteforderungen kritisiert habe, Bezug genommen.

Zu der Äußerung von Herrn Dr. Goder habe ich der Zeitung heute die nachfolgende Leserzuchrift übermittelt:

Ärztestreik gefährdet die Pflege

Ich bedaure sehr, dass ich den von Herrn Dr. Goder in seiner Leserzuschrift vom 28.7.2006 gemachten Versuch, die Ärzteforderungen, die sich um rd. 30% Honorarforderungen bewegen, zu rechtfertigen, nicht nachvollziehen kann. Wenn über Zuwächse für einzelne Berufsgruppen im Gesundheitswesen geredet werden muss, dann gehören auf jeden Fall die Pflegekräfte mit dazu. Deren Bezahlung muss im Zweifel auch verbessert werden. Vor allem sind die Pflege-Stellenpläne unzureichend; in der Heimpflege kann von einer Unterbesetzung von rd. 20% ausgegangen werden.
Ich habe daher Herrn Dr. Goder bereits in einem Brief vom 25.02.2006 angeboten, in der Angelegenheit weiter zu diskutieren und dabei zu thematisieren, inwieweit andere Beteiligte am Gesundheitssystem ebenfalls beträchtlichen Anlass zur Klage haben. Leider erhielt ich darauf keine Rückmeldung.
Wenn auch eine berufliche Interessenvertretung rechtlich nicht grundsätzlich beanstandet werden kann, liegen die jetzigen Forderungen der Ärzteschaft „völlig daneben“. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und zahlreiche Pflegeverbände sehen es ganz ähnlich und formulieren noch deutlicher:
Die Präsidentin des Deutschen Pflegerates, Marie-Luise Müller, hat am 27.7.2006 im Deutschlandradio die Lohnforderungen der Mediziner an den kommunalen Krankenhäusern kritisiert. Es werde eine "Erpressung zu Lasten des Pflegepersonals" vorgenommen. Durch die "überzogenen Forderungen" könnten bis zu 50.000 Stellen in der Pflege wegfallen. Wenn es nicht zu einem Ausgleich käme, seien Streiks von Krankenschwestern und -pflegern nicht auszuschließen.

Werner Schell, Dozent für Pflegerecht und 2. Vorsitzender des Pflege-Selbsthilfeverbandes e.V., Harffer Straße 59, 41469 Neuss
Werner Schell ist seit 1.8.2008 Leiter / Ansprechparter bei:
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk vor
http://www.pro-pflege-selbsthilfnetzwerk.de

WernerSchell
Administrator
Beiträge: 25302
Registriert: 18.05.2003, 23:13

Ärztestreik gefährdet die Pflege

Beitrag von WernerSchell » 05.08.2006, 08:13

Pflege-SHV hat geschrieben:.... Die Neuss-Grevenbroicher Zeitung (NGZ) hat heute einen Leserbrief von Herrn Dr. Goder, Ärztevertreter in Neuss, abgedruckt. Dabei wurde ausdrücklich auf eine frühere Stellungnahme von mir, mit der ich die maßlosen Ärzteforderungen kritisiert habe, Bezug genommen. ....
Meine Leserzuschrift hat die NGZ bisher völlig ignoriert. Heute berichtet die Zeitung erneut über den Ärztestreik und hat sich damit zum wiederholten Male auf die Seite der Ärzteschaft geschlagen.

Ich habe daher heute, 5.8.2006, folgende Zuschrift an die NGZ gerichtet und bin auf die Reaktion sehr gespannt:

Ärztestreik – NGZ-Berichterstattung zugunsten der Ärzte – ohne Ende! Und wo bleibt die Pflege?

Sehr geehrter Herr Baten,
sehr geehrte Damen und Herren,

in Sachen Ärztestreik berichten Sie lebhaft und wirksam platziert. Sie verschaffen damit der Ärzteschaft seit Wochen und Monaten „ein Bühne“, die sie angesichts ihrer Forderungen nicht verdient. Am 28.7.2006 haben Sie Herrn Dr. Goder zu Wort kommen lassen, er konterte auf ein Statement von mir, allerdings ging er auf meine wesentlichen Argumente nicht ein. Meinen Leserbrief dazu haben Sie nicht abgedruckt, ungeachtet meiner nochmaligen Zuschrift vom 1.8.2006.

