RA Putz - Courage und patientenrechtliches Engagement

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

Moderator: WernerSchell

Lutz Barth
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Beitrag von Lutz Barth » 06.07.2010, 10:58

Nun, Cicero - ich vermag derzeit nicht in den allgemeinen Lobgesang einstimmen, zumal es entgegen Ihrer Auffassung nicht entscheidend darauf ankommt, wie der "Tenor" der Entscheidung lautet. Das Ergebnis - mithin also der Freispruch - der Entscheidung erscheint akzeptabel, wenngleich es doch ganz entscheidend auf die Begründung ankommt.

Ob die "Fronten" zweifelsfrei geklärt sind, steht noch zu bewerten an, mal ganz davon abgesehen, dass auch die Rechtsprechung des BGH durchaus der Kritik zugänglich ist und letztlich auch sein muss. Dies gilt sowohl für die Zivil-, aber auch Strafsenate. Andererseits haben Sie freilich recht in ihrer Annahme, dass es viele "Schlaumeier" gibt und diese geradewegs so tun, als habe man bereits das Ergebnis der Entscheidung als solches prognostizieren können. Begrüßenswert ist zunächst "nur", dass der Strafsenat dem Patientenwillen einen Stellenwert einräumt, der von der Verfassung her geboten ist. Die anderen strafrechtlich bedeutsamen Fragen (Notwehrrecht etc.) sind aber dennoch interessant, zumal diese bisher in der Literatur kontrovers beurteilt worden sind und zwar nicht von Hobbyphilosophen. sondern von Rechtswissenschaftlern.

Nicht sonderlich von Belang ist in diesem Zusammenhang, ob die Richter - wie Sie anmerken - einige "nette Anmerkungen" gefunden haben, denn wir bedürfen in dem Diskurs nicht der Verklärung von Einzelpersonen, die ggf. in die Rolle eines Märtyrers hineinwachsen, sondern eines klaren Blickes in das "Recht", zu dem u.a. auch das Strafrecht gehört und welches ganz entscheidend durch die verfassungsrechtlichen Vorgaben geprägt ist.

Ich bin der festen Überzeugung, dass sich auch nach der Entscheidung weiterer Diskussionsbedarf einstellen wird, zumal unter der Annahme, dass auch die Rechtsprechung der Zivilsenate beim BGH nicht unbedingt frei von Kritik ist. Bereits anderenorts habe ich versucht, darzulegen, dass die Sterbehilfe im weitesten Sinne ohne eine umfassende Problemanalyse nicht zufriedenstellend gelöst werden kann (z.B. mit Blick auf die verfassten Amtskirchen). Die Rechtsprechung des BVerfG zum "Kirchenrecht" und dessen Verhältnis zu staatlichen Rechtsnormen könnte hier die Annahme nahelegen, jedenfalls die Position der Kirchen nicht ganz zu vernachlässigen, zumal einiges dafür sprechen könnte, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten insofern eine äußere Grenze durch das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen erfährt und somit beide bedeutsamen Verfassungsrechte einer Harmonisierung bedürfen.

Abschließend darf denn auch daran erinnert werden, dass es sehr wohl Stimmen in der Literatur gibt, die sich eindeutig positionieren und zwar sowohl in der Straf- und Zivilrechtswissenschaft, mögen diese auch nicht immer einer Meinung sein. Ich selbst bekenne seit Jahren "Farbe" und trete in bestimmten Einzelfällen für eine "aktive Sterbehilfe" ein und zwar in den Fällen, wo der Patient die Tatherrschaft aufgrund seiner Krankheit nicht mehr auszuüben in der Lage ist. Mithin räume ich persönlich dem Selbstbestimmungsrecht mit der hohen Last der Eigenverantwortung höchste Priorität ein, akzeptiere aber hierbei den Umstand, dass andere Verfassungswerte deswegen nicht gleich auf Null zu reduzieren sind.
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Cicero
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Selbstbestimmung des Patienten klar bestätigt

