Amputationen sind oft vermeidbar - richtige Therapie bitte!

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

Moderator: WernerSchell

WernerSchell
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Amputationen sind oft vermeidbar - richtige Therapie bitte!

Beitrag von WernerSchell » 17.01.2004, 22:32

Patient verweigert notwendige Beinamputation - Patiententod unvermeidlich

In einer Betreuungsangelegenheit wurde in einer Mailingsliste ein interessanter Fragetext eingestellt, den wir aus Datenschutzgründen ohne nähere Namensangaben nach hier übernehmen:

Mein Betreuter liegt im Krankenhaus, hat Durchblutungsstörungen in den Beinen. Ein Bein ist besonders betroffen und soll amputiert werden. In dieser Angelegenheit war ich bereits vor einem halben Jahr als Ersatzbetreuer tätig, weil die ehrenamtliche Betreuerin nicht erreichbar war, damals wurde der Betreute aus dem Krankenhaus entlassen, weil er der Amputation nicht zustimmte.
Nach Auskunft der ehemaligen Betreuerin, war mein Betreuter nochmals im Oktober 2003 in der gleichen Angelegenheit im Krankenhaus, Sie hatte bereits alles beim Amtsgericht eingereicht, doch mein Betreuter wurde damals wiederum entlassen, weil er der OP nicht zustimmte.
Mittlerweile ist die Krankheit soweit fortgeschritten, dass eine Amputation unvermeidbar ist. Beim gestrigen Arztgespräch wurde mir mitgeteilt, dass mein Betreuter der OP nicht zustimmt und eine Amputation nicht erfolgen kann. Ich und auch der Arzt haben meinen Betreuten darauf hingewiesen, dass er, wenn nicht amputiert wird, bald sterben wird.
Der Arzt sagte mir auch, wenn der Betroffenen nicht zustimmt, wird kein Richter der OP zustimmen. Ich bin hier anderer Meinung. Vielleicht kann mir die Liste weitere Informationen vermitteln.
Zuletzt geändert von WernerSchell am 10.01.2006, 12:43, insgesamt 2-mal geändert.
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WernerSchell
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Beinamputation verweigert - Tod unvermeidlich

Beitrag von WernerSchell » 17.01.2004, 22:42

Mein Statement (als Rückmeldung an den anfragenden Betreuer):

Wenn der Patient in seiner Einwilligungsfähigkeit nicht eingeschränkt ist, d.h. die notwendige Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zur Wahrnehmung seines Grundrechtes auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 GG) besitzt, entscheidet er allein und verbindlich. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten lässt auch Entscheidungen zu, die objektiv betrachtet schädlich bzw. todbringend sind. Nicht das Patientenwohl, sondern der Patientenwille ist maßgeblich.
Es besteht allerdings die ärztliche Pflicht, den Patienten umfassend über die für notwendig befundenen medizinischen Maßnahmen und die Folgen der Ablehnung aufzuklären. Es erscheint ratsam, eine solche Aufklärung in aller Ausführlichkeit zu dokumentieren.
Wenn Sie sich selbst als Betreuer (weiter) absichern wollen, wäre es natürlich nicht unvernünftig, wenn Sie den Fall dem zuständigen Vormundschaftsgericht vortragen und sich die hier in Kürze beschriebene Rechtslage bestätigen lassen.

Werner Schell
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Robert_Boese
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„Reife des Patienten“ sorgsam prüfen !

