Der Betreuungsskandal - Alleingelassen & vergessen ?

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

Moderator: WernerSchell

Antworten
WernerSchell
Administrator
Beiträge: 25302
Registriert: 18.05.2003, 23:13

Der Betreuungsskandal - Alleingelassen & vergessen ?

Beitrag von WernerSchell » 17.11.2008, 06:45

17.11.2008, 21.45 - 22.15 Uhr, ARD - Report München

Wiederholung dienstags nach der Sendung um 5.00 Uhr (Das Erste) und um 9.30 Uhr (rbb)

Thema u.a.:

Alleingelassen und vergessen
Der Betreuungsskandal


Immer mehr Menschen in Deutschland, mittlerweile über eine Million, stehen unter Betreuung. Dabei kommt die Betreuung einer quasi Entmündigung gleich. Das Betreuungsrecht sollte das alte Vormundschaftsrecht ablösen und das Selbstbestimmungsrecht der Menschen, die unter der sogenannten Betreuung stehen, verbessern. Doch das Gegenteil ist der Fall. Immer wieder wurde das Betreuungsrecht verändert. Eine Verbesserung für die Menschen war damit nie verbunden, vielmehr wurden die Rechte des Betreuten immer weiter eingeschränkt. report MÜNCHEN zeigt einen Fall, der beispielhaft dafür ist, wie das Wohl der Menschen in der Betreuungsmaschinerie zerrieben wird.

Von Annette Peter
Stand: 14.11.2008

Anregungen und Fragen
Schreiben Sie uns! Ihre Kritik und Ihre Anregungen zur Sendung und zum Newsletter nehmen wir gerne entgegen: report@br-online.de

Weitere Informationen
Am Dienstag nach der Sendung finden Sie hier das Manuskript zum Nachlesen sowie den TV-Beitrag als Videostream.

Quelle:
http://www.br-online.de/das-erste/report-muenchen/
http://www.br-online.de/das-erste/repor ... 233751.xml
Zuletzt geändert von WernerSchell am 23.11.2008, 10:59, insgesamt 1-mal geändert.
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
Bild

Service
phpBB God
Beiträge: 1828
Registriert: 14.09.2006, 07:10

Kritik an Berichterstattung

Beitrag von Service » 23.11.2008, 10:56

Brief an die Redaktion von Report München:

Sehr geehrte Redaktion,

um es gleich vorwegzunehmen, der eigentliche Titel zu Ihrer Sendung müsste
lauten "Der Report-Skandal". Denn was hier - weil journalistisch schlampig
oder oberflächlich recherchiert - an Halb- bzw. Unwahrheiten
öffentlich-rechtlich wiedergegeben wird, ist schlichtweg skandalös und
eigentlich kann man darauf gar nicht ernsthaft, sondern nur mit Zynismus
reagieren.

Es wird quasi auf dem Niveau der Regenbogenpresse bzw. im Stil von
Trashsendungen in privater TV-Landschaft bewusst ein Berufsstand diffamiert,
ohne alle Beteiligten in den von Ihnen geschilderten Situationen zu befragen
und vor allem die Situationen in ihrem Gesamtbild seriös zu beleuchten.
Dies hat mit ernsthaftem Journalismus nicht das Geringste zu tun.

"report MÜNCHEN berichtet seit April 2004 immer wieder über die Missstände
im Betreuungsrecht" - wenn dem so ist, dann sollte eigentlich nun allmählich
ein ordentliches Hintergrundwissen vorhanden sein. Dass aber nach so vielen
Jahren immer wieder nur pauschale Hetzkampanien verbreitet werden,
zusammengemischt aus quotenträchtigen Schlagzeilen, stiftet nur Verwirrungen
und unnötige Ängste bei allen Betroffenen.

Hier einige Beispiele zu Ihrem laienhaften Vorbringen:

Die Vollmacht, die Herr Ernst L. einem Bekannten gegeben hat, .."löste ein
Betreuungsverfahren aus."
- Wo um Himmelswillen nehmen Sie denn solche Weisheiten her. Ein Blick
in die einschlägigen Bestimmungen des Betreuungsrechts (Bürgerliches
Gesetzbuch §§ 1896 ff) hätte genügt, um die Verfahrensweise herauslesen zu
können, warum und auf welchen Wegen eine Betreuung ausschließlich und
rechtswirksam zustande kommen kann und wie viele voneinander völlig
unabhängige Verfahrensschritte (Betreuungsstelle, psychiatrisches Gutachten,
Verfahrenspfleger, vormundschaftsrichterliche Anhörung) dazu notwendig sind.