Beitrag von Cicero » 06.07.2010, 11:09

Lutz Barth hat geschrieben: ....Nun, Cicero - ich vermag derzeit nicht in den allgemeinen Lobgesang einstimmen, zumal es entgegen Ihrer Auffassung nicht entscheidend darauf ankommt, wie der "Tenor" der Entscheidung lautet. ....Begrüßenswert ist zunächst "nur", dass der Strafsenat dem Patientenwillen einen Stellenwert einräumt, der von der Verfassung her geboten ist.
... Ich bin der festen Überzeugung, dass sich auch nach der Entscheidung weiterer Diskussionsbedarf einstellen wird, zumal unter der Annahme, dass auch die Rechtsprechung der Zivilsenate beim BGH nicht unbedingt frei von Kritik ist. .... .
Es muss hier selbstverständlich kein Harmoniebedürfnis entwickelt werden. Deshalb sind unterschiedliche Statements durchaus begrüßenswert.
Ich halte daran fest, dass der BGH - Strafsenat - mit seiner Grundentscheidung, Freispruch für RA Putz, unter ganz bestimmten Erwägungen eine klare Stärkung des Patienten-Selbstbestimmungsrechtes vorgenommen hat. Diese Stärkung der Selbstbestimmung auch in strafrechtlicher Hinsicht war überfällig.
Ich denke, dass wir über unsere Rechtsordnung immer weiter zu sprechen, zu diskutieren, haben. Aber die jetzt gefundene BGH-Entscheidung bringt eine wichtige Klarstellung. Und daran herum zu mäklen, halte ich für weniger angebracht. Ich sehe vor allem eine völlige Übereinstimmung mit dem Verfassungsrecht!

Cicero
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Lutz Barth
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LG Fulda lag nicht ganz "neben der Sache"

Beitrag von Lutz Barth » 16.08.2010, 10:20

Eine erste Stellungnahme zur „Sterbehilfe-Entscheidung“ des BGH v. 25. Juni 2010

v. Lutz Barth (16.08.10)


Nach dem das Urteil des BGH in den Medien und von einschlägigen Kreisen sowohl „Lob“ als auch „Tadel“ erfahren hat und in diesem Zusammenhang stehend die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Fulda wohl überwiegend als „Fehlurteil“ bezeichnet wurde, können sich nun die Richter der Strafkammer des Landgerichts Fulda durchaus als „rehabilitiert“ fühlen, lag doch ihre Entscheidung nicht „ganz neben der Sache“. >>> weiter

>>> Pdf. Dokument aufrufen >>> http://www.iqb-info.de/BGH_Urteilsrezen ... _Barth.pdf
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Patientenselbstbestimmung gestärkt

Beitrag von Cicero » 16.08.2010, 11:08

Guten Tag Herr Barth,

habe Ihre Stellungnahme unter
http://www.iqb-info.de/BGH_Urteilsrezen ... _Barth.pdf
mit großem Interesse gelesen. Zwei Absätze würde ich gerne hervorheben:

--- Alle Beteiligten können mit dem Ergebnis „leben“: Der Angeklagte ist freigesprochen worden, die Betreuer konnten den Willen des Patienten erfolgreich umsetzen und nicht zuletzt sind die Heimleitung und die pflegenden Mitarbeiter von Strafrechtsverfahren und verwaltungsrechtlichen Maßnahmen „verschont“ geblieben.

--- Insgesamt betrachtet ist die Entscheidung des BGH begrüßenswert und trägt zur Rechtssicherheit bei. Das große Verdienst der Entscheidung besteht m.E. zuvörderst darin, dass der Strafsenat an der überaus problematischen Unterscheidung der äußerlichen Erscheinungsformen von aktivem Tun und Unterlassen nicht weiter festhält, im Übrigen aber dem hohen Rang des Selbstbestimmungsrechts der Patienten gerecht geworden ist.

Danke!
Cicero
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Beitrag von Lutz Barth » 16.08.2010, 13:18

Nun - in der Tat mögen dies die zentralen Aussagen in meinem Kurzbeitrag sein, wenngleich doch an wenig versteckter Stelle auch offene Kritik offenbar werden sollte.

Vielleicht liegt mein "Unbehagen" auch daran, dass einige Institutionen es vortrefflich verstehen, bereits Statements zu Entscheidungen abzugeben, ohne dass die konkrete Entscheidungsgründe bekannt sind und so bei mir der Eindruck entsteht, als sei dies mehr oder minder einer "Werbung" für das eigene Gelingen, das Können und vor allem einer Weitsicht geschuldet nach dem Motto, sehet her, wir haben das schon immer gewusst.