Beitrag von Robert_Boese » 18.01.2004, 11:02

Lieber Herr Schell,
Ihrer Stellungnahme kann ich uneingeschränkt zustimmen; sie ist kurz und präzise (lehrbuchmäßig). Es ist eben so, dass das Patientenrecht dem Kranken nicht nur die Möglichkeit verschafft, mit Hilfe der ärztlichen Kunst gesund zu werden. Es lässt ausdrücklich auch zu, solche Entscheidungen zu treffen, die schädlich sind oder sogar kurzfristig lebensbeendend wirken. Das ist Verfassungslage!
Ich möchte aber noch anregen, dass im konkreten Fall die „Reife des Patienten“ vom behandelnden Arzt schriftlich näher ausgeführt wird. Denn das ist ja der Knackpunkt. Der Arzt muss mit seinem medizinischen Wissensstand verantwortlich darüber befinden, dass der Patient tatsächlich und zweifelsfrei die notwendige Einsichts- und Steuerungsfähigkeit besitzt. Kann er diese Einschätzung nicht bedenkenlos abgeben, müsste ein anderer Arzt zugezogen werden. Vielleicht sollte das Vormundschaftsgericht insoweit beteiligt werden, damit mit Hilfe eines geeigneten Sachverständigen die notwendige Abklärung erfolgt. Allerdings erscheint mir sehr große Eile geboten. Damit es keine Vorwürfe wegen zögerlicher Vorgehensweise gibt, muss umgehend alles Notwendige in die Wege geleitet werden.
Vielleicht können Sie meine Darstellung in die von Ihnen erwähnte Liste geben (und damit dem Fragesteller übermitteln)?
Mit den besten Grüßen
Robert Boese

Gast

Beinamputation verweigert - Tod unvermeidlich

Beitrag von Gast » 18.01.2004, 11:26

Hallo,
der Betreuer spricht in seinen Ausführungen davon, dass er "anderer Meinung" ist.
Er will offensichtlich der Arztentscheidung bzw. -beurteilung nicht folgen.
Welche Gründe gibt es denn für eine andere Meinung? Ein ungutes Gefühl alleine reicht ja wohl nicht aus, um eine gewichtige Einschätzung auszuhebeln!
Eine Textergänzung wäre schon hilfreich.
Gruß
Sven

Konrad_Senden

Beinamputation verweigert - Tod unvermeidlich

Beitrag von Konrad_Senden » 18.01.2004, 12:10

Guten Morgen Diskutanten!

Die Ausgangsfrage ist betreuungsrechtlich hoch interessant. Daher möchte ich meine Gedanken vortragen:

Es liegt bei der kranken Person offensichtlich ein medizinischer Befund für eine Rechtliche Betreuung vor (§ 1896 BGB). Eine solche Betreuung wurde offensichtlich mangels anderer Hilfe angeordnet. Eine Betreuung hebt eine vorhandene Geschäfts- oder Einwilligungsfähigkeit nicht auf; solche Fähigkeiten haben im Zweifel Vorrang!

Zu fragen ist, mit welchen Aufgaben der Betreuer betraut wurde.

Gehört zur Betreuung auch die sog. Gesundheitsfürsorge? In diesem Fall wird das Vormundschaftsgericht grundsätzlich ein Unvermögen des Betroffenen für die Gesundheitsfürsorge unterstellt haben. Wenn also die Gesundheitsfürsorge zu den Aufgaben gehört, dann muss sich der Betreuer auch um die optimale medizinische Versorgung – und dazu gehört hier offensichtlich die Beinamputation – kümmern. Jetzt ergibt sich aber nach der Fallschilderung die Situation, dass der zuständige Arzt die Einwilligungsfähigkeit des Patienten unterstellt und die Ablehnung patientenrechtlich für beachtlich ansieht. Eigentlich eine Konfliktlage, wenn ich unterstelle, dass das Gericht eine solche Fähigkeit bei der o.a. Annahme eher nicht angenommen haben kann.
Soweit also die Gesundheitsfürsorge zu den Aufgaben des Betreuers gehört, würde ich auf jeden Fall das Vormundschaftsgericht einschalten und, wie schon gesagt wurde, eine medizinische Beurteilung durch einen Sachverständigen anregen.

Ist die sog. Gesundheitsfürsorge nicht Gegenstand der Betreuung, dann entscheidet der Patient zweifelsfrei selbst und es bedarf eigentlich keiner weiteren Folgerungen. Es sei denn, dass jetzt die Vermutung aufgekommen ist, dass der Patient doch nicht voll einwilligungsfähig ist. Dann müsste die Erweiterung der Betreuung schnellstmöglich angeregt werden.

