Ein Drittel deutscher Ärzte befürwortet Sterbehilfe

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

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Ein Drittel deutscher Ärzte befürwortet Sterbehilfe

Beitrag von Presse » 23.11.2008, 10:46

SPIEGEL ONLINE, 22.11.2008
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Umfrage: Ein Drittel deutscher Ärzte befürwortet Sterbehilfe
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Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland strafbar, Beihilfe zum Suizid
kann berufsrechtliche Konsequenzen haben. Dennoch plädieren viele
Ärzte dafür, Patienten beim Suizid helfen oder gar auf Wunsch der
Kranken deren Leben beenden zu dürfen. Das ergab eine Umfrage im
Auftrag des SPIEGEL.

Den vollständigen Artikel erreichen Sie im Internet unter der URL
http://www.spiegel.de/politik/debatte/0 ... 70,00.html

Zum Thema
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Sterbehilfe: Politiker sind vorerst machtlos gegen Kuschs
Suizidgeschäft
http://www.spiegel.de/politik/deutschla ... 37,00.html

Lutz Barth
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„Du sollst keine anderen Ethiker neben mir haben“(!?)

Beitrag von Lutz Barth » 24.11.2008, 09:04

… so oder ähnlich könnte das Gebot der Bundesärztekammer lauten, wenn es darum geht, sich in der Debatte um das Patientenverfügungsgesetz zu positionieren.

Wir haben hier bei openPR bereits des Öfteren darüber berichtet, dass die Bundesärztekammer in ihren öffentlichkeitswirksamen Verlautbarungen, insbesondere durch den Präsidenten Herr Hoppe und dem Vize, Herrn Montgomery, den Eindruck zu vermitteln sucht, wonach „die deutsche Ärzteschaft ein Gesetz zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen nicht für notwendig (hält)“ und im Übrigen die „Sterbehilfe“ keine Option aus der Sicht der Ärzteschaft sei.

Die neuerliche Umfrage (vgl. dazu Spiegel.de. v. 22.11.08) lässt allerdings an dieser Einschätzung der beiden Herren erhebliche Zweifel aufkommen. Ein Drittel der deutschen Ärzte befürwortet die Sterbehilfe und nach zahlreichen weiteren Umfragen unter den Ärzten drängt sich nun doch der Schluss auf, dass das ethische Votum der beiden Funktionäre der BÄK nicht das Meinungsbild innerhalb der Ärzteschaft widerspiegelt.

Offensichtlich sieht sich die BÄK dazu berufen, eine „ethische Grundhaltung“ qua standesethischer Proklamation zu verordnen, obgleich in nicht unwesentlichen Teilen der verfassten Ärzteschaft eine andere Auffassung vertreten wird.

Es bleibt kritisch nachzufragen, warum die BÄK der Öffentlichkeit Glauben schenken will, dass die Ärzteschaft unverrückbar hinter ihren Verkündungen steht?
Mehrere Umfragen skizzieren eine andere Realität und da stimmt es schon mehr als seltsam, wenn zumindest die Meinungsvielfalt unter den Ärzten nicht entsprechend eingestanden wird.

Das „Gewissen“ der Ärzte lässt sich nicht mit einem „Dekret“ oder einer Richtlinie verordnen. Zumindest in anonymisierter Form trauen sich die Ärzte, ihren wahren Standpunkt zu offenbaren. Dies erscheint auch insofern konsequent, weil wohl mit „Sanktionen“ der entsprechenden Landesärztekammern gerechnet werden muss, wenn und soweit sich ein(e) deutsche Ärztin oder Arzt sich zur „Sterbehilfe“ bekennt, geschweige denn sich vorstellen könnte, bei einem freiverantwortlichen Suizid ärztlich zu assistieren.

Es ist keine Frage: Auch die Ärzteschaft ist an Recht und Gesetz gebunden und von daher ist ein Gesetz zwingend notwendig – nicht zuletzt auch deswegen, um die aufgeklärte und selbstbestimmte Ärzteschaft ein stückweit aus ihrer „ethischen Umklammerung“ durch die Kammern lösen zu können, mal ganz davon abgesehen, dass die ärztliche Standesethik ihre Grenzen unmittelbar auch aus der Verfassung heraus erfährt. Es gibt keinen exklusiven Bereich der verfassten Ärzteschaft, ethische Supergrundrechtsschranken per Grundsatzvoten zu erlassen.

Was ist also gefordert?

