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Breiter Konsens gegen aktive Sterbehilfe

Verfasst: 15.09.2009, 10:11
von Presse
Antworten auf die Wahlprüfsteine der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung:
Breiter Konsens gegen aktive Sterbehilfe / Keine überzeugenden Konzepte der Volksparteien zur Pflege

Berlin. "Alle fünf im Bundestag vertretenen Parteien sprechen sich eindeutig gegen aktive Sterbehilfe aus. Das ist eine klare Absage an all jene, die seit Jahren versuchen, den Patientenschutz für Schwerstkranke und Sterbende zu untergraben. Trotz andauernder Stimmungsmache gibt es einen breiten Konsens, dass das Töten von Menschen weiterhin verboten bleibt. Alle Parteien haben erkannt, dass aktive Sterbehilfe die Schwächsten der Gesellschaft unter unerträglichen Druck setzt", erklärt der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch. "Das ist ein herausragendes Ergebnis unserer Wahlprüfsteine."

Vergangenen Monat hatte die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung den im Bundestag vertretenen Parteien vier Fragen gestellt. Die Antworten auf diese Wahlprüfsteine liegen nun vor. "So erfreulich die ablehnende Haltung der Parteien zur aktiven Sterbehilfe ist, so gefährlich ist, dass ihre ethische Standhaftigkeit beim Thema organisierter assistierter Suizid zerfasert", mahnt Brysch. Während Union, SPD und die Linke die organisierte Beihilfe zur Selbsttötung am konsequentesten ablehnen, will die FDP lediglich die gewerbliche Beihilfe unter Strafe stellen. "Wir wissen aus der Schweiz, wie riskant das ist", kommentiert Brysch. Die Grünen bleiben vage. Sie wollen im Falle einer Diskussion den Fraktionszwang aufheben.

Zur Frage nach der ambulanten Palliativversorgung betont Brysch: " Es ist besorgniserregend, dass keine der beiden Volksparteien Vorschläge hat, wie der zögerlichen Umsetzung des Rechtsanspruchs auf spezialisierte ambulante Palliativversorgung begegnet werden kann. Um Tendenzen zur aktiven Sterbehilfe konsequent entgegenzutreten, sind hier konkrete Schritte der Umsetzung unverzichtbar." Brysch kritisiert außerdem, dass die Parteien der Regierungskoalition zum Themenkomplex ,Pflege' keine befriedigenden Lösungsvorschläge liefern. "Die Kanzlerkandidaten nehmen die Ängste von 45 Millionen Menschen in diesem Land nicht ernst", kommentiert der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation. "Mehr als jeder Zweite fürchtet sich davor, pflegebedürftig zu werden. Trotzdem spielt Pflege so gut wie keine Rolle im Wahlkampf. Auch im TV-Duell zwischen Merkel und Steinmeier am vergangenen Sonntag wurde das Thema konsequent ausgespart. Das ist angesichts der drängenden Sorgen der Menschen enttäuschend."

Alle Antworten der Parteien im Wortlaut sowie eine zusammenfassende Übersicht finden Sie im Internet unter http://www.hospize.de/docs/hib/Sonder_HIB_05_09.pdf.

Hintergrund
Die gemeinnützige und unabhängige Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung ist die Sprecherin der Schwerstkranken und Sterbenden. Sie finanziert sich ausschließlich aus Spenden und Beiträgen von über 55.000 Mitgliedern und Förderern.

Quelle: Pressemitteilung vom 15.09.2009
Bei Rückfragen und Interview-Wünschen:
Matthias Hartmann: Tel.: 030/ 2 84 44 84 2 hartmann@hospize.de
http://www.hospize.de

Anmerkung der Moderation:
Das Thema wird auch Gegenstand des Neusser Pflegetreffs am 28.10.2009 sein:
viewtopic.php?t=11532

"Breiter Konsens"?