Mit freundlichen Grüßen
Konrad Senden

Berti
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Betreuungsrecht - Ein Buch für Pflegende

Beitrag von Berti » 18.01.2004, 12:36

Hallo,
es sind m.E. bereits alle notwendigen Hinweise gegeben bzw. Fragen gestellt worden. Daher kann ich im Moment nichts hinzufügen.
Allerdings möchte ich doch darauf aufmerksam machen, dass das Buch
----> "Betreuungsrecht & Unterbringungsrecht - Ein Ratgeber für den Pflegenden"
(Kunz Verlag, jetzt Schlütersche Buchreihe) von Herrn Werner Schell alle medizinrechtlichen Aspekte des Betreuungsrechts gut verständlich behandelt. Nähere Hinweise zum Buch findet man in dieser Homepage in der Rubrik Publikationen. Die Veröffentlichung geht besonders auf die Patientenrechte ein und vermittelt die notwendigen Kenntnisse, diese Rechte mit den betreuungsrechtlichen Anforderungen in Einklang zu bringen.
Gruß Berti

Klaus_Stickl

Selbstbestimmungsrecht des Patienten

Beitrag von Klaus_Stickl » 18.01.2004, 13:49

... Beim gestrigen Arztgespräch wurde mir mitgeteilt, dass mein Betreuter der OP nicht zustimmt und eine Amputation nicht erfolgen kann. Ich und auch der Arzt haben meinen Betreuten darauf hingewiesen, dass er, wenn nicht amputiert wird, bald sterben wird.
Der Arzt sagte mir auch, wenn der Betroffenen nicht zustimmt, wird kein Richter der OP zustimmen. Ich bin hier anderer Meinung. ...
Wenn der Patient im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist, entscheidet er selbst, und zwar verbindlich (ähnlich der Regelungen in einer Patientenverfügung). Wenn der Patient trotz Aufklärung unvernünftig reagiert, ist das seine Sache. Die Folgen, hier der Tod, muss er selbst verantworten. Unter Beachtung der Regeln der Selbstbestimmung kann wohl auch das Vormundschaftsgericht nichts anderes verfügen, vorausgesetzt, der Patient ist einwilligungsfähig. Ggf. muss dieser Punkt aber noch näher beleuchtet werden.
Ich würde auch gerne wissen, wieso der Betreuer zu einer anderen Meinung kommt. Dazu fehlt jeder Anhaltspunkt.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Stickl

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Beinamputation verweigert - Tod unvermeidlich

Beitrag von WernerSchell » 18.01.2004, 19:34

Der zuständige Betreuer hat mir ergänzend folgende Äußerung übermittelt und gebeten, diese sinngemäß in das Forum einzustellen. Dies geschieht hiermit:

Meine Aufgabenkreise umfassen natürlich die Gesundheitssorge, sonst hätte ich doch keine Anfrage gestartet, ausserdem Aufenthaltbestimmung und Vermögenssorge.
Dass ich nicht mit dem Arzt überein stimme liegt daran, dass er sich evtl. auf dem Gebiet des Betreuungsrechtes nicht so gut auskennt.
Ich bin der Meinung, mit einem ärztlichen Gutachten kann ich diese OP beim zuständigen Amtsgericht zur Beschlussfassung vorlegen.
Dem zuständigen Richter obliegt es, weitere Gutachten zur Entscheidung kurzfristig einzuholen um abschließend einen Beschluss zu verfügen. Denn ohne Grund, wurde bei der Einrichtung der Betreuung, der Aufgabenkreis mit einbezogen.

Werner Schell
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Re: Beinamputation verweigert - Tod unvermeidlich

Beitrag von lichtblick » 18.01.2004, 19:46

Schon der Gedanke an eine "Beinamputation" ist ein Schock. Wenn aber der Arzt die richtige Diagnose/Therapie gestellt hat, so makaber es klingt, "ein Bein ist zu amputieren", sollte der Betroffene diesen therapeutischen Schritt - gerade wenn es um Leben oder Tod geht - nicht so einfach von sich weisen. Auf jeden Fall sollte der Betroffene mindestens eine zweite unabhängige Meinung einholen! Auch müsste geprüft werden, ob noch andere Therapiealternativen bestehen.

