Religionsgemeinschaften - Sonderstatus
Verfasst: 17.01.2011, 17:20
Nun – als erster Hinweis mag der nachfolgenden Passus dienen:
Zu den Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften in diesem Sinne gehört insbesondere (vgl. Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV) das Recht, Amt und Status ihrer Geistlichen abschließend festzulegen (vgl. BVerfGE 42, 312 <334 ff.>; 70, 138 <164 ff.>). Allerdings kann es auch in diesem Bereich vorkommen, daß Regelungen mit ihren Auswirkungen in den Bereich des Öffentlichen hinübergreifen, innerhalb dessen der Staat ordnen kann (vgl. BVerfGE 42, 312 <334 f.>). Damit ist jedoch nicht gesagt, daß die staatlichen Regelungen in jedem Fall dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften vorgehen müsse. Die inkorporierten Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung bilden mit dem Grundgesetz ein organisches Ganzes (vgl. BVerfGE 53, 366 <400>; 70, 138 <167>). Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV gewährleistet mit Rücksicht auf das Erfordernis des Zusammenlebens von Kirche und Staat sowohl das selbständige Ordnen und Verwalten der eigenen Angelegenheiten durch die Kirchen als auch den staatlichen Schutz anderer für das Gemeinwesen bedeutsamer Rechtsgüter (vgl. BVerfGE 53, 366 <401 f.>; 70, 138 <167>; 72, 278 <289>; stRspr). Selbstverwaltungsrecht und allgemeine Gesetze sowie ihre Durchsetzung durch die staatlichen Gerichte stehen damit in einem Wechselverhältnis, dem durch entsprechende Güterabwägung Rechnung zu tragen ist. Dabei ist dem Selbstverständnis der Kirchen besonderes Gewicht beizumessen (vgl. BVerfGE, a. a. O.).
Quelle: BVerfG v. 18.09.98 >>> http://www.bundesverfassungsgericht.de/ ... iff=Kirche
Ich werde aber nochmals gesondert auf das Problem zurückkommen; vielleicht erschließt sich mein Anliegen mittelbar auch aus dem Eintrag bei Wikipedia zum Kirchlichen Selbstbestimmungsrecht.
>>> http://de.wikipedia.org/wiki/Kirchliche ... mungsrecht
Es scheint mir jedenfalls überlegenswert zu sein, ob mit Blick auf die zentralen Fragen am Anfang oder Ende des Lebens dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht nicht eine Bedeutung beizumessen ist, die eben auch mit Blick auf die Patientenautonomie einschlägig ist, zumal unter der Annahme, dass die Heiligkeit des Lebens und damit die Unverfügbarkeit des Lebens ein Zentraldogma darstellt, über das eigentlich nicht verhandelt werden kann (insofern mag schon zweifelhaft sein, ob die Einstellung etwa der katholischen Kirche zur passiven Sterbehilfe resp. indirekten Sterbehilfe konsequent ist). Ggf. ließe sich hier eine Güterabwägung dahingehend denken, dass dann bei der nachträglichen, ggf. auf der Grundlage eines angenommenen (mutmaßlichen) Willens des Patienten, eine Verlegung des Patienten in Betracht zu ziehen ist, während demgegenüber bereits bei der Eingangsanamnese die Frage geboten erscheint, ob der Patient eine Patientenverfügung hat.
In diesem Zusammenhang stehend würde ich es vielleicht mit der Krankenhausbehandlung der Zeugen Jehovas vergleichen wollen, wo es auch spezielle Krankenhäuser gibt, die keine Berührungsängste mit der Glaubenseinstellung der Zeugen Jehovas haben und insofern deren Grundsätze jedenfalls mit Blick auf die aus dem Glauben heraus gebotenen Behandlungsmodalitäten akzeptieren.
Freilich kann dies auch darin münden, dass dann ein Teil der kirchlichen Einrichtungen gehalten wären, bestimmte Bewohner nicht aufzunehmen; im Übrigen auch dieser Fall ist nicht ganz unbekannt, wie uns der Rückzug der Kath. Kirche aus der Beratung zum Schwangerschaftsabbruch lehrt.