Nun berichten Sie heute, 5.8.2006, erneut über den Ärztestreik, jetzt allerdings in der Rubrik Rhein-Kreis Neuss. Sie erwähnen ausdrücklich eine Unterschriftensammlung, suggerieren damit Solidität mit den ärztlichen Standpunkte. Dem muss aber entschieden widersprochen werden. Wer hat wann und wo mit welchem Kenntnisstand konkret was unterschrieben?

Daher bitte ich nochmals um Veröffentlichung meines letzten Statements, vielleicht jetzt in der Rubrik Rhein-Kreis Neuss. Ich habe daher den Text meiner Leserzuschrift vom 28.7.2006 verändert. Nachfolgend der neue Text mit der Bitte um Abdruck, aber bitte mit meinen Funktionsbezeichnungen.

Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell


Ärztestreik gefährdet die Pflege

Die Aktionen der Ärzteschaft, allein für ihre Berufsgruppe irreale Gehaltsforderungen durchzusetzen, sind nicht akzeptabel. Auch der von Herrn Dr. Goder, Pressesprecher der Ärztekammer, Kreisstelle Neuss, in seiner Leserzuschrift vom 28.7.2006 (Lokalteil Neuss) gemachte Versuch, die Ärzteforderungen, die sich um rd. 30% Honorarforderungen bewegen, zu rechtfertigen, ist nicht nachvollziehbar.

Wenn über Zuwächse für einzelne Berufsgruppen im Gesundheitswesen geredet werden muss, dann gehören auf jeden Fall die Pflegekräfte mit dazu. Deren Arbeitsbedingungen bzw. Bezahlung muss im Zweifel auch verbessert werden. Vor allem sind die Pflege-Stellenpläne unzureichend; in der Heimpflege kann von einer Unterbesetzung von rd. 20% ausgegangen werden.

Ich habe daher Herrn Dr. Goder bereits in einem Brief vom 25.02.2006 angeboten, in der Angelegenheit weiter zu diskutieren und dabei zu thematisieren, inwieweit andere Beteiligte am Gesundheitssystem ebenfalls beträchtlichen Anlass zur Klage haben. Leider erhielt ich darauf keine Rückmeldung.

Wenn auch eine berufliche Interessenvertretung rechtlich nicht grundsätzlich beanstandet werden kann, liegen die jetzigen Forderungen der Ärzteschaft „völlig daneben“. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und zahlreiche Pflegeverbände sehen es ganz ähnlich und formulieren noch deutlicher!

Die Präsidentin des Deutschen Pflegerates, Marie-Luise Müller, hat am 27.7.2006 im Deutschlandradio die Lohnforderungen der Mediziner an den kommunalen Krankenhäusern kritisiert. Es werde eine "Erpressung zu Lasten des Pflegepersonals" vorgenommen. Durch die "überzogenen Forderungen" könnten bis zu 50.000 Stellen in der Pflege wegfallen. Wenn es nicht zu einem Ausgleich käme, seien Streiks von Krankenschwestern und -pflegern nicht auszuschließen.

Über solche Entwicklungen sollten sich diejenigen, die sich leichtfertig einer Unterschriftenaktion zugunsten der Ärzte angeschlossen haben, auch einmal ihre Gedanken machen. Für die Altenpflegeausbildung hat die NRW-Landesregierung für den Haushalt 2007 bereits Kürzungen von 1,3 Mio Euro angekündigt. Statt einer Mittelreduzierung ist eine Qualifizierungsoffensive für die Pflege dringend geboten. Noch vor wenigen Jahren hat die NRW-CDU als Opposition in sog. Pflegefachgesprächen die unzureichenden Pflegebedingungen in NRW massiv kritisiert und eine Mittel- bzw. Stellenausweitung gefordert (schriftlich dokumentiert!), nun in der Regierungsverantwortung handelt sie den eigenen Erkenntnissen entgegen. Das ist nicht verständlich und gehört korrigiert! Vielleicht muss man umstrukturieren, aber Mittel wegnehmen, das kann m.E. nicht angehen.

