Das Büro von Hermann Gröhe, BMG, hat auf die hiesige Anfrage zum mutmaßlichen Betrug durch ambulante Pflegedienste folgenden Hinweis gegeben:
Der Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat zu den Betrugsfällen in der Pflege Stellung genommen.
Damit wurde auf die Fragen von "Die Welt" vom 20.04.2016 geantwortet.
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Antworten auf die Fragen von "Die Welt" vom 20. April 2016
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe zu den Betrugsfällen in der Pflege.
Die Welt: Herr Gröhe, war Ihnen die Dimension des Betrugs in der ambulanten Pflege bekannt?
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe: Dass das Bundeskriminalamt (BKA) davon ausgeht, dass diese Straftaten offenbar systematisch begangen werden, hat dem Thema eine neue Dringlichkeit verliehen. Parallel zur Strafverfolgung muss jetzt mit den Krankenkassen schnell geklärt werden, wie der Schutz der Pflegebedürftigen verbessert werden kann.
Den BKA-Bericht gibt es bereits seit Oktober. Sie kündigen erst jetzt, nach der durch unsere Berichte abgestoßenen Debatte, ein entschiedeneres Vorgehen gegen betrügerische Pflegedienste an. Warum nicht früher?
Wir haben bereits gehandelt und auch auf frühere Fälle von Pflegebetrug reagiert. Zum 1. Januar dieses Jahres haben wir die Kontrollrechte des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung für den Bereich der Altenpflege deutlich verschärft. Wir haben den Datenaustausch zwischen den Beteiligten, also zum Beispiel Krankenkassen und Sozialhilfeträgern, deutlich verbessert. Und wir haben durch das neue Korruptionsbekämpfungsgesetz die Kontrollfunktionen der Kassen gestärkt.
Offenbar konnte sich aber ein neues Kriminalitätsfeld bilden: Vor allem russischstämmige Banden, die mit Schwerstpflegebedürftigen die Kassen betrügen – indem sie billige Hilfskräfte anstatt qualifizierter Pfleger einsetzen. Die Kontrolleure dürfen hier oft nicht nachschauen, weil es um Geld aus der Krankenversicherung geht und das Gesetz dafür keine Kontrollen vorsieht.
Wenn durch kriminelles Handeln schwerstpflegebedürftigen Menschen die Pflege, die sie benötigen, entzogen wird, ist das empörend. Seien es nun 100 Millionen oder eine Milliarde Euro, die dem Solidarsystem entzogen werden – jeder Betrugsfall ist einer zu viel und muss verfolgt werden. Gleichzeitig müssen Schutzlücken geschlossen werden. Dafür haben wir gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen. Nun werden wir mit den Ländern, den Kassen, den Pflege- und Ärzteverbänden über das Tempo der Umsetzung reden. Darüber hinaus werden wir prüfen, ob es weiteren Handlungsbedarf gibt.
Heißt das, die Kontrolleure der gesetzlichen Kassen dürfen in Zukunft auch bei der ambulanten Pflege prüfen, ob das Geld an der richtigen Stelle ankommt? Bisher scheinen betrügerische Pflegedienste die Gesetzeslücke auszunutzen.
Wenn es einen begründeten Verdacht gibt, kann auch heute schon unangemeldet bei ambulanten Pflegediensten kontrolliert werden. Wir werden zügig prüfen, ob wir auch bei der häuslichen Krankenpflege – da, wo sie nicht parallel zur Altenpflege erbracht wird und damit den bestehenden Regelungen unterliegt – solche Kontrollen einführen. Natürlich müssen wir bei solchen Überlegungen immer das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung im Blick behalten.
Wollen Sie dann auch mehr Geld in die Kontrolle stecken, also mehr Prüfer bei den Medizinischen Diensten der Krankenversicherung einsetzen lassen? Sie hätten ja deutlich mehr zu tun, wenn sie demnächst auch die Krankenkassenleistungen für Pflegebedürftige kontrollieren würden.