Derzeit lasse ich mich von einer Arbeitshypothese leiten, die selbstverständlich einer plausiblen und wissenschaftlich tragbaren Argumentation bedarf; erste Überlegungen zum Problem der Gewissensentscheidung der beruflich Pflegenden und Ärzte – ggf. auch in Form von Zentraldogmen der Kath. Kirche, die „zwingend“ zu bewahren sind, lassen es zumindest erwägenswert erscheinen, hierüber intensiver nachzudenken; dies nicht zuletzt auch deswegen, weil das BVerfG immer mal wieder Entscheidungen auch des BAG „kassiert“ hat, bei der die Reichweite des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen nicht erkannt wurde. Denken wir nur an den Fall eines Arztes, der in einer Zeitung namentlich unter einem Aufruf für § 218 StGB erwähnt wurde. Er wurde gekündigt und auch wenn die staatliche Arbeitsgerichtsbarkeit die Kündigung für rechtsunwirksam verworfen hat, sah dies das BVerfG anders. Hier geht es zwar um den Grundrechtsschutz innerhalb eines kirchlichen Arbeitsverhältnisses, wenngleich die Kerngedanken auch im Rechtsverhältnis zu Dritten fruchtbar gemacht werden können.
Sie sehen, verehrte Frau Modig: ich bin noch nicht mit meinen Überlegungen am Ende, sondern vielmehr erst am Anfang, so dass ich mich einstweilen eher verhalten positioniere und somit „nur“ zum Nachdenken anregen möchte, zumal ein Gewissenskonflikt wohl nicht geleugnet werden kann.
In diesem Sinne wird also auch § 1901a Abs. 4 BGB zur Prüfung gestellt werden (müssen?):
(4) Niemand kann zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet werden. Die Errichtung
oder Vorlage einer Patientenverfügung darf nicht zur Bedingung eines Vertragsschlusses
gemacht werden.
Auf den oben geschilderte Fall im Thread bezogen ist somit die Rechtslage wohl eindeutig; zu fragen ist aber speziell unter staatskirchenrechtlicher Perspektive, ob hieraus zugleich auch folgt, dass dann im Zweifel die kirchlichen Einrichtungen alle möglichen Formen der Sterbehilfe mit zu tragen haben? Dies könnte zum Beispiel dann virulent werden, wenn im Zuge der Liberalisierung des ärztlichen Berufsrechts in kirchlichen Einrichtungen beim Suizd assistiert wird.
Offene Fragen, die dann sicherlich nach einer Lösung verlangen.
Die bewusst und freie willentliche Entscheidung des Patienten zur „Selbstentleibung“ würde m.E. gleichsam den nervus rerum zumindest der Kath. Kirche treffen und da bin ich mir eben nicht sicher, ob hieraus folgend das BVerfG ggf. einen Weg beschreiten wird, der gleichsam zu einem schonenden Ausgleich der widerstreitenden (Grund)Rechte führt.
Im Übrigen gebe ich auch zu bedenken, dass mit dem Selbstbestimmungsrecht durchaus eine hohe Last der Eigenverantwortung verbunden ist; sofern uns dies bewusst ist, könnte daraus vielleicht auch abgeleitet werden, dass wir im Zweifel gegenüber solchen Einrichtungen Toleranz üben sollten, für die unsere Entscheidung gleichsam zu unerträglich empfundenen Gewissenskonflikten führt?
Ich persönlich fühle mich durchweg einem liberalen Verfassungsverständnis verpflichtet, aber hier hat sich für mich gerade mit meiner liberalen Werthaltung ein Problem aufgetan, dass ich nicht so einfach ignorieren möchte, denn prinzipiell gilt: das Selbstbestimmungsrecht führt nicht zur Fremdbestimmung, so dass es Lösungen geben muss, die genau diesem Prinzip in einem vertretbaren – will heißen: dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechenden – Maße Rechnung tragen können.
Derzeit kann ich aber den Gedanken nicht weiter wissenschaftlich vertiefen, da ich mit Hochdruck an einer Publikation sitze, die hoffentlich noch vor dem nächsten Deutschen Ärztetag erscheinen kann. Insofern darf ich um Geduld bitten, wenngleich das von mir aufgeworfene „Problem“ auch sehr interessant ist.