Besonders leidet die Seele, wenn es wirklich keine andere Alternative mehr geben sollte. Ganz bestimmt hat dann die Verweigerungshaltung des Betroffenen auch viel mit Angst, Unsicherheit und Verzweiflung zu tun. In einer solchen Situation benötigt er psychologischen Beistand. Gespräche mit Menschen, die ein oder beide Beine verloren haben, wie sie damit klar kommen, wie sie heute leben, halte ich für äußert wichtig.

Wirklich eine schwierige Situation - in der sich der Betroffene, aber auch der Betreuer befindet.

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Weitere Abklärungen sind geboten !

Beitrag von WernerSchell » 18.01.2004, 20:07

Ergänzende Stellungnahme (als weitere Rückmeldung an den anfragenden Betreuer):

Wenn die Gesundheitsfürsorge zu den Aufgaben des Betreuers gehört, ist u.a. eine sorgfältige Behandlung des Betroffenen sicher zu stellen. Dazu würde auch die Entscheidung gehören, ob und ggf. inwieweit eine Beinamputation durchgeführt wird. Ist allerdings der Betroffene, ungeachtet der Rechtlichen Betreuung aktuell einwilligungsfähig, entscheidet der Betroffene selbst. Insoweit ist eine (fach)ärztliche Begutachtung erforderlich, zumal das Vormundschaftsgericht offensichtlich bei der Grundentscheidung eine Einwilligungsunfähigkeit unterstellt hat. Es erscheint ratsam, insoweit an das Vormundschaftsgericht heranzutreten und um eine Abklärung, ggf. durch Einholung einer ergänzenden Begutachtung, zu bitten.
Es ist nicht selten so, dass sich Ärzte im Betreuungsrecht nicht (besonders gut) auskennen. Daher ist grundsätzlich ein vorsichtiges Agieren angezeigt. Allerdings geht es im vorliegenden Falle nicht unbedingt um gute Kenntnisse im Betreuungsrecht. Es geht (nur) um die Frage, ob der betroffene Patient selbst einwilligungsfähig ist. Diese Frage zu entscheiden ist vorrangig medizinischer Natur und kann daher wahrscheinlich auch von einem Arzt, der sich weniger im BGB auskennt, zutreffend beantwortet werden. Vielleicht sollte nochmals mit dem Arzt die gesamte Problematik erörtert werden, um dann bei weiteren Zweifeln das Vormundschaftsgericht (wie oben) einzuschalten.
Gibt es außerhalb der genannten Gründe noch Zweifel an der richtigen Arztbeurteilung? Hält der Betreuer selbst Unwilligungsunfähigkeit des betroffenen Patienten für gegeben; ggf. mit welchen Erwägungen? Möglicherweise ist die Einholung einer Zweit- oder Drittmeinung angesagt (auch wegen der Bedeutung der Maßnahme)!
Im Übrigen wird immer wieder darauf hingewiesen, dass zahlreiche Amputationen unnötigerweise erfolgen. Auch aus diesem Gesichtspunkt heraus erscheint eine sorgfältige Abklärung notwendig. Siehe zu diesem Themenkomplex die nachfolgenden älteren Beiträge aus diesem (archivierten) Forum (drei Darstellungen). Es erscheint vielleicht auch hilfreich, die einschlägigen Selbsthilfegruppen bzw. –organisationen einzuschalten.

Werner Schell
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Amputation wirklich nötig ?