Manche Stellungnahmen haben letztlich ohne Kenntnis vom konkreten Einzelfall und einer hierauf Bezug nehmenden Entscheidung nebst seinen Gründen notwendig etwas Spekulatives an sich, wie sich derzeit auch an dem aktuellen "Gelderner Sterbehilfefall" abzeichnet. Es erscheint mir wesentlich verfrüht zu sein, hier einen "Stab zu brechen", mal ganz davon abgesehen, dass mir persönlich die eine oder andere Pressemitteilung schlicht zu platt ist und in der Folge unkommentiert bleibt, obgleich hierdurch ein Erörterungsbedarf entstanden ist, der so nicht unbeantwortet bleiben darf. Aber vielleicht ist die Intention dieser Meldungen auch eine andere, zumal nicht selten die in Bezug genommenen Pressemeldungen wohl gelegentlich ihres offiziellen Charakters insoweit entbehren, als dass diese nahezu ganz überwiegend nur auf einer Homepage veröffentlicht werden, die nun allerdings nicht mit derjenigen des oder der Verfasser(s) identisch ist.

Sei es drum - in der Sache kann es jedenfalls mit Blick auf die strafrechtliche Bewertung zunächst nur um eine Aufklärung gehen, damit künftig Dritte von der hohen Bürde der Last befreit werden, ggf. eigenhändig zur Tat zu schreiten und so gelegentlich uns als Märtyrer erscheinen müssen.

Mfg. Lutz Barth
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Selbstjustiz am Krankenbett?!

Beitrag von Lutz Barth » 20.08.2010, 07:21

Sterbehilfe
Selbstjustiz am Krankenbett


Aktive oder passive Sterbehilfe, wo ist der Unterschied? Und welche Rolle haben Pflegekräfte beim Behandlungsabbruch im juristischen Sinn? Eine Analyse der schriftlichen Begründung des Bundesgerichtshofs zu seinem Sterbehilfeurteil.

v. Oliver Tolmein

Quelle: F.A.Z net v. 18.08.10 >>> http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF41441 ... ntent.html <<< (html)
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Beitrag von thorstein » 20.08.2010, 13:38

Während die Betreuerin mit dreieinhalbjähriger Verspätung den angeblichen Patientenwillen zur Kenntnis brachte, hatte der behandelnde Arzt nach dem im Urteil beschriebenen Sachverhalt von mutmaßlichem oder tatsächlichem Patientenwillen gar keine Vorstellung.
Damit werden meine Vorurteile zu diesem Verfahren bestätigt. Als Pflegekraft habe ich kein Problem mit diesem Urteil. Sollten Angehörige zur Selbtjustiz greifen, melde ich das der Polizei. Anders geht es ja auch gar nicht: wie soll ich auch den besorgten Angehörigen, der den Willen des Pflegebedürftigen umsetzt, vom kriminellen Erbschleicher unterscheiden.

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Patientenwille umgesetzt und keine Selbstjustiz

Beitrag von Cicero » 20.08.2010, 18:24

Mein Text, eingestellt unter
viewtopic.php?p=54088#54088

Sterbehilfe - Selbstjustiz am Krankenbett
Aktive oder passive Sterbehilfe, wo ist der Unterschied? Und welche Rolle haben Pflegekräfte beim Behandlungsabbruch im juristischen Sinn? Eine Analyse der schriftlichen Begründung des Bundesgerichtshofs zu seinem Sterbehilfeurteil.
Von Oliver Tolmein
... Beitrag lesen unter
http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF41441 ... ntent.html

Ich teile die kritischen Ausführungen von Herrn Tolmein nicht. Die Art. 1 und 2 GG, §§ 1901a und b BGB, frühere Urteile des BGH (Zivilsenat) sowie der Tenor des BGH-Urteils vom 25.06.2010 (Strafsenat) stellen alles klar. Das muss nicht zerredet werden. Weder von Herrn Brysch ("Wild-West-Methoden") noch von Herrn Tolmein.
Ärzte, Pflegekräfte und andere sind an den Patientenwillen gebunden. Dieser wird vom rechtlichen Vertreter durchgesetzt. Punkt!
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Sterbehilfe - Selbstjustiz am Krankenbett

Beitrag von WernerSchell » 21.08.2010, 08:59

Mitteilung an eine Mailingliste vom 21.08.2010:

Sterbehilfe - Selbstjustiz am Krankenbett ... Beitrag von O Tolmein unter
http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF41441 ... ntent.html
Der BGH hat m.E. am 25.06.2010 die einzig richtige Entscheidung getroffen. Insoweit von "Selbstjustiz am Krankenbett" (Tolmein. RA) oder "Wild-West-Methoden" (Brysch, Deutsche Hospiz Stiftung) zu sprechen, liegt völlig neben der Rechtslage.
Es geht um die Durchsetzung des Patientenwillens und nichts anderes!