"Wir treffen Ernst L. in einem Cafe. Er lebt seit Jahren gegen seinen Willen
in einem Pflegeheim. Zeigen dürfen wir ihn nicht - das darf der 69jährige
nicht selbst entscheiden. Das entscheidet sein rechtlicher Betreuer und er
möchte nicht, dass wir Ernst L. treffen und ihn filmen."
- Schlichtweg falsch. Warum sollte der 69-jährige diesbezüglich nicht
mehr selbst entscheiden dürfen? Haben Sie den Betreuer dazu befragt oder den
zuständigen Vormundschaftsrichter in diesem speziellen Fall? Welche Gründe
gab es denn? Merkwürdig, dass Sie dies nicht hinterfragt haben, aber es
passt natürlich gut in die Absichten Ihrer Sendung.

- Voraussetzung einer Betreuung ist gem. § 1896 Abs. 1 BGB vor allem
"das Vorhandensein einer psychischen Krankheit, einer körperlichen,
geistigen oder seelischen Behinderung.." Natürlich stehen Aussagen von
Betroffenen, die gerade wegen eines bestimmten Krankheitsbildes oder einer
geistigen Einschränkung möglicherweise eine Betreuung gegen ihren Willen
bekommen haben, erfahrungsgemäß nicht immer objektiv dieser Hilfe gegenüber.
Eine Betreuung gegen den Willen des Betroffenen kann jedenfalls nur dann
angeordnet werden, wenn in Folge der psychischen Krankheit, geistigen oder
seelischen Behinderung die Freiheit der Willensbildung eingeschränkt ist. Es
liegt doch in der Natur der Sache, dass viele der hiervon Betroffenen ihre
Betreuung dann oftmals als persönliche Einengung und nicht als Hilfsangebot
erkennen, den Betreuer/die Betreuerin gar als Feind ansehen und dies
natürlich dann so auch nach außen zeigen.

- Jeder hauptamtliche Betreuer kann Ihnen aus seinem beruflichen
Alltag solche Fälle vor die Kamera zerren, aber dafür auch umso mehr andere,
die das Instrument der Betreuung tatsächlich als das ansehen, was es auch
sein soll, nämlich ein Hilfsinstrument, weil andere Hilfen aus dessen Umfeld
eben nicht ausreichend oder gar nicht vorhanden waren. Hierbei stellt sich
gleich mal die Frage bezüglich der von Ihnen ebenfalls gezeigten Schwester
des Herrn Ernst L.: Wenn diese - wie offenbart wird - "..sich immer um ihren
älteren Bruder gekümmert" hatte, warum kam es dann überhaupt zu einer
Betreuung, da ja das Gesetz ausdrücklich von "Erforderlichkeit und Nachrang
einer Betreuung" ausgeht, für den Fall eben, wo andere Hilfen ausgeschöpft
oder nicht ausreichend vorhanden sind?

- Und wissen Sie auch, wie viele Betreuungen von ehrenamtlichen
Familienangehörigen an Berufsbetreuer übergeben werden müssen, eben weil das
familiäre Gebilde dem Wohle des Betroffenen völlig zuwiderläuft?
Wahrscheinlich nicht, bringt ja auch keine Schlagzeilen, aber es würde sich
im Sinne einer ausgewogenen Berichterstattung im öffentlich rechtlichen
Fernsehen jedenfalls lohnen, einmal auch darüber völlig wertfrei zu
berichten.

- Haben Sie die Aussage Ihres Herrn L., wonach er "..seit Jahren gegen
seinen Willen in einem Pflegeheim leben müsse" hinterfragt? Haben Sie
überprüft, ob er zuhause dem Umfang seiner Pflegebedürftigkeit und seinem
Wohle entsprechend überhaupt noch ausreichend versorgt werden könne? Ihre
eigene Aussage, "..auch körperlich geht es ihm immer schlechter", würde ja
erst mal dagegen sprechen! Würden die Hilfen der Schwester oder auch von
ambulanten Pflegediensten zu Hause wirklich ausreichen können, oder braucht
es in seinem speziellen Fall eben eine Rundumversorgung? Kollidieren hierbei
nicht vielleicht Wunsch und Wohl des Betroffenen (s.§ 1901 Abs. 3 BGB)?
Kannten Sie die tatsächliche Situation vor seiner Heimaufnahme? Wenn diese
völlig in Ordnung war und keine gesundheitliche Gefährdung für den
Betroffenen vorlag, warum hat dann das Vormundschaftsgericht von seiner
Amtsermittlungspflicht Gebrauch gemacht? Und warum kam es dann zu einer
Heimaufnahme? Alles wirklich völlig ohne jeden Grund? Ihre
Berichterstattung lässt jedenfalls hierzu schlüssige Antworten vermissen und
offenbart auch den Stil Ihrer Recherchen. (Andersherum wäre dies für Sie
sicherlich auch wiederum ein "Skandalbericht" von hohem Unterhaltungswert:
"Schwerkranker Mann in seinem häuslichen Umfeld alleingelassen! Warum hat
der Betreuer nichts unternommen? Warum schritt das Vormundschaftsgericht
nicht ein? Die Schwester hat sich an "Report" gewandt! ...)