Verfasst: 16.09.2009, 06:53
von Lutz Barth
Nach Einschätzung der Deutschen Hospiz Stiftung gibt es in der deutschen Politik einen breiten Konsens gegen die aktive Sterbehilfe. Dies ist insofern nachhaltig zu bedauern, weil dieser Konsens sich jedenfalls nicht in unserer Gesellschaft widerspiegelt. Maßgeblich ist und bleibt das Selbstbestimmungsrecht der Patienten, dass freilich nicht zur Fremdbestimmung über die Ärzteschaft führen darf. Es gibt Situationen, in denen der Patient aufgrund einer schweren Krankheit sich dazu entschließt, lieber „sterben“ zu wollen und zwar unabhängig von den Möglichkeiten der Palliativmedizin. Sofern er hierzu einer entsprechenden Assistenz bedarf, mag ihm diese gewährt werden, zumal es nicht wenige Ärzte gibt, die zur ärztlichen Assistenz beim Suizid bereit wären.

Die Deutsche Hospiz Stiftung wird sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, mit ihren gebetsmühlenartig vorgetragenen Statements contra aktiver Sterbehilfe entscheidend den Weg dafür zu ebnen, dass hierzulande nicht nur das Selbstbestimmungsrecht der Patienten, sondern zugleich auch ein stückweit die Humanität „zu Grabe getragen“ wird.

Lutz Barth

Wir brauchen keine aktive Sterbehilfe

Verfasst: 16.09.2009, 07:15
von Gaby Modig
Hallo,

ich denke, dass wir alles tun müssen, damit aktive Sterbehilfe unterbunden bleibt. Die z.T. ermittelte Zustimmung der deutschen Bevölkerung zur aktiven Sterbehilfe beruht auf den augenblicklichen Versorgungsstrukturen. Diese müssen geändert werden, dann erledigt sich eine aktive Sterbehilfe von selbst.

Insoweit hat die Deutsche Hospiz Stiftung auch Hinweise gegeben:

"Viele fürchten sich vor Einsamkeit, Abhängigkeit und einer Pflege, die auf ihre individuellen Bedürfnisse nicht eingehen kann", erläutert Brysch. "Ein die Würde wahrendes Pflegesystem wäre die richtige Antwort auf diese Ängste. Die Politik ist aufgefordert, hieran endlich mit Entschlossenheit zu arbeiten und nicht einer Kosten-Nutzen-Diskussion Raum zu geben."
Quelle: viewtopic.php?t=12775&highlight=suizid

Dem stimme ich sehr zu.
MfG Gaby

Debatte ist unterbelichtet!

Verfasst: 17.09.2009, 05:41
von Lutz Barth
Vgl. dazu
Sterben, Sterbehilfe, Töten, Suizid.
Bausteine für eine kritische Thanatologie und für eine Kultivierungstheorie.
Hannover 2009
work in progress (kritische Stellungnahmen und Anregungen erwünscht)
Version 61
>>> http://www.feldmann-k.de/tl_files/kfeld ... suizid.pdf<<< (html)

Aktive Sterbehilfe in Ausnahmesituationen vorstellbar

Verfasst: 03.10.2009, 07:03
von Rauel Kombüchen
Meine Sicht in Kürze:

Auch ich habe festgestellt, dass die Menschen, wenn man mit ihnen alle relevanten Sachverhalte und rechtlichen Gegebenheiten erörtert, überwiegend gegen eine aktive Sterbehilfe votieren. Das ist so und nicht falsch, wenn man es öffentlich macht.
Meistes können schwierige Lebenssituationen aufgelöst werden, indem man sich einem schwerstkranken, sterbenden Menschen wirklich zuwendet. Daher ist es korrekt und nötig, die Palliativversorgung und die Hospizarbeit weiter zu stärken. Mehr Personal ist erforderlich - und nicht nur zur Abwendung einer aktiven Sterbehilfe, sondern auch zur entscheidenden Verbesserung der Pflege in Krankenhäusern und Pflegeheimen.
Allerdings kann es, und das geben auch die erfahrenen Palliativmediziner durchaus zu, Situationen geben, in denen z.B. die Schmerztherapie keine befriedigenden Ergebnisse bieten kann. Für diese Ausnahmetatbestände kann man sich in der Tat eine Auflockerung des Tötungsverbots in § 216 StGB vorstellen. Es wäre verfassungsrechtlich unbedenklich, also rechtlich zulässig.
Allerdings ist zu bedenken: Eine solche Auflockerung wäre ein "Dammbruch". Würden daraus nicht andere nachteilige Wirkungen hervorgehen? Die demografische Entwicklung ist in diesem Zusammenhang ein bedeutsamer Aspekt.