Insoweit gibt es in meinem Forum zahlreiche interessante Beiträge:
viewtopic.php?t=14370
viewtopic.php?t=11710
Ich empfehle die Lektüre von de Ridder "Wie wollen wir sterben"
viewtopic.php?t=14161

Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell - http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de

Leitgedanke
...dem Leben nicht mehr Jahre, sondern den Jahren mehr Leben schenken.
Der Menschlichkeit nicht mehr Pflege geben, sondern der Pflege mehr Menschlichkeit


>>> Falls sich Links nicht direkt öffnen lassen: Bitte jeweilige Fundstelle kopieren und in den InternetBrowser übertragen!
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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Lutz Barth
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Selbstjustiz

Beitrag von Lutz Barth » 22.08.2010, 16:28

Auch auf die Gefahr hin, mal wieder als pentranter Nörgler in Erscheinung zu treten, erscheint es zumindest diskussionswürdig, ob die Befürchtungen und die Erwägungen sowohl der Deutschen Hospiz Stiftung als auch von O. Tolmein "völlig neben der Rechtslage" liegen.

Der "Gelderner Sterbehilfefall" verdeutlicht die Rechtsunsicherheit und hier ist insgesamt Aufklärung geboten.

Auch ich habe mein Unbehagen zum Ausdruck gebracht - ein Unbehagen, dass allerdings eher auf dogmatische Erwägungen beruht, auch wenn das Ergebnis der BGH-Entscheidung allemal zu begrüßen ist.

Ich möchte es mal so formulieren: Der Freispruch war so sicher nicht und wurde letztlich dadurch ermöglicht, dass der Strafsenat mit einer "geänderten Rechtslage" seit 01.09.09 hat argumentieren können; im Übrigen ein Umstand, der dem LG Fulda erstinstanzlich versagt war.

Im Übrigen hat der Strafsenat die Gelegenheit gesehen, die "Rechtsfragen" nicht dem Großen Senat vorlegen zu müssen, so dass er quasi "alleine" die bedeutsamen Rechtsfragen hat entscheiden können, obgleich ohne Frage eine "Divergenz" feststellbar war.
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Patientenwille dominierend im Mittelpunkt des Geschehens

Beitrag von Cicero » 22.08.2010, 16:51

Ich neige auch der Auffassung zu, dass die geäußerte Kritik der Herren Brysch und Tolmein doch erheblich "daneben" liegen. Herr Brysch hat sogar, obwohl der BGH deutlich gesprochen hat, weiterhin von "Wild-West-Methoden" gesprochen.
Was mich eigentlich wundert ist, dass noch kein Kritiker aufgetreten ist, und die Staatsanwalt, die seinerzeit in Kenntnis der Rechtswidrigkeit der künstlichen Ernährung erneut eine Magensonde hat anlegen lassen, massiv angegangen ist. Eigentlich hätten diejenigen Amtspersonen angeklagt gehört, die das damals zu verantworten hatten.
Es geht hier nicht um das "Feiern" einer nicht alltäglichen Maßnahme, Durchtrennen einer Magensonde durch eine Betreuerin / Tochter, sondern einzig und allein um die Durchsetzung des Patientenwillens. Dass dieser Patientenwille als klar dominierend in den Mittelpunkt gerückt ist, muss hervorgehoben werden. Für kritische Anmerkungen sehe ich keinen Raum. So gesehen hatte das Landgericht Fulda nie eine Chance, seine Fehlentscheidung vom 30.04.2009 bestätigt zu bekommen.

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Beitrag von Lutz Barth » 22.08.2010, 17:20

Nun - ich möchte zwar nicht die allgemeine Euphorie über die Entscheidung des BGH bremsen, wenngleich doch das LG Fulda mit seiner erstinstanzlichen Entscheidung nicht "neben der Sache" lag! Wer die Entscheidungsgründe des BGH-Urteils sorgfältig liest, wird schnell zur Erkenntnis gelangen, dass das LG zum Zeitpunkt der Entscheidung aber eben auch zum Zeitpunkt der "Tat" die Rechtslage nicht verkannt hat!