Eine offene Diskussion innerhalb der Ärzteschaft, die nach wie vor schmerzlich vermisst wird. Der „gute Arzt“ – ein von Klaus Dörner skizziertes Bild der deutschen Ärzte – ist in erster Linie wohl auch ein Arzt, der seine Meinung in einem historisch bedeutsamen Wertediskurs frei äußern darf und nicht verpflichtet ist, sein „Gewissen“ in die Hände einzelner Interpreten zu legen, nur weil er in einer Körperschaft öffentlichen Rechts verkammert ist!

Lutz Barth
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thorstein
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Beitrag von thorstein » 24.11.2008, 11:37

Es herrscht leider immer noch der Irrglaube, dass gerade Ärzte aufgrund ihrer Tätigkeit sich besonders instensiv mit dem Thema Sterben und Tod auseinandergesetzt hätten und daher besonders qualifizierte Beiträge zu diesen Themen liefern könnten.
Ich bin der festen Überzeugung, dass das Gegenteil der Fall ist: es gibt wohl kaum eine Berufsgruppe, die dieses Thema so konsequent verdrängt und daher auch regelmäßig überfordert wird.
Daher halte ich eine gesamtgesellschaftliche Diskussion für notwendig, keinesfalls darf das Thema Sterben und Tod allein den Ärzten überlassen werden.
Beim Thema Sterbehilfe wären Ethikkomissionen ein gangbarer Weg.
Verdrängung ist ein schlechtes Fundament für Gewissensentscheidungen. Hier stellt sich auch die Frage nach Ausbildungsinhalten.

Lutz Barth
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Beitrag von Lutz Barth » 24.11.2008, 12:41

Dem kann ich nur beipflichten! Es ist schon erstaunlich, warum ein Großteil der Ärzteschaft sich offensichtlich nur traut, ein anonymes Votum abzugeben.
Es steht zu vermuten an, dass das von der BÄK und manchen Landesärztekammer skizzierte Selbstbildnis des Arztes so nicht mit der Realität übereinstimmt. Vielfach drängt sich der Eindruck auf, dass die Ärzteschaft durch "ihre Medizinethiker" und von nicht wenigen Hobbyphilosophen gleichsam in der Öffentlichkeit unter Druck gesetzt wird, obgleich der Geist des ehrwürdigen Hippokrates zwar nicht verpflogen, aber durchaus mit den emanzipatorischen Ansprüchen des autonomen Patienten ein wenig überfordert zu sein scheint.

Nur in Parenthese sei angemerkt, dass gerade das Verordnen einer scheinbar verppflichtenden Berufsethik und die dahinterstehende "Kammergewalt" ein Umstand ist, von dem dann wohl auch nicht die Pflegenden verschont bleiben, wenn es dann zur Institutionalisierung von Pflegekammern kommen sollte.

Mfg.
Lutz Barth
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Ärzte haben mit Recht weniger im Sinn

Beitrag von conny24 » 26.11.2008, 18:19

Hallo,
nach meinen Feststellungen befassen sich Ärzte kaum, fast nie, mit Rechtsfragen. Sie praktizieren ihre Schulmedizin und basta!
Dass Ärzte mit Sterben und Tod, Sterbehilfe usw. nicht korrekt umgehen können, ist nur allzu verständlich. Sie haben es nicht gelernt. Insoweit ist wohl eine Qualifizierungsoffensive angesagt.
Es ist fatal, dass rd. 2/3 der Ärzte glauben, dass das Beenden einer künstlichen Ernährung mittels PEG aufgrund klarer Äußerungen in einer Patientenverfügung aktive Sterbehilfe sei. Das zeigt deutlich, was los ist.
MfG Conny24
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Mediziner: Jeder Dritte fuer assistierten Suizid

Beitrag von Presse » 30.11.2008, 10:25

Meinungsumfrage unter Medizinern: Jeder Dritte fuer assistierten Suizid - jeder Sechste fuer aktive Sterbehilfe