- Und warum sollte - wenn die Schwester tatsächlich gute und
ausreichende Hilfen für ihren Bruder geleistet hatte - diese dann nicht zur
Betreuerin bestellt werden? Knapp drei Viertel aller Betreuungen in der
Bundesrepublik werden von Familienangehörigen bzw. ehrenamtlich geführt, es
sei denn die Angehörigen sind dazu nicht geeignet oder nicht in der Lage
(beispielsweise auch durch örtliche Distanz). Auch hier bleiben in Ihrem
Beitrag wichtige Fragen offen, die zuerst aufzuklären gewesen wären, bevor
man ungeprüfte Nachrichten als "Skandal" veröffentlicht.

Eine weitere Aussage Ihres Beitrags: ".Zeit für persönliche Betreuung lohnt
sich nicht", zeigt jedenfalls deutlich auf, dass Ihre Recherchen jeglichen
Bezug zu einem fachlichen Hintergrund vermissen lassen. Denn der Gesetzgeber
hat im neuen Betreuungsrecht die Abgrenzung zwischen den dem Betreuer
gesetzlich zugewiesenen Amtsgeschäften und dessen darüberhinausgehendem
faktischen Engagement für den Betreuten in § 1901 Abs. 1 BGB verdeutlicht,
wonach die Angelegenheiten des Betreuten ausdrücklich lediglich rechtlich zu
besorgen sind. "Persönliche" Betreuung ist und war im Gesetz nie vorgesehen.
Ein Blick in das Gesetzbuch würde sich also tatsächlich mal lohnen, wenn man
sich schon brüstet, seit einigen Jahren über das Betreuungswesen zu
berichten.

Es wäre deshalb, bevor man sich als seriöser Sender solch komplexen und
gleichzeitig rechtlich sensiblen Themen widmet, durchaus ein juristisches
Abklären und Hinterfragen - wie ich meine - oberste Journalistenpflicht,
bevor man durch Oberflächlichkeiten oder Effekthaschereien einen ganzen
Berufsstand einfach abwatscht und damit unbescholtene und pflichtbewusste
Bürger, die sich aus innerster Überzeugung heraus in den Dienst des Nächsten
stellen, um den Schwächeren in unserer Gesellschaft zur Seite zu stehen, in
öffentlichkeitswirksamer Weise verunglimpft und rufschädigt.

Jedenfalls erscheint so die gesamte Fernseharbeit von "Report" nun äußerst
fragwürdig. Wenn in dem Bereich bereits entsprechendes Hintergrundwissen
vermisst wird, was soll man dann von Ihrer übrigen Berichterstattung wohl
halten, wo dem Laien nicht gleich erkennbar ist, was mag wohl nun Wahrheit
sein und was Sensationsgier sein. Man mag sich das gar nicht vorstellen
wollen.

Warum begleiten Sie nicht einmal die Arbeit von Betreuern, die
Schwierigkeiten im Alltag, den Kampf mit dem überbordenden
Bürokratiewahnsinn und die rechtlichen Grenzen einer Betreuung?

Nachdem "Report" bisher also sämtliche Chancen verpasst hat, im Rahmen
seriöser Berichterstattungen die wirklichen Probleme und die Grenzen des
Betreuungsrechts sachlich herauszuarbeiten, werden wohl Kontakte bei anderen
Radio-/TV-Redaktion und bundesweiten Printmedien zu knüpfen sein, um Ihre
fehlerhafte Darstellung zu revidieren. Vielleicht kommt es ja dann auch mal
zu ordentlichen Berichterstattungen über die Betreuungssituationen
hierzulande, die zugegebenermaßen sicherlich für alle Betroffenen nicht
sonderlich einfach sind.