MfG Rauel

Verfasst: 03.10.2009, 22:31
von thorstein
Sehr geehrter Herr Kombüchen,

gehen wir doch davon aus, dass sowohl Befürworter als auch Gegner einer aktiven Sterbehilfe sich tiefergehende Gedanken zu diesem Thema gemacht haben. Bei einer offen geführten Diskussion in dieser Gesellschaft wäre ich mir keinesfalls so sicher, wer sich mehrheitlich durchsetzen würde.
Ich bedaure es in diesem Zusammenhang, dass einige Palliativmediziner hier einen Widerspruch aufbauen, als ob man sich zwischen palliativer Versorgung und aktiver Sterbehilfe entscheiden müßte. In einer freiheitlichen Demokratie muß dabei die Frage erlaubt sein, warum sich manche Funktionäre eine solche Deutungshoheit anmassen.

Mit der eigenen Sterblichkeit ist der Mensch als Mängelwesen offensichtlich heillos überfordert. Aus dieser Überforderung folgt eine lange Kette von Verdrängungsmechanismen. In einer zunehmend säkularen Gesellschaft wird das Sterben dabei in Institutionen verbannt und dort in "professionelle“ Hände gegeben. Geht man optimistischerweise davon aus, dass der Mensch ein lernfähiges Kulturwesen ist, müsste die eigentliche Diskussion hier erst beginnen. Ob am Ende einer solchen Diskussion die Frage nach einer aktiven Sterbehilfe überhaupt noch eine Rolle spielen würde, darf bezweifelt werden. Ein so offensichtlich vernachlässigtes und verdrängtes Problemfeld mit Rekurs auf das Selbstbestimmungsrecht an das Individuum zu delegieren, scheint mir dabei auch nicht wirklich zielführend.

Grüße

@Thorstein

Verfasst: 04.10.2009, 17:42
von Lutz Barth
Ob wir uns in "einer zunehmend säkularen Gesellschaft" befinden, steht doch eher zu bezweifeln. Der Kern der Debatte ist auf das zurückzuführen, was eigentlich die moderne Rechtsethik ausmachen sollte: die Rückbesinnung auf das Inviduum.

Manche Medizinethiker erweisen sich in der Debatte als wahre Überzeugungstäter, wenn diese meinen, uns als "egozentrische Individualisten" brandmarken zu können, nur um der Durchsetzung ihres morlaischen und ethischen Paternalismus wegen. Hierbei sollte nicht verkannt werden, dass hier den Kirchen eine besondere Rolle zukommt und so manche Partei (wohlwissend um das Wählerpotential) sich in ganz entscheidenden Fragen an das "C" in ihrem Parteinamen erinnert. In Anbetracht aktueller Debatten sehe ich eher die Gefahr einer Entsäkularisierung unserer Gesellschaft und dieses wird um so mehr gelingen, wie einer Gattungsethik das Wort geredet wird, in der es wohl entscheidend auf die Maxime ankommt: Leben wir, so leben wir dem Herrn und sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Bei dem vermessenen Anspruch einer Institution, die einzige "Wahrheit" zu verkünden, sind die Folgen denn auch gravierend: Verfassungsinterpretation wird ersetzt durch Hobbyphilosophie und Glaubensbekenntnisse, die keiner rationalen Diskussion mehr zugänglich sind.

Was also bliebe zu folgern? Der Gottesbezug in der Präambel des GG ist vollständig zu streichen und manche Medizinethiker mögen sich vor Augen führen, dass um der weiteren Entwicklung und Ausbau der Palliativmedizin das Individuum nicht instrumentalisiert werden sollte. Der Patient wird dadurch zum Objekt der Palliativmedizin degradiert!