Werner Schell, Dozent für Pflegerecht und 2. Vorsitzender des Pflege-Selbsthilfeverbandes e.V., Harffer Straße 59, 41469 Neuss
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
Bild

Herbert Kunst
phpBB God
Beiträge: 894
Registriert: 13.11.2005, 13:48

Kritik für Lohnforderungen der Ärzte - Pflegende betroffen

Beitrag von Herbert Kunst » 05.08.2006, 18:36

dradio hat geschrieben: .... Die Präsidentin des Deutschen Pflegerates, Marie-Luise Müller, hat die Lohnforderungen der Mediziner an den kommunalen Krankenhäusern kritisiert. Es werde eine " Erpressung zu Lasten des Pflegepersonals" vorgenommen. Durch die "überzogenen Forderungen" könnten bis zu 50.000 Stellen in der Pflege wegfallen. Wenn es nicht zu einem Ausgleich käme, seien Streiks von Krankenschwestern und -pflegern nicht auszuschließen. ...
Diese Einschätzung ist wohl richtig. Herr Schell hat die Situation auch zutreffend beschrieben. Danke für die klaren Statements.

Zur Belastung der Pflegekräfte siehe in diesem Forum unter
viewtopic.php?t=4997

Herbert Kunst
Für menschenwürdige Pflege sind wir alle verantwortlich! - Dazu finde ich immer wieder gute Informationen unter http://www.wernerschell.de

WernerSchell
Administrator
Beiträge: 25302
Registriert: 18.05.2003, 23:13

Ärztestreik – Argumente dagegen - kurz bund bündig!

Beitrag von WernerSchell » 06.08.2006, 07:23

Ärztestreik – Argumente dagegen - kurz und bündig!

Zu unterscheiden ist zwischen Streik der Klinikärzte und der Aktionen der niedergelassenen Kassenärzte! In beiden Fällen geht es letztlich um einunddasselbe – um das Geld der Patienten – der Beitragszahler – der Versicherten!

Politische Ziele durchzusetzen ist das gute Recht einer jeden Berufsgruppe – dabei muss aber Maß und Ziel beachten – oder die „Kirche im Dorf“ lassen.

Vor allem müssen die Angehörigen der Gesundheitsberufe beachten, dass jedwede Unterlassungshandlung eine Patientengefährdung sein kann. Sich gleichwohl zu verweigern berührt Fragen der Berufsethik und des Strafrechts – konkret stellt sich die Frage, ob und ggf. inwieweit Aktionen zur Honorarverbesserung ggf. eine strafrechtlich bewährte „unterlassene Hilfeleistung“ darstellt.

Ärzte sind dem Steuerzahler verpflichtet – auch mit Rücksicht auf ein teures Studium, das letztlich alle mit finanziert haben!
Ärzte streiken auch zu Lasten der Pflegekräfte!!!

Allgemein ist bekannt, dass im Gesundheitswesen die Einnahmen wegbrechen (siehe Arbeitslosigkeit). Von daher sind die Spielräume eng. Es wird daher von Einsparungsnotwendigkeiten in einer Größenordnung von 30% gesprochen. Es ist verdächtig, dass die Ärzte genau in dieser Größenordnung Forderungen erheben.

Forderungen in einer Größenordnung von 30% sind völlig abwegig. Angesichts der Zurücknahme von Leistungsansprüchen der Patienten/Rentner/chronisch Kranken, Zuzahlung usw. sogar unmoralisch!

Zuwächse kann es aufgrund der gegebenen Situation einfach nicht geben. Vielmehr ist die Beachtung des Arbeitszeitrechtes und die ordnungsgemäße Bezahlung der geleisteten Dienste anzustreben. Punkt aus. – Im Übrigen ist auch eine Verlängerung der Arbeitszeit vertretbar – wir alle müssen zukünftig länger arbeiten.

Im Übrigen müssen Strukturen verändert werden:
Hierarchie im Krankenhaus abbauen – Chefarztprinzip muss weg, Krankenbetten abbauen – bis zu 20%, Doppeluntersuchungen vermeiden, mehr ambulant statt stationär.

Zahlreiche Argumente im Streik sind nicht richtig:
Steigende Ärztezahlen seit 1992 rd. 22%
In der ambulanten Versorgung sind die Aufwendungen der Krankenkassen für die ärztliche Versorgung im Wesentlichen gestiegen. Nur die Zahl der Therapeuten nahm zu – daher müssen mehr Therapeuten den „Kuchen teilen“.

Völlig außen lassen die Ärzte die Not der nichtärztlichen Berufe – in den Pflegeheimen fehlen mindestens 20% Pflegekräfte – die Arbeitsbedingungen sind so belastend, dass Pflegekräfte durchschnittlich nach 5 Jahren ausscheiden.