Im Übrigen darf hier darüber spekuliert werden, dass auch die "Amtsträger", die seinerzeit die künstliche Ernährung erneut veranlasst haben, in einem Strafgerichtsverfahren mit einem Freispruch hätten rechnen dürfen und zwar auch in Kenntnis der seinerzeitigen Rechtslage!

Nochmals: Aus strafrechtsdogmatischer Sicht war der Erlass des Patientenverfügungsgesetzes mit dem damit verbundenen Argument von der sog. "Einheit der Rechtsordnung" von überragender Bedeutung, mal abgesehen von der unsäglichen Unterscheidung zwischen aktiven Tun und Unterlassen mit Blick auf die Sterbehilfe, die nunmehr expressis verbis aufgegeben worden ist.

Nach der Entscheidung des BGH ist vielmehr das LG Fulda rehabilitiert worden; ein Fazit könnte also lauten:

So gesehen hatte das Landgericht Fulda nach dem Erlass des Patientenverfügungsgesetzes und der Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung durch den BGH lediglich eine Entscheidung getroffen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung hätte nicht anders getroffen werden können und insofern ist es verfehlt, von einer "Fehlentscheidung" zu sprechen und zwar ungeachtet der Tatsache, ob wir nun meinen, "Wild-West-Methoden" bei den Freigesprochenen rügen zu müssen. Dies ist nämlich insofern unerheblich, weil ein jeder für sein Tun oder Unterlassen verantwortlich ist und demzufolge hoffentlich auch die Konsequenzen zu überblicken vermag.

Die "Besonderheit" des Falles lag also in erster Linie darin, dass das Zivilrecht sich mit Blick auf den Patientenwillen deutlich in einem Gesetz positioniert hat und von daher das "Strafrecht" nicht das verbieten wollte, was das Zivilrecht erlaubt hat, auch wenn insofern vom Senat ganz artig betont wurde, dass das Strafrecht durchaus eigenständig ist.

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Sterbehilfe - BÄK will Berufsrecht liberalisieren

Beitrag von Presse » 23.08.2010, 06:31

Nach BGH-Urteil:
Bundesaerztekammer will Berufsrecht zur Sterbehilfe liberalisieren

Duesseldorf / Berlin (ALfA). Die Bundesaerztekammer plant das Berufsrecht beim Thema Sterbehilfe zu liberalisieren. Dies berichtete die Rheinische Post online am 18. August 2010. Demnach erklaerte der Praesident der Bundesaerztekammer, Joerg-Dietrich Hoppe gegenueber der Zeitung, er koenne sich eine Formulierung vorstellen, "die zum Ausdruck bringt, dass es nicht zur Aufgabe des Arztes gehoert, Menschen beim Suizid zu helfen. Wenn der Arzt als Mensch dies aber mit seinem Gewissen vereinbaren kann, dann darf er dies tun", so Hoppe. Mit einer derartigen Liberalisierung leitet die Bundesaerztekammer nun eine fundamentale Wende in der bisherigen Positionierung ein, wonach eine Suizidbegleitung mit dem Berufsrecht nicht zu vereinbaren ist.

Hintergrund der Liberalisierungsplaene fuer das Berufsrecht ist das Ende Juni gefaellte Bundesgerichtshofurteil, wonach ein Abbruch lebenserhaltender Behandlungen auf der Grundlage des Patientenwillens nicht strafbar ist (siehe ALfA-Newsletter 25/10 vom 11.07.2010). Mit der Aenderung wollen die Aerzte nun das bisher strenge Berufsrecht an die Gesetzeslage anpassen. Der Aerztekammerpraesident betonte jedoch, man wolle "keinesfalls eine Entwicklung befoerdern, in der ein Druck auf Schwerkranke entsteht, freiwillig in den Tod zu gehen."

Die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung in Berlin uebte umgehend scharfe Kritik an den Plaenen der Bundesaerztekammer. Der Geschaeftsfuehrer der Stiftung, Eugen Brysch erklaerte, damit wachse der Druck auf schwerstkranke Menschen, von einem aerztlich assistierten Selbstmord Gebrauch zu machen, um anderen nicht zur Last zu fallen. Sofern die Bundesaerztekammer diesen Trend verhindern wolle, habe sie nur die Moeglichkeit, sich strikt gegen aerztliche Beihilfe bei der Selbsttoetung aussprechen. Auch die Deutsche Palliativstiftung und die Deutsche Gesellschaft fuer Palliativmedizin sprachen sich Medienberichten zufolge entschieden gegen eine Suizidbegleitung durch Aerzte aus.

