Ruhigstellung von Patienten - Weniger ist oft mehr!

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

Moderator: WernerSchell

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R. Hiefinger

Ruhigstellung von Patienten - Weniger ist oft mehr!

Beitrag von R. Hiefinger » 10.08.2008, 10:43

Ein Bericht vom 13.7.2008 von Allianz Graue Panther - Bundesverband unter
http://www.allianz-graue-panther.de/000 ... 900e01.php

Weniger ist oft mehr - Patienten werden ruhig gestellt statt, statt dass ihnen geholfen wird

Wuppertal (epa) – Die Meldung ist alarmierend, wenn auch nicht neu. Bewohner von Altenheimen, so der Frankfurter Gerontopsychiater Johannes Pantel laut dpa, zu häufig und zu lange Psychopharmaka verabreicht. Die Motivation, heißt es in der Meldung weiter, sei oft nicht, dem Patienten zu helfen, sondern ihn ruhig zustellen, um die Pflege zu erleichtern.
Eine Doppel-Studie in einem Frankfurter und einem Mainzer Altenheim hat nun ergeben, dass sich der Zustand der Bewohner in dem Heim verbessert hat, in dem weniger potenziell schädliche Psychopharmaka verabreicht wurden.
Dabei hat die Studie auch ergeben, dass nicht nur zu häufig Medikamente verschrieben werden, sondern auch die falschen. Bei Antidepressiva oder Demenz sind es eher zu wenig.
Oft werden die Heimbewohner noch von ihren Hausärzten betreut, die zumeist keine Fachleute für Psychopharmaka sind und viel zu selten im Heim vorbeischauen. Das Ergebnis: Allein das ohnehin stark geforderte, oft überforderte Pflegepersonal des Heimes ist für die Überwachung der Medikamentenwirkung zuständig.
Pantels Schlussfolgerung ist daher, dass jedes Heim einen Vertrag mit einem „Heimarzt“ abschließen sollte.
Die Bundespartei Allianz Graue Panther unterstützt nicht nur diesen Vorschlag, sondern fordert in ihrem Programm eine „Reform des Heimgesetzes im Sinne des Grundrechtsschutzes von Würde und Wohnung – auch in Pflegeheimen und Psychiatrien“.

Im Anschluss an die o.a. Mitteilung ergab sich am 7.8.2008 folgende Leserzuschrift an die Redaktion von Münchner Merkur (zum Artikel vom 06.08.08 - Gesundheit wird im Alter teuer - über 65-Jährige verursachen 47 Prozent der Krankheitskosten - Herz-Kreislauf Problem Nr. 1):

Sehr geehrter Herr Dr. Vordemann,
vielleicht interessiert Sie oder in Ihrer Redaktion ein dafür Zuständiger dieser Link über eine kurze Studie betreffend medikamentöser Ruhigstellung alter Menschen in großem Stil, der sehr gut auf o.g. Merkur-Artikel paßt.
http://www.allianz-graue-panther.de/000 ... 900e01.php
Ich möchte mich auch bei Ihnen für die in der Vergangenheit veröffentlichten Leserbriefe von mir bedanken.
Mit freundlichen Grüßen
Roswitha Hiefinger
Mitglied im Forum Pflege aktuell

Hier mein Leserbrief zum o.g. Artikel

2006 entfielen lt. Ihrem Artikel pro Kopf auf jeden älteren Menschen zwischen 65 bis 84 Jahre Krankheitskosten in Höhe von 6.090 €. Bei den über 85-Jährigen waren es sogar 14.370 €. Hier spreche ich der Statistik die Glaubwürdigkeit ab, denn die Verantwortlichen der Gesundheitspolitik betreiben nur Flickschusterei statt dem wirklichen Medikamentenmißbrauch entgegen zu wirken. Geht man abends Bewohner in Pflegeheimen besuchen, sind viele gar nicht mehr ansprechbar, weil sie bis unter die Haarwurzel mit Medikamenten zur Ruhigstellung vollgestopft werden, damit in der Nacht Pflegepersonal eingespart werden kann – sprich für 120 Bewohner zwei Nachtwachen und diese vielleicht noch verteilt auf drei Stockwerke. Hier könnten Milliarden eingespart werden und die Menschenwürde wäre geachtet. Warum werden an Pflegeheimbetreiber keine Regreßansprüche bezüglich der „pflegeerleichternde Maßnahmen“ durch Ruhigstellung der Bewohner gestellt? Bei Personen bis 15 Jahren sollen Pro-Kopf-Kosten bei 1.260 € liegen und bei 15-bis 29 Jährigen „nur“ bei 1.190 €. Hier frage ich mich, ob das Koma-Saufen und das Fahren Jugendlicher unter Alkohol in diesen Zahlen enthalten ist. Wenn ja, warum übernehmen Krankenkassen diese Kosten und nehmen keinen Regreß ?