Der Pflegenotstand wird von den Ärzten völlig ignoriert, obwohl sie vorgeben, im Interesse der Patienten zu handeln. Im vergangenen Jahr haben z.B. 16 niedergelassene Ärzte einer Heim-Wachkomapatientin die ärztliche Betreuung verweigert. Mittlerweile liegt eine seriöse Studie vor, dass die ärztliche Versorgung der Heimbewohner mangelhaft ist.
Dieses Thema ist mittlerweile auf meine Initiative vom Rhein-Kreis Neuss aufgegriffen worden. Es soll geprüft, wie die ärztliche Versorgung im hiesigen Raum ist. Es kann davon ausgegangen werden, dass unsere Heime in diesem Sinne notleidend sind. Darum wird man sich kümmern müssen.

Das sind die Probleme, die es zu lösen gilt, und nichts anderes!
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
Bild

H.P.

Verlierer des Ärztestreiks

Beitrag von H.P. » 10.08.2006, 07:07

Leitartikel
Verlierer des Ärztestreiks
Marie-Luise Müller, Präsidentin des Deutschen Pflegerats, will den "Machtpoker der Ärzte" nicht länger dulden. Der Arbeitskampf werde zu Lasten von Krankenschwestern und Pflegern geführt


Von Claudia Ehrenstein

Wer in diesen Tagen die Lage in den deutschen Krankenhäusern beschreiben wollte, müßte vor allem von Konflikten berichten. Erst haben die Ärzte an den Universitätskliniken gestreikt. Dann haben ihre Kollegen an den kommunalen Krankenhäusern begonnen, für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Und nun baut sich schon die nächste Streikfront auf: Auch das Pflegepersonal will seine Interessen durchsetzen und droht damit, in den Ausstand zu treten. Marie-Luise Müller, Präsidentin des Deutschen Pflegerats, will den "Machtpoker der Ärzte", wie sie es nennt, nicht länger dulden. Der Arbeitskampf der Ärzte werde zu Lasten von Krankenschwestern und Pflegern geführt. Die Lohnforderungen der Ärzte seien völlig überzogen und würden im schlimmsten Fall zum Abbau von bis zu 50 000 Stellen in der Pflege führen.
...
Weiter unter:
http://www.welt.de/data/2006/07/31/979822.html

WernerSchell
Administrator
Beiträge: 25302
Registriert: 18.05.2003, 23:13

Ärztestreik hat Folgen für Patienten und Pflegekräfte

Beitrag von WernerSchell » 20.08.2006, 07:36

Ärztestreik hat Folgen für Patienten und Pflegekräfte

Die Aktionen der Ärzteschaft, allein für ihre Berufsgruppe überhöhte Gehaltsforderungen durchzusetzen, sind beendet. Das „dicke Ende“ kommt aber noch – nämlich in Form von negativen Folgen für Patienten und Pflegekräfte:

Die jetzt fälligen Mehrausgaben der betroffenen Krankenhäuser können nur durch Einsparungen an anderer Stelle hereingeholt werden. Wo dies nicht hilft, werden auch Insolvenzen nicht auszuschließen sein. D.h., einige Krankenhäuser werden demnächst nicht mehr verfügbar sein. Die Stellenpläne der Pflegekräfte werden zwangsläufig zu kürzen sein, so dass sich die pflegerische Versorgung allerorten weiter verschlechtern wird. Da die bisherige Stellensituation bereits nicht auskömmlich war, werden die Folgen bald deutlich spürbar sein.
Die Präsidentin des Deutschen Pflegerates, Marie-Luise Müller, hat bereits am 27.7.2006 im Deutschlandradio die Lohnforderungen der Mediziner an den kommunalen Krankenhäusern kritisiert. Es werde eine "Erpressung zu Lasten des Pflegepersonals" vorgenommen. Durch die "überzogenen Forderungen" könnten bis zu 50.000 Stellen in der Pflege wegfallen. Wenn es nicht zu einem Ausgleich käme, seien Streiks von Krankenschwestern und -pflegern nicht auszuschließen.
Für die Altenpflegeausbildung hat die NRW-Landesregierung für den Haushalt 2007 bereits Kürzungen von 1,3 Mio Euro angekündigt. Statt einer Mittelreduzierung ist eine Qualifizierungsoffensive für die Pflege dringend geboten. Noch vor wenigen Jahren hat die NRW-CDU als Opposition in sog. Pflegefachgesprächen die unzureichenden Pflegebedingungen in NRW massiv kritisiert und eine Mittel- bzw. Stellenausweitung gefordert (schriftlich dokumentiert!), nun in der Regierungsverantwortung handelt sie den eigenen Erkenntnissen entgegen. Das ist nicht verständlich und gehört korrigiert! Vielleicht muss man umstrukturieren, aber Mittel wegnehmen, das kann m.E. nicht angehen.
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
Bild

Claer

Verlierer des Ärztestreiks ist klar die Pflege!