Beitrag von WernerSchell » 18.01.2004, 20:08

Ergänzender Text (1) zur Stellungnahme von Werner Schell:

Viele Amputationen wegen Nachlässigkeit
- Acht von zehn Operationen vermeidbar

Baierbrunn (ots) - Von den jährlich 40.000 Amputationen, die wegen einer Durchblutungsstörung in Deutschland durchgeführt werden, wären 32.000 vermeidbar. Voraussetzung: Die Patienten müssen ihre Beschwerden früher ernst nehmen und Ärzte konsequenter behandeln.

Etwa drei Viertel der Amputationen betreffen zuckerkranke Menschen, berichtet die Apothekenzeitschrift "Diabetiker Ratgeber". Bei ihnen kommt es neben gehäuften Durchblutungsstörungen auch noch zu Nervenschäden mit einem verminderten Schmerzempfinden. "Den Anfang machen oft kleinste Verletzungen, die nicht mehr heilen", erklärt Prof. Dr. med. Gerhard Rümenapf, Gefäßchirurg und Chefarzt im Diakonissenkrankenhaus Speyer.

Das Zusammenspiel von Durchblutungsstörungen und Infektionen führt dann in kürzester Zeit zum Untergang von Gewebe, der "Diabetischen Gangrän", an deren Ende oft die Amputation steht. Rümenapf kritisiert aber auch Kollegen: "Es wird viel zu oft amputiert." Engstellen in Gefäßen könnten in einer Operation beseitigt oder umgangen werden. Die damit erreichte bessere Durchblutung lasse viele Wunden wieder heilen.

Quelle: Pressemitteilung vom 14.10.2003
ots / Das Apothekenmagazin
Fundstelle im Forum:
http://www.wernerschell.de/cgi-bin/foru ... tart=32#32
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Therapeutische Maßnahmen abwägen

Beitrag von WernerSchell » 18.01.2004, 20:09

Ergänzender Text (2) zur Stellungnahme von Werner Schell:

Vermeidbare Amputationen - Therapeutische Maßnahmen einer unterschätzten Nebenwirkung von Diabetes
Diabetes Mellitus führt zu vielen Folgeerkrankungen zum Beispiel der Nieren oder Augen, die in der Öffentlichkeit auch immer wieder thematisiert werden. Bislang vernachlässigt wurde das Problem der Fuß-Erkrankungen von Diabetikern, obgleich insgesamt mehr als 300.000 Patienten hiervon betroffen sind.
Zwei Komplikationen stehen dabei im Vordergrund: einerseits die Verschlusskrankheit der Arterien, in deren fortgeschrittenem Stadium es zum Absterben der Füße kommt und andererseits die Ausbildung der sogenannten Neuropathie, die unter anderem in einer hochgradigen Minderung der Gefühlswahrnehmung bzw. deren Verlust besteht. Aufgrund dieser Gefühlsminderung können an Stellen mit erhöhtem Knochendruck chronische Wunden entstehen, die keine Schmerzen auslösen. An diesen Wunden können sich Entzündungen ausbilden, die bei einer größere Ausdehnung Amputationen notwendig machen.
Die Wunden aufgrund eines Nervenschadens sehen grundsätzlich anders aus, als die aufgrund einer arteriellen Verschlusskrankheit. Trotzdem werden auch heute noch vielfach alle Wunden fälschlicher Weise auf eine Durchblutungsstörung zurückgeführt. Das führt einerseits zu einem Unterlassen der notwendigen Behandlung und anderseits zu unnötigen Amputationen. "Deren Anzahl ist immer noch unerträglich hoch", so Professor Dr. Sigurd Kessler, Oberarzt in der Chirurgischen Klinik in der Nußbaumstraße. "Es gibt ein erfolgreiches Behandlungskonzept der Fußwunden aufgrund des Sensibilitätsverlustes. Doch genau diese Diagnose muss erst einmal richtig gestellt werden." Alle Diabetiker müssen hinreichend darüber aufgeklärt sein, dass der Sensibilitätsverlust bei ihnen eintreten kann und dass dieser zu hartnäckigen Wunden führen kann, mit der Folge von schweren Entzündungen. Entsprechend müssen Diabetiker und ihre Ärzte regelmäßig die Füße auf vermehrte Schwielenbildung und Wunden untersuchen, die Ausbildung von Entzündungszeichen sind als Alarmsymptom zu werten. Zudem müssen Diabetiker mit neurologischen Ausfällen ein geeignetes Schuhwerk tragen, das Druckstellen vermeidet. Erhebliche Fehlstellungen an den Zehen und am Mittelfuß sind operativ zu korrigieren, damit Druckspitzen zu Beispiel bei Hammerzehen und Hallux valgus vermieden werden.
Die immer wieder beklagte zu hohe Zahl von Amputationen in Deutschland lässt sich mit Sicherheit deutlich reduzieren. Ziel eines Symposiums am 8. und 9. März 2002 im Klinikum der Universität München, Innenstadt ist es, die therapeutischen Voraussetzungen durch regelrechte Vorsorge, Zurichtung des Schuhwerkes und operative Maßnahmen, den Gliedmaßenverlust zu minimieren. Dazu ist einerseits die entsprechende Sachkenntniss der behandelnden Ärzte und anderseits eine intensive Kooperation vor allem von Hausärzten, Diabetologen, unterschiedlich chirurgischen und orthopädischen Disziplinen sowie auch orthopädischen Schuhmachern und Orthopädietechnikern erforderlich.
Den Hauptvortrag des Symposiums zum Thema fortgeschrittener Techniken in der Fußchirurgie hält der international führende Traumatologe und Fußchirurg S.T. Hensen (Seattle, University of Washington).
Für weitere Fragen und Informationen wenden Sie sich bitte an: Chirurgische Klinik und Poliklinik Klinikum der Universität München, Innenstadt Prof. Dr. Sigurd B. Keßler - Tel: 089 / 5160-2515