Es ist unerträglich, mit welcher Leichtigkeit selbsternannte Missionare das Selbstbestimmungsrecht marginalisieren. Es kommt eben nicht darauf an, den Sterbewillen in einen Lebenswillen abzuändern und dort, wo ein entsprechender Versuch scheitert, sich auf die Suche nach dem besten und vermeintlichen Willen des Patienten zu begeben. Sterbehilfe ist in bestimmten Situationen ein Akt höchster Humanität und es ist gerade dieser humane Akt, der den Kirchen ein besonderer Dorn im Auge ist, ja sogar nach ihrer "Lehre" sein muss. Aber mit Verlaub: nicht sein, sondern unser individuelle Wille geschehe, möge er insbesondere auch in einer Patientenverfügung niedergelegt sein. Kommt es da von ungefähr, dass einige renommierte Rechtswissenschaftler meinen, in einem Patientenverfügungsgesetz und einer Verfügung ein "Opium fürs Volk" zu erblicken? Eher nicht, denn auch diese schauen lieber in die transzendente Glaskugel denn ins Grundgesetz und fühlen sich scheinbar höheren sittlichen und moralischen Werten verpflichtet.

Das Dilemma wird sich schnell auflösen, wenn wir in unseren Grundrechte zuvörderst das sehen und erkennen, was sie sind: individuelle und subjektive Rechte!

Verfasst: 04.10.2009, 22:40
von thorstein
Sehr geehrter Herr Barth,

ich kann leider dieser Verknüpfung von Fragen zum Umgang mit Sterbenden mit einer Auseinandersetzung zwischen Individualismus und Paternalismus nicht viel abgewinnen, auch wenn ich ihre Kirchenschelte nachvollziehbar finde.

Zunächst einmal ist festzustellen, dass in unserer modernen Gesellschaft von einem natürlichen Tod nicht mehr auszugehen ist, auch wenn dieser nach wie vor auf den Todesbescheinigungen angekreuzt wird. Mit der Verlängerung der Lebensdauer ist leider auch eine Verlängerung der Sterbensdauer verbunden, die bislang kaum oder überhaupt nicht reflektiert wird. Fragt man nach dem Stand der Künste, wenn es um die Frage geht, wann der Sterbeprozess beginnt, herrscht nach wie vor Ratlosigkeit. Das Gleiche gilt bei der Frage, inwieweit Sterben mit Leiden verbunden ist. Hier herrscht immer noch esoterisches, statt medizinisch fundiertem Fachwissen vor. Auch die psychosozialen Aspekte des Sterbens wären hier zu berücksichtigen.

Könnte die Beantwortung dieser Fragen nicht zu dem Ergebnis führen, dass eine Verlängerung des Sterbeprozesses grundsätzlich unethisch ist, und das medizinisch verursachtes Leiden dann sogar auch notfalls mit medizinischen Mitteln zu beenden ist?

Das Ergebnis könnte also sein, dass mit der Verlängerung des Sterbeprozesses sowohl die Würde des Menschen als auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt wird, und nur der Tod eine weitere Verletzung verhindern kann.

Diese Argumentation ist keinesfalls ausgereift und hängt von der Beantwortung der entsprechenden Fragen ab, kommt aber andererseits zunächst ohne Begriffe wie Selbstbestimmung und aktive Sterbehilfe aus.

Meine Probleme mit dem Selbstbestimmungsrecht will ich mit folgendem Beispiel verdeutlichen. Was uns als Individuum vielleicht mit am meisten umtreibt und ärgert, ist die Tatsache, dass von unserem schwer verdienten Geld am Ende nicht mehr viel übrig bleibt. Warum gehört es nicht zu unserem guten Recht, dass wir unser gesamtes Gehalt ausbezahlt bekommen und dann ganz selbstbestimmt entscheiden, wie viel wir davon an den Staat abgeben? Wir wissen ja alle, welche Funktion der Staat für die Gesellschaft hat, was also alles von diesem Geld bezahlt werden muss. Eigentlich ein rationaler Diskurs, also warum nicht mehr Selbstbestimmung wagen? Unser Staat wäre wohl in kürzester Zeit bankrott.

Ein tabuisiertes, verdrängtes, wenig erforschtes Thema wie Sterben und Tod mit Rekurs auf das Selbstbestimmungsrecht dem Individuum aufzubürden ist für mich daher kein starkes Argument.

Grüße