Beitrag von Claer » 21.08.2006, 06:49

H.P. hat geschrieben: .... Auch das Pflegepersonal will seine Interessen durchsetzen und droht damit, in den Ausstand zu treten. Marie-Luise Müller, Präsidentin des Deutschen Pflegerats, will den "Machtpoker der Ärzte", wie sie es nennt, nicht länger dulden. Der Arbeitskampf der Ärzte werde zu Lasten von Krankenschwestern und Pflegern geführt. Die Lohnforderungen der Ärzte seien völlig überzogen und würden im schlimmsten Fall zum Abbau von bis zu 50 000 Stellen in der Pflege führen. ....
Heute lese ich zu meinem Entsetzen einen kurzen Bericht darüber, dass Frau Müller vom DPR offensichtlich die Folgerungen des Ärztestreiks "abgehakt" hat und jetzt darüber nachdenkt, mit den Ärzten zusammen eine neue Gewerkschaft für Gesundheitsberufe zu begründen. Statt dass die Pflegekräfte auch einmal an ihre eigenen Rechte und Bedürfnisse denken, fangen sie schon wieder damit, sich den Ärzten "an die Brust" zu schmeißen. Haben Frau Müller & Co. eigentlich vergessen, dass es vor Jahren noch ein "Bündnis für Gesundheit" gab, dass die Ärzte zur Durchsetzung eigener Ärzte einfach so verlassen haben?

Claer

Cicero
Sr. Member
Beiträge: 388
Registriert: 30.06.2007, 10:11

Demonstrationen der Ärzte nicht akzeptabel

Beitrag von Cicero » 25.03.2008, 14:11

Ärzte demonstrieren erneut für ihre Interessen / Geld - und die Pflege?

Siehe dazu unter
Viele Arztpraxen bleiben zu
viewtopic.php?t=8523

Dort u.a. mein Text:

Demonstrationen der Ärzte nicht akzeptabel

Demonstrationen sind ein wichtiges Element der Demokratie. Allerdings muss alles im legalen Bereich bleiben. Was die Ärzte jetzt erneut veranstalten, verlässt angesichts eines umfassenden Sicherstellungsauftrages diesen Rahmen und ist daher nicht akzeptabel. Auch wenn die Ärzte behaupten, eine Notversorgung sei sichergestellt, wird das Verhalten nicht korrekter. Denn Notversorgung ist etwas für außergewöhnliche Zeiten, wie Nacht und Wochenende, darf aber nicht zum Instrument des Honorarkampfes werden.

Cicero
Politisch interessierter Pflegefan!
Im Gleichklang: Frieden - Ausgleich - Demokratie - und: "Die Menschenwürde ist unantastbar"!

Rüdiger Bastigkeit
Jr. Member
Beiträge: 50
Registriert: 28.11.2005, 18:59

Wir wollen doch ernstlich keine Billigpflege!

Beitrag von Rüdiger Bastigkeit » 27.03.2008, 08:43

Wir brauchen, ob wir wollen oder nicht, doch ein wenig mehr Geld ins System. Das bedeutet letztlich Beitragserhöhungen. Ja, das müssen wir hinnehmen.
Die Ärztehonorierung sollte so gestaltet sein, dass die persönliche Zuwendung klar besser bezahlt wird, zu Lasten der Fachärzte! Offensichtlich gibt es dazu neue Regelungen in geänderten Honorarstrukturen, die wohl 2009 in Kraft treten sollen. Genaues weiß ich nicht.
Unabhängig davon erfordert die Pflege mehr Aufmerksamkeit. Mehr Personal und bessere Vergütungen. Es wird ja schon von Dumpinglöhnen gesprochen. Wir wollen doch ernstlich keine Billigpflege!

Rüdiger Bastigkeit

Antworten