Hamburg (ALfA). Laut einer aktuellen repraesentativen, anonymen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Healthcare im Auftrag des Nachrichtenmagazins Spiegel unter 483 Aerzten wuerden 35 Prozent der Befragten eine Regelung befuerworten, die es Aerzten ermoeglicht, Patienten mit fortgeschrittener, schwerer, unheilbarer Krankheit beim Suizid zu helfen. Beihilfe zum freiverantwortlichen Suizid ist in Deutschland straflos, kann aber berufsrechtliche Konsequenzen haben. Ganze 16,4 Prozent der Mediziner sprachen sich zudem fuer die bislang in Deutschland verbotene aktive Sterbehilfe aus. Diese Ergebnisse wurden am 22. November bei Spiegel Online veroeffentlicht. Befragt wurden Mediziner, die als Hausarzt oder Internist, Onkologe, Anaesthesist und Palliativmediziner im Krankenhaus Schwerstkranke behandeln. Erschreckend ist auch, dass sich demnach fast 40 Prozent vorstellen koennen, selbst Patienten beim Suizid zu helfen. Ueber 3,3 Prozent der befragten Mediziner gaben an, bereits ein- oder mehrmals einem Patienten beim Suizid geholfen und damit ihrem Standesrecht zuwidergehandelt zu haben. Laut Spiegel waeren das hochgerechnet allein unter den befragten Aerztegruppen ca. 3000 Mediziner. Nicht mitgerechnet sei dabei die Dunkelziffer der aktiven Sterbehilfe.

Die Bundesvorsitzende der Aktion Lebensrecht fuer Alle e.V., Dr. med. Claudia Kaminski, erklaerte am 24. November in einer Pressemitteilung, die Ergebnisse der Befragung seien "ein Skandal". "Anderseits kann es kaum wundern, dass in einer Gesellschaft, welche die Toetung von Kindern im Mutterleib bereits weitreichend legalisiert hat und teilweise sogar mit den Steuergeldern ihrer Buerger subventioniert, auch andere, fuer selbstverstaendlich erachtete ethische Prinzipien aus dem Blick geraten. Standesvertretung und Gesetzgeber sind nun gefordert, unmissverstaendlich klarzustellen, dass die Beihilfe zum Selbstmord dem aerztlichen Ethos diametral entgegengesetzt ist", mahnte Kaminski. Aerzte seien moralisch verpflichtet, soweit ihnen das mittels der aerztlichen Kunst moeglich ist, zu heilen und Leid zu lindern. Aerzte und Patienten muessten dabei grundsaetzlich akzeptieren, dass auch die aerztliche Kunst bisweilen an Grenzen stoeßt. "Werden diese Grenzen erreicht, ist es ethisch keine akzeptable Alternative, anstelle des Leids den Leidenden aus der Welt zu schaffen oder ihn dabei zu unterstuetzen, dies selbst zu tun. Dies waere vielmehr ein entsetzlicher Verrat am aerztlichen Heilauftrag, der zudem weitreichende Konsequenzen fuer das Vertrauen der Patienten in die gesamte Aerzteschaft haette", so die Aerztin.

Aus Sicht der Aktion Lebensrecht fuer Alle e.V. (ALfA) sei es darueber hinaus dringend erforderlich, dass sich unsere Gesellschaft rechtzeitig darueber Gedanken macht, welche Folgen eine Legalisierung des aerztlich assistierten Suizids fuer den Rest der Gesellschaft haette. "Dazu gehoert auch, sich klar zu machen, dass angesichts der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen und des demografischen Wandels sehr schnell eine gesellschaftliche Erwartungshaltung entstehen koennte, die dann all jene unter Druck setzen wuerde, sich ebenfalls zu toeten, wenn es fuer sie keine Aussicht auf Heilung mehr gibt", warnte Kaminski. Aus der aus falsch kanalisiertem Mitleid geborenen Moeglichkeit, aerztliche Hilfe beim Selbstmord in Anspruch zu nehmen, koenne sehr leicht eine Pflicht zum Suizid werden. "Um dies zu verhindern, gibt es nur einen sicheren Weg: Beihilfe zum Selbstmord muss fuer Aerzte tabu bleiben", so Kaminski abschließend.

Die Deutsche Hospiz-Stiftung forderte in einer Pressemitteilung angesichts der Befragungsergebnisse verpflichtende ethische Fortbildungen fuer aerztliche Berufe und mehr Geld fuer eine professionelle Sterbebegleitung. Die Umfrage zeige, "wie wenig sattelfest Aerzte sowohl in ethischen als auch medizinischen Fragen sind".

Weitere Informationen:

Ein Drittel deutscher Aerzte befuerwortet Sterbehilfe
Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland strafbar, Beihilfe zum Suizid kann berufsrechtliche Konsequenzen haben. Dennoch plaedieren viele Aerzte dafuer, Patienten beim Suizid helfen oder gar auf Wunsch der Kranken deren Leben beenden zu duerfen. Das ergab eine Umfrage im Auftrag des SPIEGEL.
SPIEGEL Online 22.11.08
http://www.spiegel.de/politik/debatte/0 ... 70,00.html

Quelle: Aktion Lebensrecht fuer Alle (ALfA) e.V. - ALfA-Newsletter 45/08 vom 29.11.2008

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