Gruß Lutz Barth
Zu den Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften in diesem Sinne gehört insbesondere (vgl. Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV) das Recht, Amt und Status ihrer Geistlichen abschließend festzulegen (vgl. BVerfGE 42, 312 <334 ff.>; 70, 138 <164 ff.>). Allerdings kann es auch in diesem Bereich vorkommen, daß Regelungen mit ihren Auswirkungen in den Bereich des Öffentlichen hinübergreifen, innerhalb dessen der Staat ordnen kann (vgl. BVerfGE 42, 312 <334 f.>). Damit ist jedoch nicht gesagt, daß die staatlichen Regelungen in jedem Fall dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften vorgehen müsse. Die inkorporierten Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung bilden mit dem Grundgesetz ein organisches Ganzes (vgl. BVerfGE 53, 366 <400>; 70, 138 <167>). Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV gewährleistet mit Rücksicht auf das Erfordernis des Zusammenlebens von Kirche und Staat sowohl das selbständige Ordnen und Verwalten der eigenen Angelegenheiten durch die Kirchen als auch den staatlichen Schutz anderer für das Gemeinwesen bedeutsamer Rechtsgüter (vgl. BVerfGE 53, 366 <401 f.>; 70, 138 <167>; 72, 278 <289>; stRspr). Selbstverwaltungsrecht und allgemeine Gesetze sowie ihre Durchsetzung durch die staatlichen Gerichte stehen damit in einem Wechselverhältnis, dem durch entsprechende Güterabwägung Rechnung zu tragen ist. Dabei ist dem Selbstverständnis der Kirchen besonderes Gewicht beizumessen (vgl. BVerfGE, a. a. O.).
Quelle: BVerfG v. 18.09.98 >>> http://www.bundesverfassungsgericht.de/ ... iff=Kirche
Ich werde aber nochmals gesondert auf das Problem zurückkommen; vielleicht erschließt sich mein Anliegen mittelbar auch aus dem Eintrag bei Wikipedia zum Kirchlichen Selbstbestimmungsrecht.
>>> http://de.wikipedia.org/wiki/Kirchliche ... mungsrecht
Es scheint mir jedenfalls überlegenswert zu sein, ob mit Blick auf die zentralen Fragen am Anfang oder Ende des Lebens dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht nicht eine Bedeutung beizumessen ist, die eben auch mit Blick auf die Patientenautonomie einschlägig ist, zumal unter der Annahme, dass die Heiligkeit des Lebens und damit die Unverfügbarkeit des Lebens ein Zentraldogma darstellt, über das eigentlich nicht verhandelt werden kann (insofern mag schon zweifelhaft sein, ob die Einstellung etwa der katholischen Kirche zur passiven Sterbehilfe resp. indirekten Sterbehilfe konsequent ist). Ggf. ließe sich hier eine Güterabwägung dahingehend denken, dass dann bei der nachträglichen, ggf. auf der Grundlage eines angenommenen (mutmaßlichen) Willens des Patienten, eine Verlegung des Patienten in Betracht zu ziehen ist, während demgegenüber bereits bei der Eingangsanamnese die Frage geboten erscheint, ob der Patient eine Patientenverfügung hat.
In diesem Zusammenhang stehend würde ich es vielleicht mit der Krankenhausbehandlung der Zeugen Jehovas vergleichen wollen, wo es auch spezielle Krankenhäuser gibt, die keine Berührungsängste mit der Glaubenseinstellung der Zeugen Jehovas haben und insofern deren Grundsätze jedenfalls mit Blick auf die aus dem Glauben heraus gebotenen Behandlungsmodalitäten akzeptieren.
Freilich kann dies auch darin münden, dass dann ein Teil der kirchlichen Einrichtungen gehalten wären, bestimmte Bewohner nicht aufzunehmen; im Übrigen auch dieser Fall ist nicht ganz unbekannt, wie uns der Rückzug der Kath. Kirche aus der Beratung zum Schwangerschaftsabbruch lehrt.
