Fixierung genehmigt- dennoch Freiheitsberaubung?

Pflegespezifische Themen; z.B. Delegation, Pflegedokumentation, Pflegefehler und Haftung, Berufsrecht der Pflegeberufe

Moderator: WernerSchell

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Gast

Fixierung genehmigt- dennoch Freiheitsberaubung?

Beitrag von Gast » 21.04.2005, 19:12

Fixierung genehmigt - Anzeige wg. Freiheitsberaubung

Wir haben einen Bewohner der einen Gerichtsbeschluss für Fixierung mit Bauchgurt im Rollstuhl und normalen Stuhl hat.
Nun bekamen wir von Angehörigen eine Anzeige wegen Freiheitsberaubung. Wir hätten den Bewohner zum Essen vom Gurt befreien müssen und anschließend wieder neu fixieren müssen.
Wir schreiben Fixierungsblätter und tragen ein, wann der Bewohner fixiert wird.

Wie ist die rechtliche Lage?

Anneliese

Berti
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Fixierung genehmigt- dennoch Freiheitsberaubung?

Beitrag von Berti » 21.04.2005, 21:19

Hallo Annneliese,

zur Rechtslage vorweg allgemein:

§ 239 StGB - Freiheitsberaubung -
(1) Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
1. das Opfer länger als eine Woche der Freiheit beraubt oder
2. durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht.
(4) Verursacht der Täter durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 4 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Ist eine konkrete Fixierungsmaßnahme durch den Rechtlichen Betreuer und das Vormundschaftsgericht gebilligt, ist diese in der vorgesehenen Art und Weise eine rechtmäßige Maßnahme zur Freiheitsbeschränkung. Dabei versteht sich, dass eine solche Maßnahme zwar in geeigneter Art und Weise, gleichwohl aber in "mildester" Ausprägung durchzuführen ist. Dies kann in der Tat bedeuten, dass eine Fixierung unter bestimmten Voraussetzungen gelockert wird, vorausgesetzt, der angestrebte Zweck bleibt unbeeinträchtigt.

Ob unter den jetzt nur allgemein aufgezeigten Gesichtspunkten eine Lockerung der Fixierung während des Essens gerechtfertigt war, muss anhand der näheren Umstände, die nicht beschrieben sind, beurteilt werden. Hat der Rechtliche Betreuer insoweit eine Einschränkung der Fixierung verfügt? Gibt der Gerichtsbeschluss Näheres her? Wäre eine Lockerung sinnvoll und und ohnte Patientengefährdung möglich gewesen? Was haben die vorgesetzten Dienstkräfte für solche Kräfte vorgegeben? Gibt es eine Dienstanweisung für Fixierungen und wurde diese beachtet? Hat der Bewohner ausdrücklich während des Essens eine Aufhebung der Fixierung gewünscht? Haben die Angehörigen zeitgerecht eine eingeschränkte Aufhebung der Fixierung angesprochen, ggf. wiederholt? Haben Angehörige ggf. ihre Mithilfe beim Essen angeboten? usw.

Anhand solcher Kriterien müßte eine Einschätzung vorgenommen werden. Zunächst erscheint - ohne Versuche einer einvernehmlichen Regelung - die Strafanzeige völlig überzogen. Allerdings "ist aus der Ferne" eine wirkliche rechtliche Bewertung nicht möglich.

Es wird auf jeden Fall für wichtig erachtet, die Angelegenheit hier weiter zu diskutieren. Ich denke, an der weiteren Abwicklung des Verfahrens dürfte großes Interesse bestehen.

Gruß Berti


Marlis_Jansen
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Fixierung genehmigt- dennoch Freiheitsberaubung

Beitrag von Marlis_Jansen » 23.04.2005, 12:07

... Fixierung genehmigt - Anzeige wg. Freiheitsberaubung .... Wie ist die rechtliche Lage? ....
Guten Morgen Anneliese,
soweit sich die Mitarbeiter im Rahmen der getroffenen Anordnungen bzw. Genehmigungen gehalten haben (durch Dokumentation nachweisbar), sehe ich keine Rechtswidrigkeit, die Grundlage für eine Strafverfolgung wäre. Die Einzelumstände müssen aufgehellt werden (siehe Hinweise von Berti).
Ich denke, strafrechtlich ist an der Sache eher nichts dran. Man kann allenfalls darüber diskutieren, ob zukünftig gewisse Erleichterungen möglich sind. Dabei sollten die Angehörigen mit in die Pflicht genommen werden! Es ist ja leider so, dass Angehörige vielfach herummosern, aber selbst kaum etwas zur Verbesserung der Situation des Pflegebedürftigen beitragen.
MfG
Marlis

Gast

Re: Fixierung genehmigt- dennoch Freiheitsberaubun

Beitrag von Gast » 24.04.2005, 13:38

Zunächst möchte ich die vorliegenden Antworten als kompetent und treffend bezeichnen.
Im Sinne einer Ergänzung bin ich der Meinung, daß das hier vorliegende Problem auch "ein Formulierungsproblem" sein kann, was den Beschluss vom Amtsgerichts betrifft. Leider ist es von dieser Seite oft so, daß entweder vorformulierte (den Einzelfall nicht berücksichtigend) Beschlussformulierungen verwendet werden oder es wird unterlassen, Routinebeschlüsse durch individuelle Erweiterungen zu ergänzen.
Im vorliegenden Fall hätte wahrscheinlich schon ein Zusatz wie z.B. -"tagsüber und während der Nacht" - eine Hilfe sein können.
Über das gestörte Vertrauensverhältnis von Seiten der Angehörigen kann man sich allerdings auch so seine Gedanken machen. Anstatt die Zuständigen in der Einrichtung mit Vernunft und Wertschätzung anzusprechen, wird eine Anzeige losgelassen. Wie sich auf dieser Ebene, zum Wohle des Bewohneres, eine gedeihliche Zusammenarbeit entwicklen soll, ist mir rätselhaft.

Marlis_Jansen
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Fixierung zielgerichtet gestalten!

Beitrag von Marlis_Jansen » 24.04.2005, 14:17

... Im Sinne einer Ergänzung bin ich der Meinung, daß das hier vorliegende Problem auch "ein Formulierungsproblem" sein kann, was den Beschluss vom  Amtsgerichts betrifft....
Guten Tag Georg / MitleserInnen,
ich denke auch, dass in der Art und Weise, wie man eine Regelung formuliert, einiges in "Schieflage" geraten kann. Man muss weg von formulierten Textbausteinen und individuelle Lösungen finden.
Einmal ist der Rechtliche Betreuer gefordert - in Absprache mit dem Arzt und den Pflegekräften eine klare Anordnung zu formulieren. Dann muss das Gericht entscheiden und - ggf. nachbessern, indem präzise der weitere mögliche Ablauf vorgegeben wird. Im Übrigen bleibt den Mitarbeitern vor Ort auch ein gewisser Spielraum, die Fixierung bedarfsgerecht - allerdings immer im Rahmen der Anordnung - zu gestalten.
Nochmals: die Angehörigen sollten sich mehr - helfend - einbringen. Das dient dem Interesse des Pflegebedürftigen zielgerichteter. Strafandrohungen oder gar Anzeigen vergiften das Klima und sind meist die allerschlechteste aller denkbaren Lösungen!
MfG
Marlis

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