Man muß sich wiederum nur noch wundern, wie man versucht Alt und Jung gegeneinander auszuspielen.

Roswitha Hiefinger
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Rauel Kombüchen
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Rechtsverletzungen - wenig Nachfragen und Kontrollen

Beitrag von Rauel Kombüchen » 11.08.2008, 08:06

Guten Morgen allerseits,

die Verwendung von Psychopharmaka (zur Ruhigstellung) ist offensichtlich (neben anderen freiheitsbeschränkenden Maßnahmen) weit verbreitet. Medizinische Indikationen müssen in vielen Fällen hinterfragt werden dürfen. Gibt es solche Indikationen nicht, sind wohl Rechtsverletzungen anzunehmen. Solche Rechtsverletzungen gibt es aber offensichtlich viele, ohne das "ein Hahn danach kräht". Die Nachfragen und Kontrollen sind nur mäßig ausgeprägt.

Siehe in diesem Forum z.B. unter (Auswahl):
Situation pflegebedürftiger Menschen
viewtopic.php?t=8921&highlight=psychopharmaka
Ärztliche Versorgung in Heimen oft mangelhaft!!
viewtopic.php?t=3387&highlight=psychopharmaka
Freiheitsrechte und Patientenselbstbestimmung!
viewtopic.php?t=5281&highlight=psychopharmaka
Jeder vierte Bewohner in Heimen hat ein Arzneimittel-Problem
viewtopic.php?t=6055&highlight=psychopharmaka
Alzheimer: Psychopharmaka helfen nicht
viewtopic.php?t=5677&highlight=psychopharmaka
Unerwünschte Wirkungen von Psychopharmaka
viewtopic.php?t=3577&highlight=psychopharmaka
Psychopharmaka im Altenheim
viewtopic.php?t=3595&highlight=psychopharmaka
"Wegweiser Psychopharmaka" - Buch im ZENIT Verlag
viewtopic.php?t=3333&highlight=psychopharmaka
Psychopharmaka im Altenpflegeheim
viewtopic.php?t=3261&highlight=psychopharmaka
Freiheitsbeschränkende Maßnahmen – wer genehmigt?
viewtopic.php?t=3346&highlight=freiheitsentziehung

MFG
Rauel
Pflegeversicherung - Pflegebegriff erneuern und Finanzierung nachhaltig sichern! BürgerInnen müssen mehr Informationen erhalten - z.B. wg. Individualvorsorge!

Kevin Bednarz
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Ruhigstellung von Patienten - Weniger ist oft mehr!

Beitrag von Kevin Bednarz » 13.08.2008, 07:43

Die Ruhigstellung von pflegebedürftigen Menschen ist ein Übelstand, der immer wieder angesprochen gehört. Ich denke, dass die Verwendung von Psychopharmaka nicht nur in den Heimen weit verbreitet ist, sondern auch in der Häuslichen Versorgung, mit oder ohne Pflegedienst.
M.E. muss stärker die menschliche Zuwendung eingefordert und ermöglichst werden, dann sind Medikamente ohnehin eher entbehrlich.

Kevin
Ich bin dabei:
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de

Rob Hüser
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Registriert: 13.11.2005, 16:47

Rechtsverletzungen - wenig Nachfragen und Kontrollen

Beitrag von Rob Hüser » 14.08.2008, 06:00

Rauel Kombüchen hat geschrieben: .... die Verwendung von Psychopharmaka (zur Ruhigstellung) ist offensichtlich (neben anderen freiheitsbeschränkenden Maßnahmen) weit verbreitet. ...
Hi,

insoweit sind alle, die mit solchen Maßnahmen zu tun haben, gefordert. Besonders sehe ich die Ärzte in der Pflicht. Denn diese ordnen doch solche Maßnahmen erst an. Es macht daher keinen Sinn, die Pflegekräfte verantwortlich zu machen. Sie haben allenfalls Anregungskompetenzen.
Wo bleiben also die Ärzte und die Richter, die solche Maßnahmen meist genehmigen müssen? Wo sind die Rechtsvertreter, Bevollmächtigte und rechtliche Betreuer?