Quelle: Pressemitteilung Klinikum der Universität München, 27.02.2002
Fundestelle: archiviertes Forum
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Ärztliche Betreuung ungenügend ?

Beitrag von WernerSchell » 18.01.2004, 20:11

Ergänzender Text (3) zur Stellungnahme von Werner Schell:

Schwere Kritik an der Versorgung von Diabetikern hat die Gmünder Ersatzkasse (GEK) geübt - Ungenügende ärztliche Betreuung und massive Informationsdefizite, lauten die Vorwürfe

So seien, das berichtete die Ärzte Zeitung in ihrer Ausgabe vom 27.03.2001, zwei Drittel aller Amputationen bei Diabetikern Folge einer schlechten medizinischen Versorgung. Jeder zweite Patient, der an eine künstliche Niere angeschlossen werde und jeder dritte Neuerblindete sei Diabetiker. Diese Zahlen nannte gestern GEK-Chef Dieter Hebel mit Blick auf eine Studie, so die Ärzte Zeitung.
Die Ärzte Zeitung weiter: „Die Untersuchung in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Sozialpolitik der Uni Bremen, bei der über 2700 Versicherte befragt worden sind, liefert, so die GEK, alarmierende Daten: Nur 46,8 Prozent der Befragten kannten und verwendeten einen Diabetes-Paß, 40 Prozent bezeichneten ihren Diabetes als milde, obwohl sie, so Hebel, "objektiv schlechte Werte haben und schlecht eingestellt sind".
Die Ärzte würden häufig den aktuellen Therapiestand nicht kennen und daher möglicherweise ihre Patienten nicht richtig behandeln, so Hebel. Der GEK-Chef appellierte an die Ärzte, den Kassen rechtzeitig die ambulanten Behandlungsdaten der Patienten zur Verfügung zu stellen, damit gemeinsam eine gute Versorgung organisiert werden könne.“

Fundstelle: archiviertes Forum, Texteinstellung Team Werner Schell am 2.4.2001


Diabetiker unzureichend versorgt? - 2/3 der Amputationen entbehrlich??
Diabetiker mangelhaft versorgt - Studie brachte es an den Tag

Zum Thema berichtete auch Netdoktor.de:

Die gesundheitliche Versorgung von Diabetes-Patienten ist in Deutschland noch immer besorgniserregend. Viele Diabetiker würden nicht ausreichend ärztlich betreut und hätten selbst massive Informationsdefizite, erklärte Dieter Hebel, Vorstandsvorsitzender der Gemündener Ersatzkasse (GEK). Nur wenige werden ohne Medikamente behandelt und wissen über eine sinnvolle Diät Bescheid. Zu diesem Ergebnis kam eine gemeinsame Studie des Zentrums für Sozialpolitik der Universität Bremen und der GEK. Die Kasse befragte mehr als 2700 weibliche und männliche Typ-2-Diabtiker zwischen 40 und 75 Jahren. Nur etwa 48 Prozent der Befragten kannten den eigenen Blutzuckerspiegelwert, davon waren rund 30 Prozent schlecht eingestellt. "Rund 40 Prozent bezeichneten ihren Diabetes als ‚milde’, obwohl sie nachweisbar schlechte Werte hatten", sagte Hebel. Damit unterlägen sie einer folgenschweren Selbsttäuschung, denn ein dauerhaft schlecht eingestellter Blutzuckerspiegel könne Spätfolgen verursachen. Nach Angaben der GEK werden jährlich 21.000 Fußamputationen durchgeführt, 2.000 Menschen erblinden und 1.500 Diabetiker werden jährlich dialysepflichtig (Quelle: Netdoktor.de vom 27.03.2001).

Fundstelle: archiviertes Forum, Texteinstellung von Herbert Dolfen am 2.4.2001
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Berti
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Spezialisten befragen !

Beitrag von Berti » 19.01.2004, 11:49

Hallo,
es ist eigentlich alles zur Rechtslage gesagt. Aber zu dem die Behandlung führenden Arzt noch eine Anmerkung:
Es sollte m.E. geprüft werden, welche Kompetenz er besitzt, hinsichtlich Einwilligungsfähigkeit und Notwendigkeit der Beinamputation allein und unumstößlich zu entscheiden. Handelt es sich um einen Facharzt mit Spezialkenntnissen in der Diabetiologie bzw. (Gefäß)Chirugie? Wenn es sich um einen Chirurgen handelt, ist ein gewisses Misstrauen angebracht. Solche Ärzte neigen natürlich häufiger zu eingreifenden Maßnahmen, als solche Ärzte, die sich eher konservativen Therapie zugewandt haben.
Gruß Berti

Gast

Sorgfalt und Vorsicht ist angezeigt!

Beitrag von Gast » 19.01.2004, 20:51

An alle !

Es wird seit Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass es zu viele (unnötige) Amputationen gibt (2/3 der Amputationen überflüssig?). Auch wenn manches für eine Amputation spricht: Diese Maßnahme ist immer ein schwerwiegender Eingriff, der mit vielen Komplikationen (bis hin zur Lebensgefahr) verbunden ist. Also muss eine solche eingreifende Therapie nach „allen Seiten“ bedachtet werden. Es muss am Ende der Überlegungen feststehen, dass sie mit absoluter Sicherheit die einzig vernünftige Handlungsweise ist. Das muss man dann dem Patienten bzw. dem Vertreter ausführlich und verständlich erläutern.
Wenn aber der Patient selbst entscheiden kann (hierzu wurden bereits Ausführungen gemacht) entscheidet er selbst – und niemand anders. Nur wenn klar ist, dass eine Unwilligungsfähigkeit vorliegt, kann der Betreuer als gesetzlicher Vertreter entscheiden. Die Maßnahme muss m.E. aber vom Gericht genehmigt werden (§ 1904 BGB). „Gefahr im Verzug“ anzunehmen, erscheint mir gewagt. Die Notwendigkeit zu einer Amputation bahnt sich an, und kommt nicht von heute auf morgen. Auch im Eilfall muss dem Gericht m.E. der Fall dennoch vorgetragen werden. Das Gericht muss dann ebenfalls schnell handeln. Bei gutem Willen geht das!

MfG
Simone Kluser

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