Sturzgefährdungen und Vorbeugung

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

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WernerSchell
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Sturzgefährdungen und Vorbeugung

Beitrag von WernerSchell » 27.04.2009, 06:09

Sturzgefährdungen und Vorbeugung

Sturzgefährdungen sind bei pflegebedürftigen Menschen eine nahezu alltägliche Bedrohung. Es stellen sich daher immer wieder Fragen hinsichtlich der Vorbeugung von Stürzen. Insoweit ist aber immer zu bedenken, ob und inwieweit in die Freiheit eingreifende Maßnahmen gerechtfertigt werden können. Weiter stellen sich u.U. haftungsrechtliche Fragen.

Dazu gab es jetzt in einer Mailingliste eine interessante Diskussion, die hier anonymsiert vorgestellt wird:

Frage im Zusammenhang mit Sturzgefährdung und Schutzmaßnahmen:
Ich vertrete als Bevollmächtigter eine Frau, die in einer stationären Pflegeeinrichtung (Heim) lebt. Die Frau ist ausgeprägt dement, sturzgefährdet, da gangunsicher, jedoch äußerst umtriebig (mit dem Rollator läuft sie nahezu ständig im Pflegewohnbereich umher). Es haben sich bereits mehrere Stürze ereignet, zuletzt mit einem Handgelenksbruch. Während der Zeiten der Bettruhe werden nunmehr die Bettgitter hochgestellt. Die Maßnahme wurde vormundschaftsgerichtlich genehmigt. Allerdings versucht die Frau jetzt, über das Bettgitter zu steigen und gefährdet sich hierdurch zusätzlich. Daraufhin kam von Seiten des Pflegepersonals der Vorschlag, ihr - ständig - Hüftschutzhosen und "Noppensocken" (Antirutschsystem) anzuziehen, was auch geschieht. Die Frau kann nun, wann immer sie den Drang verspürt, aufstehen und herumlaufen. Jede weitere Form der Fixierung, z. B. durch einen Beckengurt, würde m. E. ihre Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Sowohl das Heim als auch ich lehnen dies derzeit übereinstimmend ab. Nunmehr verlangt das Heim allerdings, ich solle eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung dahingehend einholen, dass die Bettgitter NICHT heraufgestellt werden müssen/dürfen. Ein solcher Antrag ist m. E. nicht genehmigungsfähig. Alternativ verlangt das Heim eine schriftliche inhaltsgleiche Erklärung meinerseits, die ich auch abzugeben bereit bin.
In diesem Zusammenhang eine Frage: Sollte die Frau erneut stürzen und sich verletzen, könnte in diesem Fall die beteiligte Krankenversicherung mich (oder das Heim) wegen der durch den Sturz entstandenen Behandlungskosten regresspflichtig machen? Dies insbesondere deshalb, weil ja freiheitsbeschränkende (Schutz-)Maßnahmen bereits vormundschaftsgerichtlich genehmigt waren, jedoch ich als Bevollmächtigter von dieser Genehmigung keinen Gebrauch gemacht habe?

Eine dazu gegebene Antwort:
Wenn Sie das Heim anweisen, keine freiheitsentziehenden Maßnahmen zu treffen, ist das Heim haftungsrechtlich aus dem Schneider. Sie sind es stets dann, wenn nachher im Schadensersatzprozeß festgestellt wird, dass Sie
- entweder keinen objektiven Anlaß hatten, solche für notwendig zu halten oder
- sie einen solchen objektiven Anlaß zwar hatten, ihnen aber weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann.
Dagegen "absichern", dass das Gericht sie später zu Schadensersatz verurteilt, können Sie sich nicht. Darum sind Sie dagegen ja - hoffentlich - versichert.
Man geht IMMER irgendwelche Haftungsrisiken ein, wenn man IRGENDETWAS tut oder nicht tut. Das Denken und Handeln darf das nicht ständig beeinflussen, sonst wird man nur vollkommen neurotisch. Wie heißt es doch so schön? Wo gehobelt wird, fallen Späne.
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Lutz Barth
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Weitere Überlegungen...