Wie die Aenderungen im Berufsrecht fuer Aerzte nun konkret aussehen werden, wird sich in naechster Zeit zeigen. Seit kurzem ist das Urteil des Bundesgerichtshofs, das massive Kritik und Protest hervorrief, auch im Wortlaut offiziell im Internet abrufbar. Eine ausfuehrliche Bewertung dazu liefert Rechtsanwalt und Biopolitik-Blogger Oliver Tolmein in der FAZ vom 18. August 2010 unter http://www.faz.net/ in dem Artikel "Selbsjustiz am Krankenbett", zu finden ueber das dortige Archiv.

Weitere Informationen:

Dammbruch-Urteil II: Bundesgerichtshof faellt richtungsweisende Entscheidung zur Sterbehilfe
ALfA-Newsletter 25/10 vom 11.07.2010
http://www.alfa-ev.de/aktuelles/archiv- ... 755b3e340d

BGH-Urteil des 2. Strafsenats vom 25.6.2010 - 2 StR 454/09 im Wortlaut
22 Seiten im PDF-Format

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-b ... kument.pdf

Quelle: Pressemitteilung vom 23.08.2010
Aktion Lebensrecht fuer Alle (ALfA) e.V.
Geschaeftsstelle Augsburg:
Ottmarsgaesschen 8
D-86152 Augsburg
Telefon: 08 21 / 51 20 31
Telefax: 08 21 - 15 64 07
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Patientenwille - Patientenautonomie - was denn sonst ?

Beitrag von Rüdiger Bastigkeit » 23.08.2010, 09:19

Guten Morgen an alle im Forum!

Seit geraumer Zeit wird hier - kompetent und sachlich - über die Patientenautonomie (am Lebensende) diskutiert. Im Mittelpunkt stehen dabei die Strafrechtsentscheidungen des LG Fulda vom 30.04.2010 und des BGH vom 25.06.2010. Hinzu kommen Erörterungen über einen Sterbehilfefall in Geldern:

viewtopic.php?t=14607
viewtopic.php?t=14370
viewtopic.php?t=11710
viewtopic.php?t=14475

Aktuell ergaben sich weitere Diskussionen über Veränderungen bezüglich einer Sterbehilfe-Beihilfe durch die Ärzteschaft:

viewtopic.php?t=14072
viewtopic.php?t=14639
viewtopic.php?t=14652


Da rechtsdogmatische Fragestellungen oder sonstige theoretische Erörterungen über Recht, Ethik, Sitte und Moral nicht so sehr mein Ding sind, möchte ich einfach aus der praktischen / pflegerischen Hinsicht sagen:

Ich halte es für richtig, dass (endlich) der eindeutige Patientenwille ohne jegliche Einschränkungen anerkannt und durchgesetzt wird. Das war bislang wegen zahlreicher Einwände seitens der Ärzteschaft, Kirchenvertreter, moralisierenden Juristen .... (usw.) nicht immer möglich. Dass der BGH (Strafrecht) hier jetzt Position bezogen hat, ist eine gute Sache (und damit bewegt er sich mit dem Zivilsenat auf einer verfassungsrechtlich klaren Linie).
Ich halte wenig davon, über die verschiedenen Begrifflichkeiten in der Sterbehilfedebatte (z.B. passive Sterbehilfe, indirektikte Sterbehilfe usw.) und gar über die Frage, was aktives und passives Handeln strafrechtlich bedeutet, zu diskutieren.
Für mich ist einfach wichtig, was der Patient will - und das gilt es umzusetzen. Dabei erkenne ich an, dass der Staat die aktive Tötung ausdrücklich - und auch weiterhin - mit Strafe bedroht. Allerdings bedarf diese Vorschrift möglicherweise einer Veränderung, weil es Situationen geben kann, wo eine aktive Sterbehilfe auf Verlangen gerechtfertigt erscheinen kann und sich der Staat mit seinem Strafanspruch zurück nehmen muss. Auch im ärztlichen Berufsrecht erscheinen mir Veränderungen wichtig.

Die hier im Forum angesprochenen kritischen Stimmen von Brysch, Tolmein und Kirchenvertretern sind auch für mich nicht nachvollziehbar. Da wollen wohl einige Leute das "Rad wieder zurückdrehen". Oder haben sie einfach nichts verstanden?

Mit freundlichen Grüßen
Rüdiger Bastigkeit
Pflegesystem verbessern - dringend!

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