Der Medizinische Dienst muss durch die Kranken- und Pflegekassen so ausgestattet werden, dass er seinen gesetzlichen Aufgaben nachkommen kann. Stellt der Medizinische Dienst fest, dass es mehr Personalbedarf gibt, wird das über eine Umlage von den Kranken- und Pflegekassen finanziert. Ich fordere aber auch die Angehörigen der Pflegebedürftigen auf, auf ihre Pflegekasse zuzugehen, wenn sie einen Verdacht haben – zum Beispiel, wenn eine angeblich ausgebildete Fachkraft am Bett sitzt, mit der sie sich aber kaum verständigen können. Solche anlassbezogenen Kontrollen sind den Kassen heute schon möglich. Ganz wichtig ist mir dabei, dass es keinen Grund gibt, Pflegedienste allgemein unter Generalverdacht zu stellen.
Bei den Ermittlungsstellen der Polizei scheint die Frustration darüber zu wachsen, dass sie in vielen dieser Fälle Beweise zusammentragen, die Staatsanwaltschaften dann aber die Ermittlungen ohne Ergebnis einstellen – und damit die abschreckende Wirkung fehlt. Funktioniert aus Ihrer Sicht die Strafverfolgung bei solchen Betrugsfällen?
Der BKA-Bericht wird sicher nicht ohne Einfluss auf die Ermittlungen vor Ort bleiben. Und ich erwarte natürlich, dass alle Beteiligten bei solchen Ermittlungen klarmachen: Betrug ist kein Kavaliersdelikt.
Schließen Sie sich der Forderung nach mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Korruption im Gesundheitswesen an, die zum Beispiel die Deutsche Stiftung Patientenschutz stellt?
Wichtig ist eine wirkungsvolle Strafverfolgung. Ob das in normalen Staatsanwaltschaften erfolgt oder in Schwerpunktstaatsanwaltschaften muss in den Bundesländern entscheiden werden.
Die aktuelle Debatte wirft auch ein Schlaglicht auf das Problem, dass es nach wie vor zu wenige Pflegekräfte gibt. Die Betreiber betrügerischer Pflegedienste berufen sich darauf und sagen: Wir konnten nur billige Hilfskräfte einsetzen, weil wir keine ausgebildeten Krankenpfleger bekommen haben.
Wir brauchen eine Attraktivitätssteigerung der Pflegeberufe, keine Frage. Wir haben deshalb einiges getan, zum Beispiel den Tariflohn abgesichert und wir sind dabei die Ausbildung zu modernisieren. Erfreulich ist, dass wir einen Ausbildungsrekord in der Altenpflege haben. Davon abgesehen: Es gibt keine Rechtfertigung für Pflegebetrug. Pflegebedürftigen notwendige Leistungen vorzuenthalten ist verantwortungslos. Wenn ein Pflegedienst einer Familie in Not nicht helfen kann, weil ihm das Personal fehlt, muss er das ehrlich sagen. Und in Fällen, in denen Angehörige mit Kriminellen gemeinsame Sache machen, um die Sozialversicherungssysteme zu betrügen kann das Argument, es seien nicht genug ausgebildete Pflegekräfte auf dem Markt, keine Rolle spielen.
Seit Sie als Bundesgesundheitsminister angetreten sind, haben Sie zweistellige Milliardensummen in den Gesundheitssektor gepumpt. Offenbar versickert das Geld aber teilweise, weil es durch Betrügereien wieder aus dem System gezogen wird. Haben Sie in die richtigen Stellen investiert?
Die größte Leistungsausweitung im Bereich der Pflege ist, dass Demenzkranke ab Anfang 2017 endlich gleichberechtigten Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung erhalten. Es gibt mehr Geld für Familien, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen, und mehr Unterstützung für die Pflegeheime. Natürlich gibt es in einem solchen System – die gesetzliche Krankenversicherung hat ein jährliches Volumen von 200 Milliarden Euro, die Pflegeversicherung von 27 Milliarden – auch Kriminalität, und die muss entschlossen bekämpft werden. Aber das kann und darf nicht zu Lasten der Unterstützung gehen, die Pflegebedürftige, ihre Familien und unsere Pflegekräfte dringend benötigen.
Quelle:
http://www.bmg.bund.de/presse/interview ... 00416.html