Beitrag von Lutz Barth » 27.04.2009, 09:53

Der Fall ist beredtes Beispiel für eine immer noch nicht abgeschlossene Diskussion über die sog. Aufsichtspflichten eines Demenzerkrankten. Sofern wir uns der Auffassung eines prominenten (Alten)Pflegerechtlers anzuschließen vermögen, ist der „Sturz“ eines an Demenz erkrankten Bewohners wohl grundsätzlich seinem „typischen Lebensrisiko“ zuzuordnen, wobei im Übrigen sich nach der einschlägigen Rechtsprechung des BGH zur „Sturzproblematik“ die Pflichten des Trägers nach dem „wirtschaftlich und personell Zumutbaren“ richten. Der vorliegend geschilderte Fall indes wirft aber das zentrale Problem auf, ob es eine „Indikation“ zur Fixierung gegeben hat und ob diese Indikation gleichsam einer Revision unterzogen wurde, so dass nunmehr das Hochziehen des Bettgitters entbehrlich erscheint. Entscheidend ist die graduelle Ausprägung der Demenzerkrankung und sofern der „Betreuer“ resp. der Bevollmächtigte meint, konkret genehmigte Fixierungsmaßnahmen beeinträchtigen die „Lebensqualität“ der Betroffenen, bedarf es hierzu einer professionellen Expertise, die sozusagen im Wege einer „Diagnoserevision“ über die Sturzgefährdung eines anderes therapeutisches Vorgehen gebietet. Dieses Vorgehen ergibt sich im Übrigen auch aus der vertraglichen (aber auch deliktischen) Pflicht des Trägers, den Bewohner vor Gesundheitsbeeinträchtigungen zu bewahren – zumal sich hier offensichtlich in einem früheren Zeitpunkt (entweder das Heim oder der Betreuer/Bevollmächtigte) die Notwendigkeit zu einer bestimmten therapeutischen Intervention ergeben hat.

Was also hat sich qualitativ verändert, das entgegen die den Beschluss des AG tragenden Gründe zum „Hochziehen“ des Bettgitters ein anderes therapeutisches Vorgehen rechtfertigt?

Ohne Frage ist hier das Wohl des Betreuten das entscheidende Bestimmungskriterium für die einschneidenden Maßnahmen, so dass im Zweifel hierüber der Beschluss des AG (ggf. auch mit Blick auf die Dauer der genehmigten Maßnahme) Aufschluss geben kann. Überdies darf darauf hingewiesen werden, dass einmal angegordnete Maßnahmen durchaus einer Überprüfung unterzogen werden können, ja müssen, denn immerhin handelt es sich bei allen "freiheitsentziehenden bzw. -beschränkenden Maßnahmen" um therapeutische Interventionsstrategien, die strikt nach dem ultima-ratio-Prinzip auszurichten sind.
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Fesselung nur bei akuter Selbstmordgefahr

Beitrag von Presse » 14.01.2010, 15:02

KEIN SCHMERZENSGELD:
KLINIK MUSS KRANKEN NUR BEI AKUTER SELBSTMORDGEFAHR FESSELN


Die Schmerzensgeldklage eines Patienten gegen ein Krankenhaus wurde abgelehnt. Er war -
trotz seiner psychischen Erkrankung - nicht gefesselt worden und verletzte sich bei einem
Sturz aus dem Fenster schwer. Da es keine robusten Hinweise auf Selbsmordgefahr gab, wurde
aber ein Behandlungsfehler verneint.

Nachricht Online lesen:
http://www.haufe.de/recht/newsDetails?n ... d=00954390

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Mehr Stürze bei hoher Dosis Vitamin D

Beitrag von WernerSchell » 14.01.2016, 07:25

Ärzte Zeitung vom 14.01.2016:
Studie mit Senioren: Mehr Stürze bei hoher Dosis Vitamin D
Erhalten Senioren regelmäßig eine hohe Dosis von Vitamin D verabreicht, lässt sich der normale Hydroxy-Vitamin-D- Spiegel
zuverlässiger erreichen als mit der Standarddosis. Aber offenbar sind sie auch sturzgefährdeter.
mehr » http://www.aerztezeitung.de/nl/?sid=902 ... ten&n=4724
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