MfG
Rob
Das Pflegesystem muss dringend zukunftsfest reformiert werden!

WernerSchell
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Psychopharmakagebrauch - Rechtsfragen

Beitrag von WernerSchell » 23.08.2008, 07:32

Es gab am 22.8.2008 eine Rückfrage zum Psychopharmakagebrauch. Dazu wurden u.a. folgende Hinweise gegeben:

Da für Diagnostik und Therapie der Arzt zuständig ist, obliegen ihm zunächst alle diesbezüglichen Grundentscheidungen. Diese sind nicht delegierbar.
Im Zusammenhang mit einer Medikationsentscheidung ist von rechtlicher Relevanz, dass der Patient bzw. sein Rechtsvertreter aufgeklärt sein muss bzw. einwilligen muss. Die Abgabe von Medikamenten kann unter diesen Umständen an nichtärztliches Personal übertragen werden. Dabei darf das nichtärztliche Personal grundsätzlich unterstellen, dass der Arzt seinen medizinischen und rechtlichen Verpflichtungen nachgekommen ist.
Ergeben sich allerdings aus den Umständen Hinweise, die darauf hindeuten, dass es an Aufklärung oder Einwilligung mangelt, muss das nichtärztliche Personal remonstrieren, nachfragen. Bleiben rechtliche Zweifel kann / muss das Personal ggf. eine Mitwirkung verweigern.

Siehe dazu u.a. auch in meinem Forum unter
viewtopic.php?t=8443&highlight=einwilligung
viewtopic.php?t=4218&highlight=einwilligung
viewtopic.php?t=992&highlight=einwilligung
viewtopic.php?t=5281&highlight=einwilligung
viewtopic.php?t=7670&highlight=einwilligung
viewtopic.php?t=5281&highlight=einwilligung
viewtopic.php?t=6695&highlight=einwilligung
viewtopic.php?t=6407&highlight=einwilligung
viewtopic.php?t=4602&highlight=medikation
viewtopic.php?t=8884&highlight=medikation
viewtopic.php?t=8384&highlight=medikation
viewtopic.php?t=165&highlight=medikation
viewtopic.php?t=7752&highlight=medikation
viewtopic.php?t=7601&highlight=medikation
viewtopic.php?t=4480&highlight=medikation
viewtopic.php?t=7220&highlight=medikation
viewtopic.php?t=6968&highlight=medikation
viewtopic.php?t=6798&highlight=medikation
viewtopic.php?t=6738&highlight=medikation
viewtopic.php?t=6091&highlight=medikation
viewtopic.php?t=572&highlight=medikation
viewtopic.php?t=4974&highlight=medikation
viewtopic.php?t=4416&highlight=medikation
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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Ina Böhmer
Jr. Member
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Registriert: 17.11.2005, 08:31

Ruhigstellung von Patienten - Weniger ist oft mehr!

Beitrag von Ina Böhmer » 02.10.2008, 18:20

R. Hiefinger hat geschrieben: .... Eine Doppel-Studie in einem Frankfurter und einem Mainzer Altenheim hat nun ergeben, dass sich der Zustand der Bewohner in dem Heim verbessert hat, in dem weniger potenziell schädliche Psychopharmaka verabreicht wurden.
Dabei hat die Studie auch ergeben, dass nicht nur zu häufig Medikamente verschrieben werden, sondern auch die falschen. Bei Antidepressiva oder Demenz sind es eher zu wenig.
Oft werden die Heimbewohner noch von ihren Hausärzten betreut, die zumeist keine Fachleute für Psychopharmaka sind und viel zu selten im Heim vorbeischauen. Das Ergebnis: Allein das ohnehin stark geforderte, oft überforderte Pflegepersonal des Heimes ist für die Überwachung der Medikamentenwirkung zuständig.
Pantels Schlussfolgerung ist daher, dass jedes Heim einen Vertrag mit einem „Heimarzt“ abschließen sollte....
Die hier vorgestellten Erkenntnisse sind nicht neu. Zuwendung durch Personal ersetzt so manches schädliches Medikament. Unabhängig davon muss die ärztliche Versorgung verbessert werden. Insbesondere die fachärztliche Versorg ist arg notleidend. Dazu kann man in diesem Forum vieles lesen:
Ärztliche Versorgung in Heimen oft mangelhaft!!
viewtopic.php?t=3387&highlight=mangelhaft
Wir kennen als die Problembereiche und könnten handeln. Tun wir`s doch!

Ina
Der Pflegeberuf verdient mehr Anerkennung!

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