Derzeit lasse ich mich von einer Arbeitshypothese leiten, die selbstverständlich einer plausiblen und wissenschaftlich tragbaren Argumentation bedarf; erste Überlegungen zum Problem der Gewissensentscheidung der beruflich Pflegenden und Ärzte – ggf. auch in Form von Zentraldogmen der Kath. Kirche, die „zwingend“ zu bewahren sind, lassen es zumindest erwägenswert erscheinen, hierüber intensiver nachzudenken; dies nicht zuletzt auch deswegen, weil das BVerfG immer mal wieder Entscheidungen auch des BAG „kassiert“ hat, bei der die Reichweite des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen nicht erkannt wurde. Denken wir nur an den Fall eines Arztes, der in einer Zeitung namentlich unter einem Aufruf für § 218 StGB erwähnt wurde. Er wurde gekündigt und auch wenn die staatliche Arbeitsgerichtsbarkeit die Kündigung für rechtsunwirksam verworfen hat, sah dies das BVerfG anders. Hier geht es zwar um den Grundrechtsschutz innerhalb eines kirchlichen Arbeitsverhältnisses, wenngleich die Kerngedanken auch im Rechtsverhältnis zu Dritten fruchtbar gemacht werden können.
Sie sehen, verehrte Frau Modig: ich bin noch nicht mit meinen Überlegungen am Ende, sondern vielmehr erst am Anfang, so dass ich mich einstweilen eher verhalten positioniere und somit „nur“ zum Nachdenken anregen möchte, zumal ein Gewissenskonflikt wohl nicht geleugnet werden kann.
In diesem Sinne wird also auch § 1901a Abs. 4 BGB zur Prüfung gestellt werden (müssen?):
(4) Niemand kann zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet werden. Die Errichtung
oder Vorlage einer Patientenverfügung darf nicht zur Bedingung eines Vertragsschlusses
gemacht werden.
Auf den oben geschilderte Fall im Thread bezogen ist somit die Rechtslage wohl eindeutig; zu fragen ist aber speziell unter staatskirchenrechtlicher Perspektive, ob hieraus zugleich auch folgt, dass dann im Zweifel die kirchlichen Einrichtungen alle möglichen Formen der Sterbehilfe mit zu tragen haben? Dies könnte zum Beispiel dann virulent werden, wenn im Zuge der Liberalisierung des ärztlichen Berufsrechts in kirchlichen Einrichtungen beim Suizd assistiert wird.
Offene Fragen, die dann sicherlich nach einer Lösung verlangen.
Die bewusst und freie willentliche Entscheidung des Patienten zur „Selbstentleibung“ würde m.E. gleichsam den nervus rerum zumindest der Kath. Kirche treffen und da bin ich mir eben nicht sicher, ob hieraus folgend das BVerfG ggf. einen Weg beschreiten wird, der gleichsam zu einem schonenden Ausgleich der widerstreitenden (Grund)Rechte führt.
Im Übrigen gebe ich auch zu bedenken, dass mit dem Selbstbestimmungsrecht durchaus eine hohe Last der Eigenverantwortung verbunden ist; sofern uns dies bewusst ist, könnte daraus vielleicht auch abgeleitet werden, dass wir im Zweifel gegenüber solchen Einrichtungen Toleranz üben sollten, für die unsere Entscheidung gleichsam zu unerträglich empfundenen Gewissenskonflikten führt?
Ich persönlich fühle mich durchweg einem liberalen Verfassungsverständnis verpflichtet, aber hier hat sich für mich gerade mit meiner liberalen Werthaltung ein Problem aufgetan, dass ich nicht so einfach ignorieren möchte, denn prinzipiell gilt: das Selbstbestimmungsrecht führt nicht zur Fremdbestimmung, so dass es Lösungen geben muss, die genau diesem Prinzip in einem vertretbaren – will heißen: dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechenden – Maße Rechnung tragen können.
Derzeit kann ich aber den Gedanken nicht weiter wissenschaftlich vertiefen, da ich mit Hochdruck an einer Publikation sitze, die hoffentlich noch vor dem nächsten Deutschen Ärztetag erscheinen kann. Insofern darf ich um Geduld bitten, wenngleich das von mir aufgeworfene „Problem“ auch sehr interessant ist.
Gruß Lutz Barth