Darüberhinaus ist bei dieser anhaltenden Art vorsätzlich falscher und aus
niederen Beweggründen heraus erfolgter Berichterstattungen, die da dazu
geeignet sind, den Ruf von Personen eines Berufsstandes vorsätzlich und
öffentlich massiv zu schädigen, noch zu prüfen, ob hierbei nicht schon ein
Straftatbestand nach den §§ 164, 186, 187 StGB vorliegt.

Mit freundlichen Grüßen
Harry Graeber

Text wird mit Zustimmung des Verfassers Harry Graeber vorgestellt:
post@harry-graeber.de

ekjj
Newbie
Beiträge: 40
Registriert: 13.02.2008, 11:01

Re: Kritik an Berichterstattung

Beitrag von ekjj » 17.12.2008, 01:46

Service hat geschrieben:Brief an die Redaktion von Report München:

Sehr geehrte Redaktion,

um es gleich vorwegzunehmen, der eigentliche Titel zu Ihrer Sendung müsste
lauten "Der Report-Skandal". Denn was hier - weil journalistisch schlampig
oder oberflächlich recherchiert - an Halb- bzw. Unwahrheiten
öffentlich-rechtlich wiedergegeben wird, ist schlichtweg skandalös und
eigentlich kann man darauf gar nicht ernsthaft, sondern nur mit Zynismus
reagieren.


Hier einige Beispiele zu Ihrem laienhaften Vorbringen:
.....
.....
.....

Eine weitere Aussage Ihres Beitrags: ".Zeit für persönliche Betreuung lohnt
sich nicht", zeigt jedenfalls deutlich auf, dass Ihre Recherchen jeglichen
Bezug zu einem fachlichen Hintergrund vermissen lassen. Denn der Gesetzgeber
hat im neuen Betreuungsrecht die Abgrenzung zwischen den dem Betreuer
gesetzlich zugewiesenen Amtsgeschäften und dessen darüberhinausgehendem
faktischen Engagement für den Betreuten in § 1901 Abs. 1 BGB verdeutlicht,
wonach die Angelegenheiten des Betreuten ausdrücklich lediglich rechtlich zu
besorgen sind. "Persönliche" Betreuung ist und war im Gesetz nie vorgesehen.
Ein Blick in das Gesetzbuch würde sich also tatsächlich mal lohnen, wenn man
sich schon brüstet, seit einigen Jahren über das Betreuungswesen zu
berichten.



Mit freundlichen Grüßen
Harry Graeber

Text wird mit Zustimmung des Verfassers Harry Graeber vorgestellt:
post@harry-graeber.de
§1897 BGB (1)
Zum Betreuer bestellt das Vormundschaftsgericht eine natürliche Person, die geeignet ist, ... die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen und ihn in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen.

ekjj
Newbie
Beiträge: 40
Registriert: 13.02.2008, 11:01

Re: Kritik an Berichterstattung

Beitrag von ekjj » 11.02.2009, 10:42

Service hat geschrieben:Brief an die Redaktion von Report München:

....darüber völlig wertfrei zu berichten...
Vormundschaftsgerichtstag e.V.:

Erhebliche Fehlentwicklungen und gravierende Defizite in der Umsetzung des Betreuungsrechts


"In den bisher geführten Diskussionen im Vorstand des VGT bestand Einigkeit darüber, dass weiterhin erhebliche Fehlentwicklungen und Mängel in der Umsetzung des Betreuungsrechts zu verzeichnen sind. Dies auch, weil die bisherigen Gesetzesänderungen - wie zuvor von vielen Praktikern, dem VGT und den anderen Fachverbänden prognostiziert - den eigentlichen Erfordernissen nicht entsprechen und zum Teil sogar „vom Ziel und Weg wegführen“. Es gibt zwar in fast allen Praxisfeldern und Anwendungsbereichen viele einzelne positive Umsetzungsbeispiele mit „Leuchtturmcharakter“, dennoch sind über die gesamte Fläche betrachtet gravierende Defizite bei der Umsetzung der Ziele des Betreuungsrechts unverkennbar. Der Ist-Zustand wird vom VGT-Vorstand mithin sehr kritisch betrachtet.

Um weiteren Fehlsteuerungen und Fehlentwicklungen entgegenzuwirken..."


http://netzwerk-betreuung.net/comments. ... e=1#Item_0

Antworten